Christlicher Fundamentalismus: Die Flucht nach vorn III

3 Der christliche Fundamentalismus aus der ›neuen‹ Welt

Von Michael Weinrich

1 Der Fundamentalismus ist eine reale Gefahr
2 Ein unklarer Begriff
3 Der christliche Fundamentalismus aus der ›neuen‹ Welt
4 Fundamentalistische Tendenzen in der evangelikalen Bewegung
4.1 Das Bekenntnis der Wahrheit
4.2 Entlasteter Glaube
5 Fundamentalismus ist Klerikalismus von unten
6 Das nicht-fundamentalistische ›Fundament‹ des Glaubens

3 Der christliche Fundamentalismus aus der ›neuen‹ Welt

Die Wurzeln des modernen christlichen Fundamentalismus liegen in den USA[1], doch längst hat er seine Ableger über die ganze Welt verstreut. Er tritt heute vor allem in der Gestalt einer Medienkirche – ›electronic Church‹ – auf und bemüht sich darum, über das Fernsehen möglichst viele Menschen zu erreichen[2]. Längst gibt es auch deutschsprachige Sendungen, die im Auftrag von unterschiedlichen amerikanischen Religionsagenturen von privaten Fernsehanstalten in Europa ausgestrahlt werden[3].

Folgende zunächst marginal erscheinende Kuriosität gibt einen tiefen Einblick in die Vorstellungswelt und den Orientierungshorizont des amerikanisch geprägten Fundamentalismus: Wenn von einer ›electronic Church‹ betont wird, daß Gott auch heute seine Engel auf unsere Erde schicke, um uns in unserem Werk für ihn zu unterstützen, dann sollen wir uns die Engel nicht einfach als beflügelte Menschen in weißen Kleidern vorstellen (obwohl auch diese Vorstellung keineswegs generell verabschiedet ist), sondern es sei vielmehr an die ebenfalls mit Flügeln ausgestatteten Sendesatelliten zu denken, mit denen es nun möglich sei, von einem Platz aus die ganze Welt zu erreichen[4]. Es ist also keineswegs irgendeine nostalgische Vorstellung von einer längst vergangenen Welt bestimmend, sondern es wird von der modernen, hoch­technisierten Welt ausgegangen. Der Satellit ist das demonstrierbare Machtsymbol der High-Tech-Welt, mit dessen Hilfe man sich von einem Punkt aus die ganze Welt unterwerfen kann.

Es bestehen nicht nur keine Berührungsängste mit den unsere Welt umgestaltenden abgründigen Möglichkeiten der mikroelektronischen Revolution, sondern der Fundamentalismus postiert sich gleichsam an der energisch vorwärtsdrängenden Spitze der Entwicklung. Ein ungebrochener naturwissenschaftlich orientierter Fortschrittsglaube, der weithin in einer naiven Faszination des technisch Machbaren gefangen ist, wird umweglos mit dem Glauben an Gott verbunden. Die Ersetzung der bisher in Menschengestalt vorgestellten Engel durch die funkelnden High-Tech-Power-Pakete, die wie Sterne unseren Himmel neu ordnen, ist in mehrfacher Hinsicht symptomatisch. Einmal wird der ohnehin stattfindende Gottesdienst um die Altäre des sich selbst bestimmenden technischen Fortschritts theologisch legitimiert, was im Klartext aber heißt, daß in der gesellschaftlichen Diskussion um die Sozial- und Demokratieverträglichkeit diverser hoch­technologischer Entwicklungen von vornherein und undialektisch Position für den uneingeschränkten Fortschritt des technisch Machbaren bezogen wird. Die hier vollzogene theologische Weihe der Produkte der technologischen Revolution soll den Skeptikern prinzipiell ihre miesmacherischen Nörgeleien verbieten. Zum anderen scheint für den Fundamentalismus der besondere Adel der Menschheit gerade an ihren technischen Produkten ablesbar zu sein – eine Ansicht, die in ihrer vordergründig-platten Evidenz nicht nur den gesichtslosen, seiner Profession hingegebenen ›homo faber‹ bestimmt, sondern durchaus weite Teile der gleichgesichtigen modernen Menschheit erfaßt hat. Es ist gleichsam der in seinen Möglichkeiten unbegrenzte Mensch, der hier erscheint und seine souveräne Überlegenheit über die ihn umgebende Natur demonstriert. Und so kann der Satellit in bevorzugter Weise die Nähe des Menschen zu Gott erkennbar machen, denn auch als von Gott gesandter Engel bleibt er ein Produkt des Menschen und seiner technischen Möglichkeiten. Der Satellit ist dabei nur ein Beispiel all der anderen vom Menschen gemachten Dinge, die Gott in seinen Dienst rufen kann, wenn es sein muß, eben auch Raketen und Jagdbomber, denen der gleiche technische Respekt zu zollen ist und die sich ebenfalls unschwer in die Metapher des Engels fügen[5].

