Schutzräume in Kirchenasylen schaffen

Aufruf zur Unterstützung von Geflüchteten in Hessen


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Eine Initiative von Geflüchteten und ihren UnterstützerInnen hat am 22. Juni einen Offenen Brief an die Kirchengemeinden Hessens veröffentlicht und damit zur Schaffung von Schutzräumen für Asylsuchende aufgerufen. Denn gut ein halbes Jahr nach der Katastrophe vor der Küste Lampedusas hat sich an der politischen Lage nicht viel geändert.

Immer noch sterben Hunderte von Menschen an den Außengrenzen der Europäischen Union. Die umstrittenen Dublin-Verordnungen machen darüber hinaus diejenigen, denen die gefährliche Flucht gelingt, zu rechtlosen Spielbällen zwischen den europäischen Staaten. Auch in Hessen ist ein Großteil der Asylsuchenden von dieser Regelung betroffenen.

Die Initiative noborder frankfurt betont die verheerenden Auswirkungen der Dublin-Verordnungen. Kirchenasyl könne hierbei einen notwendigen Schutz bieten, wobei größere politische Veränderungen notwendig seien – und zwar die Abschaffung der Dublin-Verordnungen: „Asylsuchende müssen den Staat ihrer Asylantragsstellung frei wählen können!“, fordert eine Aktivistin der Initiative.

Die Lebensbedingungen Asylsuchender in Italien schildert Paulos Yacob eindrücklich. Als ein Sprecher der Geflüchteteninitiative „Refugees for Change“, die sich in Frankfurt und Hessen für die Abschaffung der Dublin-Verordnungen einsetzt, erklärt er: „We are tired of being treated worse than animals because of the racist Dublin regulations. What we need is protection, solidarity and hospitality.“

Sabine Fröhlich ermutigt als Vertreterin der evangelischen Kirche weitere Kirchengemeinden dazu, Schutzräume bereit zu stellen. „Fremde in Not zu beherbergen, dazu fühlen wir uns als Christen aufgerufen. Jesus selbst war Flüchtling. Ich sehe es als unseren Auftrag, Anstrengungen zu unternehmen, um Kirchenasyl zu gewähren. Dabei erleben wir hier in der Gemeinde das Zusammenleben mit den Geflüchteten auch als Bereicherung. Gemeinsam mit kirchendistanzierten Menschen die Herausforderungen eines Kirchenasyl zu meistern, bringt eine neue Dynamik in die Gemeinde“, schildert die Frankfurter Pfarrerin Sabine Fröhlich ihre eigenen Erfahrungen mit Kirchenasyl. Kirchenasyl stelle eine praktikable Option dar, Menschen vor der Abschiebung zu schützen und ihnen Perspektiven in Würde, Sicherheit und Selbstbestimmung zu ermöglichen.

Geflüchtete, UnterstützerInnen und KirchenvertreterInnen sind sich darin einig, dass nur die Sicherstellung der Rechte von Geflüchteten auf politischer Ebene eine wünschenswerte Veränderung bringen wird. Dafür ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik unerlässlich, welche die Kirchengemeinden mit einschließt.

Lampedusa in Rhein-Main:

Der Toten zu gedenken, sollte bedeuten, die Überlebenden zu schützen.

Offener Brief an die Kirchengemeinden in Hessen

Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir sind Flüchtlinge und UnterstützerInnen aus Frankfurt und Umgebung, und unser Arbeitskreis hat sich erst vor wenigen Monaten gebildet. Anlass unserer gemeinsamen Treffen, von vier Protestdemonstrationen und nun dieses dringlichen Briefes ist eine sich zuspitzende Situation, die zunehmend mehr Flüchtlinge in ganz Deutschland betrifft und auf eine grundsätzliche Fehlentwicklung der europäischen Flüchtlingspolitik verweist.

Wir Flüchtlinge sind fast alle übers Mittelmeer nach Europa gekommen, die meisten über Lampedusa und Sizilien. Sehr viele von uns sind Überlebende lebensbedrohlicher Situationen auf See. Wir kommen aus Eritrea, Somalia, Sudan und anderen Ländern, aus denen wir vor Krieg und Verfolgung fliehen mussten. Doch hier in Deutschland angekommen, sind wir nun mit einer neuen Bedrohung konfrontiert. Der Zugang zum Asylverfahren bleibt uns verwehrt, stattdessen sollen wir nach Italien oder andere Länder an den Außengrenzen der EU abgeschoben werden. Auf unserem Weg waren wir gezwungen, z.B. in Italien, unserem ersten Einreiseland, Fingerabdrücke abzugeben. Damit soll laut der europäischen Dublin-Regelung Italien für unseren Asylantrag zuständig sein. Diese Regelung nimmt aber nicht zur Kenntnis, dass Italien gar nicht das Land ist, in dem wir Schutz suchen wollten. Und vor allem: Italien scheint weder willens noch in der Lage zu sein, uns ein menschenwürdiges Leben zu garantieren.

