Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer

Predigt zu Sacharja 9,10-12 (1. Advent)


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Liebe Gemeinde,

Menschen brauchen Hoffnung gerade dann, wenn sie hilflos sind, wenn sie ums Überleben kämpfen.

Es gab schon immer diese hilflosen Situationen. Gerade letzte Woche haben wir uns erinnert an die, die in unserer Gemeinde gestorben sind. Aus vielen Gesprächen weiß ich, wie schrecklich es ist, einen Menschen sterben lassen zu müssen und nichts, rein gar nichts daran ändern zu können. Das ist mit das Furchtbarste, das liebende Menschen durchmachen müssen. Oft sind Menschen begleitet worden mit großen Hoffnungen. Jeder Strohhalm wurde ergriffen, aber alle Hoffnung ist enttäuscht worden, die wir Menschen uns gemacht haben.  Es lohnt nicht mehr zu hoffen, sagen einige, es lohnt nicht mehr zu glauben, es lohnt nicht mehr zu vertrauen. Wir Seelsorger können nur daneben hocken und denken: Ja, genau das kann ich gut verstehen. Ich verstehe, dass Gott, der es eigentlich doch können müsste, zugelassen hat, dass meine konkrete Hoffnung, dass dieser Mensch hier jetzt nicht stirbt, zerstört ist.

Aber gibt es eine andere Hoffnung? Ist es dann eine Hoffnung, wenn wir sagen: Der Tod hat Macht, aber er hat kein Recht? Es wird nicht immer so weitergehen? Ist es eine Hoffnung, wenn wir sagen: Der Verstorbene ist jetzt aber bei Gott gut aufgehoben? Und: Du wirst nicht an dieser Hilflosigkeit zerbrechen? Das jedenfalls lässt er nicht zu? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass ich an diesem Glauben auf jeden Fall festhalten will.

Es gibt Mauern in unserem Leben, die uns umschließen, die uns trennen voneinander und die so hoch erscheinen, dass wir schon gar nicht mehr daran glauben können, dass sie jemals eingerissen werden. Es sind die Mauern unserer immer wiederkehrenden Krisen, es sind reale Mauern wie die zwischen Nord- und Südkorea, es sind die Gewaltausbrüche auf dieser Welt, die immer wiederkehren, in denen sich Menschen gegen andere, für ihre Ideen, für ihren Gewinn, für ihre Sicherheit und wie diese Götzen auch immer heißen mögen, wenden und fürchterlich töten oder zulassen, dass andere getötet werden. Oft aus Angst um das eigene Leben.

In so eine hilflose verzweifelte Situation hinein spricht der Prophet Sacharja:

„Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. 

10 Denn ich will die Streitwagen wegtun … und die Kriegs-Rosse aus Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.

11 Auch lasse ich um des Blutes deines Bundes willen deine Gefangenen frei aus der Grube, in der kein Wasser ist; 12 so kehrt heim zur festen Stadt, die ihr auf Hoffnung gefangen liegt.“

Dieses Hoffnungsbild spricht von einem armen, aber gerechten und helfenden König, der auf einem Esel reitet, die Füße im Staub. Es wird nicht einfach sein, ihn zu entdecken, denn da sind viele, die so nach Jerusalem hereinkommen.

Diese Hoffnung ist im Volk Gottes aufbewahrt worden. Sie ist gespeichert im Gedächtnis und alle fragen sich: Wann wird sie erfüllt?

Im Evangelium, das wir heute gehört haben, erkennt das Volk, dass mit Jesus diese Hoffnung wahr wird: Da ist der Prophet aus Nazareth, ein Nachkomme Davids, auf einem Esel, sanft kommt er daher. Er ist also der König, denn so soll es jetzt sein in dieser Zeit, die so viele hilflos und mittellos dastehen lässt.

Sie jubeln, sie freuen sich und rufen: Jetzt, wo du da bist, rette uns. Die Menschen wollen, dass sich endlich ihre Hoffnung erfüllt und der Anfang ist gemacht: aber: Ist die Hoffnung der Menschen auch die Hoffnung, die gemeint ist, ist sie das, was versprochen wurde?

Die Menschen damals in Jerusalem sehen einen Arme-Leute-Esel, aber sie machen ein königliches Pferd daraus. Sie wollen, dass sich jetzt alles erfüllt, dass der König jetzt alles abschafft, was den Tod und die Gewalt bringt, dass er den Römern die Bögen zerbricht und sie aus dem Land schmeißt, dass er die Ungerechtigkeit beseitigt und den Frieden bringt. Sie wollen alles auf einmal. Die ganze angestaute Wut kommt raus, die Verzweiflung, die Mittellosigkeit sollen vorüber sein. Und das wird zu einem enormen Problem: Dieser Jesus macht das Prophetenwort wahr, aber nur zu einem kleinen Teil, er reitet auf einem Esel in die Stadt ein, aber er reitet in seinen Tod.

Wahr ist: Der Weg, den Jesus geht, ist ein Weg in völliger Solidarität mit den mittellosen und den Hilflosen, er zeigt den Weg, wie es weitergehen soll: Der Weg geht weiter an der Seite der Armen, der Weg geht weiter im Protest gegen die rücksichtslose Gewalt der Herrscher über Tod und Leben, der Weg geht weiter in Sanftmut und Souveränität. Die Hoffnung beginnt sich zu erfüllen, aber die Hoffenden sind noch nicht am Ziel.

Manche von denen, die noch „Rette uns jetzt“ gerufen haben, werden später gerufen haben: Kreuzige ihn. Oder anders ausgedrückt. Manche, die jetzt sofort ihre Gebete erfüllt sehen wollen für einen Menschen, den sie nicht retten können, werden später enttäuscht sagen: Gott ist tot, er ist nicht da, wenn man ihn braucht. Wer kann es ihnen verdenken?

