„ … mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger“ (Lukas 2,7)

Von der männermordenden Botschaft zu Weihnachten


Maria in der Verkündigung - Sandro Botticelli

Meditation von Prof. Dr. Rolf Wischnath, Bielefeld

Ich bitte Sie, schließen sie einen Moment die Augen. – Ich frage Sie, die Sie jetzt die Augen geschlossen haben: Wie, meine christliche Freundinnen und Freunde, wie stellen Sie sich Maria vor? Wie kommt sie vor das innere Auge? Ins Bild? Sie können die Augen jetzt wieder öffnen – nicht den Mund. („Schrumm, schrumm, schrumm, das Mündchen ist jetzt stumm“, sagte Tante Utta im Kindergarten an der Oststraße – dann, wenn sie uns eine Weihnachtsgeschichte erzählen wollte.) Wie sieht Maria aus?

Auf den allermeisten Bildern wird sie dargestellt als junge, gleichwohl gereifte Frau, die um ihre Verantwortung weiß. Mein Vater sagte immer, wenn er mit Respekt von einer Frauenpersönlichkeit sprach - zum Beispiel von der Mutter eines meiner besten Freunde, die mit und neben diesem Freund noch zehn andere Kinder geboren hatte -, von einer solchen bewährten Frau konnte mein Vater sagen: „Frau … kann für Mutter Maria Bild stehen!“ Das hat meine Vorstellung von Maria geprägt. Aber genau darin haben Vater und Sohn geirrt. Und wie:

Denn wenn man der Weihnachtsgeschichte folgt, dann ist durch die Bezeichnung, die Maria bekommt und die Luther mit der Wendung „mit Maria seinem vertrauten Weibe“ (Lukas 2, 5b) übersetzt, eins klar: „vertraut“ heißt: „rechtsverbindlich verlobt“. Aber noch nicht „heimgeholt“ ins Haus des Bräutigams. Maria war „verlobt“ mit Josef. Das bedeutet: Er lebte mit ihr noch nicht in der ehelicher Gemeinschaft von Tisch und Bett. Aber seine Verehelichung stand verbindlich an.

Nun war in der damaligen Zeit das Verlobungsalter, in dem Eltern die jeweilige Verlobung anzettelten und justiziabel machten, zehn bis dreizehn Jahre. Maria also war keine „reife Frau“. Sondern blutjung. Ein just herangewachsener weiblicher Mensch. In Anfang der Pubertät. Gerade entwickelt. Dem Alter nach etwas jünger als unsere Mädchen, die zur Konfirmation gehen. Jedenfalls noch zu Beginn eines geschlechtsbewussten Lebens. „ …. und sie war schwanger!“ Eine Katastrophe! Das war – so ein syrisches Sprichwort – „wie barfuß über Feuer, Dornen und Steine gehen“.

Und die Weihnachtsgeschichten bei Lukas und Matthäus sind darin völlig unkonventionell, dass sie Maria als Jungfrau darstellen. Sie war also - sprechen wir es aus - eine sehr junge Frau, die noch nie mit einem Mann Geschlechtsverkehr hatte. Auch nicht mit Josef. Aber:

„ … sie war schwanger“.

Also: Jungfrauengeburt. Und das ist nun ein Glaubenssatz, zu dem in der Theologiegeschichte Reichliches gesagt, gezetert und dogmatisiert worden ist. Darüber liegt ein ganzer Theologenschutt. Lässt sich das „Glaubenssymbol“ von der „Jungfrauengeburt“ freilegen? Es bringt etwas Elementares zum Ausdruck:

Gott selber ist in das Leben Marias eingezogen. Gott hat sie einzigartig einbezogen in die Geschichte seiner Zuwendung zur Welt und seiner Liebe zu den Menschen. Der ewige Gott höchstselbst wird im Leib der Maria Mensch. Der Ewige zieht ein in Marias Körper, um geboren zu werden als Mensch in der Zeit. Als jemand von uns. Als Mitmensch. Und wie am Anfang aller Zeit, wie in der Schöpfung, geschieht hier die Erschaffung des Menschensohns ganz von Gott aus: „ … geboren von der Jungfrau Maria“.

Und nun gibt es eine brisante Schlussfolgerung aus der Lehre, dass in der Weihnacht, bei dieser Geburt am Anfang eines menschlichen Lebens nicht der Mensch steht, sondern der ewige Gott:

Hier, bei Maria der Jungfrau, stehen nicht Klugheit, Frömmigkeit, schneidige Tüchtigkeit oder ein unwiderstehliches Begehren eines Mannes als auslösende Faktoren. Nicht der Mann ist die „Krone der Schöpfung“. Der verführerische Mann - hier spielt er nicht wie sonst bei so vielen gewollten und ungewollten Zeugungen die erste Geige. Er ist ausgeschaltet.

