Feiertage und kein Ende...

Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 15. Kapitel

Eine Synagoge in Schavei Zion; ccFoto: WIKIPEDIA

Sehnsucht danach, dass das Leben mal wieder richtig funktioniert...

Start
Inhalt Tagebuch

Tobias Kriener schreibt:

Feiertage und kein Ende...

17.10.2016

So, jetzt melde ich mich mal wieder.
Die letzten Tage schleppten sich so ein bisschen dahin. Wegen dieser ganzen Feiertage läuft nix so richtig. Ich hätte natürlich mehr in Synagogen gehen können – nach Schavei Zion oder in die orthodoxe Synagoge in Naharija – aber ich war irgendwie zu faul. War auch ganz gut mal Leerlauf zu haben und ein bisschen zu chillen und in Jehudas Strandcafé in Schavei Zion ausgiebig Haaretz zu lesen vor Sukkot und so.

Außerdem war ich eher so ein bisschen in einer Fruststimmung, weil ich aus den Geldautomaten mit meiner Karte nur Minibeträge ziehen kann, und weil die Post nicht voranmacht und ich ein bisschen Sorge habe, dass das Visum nicht rechtzeitig kommt, um den Container aus dem Hafen zu kriegen undundund. Langsam ist’s mal gut mit diesen ganzen Feiertagen, und man sehnt sich danach, dass das Leben mal wieder richtig funktioniert...
Es gab natürlich auch nette Sachen: Der Gottesdienst, in dem ich mit Gianna zusammen Posaune gespielt habe.
Oder das Lagerfeuer im „Ghetto“, zu dem die Volos mich eingeladen und als „Ehrengast“(!) willkommen geheißen haben.
Oder heute die Begegnung mit ein paar steinalten Hotelgästen, die mich nach Nes Ammim fragten und gleich in ein Gespräch verwickelten – der eine von ihnen ein Berliner, der auch heute noch eine Berlin-Kappe mit Bär und allem drum und dran trägt und mich gleich zu sich nach Givataijim eingeladen hat.
Und natürlich immer der Sprachkurs: Heute haben wir gezählt. Zum Schluss mussten die Talmidim und Talmidot Jahreszahlen lesen: 1517 – es hat eine ganze Weile gedauert, bis sie darauf kamen, dass in dem Jahr doch irgendwas mit Luther war... Oder 1967: 6-Tage-Krieg. Als ich anmerkte, dass das im nächsten Jahr hier wahrscheinlich groß gefeiert wird, erst mal Erstaunen bis Empörung. Die Jahreszahl ist außerhalb Israels halt vor allem mit der Besatzung verbunden. Dass das für Israelis auch die andere Seite einer schier wunderbaren Rettung hat, das will auch erst mal verstanden sein.

Und heute dann mal wieder zwei Begegnungen mit wirklich tollen Menschen:
Heute Morgen drei Stunden mit Peter Hoffer aus Holland über den Haushalt des CLD gesprochen. Eine trockene und quälende Materie, sollte man meinen. Aber mit Peter Hoffer das reine Vergnügen. Er ist einfach ein Exel-Virtuose, und alle Probleme werden von ihm mit einem fröhlichen „no problem“ angegangen – und er findet eine Lösung! Wirklich ein Genuss, mit ihm zusammen zu arbeiten.
Und heute Abend dann Einführung in Sukkot und Simchat Torah mit Rabbi Or Zohar. Er weiß natürlich viel. Er kann erzählen. Er hat Humor: Wie er von seinem Großvater erzählte, der den jüdischen Kalender kritisch geprüft und verworfen und einen „korrekten“ eigenen aufgestellt hat, der „Recht hat“ – Or hat's verstanden; aber erklären könnte er's nicht –, was aber dazu führte, dass er dann seine Sukka z.B. einen Monat früher als alle anderen baute, was natürlich für die Großmutter ganz schwer auszuhalten war undundund... Aber vor allem hat er eine große Gabe, mit seiner ganzen Person die geistliche Dimension dieser Feste rüberzubringen. Das lässt sich natürlich ganz schwer in Worte fassen. Man muss ihn selbst erlebt haben: Wie er erzählt, wie es dazu kam, dass er die Rabbinerlaufbahn eingeschlagen hat – was an einer Torahrolle liegt, die sein Urgroßvater in Vilna geschrieben hat und die auf verwickelten Wegen der Verbrennung durch die Deutschen entkommen und heil nach Israel gelangt ist.
Ich freue mich schon darauf, beim interreligiösen Channuka-Candle-Lighting dabei zu sein und beim musikalischen Schabbat und so weiter.

Jetzt muss ich früh schlafen gehen, denn ich muss morgen den Zug um 6:27 Uhr von Naharija erwischen, um rechtzeitig um 8.45 Uhr in der Botschaft zu sein, weil ich einen „sauberen“ Pass beantragen will für die Reisen in die arabischen Nachbarländer – v.a. natürlich in den Libanon zu Juju...

 


Dr. Tobias Kriener, Studienleiter in Nes Ammim, Oktober 2016
Leben in Israel zwischen Golan und Sinai, Mittelmeer und Jordan, unter Juden, Muslimen, Christen, Agnostikern,Touristen, Freiwilligen - Volontären, Israelis, Palästinensern, Deutschen, Niederländern, Schweden, Amerikanern undundund

Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener
 

Nach oben   -   E-Mail  -   Impressum   -   Datenschutz