Schließlich ist es der besondere Dienst dieser Satelliten, die sie über jeden Zweifel erheben. Sie verkünden nämlich – und dies unvergleichlich effektiv – Gottes Wort bis in die verstecktesten Winkel der Erde. Dieses an jeden einzelnen gerichtete Wort soll klar und unverfälscht ausgebreitet werden, so daß alle Menschen seine frohe (bzw. glücklich machende) Botschaft und seinen konkreten Anspruch vernehmen können. Die ›Engel‹ sind die vom Menschen installierten Sprachrohre Gottes, der nun endlich – unabhängig von Kirchgang oder Evangelisationsveranstaltung – in jedes Wohnzimmer kommt, um sein lebendigmachendes und absolut verläßliches Wort zu sagen.

Gottes Wort artikuliere sich stets aktuell und konkret, und zur Not haue es auch einmal kräftig auf den Tisch. Um aus den vielen Möglichkeiten die jeweils einzig richtige Konkretion in Erfahrung zu bringen, bedarf es allerdings immer erst noch der besonders dazu berufenen Prediger, die dann über die flächendeckenden Medien den klaren Willen Gottes für jeden einzelnen kundtun. So konkret wie der Satellit als Engel Gottes verstanden werden soll, ebenso konkret verhält es sich mit allen anderen Aussagen, die alle ihre Anschauung dadurch gewinnen, daß bestimmte Elemente gegenwärtiger Welterfahrung in das unmißverständliche Licht des gegenwärtig handelnden Gottes gezogen werden. Als verläßliche Orientierung dafür wird die Bibel ausgegeben, die unmißverständlich klar, stets aktuell und endgültig über den Willen Gottes und das Geschick der Menschheit und der Welt insgesamt Auskunft gebe. Besonders in Zeiten der Krise bzw. der allgemeinen Erosion – wie eben der heutigen – zeige sich die unmißverständliche lebenserhaltende Brisanz des stets konkreten Wortes Gottes.

Wir haben jetzt nicht die Zeit, die verschiedenen Facetten des Fundamentalismus und seines Umgangs mit der Bibel zu betrachten. Ich beschränke mich auf drei Grundaspekte, die mir für die Mehrheit der modernen christlichen Strömungen des amerikanisch geprägten Fundamentalismus charakteristisch zu sein scheinen.

1. Die Bibel ist ein von Gott inspiriertes, d.h. vom Geist Gottes mehr oder weniger diktiertes Buch. Die traditionelle theologische Lehre von der Inspiration der Schrift wird hier genau in der ihr entgegengesetzten Intention verwandt. Während sich für die Alte Kirche mit der Vorstellung der Inspiration eine prinzipielle Zurückhaltung in der Auslegung der Bibel verband, da die Wirksamkeit des Geistes, d.h. der Inspiration, das nicht gänzlich durchdringbare Geheimnis – mysterium – der Schrift ausmache, dient im Fundamentalismus der Gedanke der Inspiration genau der entgegengesetzten Intention. Wo sich früher die Auslegung im Blick auf das Geheimnis Gottes bescheidete, zielt der Hinweis auf die Inspiration heute auf die göttliche Autorisierung jeder Aussage, die sich in ausweisbarer Weise auf die Bibel beruft. Die Lehre von der Inspiration ist für den Fundamentalismus die entscheidende Voraussetzung für den willkürlichen und beliebigen Umgang mit der Bibel, denn sie spricht jeder einzelnen biblischen Formulierung die volle göttliche Autorität zu. Und so bereitet es dem Fundamentalismus überhaupt keine Schwierigkeiten, einzelne Verse aus ihrem Zusammenhang zu reißen, von einer Stelle auf die nächste zu springen, weil ja jeder Text durch die gleiche Autorität Gottes getragen wird.

