Wie ist die Bibel zu lesen? – Die Angst vor der Grundsatzfrage

… und wie sie überwunden werden kann

Die Bibel in der Schweizer Kirche in Emden (Foto: Rieger)

Neuer Blogbeitrag. Von Georg Rieger

Der Schlagabtausch über das Familien-Papier der EKD hat es eindrücklich gezeigt: Die einen zitieren Bibelstellen und sehen dadurch Gottes Willen eindeutig wiedergegeben. Die andere Seite hält viele Regeln in der Bibel für überholt und setzt sich – scheinbar leichtfertig – darüber hinweg. Kein Wunder, dass eine wirkliche Diskussion über das Thema Ehe und Familie so nicht möglich war. Es gibt gar keine Basis, auf der man sich näher kommen könnte.

Interessant ist, dass in Gemeinden diese hermeneutische Frage, also die Frage, wie die biblischen Texte ganz grundsätzlich zu verstehen sind, so gut wie nie diskutiert wird. In vielen Predigten bleibt das ein Geheimnis und auch in Vorlesungen oder in theologischer Literatur. Irgendwie hat man wohl Angst, sich an dieser Frage zu entzweien oder die eigene Unsicherheit im Umgang mit der Bibel preiszugeben.

Diese Angst gilt es zu überwinden. Sonst ist das Gespräch über Fragen des Glaubens und der Ethik wenig erträglich – im doppelten Wortsinn!

Am wenigsten verkrampft stellen sich Gemeindemitglieder oder auch Menschen ohne kirchliche Bindung dieser Frage. Und deshalb liegt die Lösung des Problems, beziehungsweise der Anstoß für eine breite Diskussion genau dort: auf der Ebene der Gemeinde.

Das Ziel muss nicht sein, sich auf ein einheitliches Bibelverständnis zu einigen. Das wäre wohl zu viel verlangt und ist vielleicht sogar nicht einmal nötig. Aber eine Annäherung oder mindestens der gegenseitige Respekt ist möglich.

Bedenkenswert ist auch der globale Aspekt: Weltweit die meisten Christen würden von sich behaupten, „jeden Buchstaben“ der Bibel wortwörtlich zu glauben. Das stößt insbesondere in mitteleuropäischen „aufgeklärten“ Kreisen auf Vorbehalte. Wie gehen wir mit diesem innerchristlichen Kulturbruch um?

Zwischen diesen Fronten, einer teilweise regelrecht fundamentalistischen Bibelgläubigkeit und einer hierzulande kritischen bis ignoranten Haltung in der breiten Öffentlichkeit, ist es schwer sich zu positionieren. Ein paar Anregungen:

Nein, in der Bibel ist Gottes Wille nicht nachzulesen. Denn wenn das so wäre, stünde uns das Paradies ja offen. Wir müssten nur alles befolgen und wären Gott gefällige perfekte Menschen. Wohl aber ist in der Bibel Gottes Wort zu lesen, indem nämlich, was Gott Menschen inspiriert hat weiterzuerzählen und aufzuschreiben. Das waren auf annähernd tausend Jahre verteilt sehr unterschiedliche Menschen in sehr unterschiedlichen Situationen. Und doch verbindet sie alles etwas: sie glaubten an Gott und fühlten sich von ihm begleitet, geliebt, geführt – manche auch getrieben (Jonas) und gequält (Hiob).

Die einzelnen Texte der Bibel haben für sich eine Qualität (z.B. die Psalmen als Gebete, die Gleichnisse als Lehrstücke der Gnade Gottes, die Briefe als Theologie für die Gemeinden …) und sind als solche auch wörtlich zu nehmen. Aber als Gottes Wort kann immer nur die Bibel als Ganzes verstanden werden. Und zwar mit ihren Widersprüchen und Ungereimtheiten – sich selbst korrigierend, herausfordernd, oft auch rätselhaft.

Und unser Bibelverständnis ist und bleibt immer auch ein Missverständnis. Wenn wir uns ansehen, was über die Jahrhunderte schon alles mit der Bibel begründet und in sie hinein gelesen wurde, dann wäre es geradezu idiotisch zu meinen, dass wir es jetzt und hier aber mal alles richtig wissen.

Es braucht immer wieder den Geist Gottes, um etwas Rechtes zu verstehen und die Missverständnisse im Rahmen zu halten. Deshalb ist zum Lesen in der Bibel immer auch Demut nötig. Die Haltung des Ich-weiß-es-genau-denn-hier-steht-es-doch ist eine unverzeihliche menschliche Vermessenheit, die dem Geist im Weg zu stehen versucht.

Dass wir in der reformierten Theologie die Bibel als einzige Quelle der Offenbarung Gottes anerkennen, heißt nicht, dass wir uns nur in Textversatzstücken aus dem Kanon der Heiligen Schrift unterhalten können. Aber in der Geschichte Gottes mit Israel und dem Christuszeugnis der ersten Christen ist das Wesentliche über Gott gesagt. Mehr braucht es nicht, um ihn zu verstehen. Aber eben auch nicht weniger als die ganze Bibel!

Diskussion möglich im Blog von reformiert-info:

http://blog.reformiert-info.de/

 


Georg Rieger, 2. Mai 2014