Das eher konservative Wochenmagazin „Focus“ bringt es auf den Punkt, wenn es vor einiger Zeit eine Titelgeschichte über Maria so beschließt:

„Maria mit dem Ei des Erlösers, das nach christlichem Glauben vom Heiligen Geist befruchtet wurde, birgt eine geradezu männermordende Botschaft: Man braucht die Kerle gar nicht. Das ganze Machogehabe ist aufgeplusterte Wichtigtuerei. Die Menschheit braucht die Männer nicht, um erlöst zu werden. Theologisch gesprochen: Die Kirche braucht nur Gott - und nichts dazwischen. Eine gefährliche These für den Bestand der Machos und ihres Klerus.“

Im Ernst: Das Dogma von der Jungfrauengeburt ist wohl nicht gerade „männermordend“. Es ist aber Demütigung: meine Demütigung, die Demütigung des Mannes und all seiner Mächtigkeiten. Und es ist Antwort auf die Frage nach der Gleichberechtigung der Geschlechter:

Am Anfang (nach der alten biblischen Schöpfungsgeschichte) war der Mann das erste Werk des Schöpfers vor der Frau. Nun hat hier in der Zeitenwende, bei der Erschaffung des einen neuen Adam zur Erlösung der Welt, die Frau das Primat: Vorrang und Vorrecht vor dem Mann. Hier steht sie im Vordergrund. In der Gestalt einer minderjährigen Frau, in Maria, der Jungfrau -, also in einer Gestalt, die nicht wenige Männer so aufreizend finden, dass sie Frauen und dabei sich selber in ihrer Würde verletzen, schwer verletzen.

Maria jedoch steht dafür als Zeichen, dass es in der Schöpfung Gottes keine unterjochenden, demütigenden und verletzenden Begehrlichkeiten des Mannes geben darf. In diesem jungen Mädchen würde sich der Mann ja an Gott selber vergreifen. Sie steht aber auch dafür, dass es keine Unterwerfung und Unterordnung der Frau gegenüber dem Mann geben darf, sondern nur - wirklich: nur! - Partnerschaft!

Der christliche Glaube geht nicht auf in Tatsachenspekulationen. Das Dogma von der jung-fräulichen Zeugung ist ein wirkmächtiges Glaubenssymbol. Es hat in erster Linie und vor allem den Sinn, den souveränen Entschluss Gottes und das Einverständnis der einen Jungfrau zu bezeugen. Gott kommt nicht ohne uns zum Heil. In der Menschwerdung seines Sohnes rettet er die Welt und die Menschen aus ihrem Sumpf. Aber ER sucht auch die Antwort, das verantwortliche Ja des Menschen, das Einverständnis, für das Maria als Vorbild gelten darf „Da sagte Maria: Ja, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast! Und der Engel verließ sie.“

Wer sich nunmehr in dieser Sache in biologische Spekulationen über die Beschaffenheit des Unterleibs der Maria verliert, wer eine mögliche Vergewaltigung der Maria konstruiert oder sich in Annahmen hinsichtlich der Zeugungsfähigkeit des heiligen Josef ergeht, ist ein theologischer Einfaltspinsel. (Was musste sich der arme Josef in der christlichen Kunstgeschichte nicht alles gefallen lassen! Wurde er doch häufig als Greis gepinselt, damit auch niemand auf falsche Gedanken komme.)

Ich plädiere für die Beibehaltung und Ehre des Dogmas von der Jungfrauengeburt. Im Nizänischen Glaubensbekenntnis – formuliert 325 nach Christi Geburt beim Konzil von Nizäa - heißt es feierlich:

„Wir glauben an Jesus, Gottes Sohn,
aus dem Vater geboren vor aller Zeit:
Gott von Gott,
Licht vom Licht,
wahrer Gott vom wahren Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater;
durch ihn ist alles geschaffen.
Für uns Menschen und zu unserm Heil
ist er vom Himmel gekommen,
hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist
von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden

Es ist dies die Substanz des hohen Symbols, des Dogmas von der Dreifaltigkeit Gottes – Vater, Sohn und Heiliger Geist -, von der Menschwerdung Gottes durch die Kraft des Geistes im Kind von Bethlehem. Weihnachten ist eben auch die Feier des Dogmas von der Jungfrauengeburt. Es ruft uns, Frauen wie Männern, zu mit Tiefsinn und Festlichkeit:

Wegen dieses einen Menschen bist auch Du, mein Mitmensch, Gottes geliebtes Kind. Und wir beide sind einander Geschwister und Freunde, eben um des Kindes willen, das die Jungfrau Maria zu Bethlehem geboren hat – in der Kraft des Geistes „wohl zu der halben Nacht“.


Prof. Dr. Rolf Wischnath, Bielefeld, zu Weihnachten 2015
Gesammelte Materialien für den Gottesdienst