Bergpredigt reloaded

Notat to go. Von Barbara Schenck

Bergpredigt, Holzschnitt mit Wassertempera übermalt (Detail) von Christian Rohlfs, 1916; Osthaus Museum Hagen; Wikipedia Commons

„Im Krieg gibt es keine Sieger“, das wollte Anja Niedringhaus mit ihren Fotos zeigen.

Über die ersten Jahre im Balkan sagt die Kriegsfotografin in einem Interview: Sie habe gedacht, durch die Fotos werde sich die Welt verändern „Und es hat sich im Endeffekt gar nichts geändert“. Vergangenen Freitag wurde Niedringhaus in Afghanistan erschossen.

Es gibt immer noch Krieg, obwohl alle das Grauen sehen können. Als ob wir uns daran gewöhnt hätten: 14 Bundeswehreinsätze im Ausland, davon drei, so die Verteidigungsministerin, die dezidierte Kampfeinsätze sind. Doch: mein jugendlicher Pazifismus, die Begeisterung für Gandhi? Abgeflaut.
Ist es nicht besser, einen Terroristen gezielt mit einer Drohne zu töten, als weitere Terroranschläge mit Hunderten von Toten zu riskieren? Ein bisschen Gewalt muss halt sein, dem Bösen zu trotzen. Schande über mein Haupt, so auch nur zu denken. Hat nicht auch ein Terrorist das Recht auf ein Gerichtverfahren? Der „Mythos der erlösenden Gewalt“, der Glauben, dass Gewalt rette und Krieg Frieden bringe macht sich schnell breit.

Im Endeffekt habe sich gar nichts geändert, so Anja Niedringhaus, doch das Dokumentieren sei nun mal ihre journalistische Pflicht.
Christenpflicht ist es nun mal, wider alle Einwände der Realpolitik und wider die eigene Abstumpfung, den Kern christlicher Ethik weiterzusagen. Christus erlaubt den Seinen nicht, Gewalt mit Gewalt zu erwidern, sagt Calvin kurz und bündig und fügt hinzu: Wegen einer Kränkung sollten wir uns nicht zu Hass und Missgunst hinreißen lassen. Die Feinde zu lieben, das ist für ihn nur eine Ausführung zum Gebot der Nächstenliebe, denn „wer immer Mensch sei, sei auch Nächster“. Schämen sollte sich, wer das Gebot der Bergpredigt zu einem bloßen Ratschlag degradiere, als habe Christus nicht ernstlich befohlen, zu tun, was recht sei.

Das „Du sollst“ in Matthäus 5 ist nicht bloß ein gutgemeinter Ratschlag und das, was Jesus in der Bergpredigt sagt, ist keine Predigt. Die Gattung Predigt gab es zur Zeit Jesu im Judentum noch nicht. Jesus lehrte auf dem Berg. Wer lehrt, braucht Lernende und zum Lernen gehört das Wiederkäuen. Hier eine Variante des Philosophen Markus Gabriel:
„Mitten in der römischen Welt, in der es Gladiatorenkämpfe gibt und die Gewalt dominiert, zu sagen, ich halte jetzt die eine Backe hin und die andere auch noch, das war eine moralische Heldentat, die uns befreit hat.“*

Verwunderung ist die wahre Provokation

Zum Lernen gehört nach dem Verdauen des Gelernten auch die eigene kreative Idee. Wie Feindesliebe zu üben im Kleinkrieg des Alltags funktionieren kann, zeigt aktuell ein Video des Cracker-Herstellers Honey Maid:

Das Training für gewaltfreien Widerstand und Zivilcourage kennt sogar eine psychologische Erklärung, warum es sinnvoll ist, einen Gegner, der zum tätlichen Angriff ansetzt, mit einer überraschend sanften Geste zu erwidern:
„Es scheint für die menschliche Psyche praktisch nicht möglich, sich gleichzeitig zu wundern und eine Einstellung der Grausamkeit aufrecht zu halten.“* Verwunderung ist die wahre Provokation, nicht Gewalt.

Aus Israel habe ich mir einem Kühlschrankmagneten mitgebracht, der sagt das salopp so: Love your enemy, it will drive him crazy.
Das klingt schon ein bisschen nach Realpolitik.

 

*So Markus Gabriel in einem Interview mit Michael Hesse, in: Hohe Luft, Ausgabe 3/2014, 60-67. Zitat: 64.
**Walter Wink, Verwandlung der Mächte. Eine Theologie der Gewaltfreiheit, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2014, 127.
Calvins Ausführungen sind wiedergegeben nach seiner Auslegung zu Mt 5, 43f. In seiner Evangelien-Harmonie (Übersetzung von Otto Weber 1966).

Barbara Schenck, 9. April 2014