Mit Hilfe dieses berühmt berüchtigten Eklektizismus lassen sich dann im Grunde jede Ansicht und Entscheidung aus der Bibel begründen, je nachdem, was gerade angesagt ist bzw. benötigt wird. Indem dabei der biblische Zusammenhang und somit das spezifisch biblische Argumentieren gar nicht wahrgenommen wird, kommt bei diesen Verfahren regelmäßig eben nur das heraus, was man auch ohne die Bibel nun gerne an die Frau bzw. den Mann bringen wollte. Die Bibel wird als ein Bestätigungsorgan für längst außerhalb von ihr festgelegte Positionen benutzt, das nun den jeweils propagierten Ansichten und Entscheidungen eine besondere Dignität verleihen soll. Die Ansichten und Entscheidungen spiegeln die hausbackenen Selbsterfüllungsillusionen und kleinbürgerlich moralistischen Kurzsichtigkeiten von Herrn Jedermann und Frau Biedermann wider. Die Auslegungen legen die Ausleger und ihre meist simplizistische Weltanschauung und Frömmigkeitsoption aus und nicht den auszulegenden Text. In den Text wird vielmehr – durchaus hemmungslos – das eingelegt, was sich dann als Auslegung präsentiert.

Dies Verfahren, das ja auch manchem nichtfundamentalistischen Prediger leider nicht ganz fremd ist, wird dadurch ungeheuer erleichtert, daß die Bibel als beliebig auszubeutender Steinbruch ganz in unsere Hände gelegt wird, so daß sich jeder seine Brocken zusammensuchen kann, die er für sein religiöses und weltanschauliches Palais benötigt[6]. Sollten sich die Steine dennoch nicht ganz glatt zusammenfügen lassen, so kann man sie noch entsprechend behauen, bis alles entfernt ist, was zu nicht gewollten Anstößigkeiten führt. Die Lehre von der Inspiration wird vom Fundamentalismus ihrer ursprünglichen Intention entgegen zu einer vollkommenen Selbstauslieferung der Bibel in die ausbeuterischen und wunschgesteuerten Hände des religionshungrigen Menschen, der schließlich auch Gott nach seinem Bilde moduliert, damit sichergestellt ist, daß er seine Gunst so verteilt, wie es der Mensch gerade benötigt. Das fundamentalistische Verständnis von Inspiration schützt die Bibel nicht vor ihren Interpreten, indem es der Bibel eine im Grunde von uns unnahbare Herausforderungskraft zumißt, sondern macht die Bibel den Interpreten gefügig, ja wehrlos. Die in dieser Aneignung liegende Hybris wird darin deutlich, daß die interessengeleitete Unterwerfung der Bibel eben eine ebenso interessengeleitete Unterwerfung Gottes einschließt. Durch dies Verständnis der Inspiration wird dem biblischen Text geradezu sein spezifischer Geist ausgetrieben, so daß es auch nicht verwunderlich ist, wenn dann die Auslegungen so erschreckend geistlos und kleingeistig sind.

2. Einen zweiten allgemein charakteristischen Grundaspekt sehe ich in dem an den Naturwissenschaften ausgerichteten Rationalismus des Bibelverständnisses. Dieser Rationalismus zeigt sich in der zwanghaften Fixierung auf den an äußeren Fakten zu erbringenden Nachweis, daß die Bibel vollkommen widerspruchsfrei und in ihren historischen Angaben absolut zuverlässig sei. Die Vertrauenswürdigkeit wird gleichsam in ihrer Faktengenauigkeit und ihrer ereignislogischen Stimmigkeit gesucht und dann natürlich auch gefunden. Entwaffnend ungeschminkt tritt der naturwissenschaftliche Rationalismus in seinem geistvergessenen und faktenbesessenen Harmoniebedürfnis mit dem allgemeinen Erfahrungs- und Welterklärungsbewußtsein in der kreationistischen Erklärung der Schöpfungsgeschichte zutage[7]. Es geht ja nicht in erster Linie darum, dem naturwissenschaftlichen Wirklichkeitszugang nun den Wirklichkeitszugang des Glaubens an die Seite zu stellen, sondern es geht – zugespitzt formuliert – um das Überflüssigwerden des Glaubens zum rechten Verständnis der Schöpfung, weil der biblische Schöpfungsbericht sich ja mit den naturwissenschaftlich auszumachenden Erkenntnissen decke. Der ganze angestrengte Nachweis gilt der naturwissenschaftlichen Verifikation des biblischen Schöpfungsberichts, d.h. die Autorität des Textes wird nicht aus dem gewonnen, was dieser Text sagt, sondern er wird dem Zweifel dadurch entzogen, daß gezeigt wird, daß er auch vor den skeptischen Augen des Naturwissenschaftlers bestehen kann. Auch wenn der Nachweis der naturwissenschaftlichen Stimmigkeit nur auf sehr holprigen und häufig ganz und gar nicht stimmigen Wegen gelingt, scheint doch selbst der von einem etwas gezwungenen Nachweis hergestellte Kontakt zu unserem naturwissenschaftlichen Selbstbewußtsein mehr zu bedeuten als all der theologische und geistliche Reichtum, der nun unbeachtet oder plattgetreten in den Texten verborgen bleibt.

Zur Illustration des die Bibel zum Schweigen bringenden Rationalismus möchte ich ein Beispiel aus einem Bibelkurs der ›Weltweiten Kirche Gottes‹ erwähnen, in dem sich die beiden angesprochenen Aspekte des Bibelumgangs wiederfinden[8]. Die ›Weltweite Kirche Gottes‹ kommt aus den USA, wirkt aber schon eine geraume Weile in Europa mit kostenlos versandten Zeitschriften, Broschüren und Fernsehsendungen. In Deutschland wird die Arbeit vom ›Ambassador College‹ in Bonn[9] aus gesteuert, wo man die Publikationen anfordern kann. In diesem Bibelkurs, der in einem Frage-Antwort-Spiel zum selbständigen Lesen der Bibel und zu einem eigenen Urteilsvermögen anleiten will, ist beispielsweise zu lesen:

»Können Geistleiber sich in phantastischer Geschwindigkeit im Raum bewegen? Vergleichen Sie Johannes 20,17 und 19-20 mit Matthäus 28,9.

Anmerkung: Nach seiner Auferstehung, zu Beginn des Tages, ließ Jesus sich nicht berühren, da er noch nicht zum Thron des Vaters im Himmel aufgefahren war. Doch später erlaubte er es ihnen. Dies zeigt, daß Christus zu seinem Vater im Himmel und am selben Tag zur Erde zurückgekommen war!« (Lektion 11,8)

Das sind die Sorgen und die Phantasien, die die fundamentalistische Mentalität bewegen. Von solchen und ähnlichen Konstellationen wird eine ungeheure Argumentationsenergie angeregt und in Bewegung gehalten, deren Obskurantismus nur aus dem tief empfundenen Konkurrenzverhältnis zum allgemeinen Rationalismus des modernen Wirklichkeitsbewußtseins erklärbar wird. Vor einer solchen Argumentation kann man getrost die Waffen strecken, denn allzu deutlich gibt sie zu erkennen, daß sie nicht auf verständlichen Nachvollzug, sondern auf ein naives Beeindrucktsein – um nicht zu sagen, auf eine intellektuelle Kapitulation – hin angelegt ist, das sich den als unerschöpflich eingeschätzten Kredit zunutze macht, der in der immer wieder betonten Intimität der Bibel mit Gott selbst liegt.

