Predigt Slam in Wittenberg: Bühne statt Kanzel

Von Karl Friedrich Ulrichs

Wortmächtig wollen sie sein, wöchentlich haben sie davon eine Probe abzulegen, wenn sie die Kanzel besteigen. Am Dienstagabend hatten einige angehende und gestandene Pfarrer aus Berlin und Leipzig, aus Unna und von der Schwäbischen Alb, einer gar aus Südafrika, die Gelegenheit, die Kanzel mit der Bühne des Clack-Theaters in Wittenberg zu vertauschen. Das Zentrum für evangelische Predigtkultur, eine Einrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland, veranstaltete zum zweiten Mal einen Predigt Slam.

Die Teilnehmer waren zwei Tage lang vom bekannten Poetry Slammer Bo Wimmer aus Marburg gecoacht worden und präsentierten im gut besuchten Kleinkunsttheater ihre Texte. Dass es sich dabei nicht einfach um kurze Predigten oder besinnliche Texte handeln kann, zeigten schon die location und das mitfiebernde, applaudierende Publikum, das man sich so eher nicht in einem herkömmlichen Gottesdienst vorstellen kann.

Wie in den Poetry Slams, den in Kneipen und Theatern durchgeführten Wettbewerben mit aktuellen und selbstverfassten Texten, lebt auch ein Predigt Slam, wie er seit vier Jahren auch in Marburg veranstaltet wird, von der Performance des Textes und der Selbstinszenierung des Slammers, von der Rasanz und der Unmittelbarkeit des Textes – große Herausforderungen für Prediger also, denen sonst eine gewisse Zurückhaltung auferlegt ist: Rampensau auf der Kanzel kommt nicht so gut.

Dass diesen Herausforderungen nicht alle Teilnehmer gerecht wurden, tat der Sache keinen Abbruch. Begrüßt von der Leiterin des Predigt-Zentrums Kathrin Oxen und moderiert von Bo Wimmer präsentierten die acht Teilnehmer ihre Texte. Das Los – und darin der Heilige Geist, wie der Moderator spaßte – hatte entschieden, dass ein beklemmender Text über den Tod eines Kindes und damit eine Spaßbremse den Reigen eröffnete. Erfreulicher dann der komödiantisch-kulinarische Text des Berliner Studenten Christopher Hertwig, der befand, dass das bekannte Lied „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ nur von einem Schaf geschrieben sei könne und stattdessen Gottes Liebe als „Pasta mit Tomatensoße“ umschrieb. Dem folgte ein Loblied aufs Ohr, während dem gestenreich vortragenden westfälischen Pfarrer das Donnergrollen des abendlichen Unwetters in die Parade fuhr.

Nach der Pause zeigte der Coach und Moderator Wimmer mit einem Text über die Unmöglichkeiten der Liebe, wie ein gekonnter Slam-Text klingt. Daran hatte sich dann Jens Jacobi aus Spandau zu messen, der die biblische Vorstellung einer Salbung durchspielte. Dem folgte der Pfarrer und Tierarzt Reiner Focke aus Südafrika mit einer Meditation über das Licht und die einzige Frau im Wettbewerb, Alina Erdem aus Berlin, mit einem Text, der in Form und Ton echtes Poetry-Slam-Format hatte, aber inhaltlich etwas konventionell ausfiel. Form und Inhalt und Performance brachte schließlich – wie freundlich vom Heiligen Geist mit seinem Los! – der junge schwäbische Pfarrer Bernhard Elser zusammen. Mit Recht bestimmte die aus dem Publikum ausgewählte Jury – darunter ein Tisch mit lauter Theologen, die zum Amüsement der anderen sich mit der Bewertung schwer taten – ihn zum Sieger; durch Präsenz, Rasanz und Witz besonders ausgezeichnet hatte er mit dem Gleichnis Jesu vom reichen, allzu selbstgewissen Kornbauern eine tempo- und geistreiche Abrechnung mit dem gegenwärtigen Finanzkapitalismus vorgetragen. 

Im kommenden Jahr wird es wieder einen Predigt Slam im Clack-Theater geben. Freunde der Klein- und Wortkunst wird es freuen.

 


Dr. Karl Friedrich Ulrichs, 30. Mai 2013