Denn als Flüchtlinge haben wir die Erfahrung gemacht, in Italien ohne ein Dach über dem Kopf und ohne Versorgung uns selbst überlassen zu bleiben. Alle von uns erlebten Obdachlosigkeit und wir schätzen, dass es aktuell höchstens 15 bis 20 % der Asylsuchenden zeitweilig gelingt, einen Unterkunftsplatz im staatlichen System zu bekommen. Dazu kommen mangelnde medizinische und psychologische Versorgung. Wir fanden weder Arbeit noch konnten wir uns ein menschenwürdiges Leben aufbauen. Und wir erlebten rassistische Gewalt auch auf den Straßen in Italien.

Nach der Bootstragödie von Lampedusa im Oktober 2013 mit mehr als 360 Toten gab es viele Stimmen, die ein Umdenken in der europäischen Migrationspolitik und insbesondere sichere Wege für Flüchtlinge nach Europa forderten. Doch stattdessen haben die verantwortlichen Politiker der EU für einen weiteren Ausbau der europäischen Grenzschutzagentur Frontex und für das Überwachungssystem Eurosur entschieden, im Wissen, dass mehr Kontrolle mehr Leid und Tod bedeuten wird. Und durch Dublin II und III sind wir, die die riskante Flucht über das Meer überlebt haben, mit Rückschiebungen in elende Verhältnisse konfrontiert.

Daher gilt es nun nicht mehr allein, sichere Wege nach Europa zu fordern, sondern auch diejenigen zu unterstützen und zu schützen, die bereits hier sind. Wir brauchen Sicherheit, um uns von unseren schrecklichen Erlebnissen erholen zu können. Viele von uns sind mehrfach traumatisiert und einige mussten bereits als Notfälle in der Psychiatrie behandelt werden, da sie in Panik geraten, sobald sie die Abschiebebescheide erhalten. Wir brauchen endlich einen Ort zum Bleiben, an dem wir willkommen sind.

Wir wenden uns daher an Sie auf der Suche nach Unterstützung. Wir möchten Sie bitten, sich öffentlich für ein Bleiberecht der von „Dublin“-Abschiebungen bedrohten Menschen einzusetzen. Jederzeit könnten die zuständigen Behörden in Deutschland ihren "Selbsteintritt erklären" und damit den Zugang zum hiesigen Asylverfahren ermöglichen.

Wir bitten Sie zudem, für Notfälle die Gewährung von Kirchenasyl in Ihren Gemeinden anzuregen, um konkrete Schutzräume für die Abschiebebedrohten zu schaffen. Dabei ist uns bewusst, dass das Kirchenasyl dadurch eine Bedeutungserweiterung erfährt. Es geht nicht mehr nur um den Schutz vor Abschiebung in einen Verfolgerstaat sondern um den Schutz vor Obdachlosigkeit und Verelendung - als Resultat einer katastrophalen EU-Flüchtlingspolitik, die sich eine "gemeinsame" nennt, aber hinnimmt, dass viele Staaten Flüchtlinge rechtlos, schutzlos und obdachlos stellen.

Wir denken, es ist gerechtfertigt und notwendig, Kirchenasyl zu gewähren, damit die DublinRegelung nicht mehr zur Zerstörung der Perspektiven der Überlebenden von Lampedusa eingesetzt wird.

Juli 2014

Erstunterzeichner_innen der Initiative:

Refugees For Change: Refugees of Hessen against Dublin-Regulation

Lampedusa in Hanau

Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main

noborder frankfurt

kein mensch ist illegal Hanau

AGIS Darmstadt

kein mensch ist illegal Darmstadt

Sabine Fröhlich (Pfarrerin der Ev. Cantate-Domino-Gemeinde, Frankfurt)

Bernd Hans Göhrig (Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V.)

Ulrich Schaffert (Pfarrer der Ev. Dietrich Bonhoeffer-Gemeinde, Frankfurt)