3. Der Fundamentalismus will praktische Lebensorientierung und konkrete Entscheidungshilfe geben. Im Lichte dieser Intention kommt die Bibel als ein praktisches Lehrbuch für unser Leben in den Blick, in dem uns gesagt wird, was gut ist und was böse ist, was wir zu tun haben und was wir nicht zu tun haben. Die Bibel ist wie nichts anderes – so die häufig bekräftigte Feststellung des Fundamentalismus – konkret und handlungsorientierend. Sie kann geradezu als eine Gebrauchsanweisung für das eigene Leben gelesen werden. Die Lehren der Bibel über die Art, wie wir unser Leben zu führen haben, sind vollkommen und nicht ergänzungsbedürftig[10]. Das geht bis hinein in – oder soll man sagen: das gilt vor allem für – den finanziellen Erfolg, zu dem die Bibel zuverlässige Anleitung gibt[11]. »Möge Gott euch segnen in euren Körpern, in euren Seelen und in euren Finanzen«, ruft da der Fernsehprediger Oral Roberts seiner Bildschirmgemeinde zu[12] und signalisiert damit die drei selbstbezogenen Lebensideale des zeitgenössischen Normalbürgers: körperliche Gesundheit, umfassende Zufriedenheit und finanzieller Wohlstand. In allen drei Bereichen gilt die Bibel als ein zuverlässiger Ratgeber, auch und gerade in den Zeiten von Homosexualität und Aids. Glücklicherweise kann die psychische Verseuchung durch den Kommunismus und der mit ihm verbundenen Verunglimpfung des Privateigentums heute weithin als eingedämmt gelten, auch wenn stets mit ihrem Wiedererstarken zu rechnen ist. Die Bibel wird als ein überzeitlich geltender und einfach zu befolgender Lehrpfad für den nach dem rechten Lebensweg suchenden Menschen angesehen, der zudem in die Lage versetzt, die unsere Welt verderbenden ungläubigen Sünder erkennbar zu machen. Den Sündern gilt die geballte prophetische Kritik der Bibel, in die sich unschwer die ganze aggressive Energie der Selbstgerechtigkeit packen und nach außen wenden läßt, die in jeder dualistischen Weltwahrnehmungsweise im Grunde zwangsläufig produziert wird.

Soweit meine allgemeinen ausschnitthaften Bemerkungen zum weltweit expandierenden christlichen Fundamentalismus amerikanischer Provinienz. Tatsächlich anschaulich werden kann dieser Fundamentalismus erst, wenn man sich mit Hilfe der zahlreichen von ihm produzierten Medien eine unmittelbare Anschauung von ihm verschafft. Nur so lassen sich auch die Verführungskräfte ahnen, mit denen er um die Gunst seines Publikums wirbt.

Von diesem Fundamentalismus muß die inzwischen ebenfalls weltweit wirkende evangelikale Bewegung deutlich unterschieden werden. Ich möchte aber im Folgenden zeigen, daß sich innerhalb der evangelikalen Bewegung auch fundamentalistische Anteile und Tendenzen ausmachen lassen, die einerseits exakt auf der von mir beschriebenen Linie eines vordergründigen naturwissenschaftlich orientierten populärwissenschaftlichen Rationalismus liegen und andererseits einem antiintellektualistischen Pragmatismus die Bahn brechen, der mit seinen ressentimentbeladenen Generalisierungen große Teile der Hoffnung auf den pathetisch stilisierten Mut wirft, den die rechten Christen im Strudel der allgemeinen Demoralisierung für eine anständige Lebensführung aufbringen. Da zur Zeit in Deutschland – und wohl auch sonst in Europa – die evangelikale Bewegung durchaus noch einflußreicher ist als der von den USA herüberschwappende Fundamentalismus, scheint es mir sinnvoll zu sein, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auch dem Fundamentalismus zuwenden, der sich mehr oder weniger versteckt in der evangelikalen Bewegung angesiedelt hat. 

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Die Querverweise auf Literaturangaben in Anmerkungen beziehen sich auf die Zählung im PDF-Dokument.

[1]       Vgl. dazu u.a. N. Birnbaum (s. Anm. 25); St. Bruce, The Moral Majority: the Politics of Fundamentalism in Secular Society, in: L. Caplan (Hg.) (s. Anm. 23), 177-194. E. Geldbach, Der protestantische Fundamentalismus in den USA – Grundzüge seiner Entwicklung und Ausgestaltung, in: Fundamentalismus in Afrika und Amerika. Historische Wurzeln – Erfahrungen – Problemanzeigen, Weltmission heute (Evangelisches Missionswerk Hamburg), Heft 13, Hamburg 1993, 9-38; G. Kepel (s. Anm. 11), 151-199; H. Papenthin, Entstehung und Entwicklung des (klassischen) amerikanischen Fundamentalismus, in: C.Colpe / H. Papenthin (Hg.) (s. Anm. 23), 13-52; M. Riesebrodt, Protestantischer Fundamentalismus in den USA. Die religiöse Rechte im Zeitalter der elektronischen Medien, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (Stuttgart), Informationsbrief 102, VIII/1987.

[2]       Vgl. dazu u.a. F. Kürschner-Pelkmann, Die globale Medieninvasion, in: Fundamentalismus in Afrika und Amerika (s. Anm. 27), 88-100; M. Traber, Krise der Kommunikation des Heiles Gottes?, JbM 27 (1995), 70-83.

[3]       Bisher handelt es sich vorwiegend um deutsch synchronisierte amerikanische Sendungen, die zu relativ ungünstigen Sendezeiten (sehr früh morgens) ausgestrahlt werden. Mit zunehmendem Einfluß wird es auch zu eigenen europäischen Produktionen kommen, die mit wachsender Finanzkraft dann auch attraktivere Sendezeiten erwerben können. Zum Geschäft mit den Sendezeiten vgl. P. Elwy, Die gekaufte Zeit. Fernsehkirche in den USA, Berlin 1987.

[4]       Vgl. P. Elwy (siehe Anm. 29), 58ff.

[5]       Vgl. dazu auch G. Palmer / S. Richter, Christlicher Fundamentalismus und Naturwissenschaften, in: C. Colpe / H. Papenthin (Hg.) (s. Anm. 23), 165-175.

[6]       Scherer-Emunds spricht von einer Degradierung der Bibel zu einem Munitionslager, in dem jede exegetische Willkür denkbar ist (s. Anm. 7), 95.

[7]       Vgl. dazu H. Hemminger, Fundamentalismus und Wissenschaft am Beispiel des Kreationismus, in: Ders. (Hg.) (s. Anm. 12), 163-195.

[8]       Die »Weltweite Kirche Gottes« habe ich im Blick auf ihren Umgang mit der Bibel an anderer Stelle genauer untersucht; vgl. M. Weinrich, Die demütigen Sieger (s. Anm. 1), 52-66.

[9]       Postfach 1129, 53001 Bonn.

[10]     Vgl. dazu u.a. die Broschüre der »Weltweiten Kirche Gottes«: Die ZEHN Gebote.

[11]     Vgl. dazu die Broschüre der »Weltweiten Kirche Gottes«: Die sieben Gesetze zum Erfolg von Herbert W. Armstrong, in der ausdrücklich betont wird, daß sich Befolgung der biblischen Anweisungen ›bezahlt mache‹ (46f).

[12]     Zit n. P. Elvy (s. Anm. 29), 25. Diese unverhohlene Verbindung religiöser Motive mit wirtschaftlichen ist ein spezifisches Kennzeichen des amerikanischen Fundamentalismus. »Nirgendwo im zeitgenössischen Katholizismus, Islam und Judentum findet sich jene Wahlverwandtschaft zwischen einer religiösen Bewegung und dem – mitunter bis zum äußersten getriebenen – Geist des Kapitalismus.« G. Kepel (s. Anm. 11), 196.

 


©Professor Dr. Michael Weinrich