Ich glaube, dass das auch ein Problem unserer Kirche ist.

Aus der armen Kirche, die für die Armen da war, die gerade mit ihrer Botschaft, dass Gott alle Menschen liebt, viele Menschen gewinnen konnte, aus dieser armen Kirche ist eine Kirche geworden, die den Weg auf dem Esel, den Staub an den Füßen nicht mehr reiten wollte, die sich auf das Pferd des Königs, des Mächtigen gesetzt hat, die endlich die Erlösung besitzen wollte und die Macht haben wollte, die nicht mit dem Volk war, sondern, die das Volk besitzen wollte, Macht über die Seelen haben wollte.

Wir merken es immer noch an einer Mission, die über alles Schmerzhafte und Ungerechte hinweggeht, die den Leuten ein Jenseits verspricht, eine Rettung fern von dieser Welt. Aber die Menschen leben jetzt in ungerechten Verhältnissen, sie brauchen jetzt Solidarität und Zuneigung, sie brauchen im wahrsten Sinn des Wortes Mit-Leiden und vor allem immer wieder neu die Hoffnung.

Können wir das noch?

Die Theologie hat die Geschichten um Jesus, sein Leben und das was er gesagt hat im Laufe der Zeit entwertet: Die Bergpredigt wurde als unrealistisch als Handlungsanweisung für Super-Christen angesehen, die unerfüllbar ist. Die Bergpredigt wurde als unvereinbar betrachtet mit einem verantwortlichen Handeln. Die Evangelien, die Worte, die über Jesus Auskunft geben, wurden betrachtet als Worte, die eigentlich nur eine Einleitung sind für die Leidensgeschichte Jesu und seinen Sieg über den Tod.  Auch hier Jesu Weg hin zu diesem Sieg wurde klein gemacht. Unser eigener Weg in der immer noch leidvollen Welt wurde gering geachtet, der Weg musste erduldet werden, Ungerechtigkeit ertragen werden, das Jammertal beschworen und oft genug wurden Christen alleingelassen nur mit der Hoffnung auf ein abstraktes Jenseits, obwohl doch so viel über den Weg im Leben Jesu abzulesen war.  

Aber wir können den Weg gehen, bewusst voller Hoffnung. Der Weg geht, wenn wir die Bergpredigt zum Beispiel lesen nur über Sanftheit und Souveränität, er geht nur im völligen Vertrauen zu Gott, dass er diesen sanften aber souveränen Weg segnet, der kein Weg der Gewalt ist, der nicht die Mittel zum Zweck heiligt, der ein Weg des Friedens und der Gewaltfreiheit ist, ein Weg der Liebe, des Glaubens, der Hoffnung. Ein Weg, den wir nicht in der Hand haben, der aber dem König auf dem Esel entspricht, die Füße im Staub. Die Worte der Bergpredigt preisen diesen Königsweg, machen aus den Seligen am Anfang, Könige im Herzen, souverän in ihrer Sanftheit, Nachfolger dieses Jesus, der wie Sacharja vorausgesagt einzieht in das gebeutelte Jerusalem.

Wir sind nicht am Ziel, wir sind auf diesem Weg.

Wir brauchen noch immer die Hoffnung, dass der König, der gekommen ist, erfüllt, was Sacharja prophezeit hat. Aber wir kennen den Weg, den Jesus zusammenfasst mit den Worten, was ihr wollt, dass es euch die Menschen tun, das tut ihnen auch.  Der Prophet Sacharja schreibt: Freut euch über diesen König, er ist arm, er ist demütig, aber ein König, er ist ein Helfer und er ist jemand, der selbst gerettet wurde, der also weiß, was Menschen zustoßen kann, der es mitgemacht, mit gelitten hat.

So stimmt der Satz: Der Tod hat Macht, aber er hat kein Recht mehr. Der Jubel über den König ist der Jubel darüber, dass wir den rechten Weg wissen, der allein die Todeskreisläufe durchbrechen kann, aber wir werden noch oft auf diesem Weg mit der Macht des Todes konfrontiert:

Die Mauer zwischen Süd- und Nordkorea steht noch. Sie wird nicht fallen mit Gewalt. Das hat auch in Deutschland nicht geklappt. Die Krisen in unserem Leben gibt es immer noch, sie sind manchmal erdrückend heftig, aber sie werden uns nicht die Hoffnung rauben, weil sie kein Recht haben und ich werde nicht mit Gewalt da raus kommen, sondern nur mit Gottes Hilfe. Und ich hoffe so sehr, dass die Kirche in der Lage ist, Netzwerke zu spannen, die den Verzweifelten helfen, nicht aufzugeben, die ihnen die Hoffnung gibt, frei zu werden.

Die Menschen, die wir lieben, werden weiter sterben, aber wir werden dem Tod nicht das Recht geben, unseren Glauben zu zerstören.

Wir sind noch auf dem Weg und der Weg ist überhaupt nicht leicht, aber er ist auch nicht unmenschlich schwer, denn viele sind mit auf dem Weg und wir begleiten einander mit unserer Hoffnung. Gott kommt uns entgegen, wir sind mittellos, wir sind hilflos. Wir warten auf den endgültigen Frieden, wir werden ihn nicht machen können, aber wir können ihn vorbereiten helfen, wenn wir den König ernstnehmen, den auf dem Esel und nicht auf einem Streitross, wenn wir gegen den Tod darauf hoffen, dass alles von Gott kommt.

Amen.

Gehalten in der Lukaskirche Bonn


Pfr. Michael Schäfer