Wer will eigentlich noch missionieren?

Einspruch! - Mittwochs-Kolumne von Georg Rieger

Eigentlich hätte ich meinen Einspruch gerne betitelt: Ich lasse mir das Missionieren nicht verbieten! Doch so viel paradoxe Provokation geht leicht nach hinten los. Ich bin einfach mal wieder verwundert, wie kompliziert Manches sein kann.

Die Rheinische Kirche verabschiedet ein Papier zum Dialog mit den Muslimen, das über viele Seiten rechtfertigen muss, dass Christen mit Muslimen reden dürfen oder – man glaubt es kaum – sollen. Darüber, dass das nun nicht mehr Mission, sondern Dialog heißt, regt sich der Vertreter der missionarischen Dienste auf. Ist ja auch komisch, dass die Synode einer Kirche Mission nicht mehr für den richtigen Ansatz hält, aber ein Amt für missionarische Dienste unterhält. Aber kommt Zeit, kommt Rat.

Meine Tante erzählt mir von einem Treffen von Friedensgruppen, bei dem sich Christen und Muslime gegen die Atheisten verbrüdert hätten und sich gegenseitig – nicht aber den Ungläubigen – heilige Gastfreundschaft zusicherten.

Am Sonntag dann die Rede von Navid Kermani, dem diesjährigen Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, in der Frankfurter Paulskirche. Kermani erzählt leidenschaftlich von seiner Entdeckung des Islam als toleranter und kulturell hochstehender Religion und von einem christlichen Kloster in Syrien, dessen Orden sich als „in den Islam verliebt“ bezeichnet habe und bei dessen Zerstörung im August durch den Islamischen Staat Muslime mit den Christen geweint und für die Verschleppten gebetet hätten.

Darüber, dass Kermani am Ende seiner Rede das Publikum zu einem eben solchen interreligiösen (stillen!) Gebet aufforderte, zeigt sich nun der SZ-Redakteur Schloemann empört und wirft dem Preisträger vor, seine Theologie sei ebenso politisch wie die der Islamisten (SZ-Online, 20.10.2015 http://www.sueddeutsche.de/kultur/oeffentliches-beten-so-geh-in-dein-kaemmerlein-1.2699166).

Es gibt ganz offensichtlich immer noch – und durch aktuelle Entwicklungen befeuert – große Ängste vor der Missionierung. Bei den nun wieder demonstrierenden Pegida-Anhängern scheint ja auch jede Widerstandskraft gegen die Islamisierung bereits im Ansatz erschlafft und sie bibbern aus Angst vor der Scharia.

Kermani hatte ausdrücklich diejenigen, die nicht beten wollten, einfach nur zum Gedenken an die noch Verschleppten christlichen Syrer gebeten. Doch das war für SZ-Schloemann schon ein „Übergriff“. Ja Halleluja! Geht es noch ein bisschen empfindlicher?

Was herrscht da eigentlich für eine Vorstellung von Religion, die wie ein Virus ansteckend ist und sich gegen allen Widerstand in den Köpfen festsetzt und alle vernünftigen Gedanken auslöscht! Ich fasse es nicht. Ich fasse aber auch nicht – verzeiht liebe Freunde in der Rheinischen Kirche – dass Ihr Euch mit einer Auffassung von Mission überhaupt auseinandersetzt, die eben diesen Seelenfang noch immer verinnerlicht hat. Dass der Dialog die richtige Form ist, sich mit Andersgläubigen auseinander oder besser noch zusammen zu setzen, ist doch keine „Entdeckung“ mehr.

Insofern ist die Maßgabe, islamische Flüchtlinge auf keinen Fall missionieren zu wollen, schon fast wieder ein Schuss in den Ofen. Wer ist denn bitte – außer ein paar ganz eifrigen – auf diese Idee gekommen? Und heißt das nun aber, dass ich im Gespräch mit Flüchtlingen, wenn die Sprache auf die Religion kommt, verlegen den Kopf zu Seite drehe und ungeschickt zu einem anderen Thema überleite?

Gibt es wirklich unter einigermaßen vernünftigen Christen noch die Vorstellung, man könne seinem Gegenüber etwas überstülpen, etwas an ihn oder sie hinreden, einen anderen Glauben durch eine Kopie des eigenen austauschen?

Ich käme nicht im Traum darauf, jemand seine Glauben abspenstig zu machen, solange ich sie oder ihn als zufrieden, frei und menschenfreundlich erlebe. Den Missionsbefehl sehe ich bei solchen als erledigt an. Auch wenn sie kein Christusbekenntnis auf den Lippen führen, können sie doch längst da angekommen sein, wo viele noch lange nicht sind, die sich Christen nennen.

Ich empfehle wirklich sehr, sich die Rede von Navid Kermani anzuhören. Sein Pathos ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Doch die Geschichten und Sichtweisen, die er zu erzählen hat, sind befreiend. Auch wenn die Realität ihn gerade Lügen straft: Es gibt Hoffnung auf ein friedliches Miteinander der Religionen, weil es das schon immer gibt. Ohne Mission, aber auch ohne falsche Zurückhaltung.

Georg Rieger

Die Rede Navid Kermanis in der ZDF-Mediathek

Die Rede auf der Homepage des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels