Rad Fahren - Oliven ernten

Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 16. Kapitel

Olivenernte in Nes Ammim

Mit dem Fahrrad in Jerusalem - arabischer alltag rund um den Olivenbaum

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Inhalt Tagebuch

Tobias Krieer schreibt:

Radfahren in Jerusalem und Olivenernte in Nes Ammim

21.10.2016

Gestern bin ich mit dem Zug nach Jerusalem – mit Zwischenstation in Tel Aviv, um noch etwas im Visa-Antragsformular nachzutragen; das ist mal wieder ein richtiger Blaumilchkanal: an einer Stelle, wo danach gefragt wird „If the applicant or one of his immediate family members is (or was) a resident or citizen of Israel or the Palestinian Authority, please state the name and identity number“ habe ich natürlich nix reingeschrieben; aber sie wollen da ein „no“ stehen haben. So kam der Antrag kurz vor Rosh haShanah zurück, und liegt jetzt bis nächste Woche nach Simchat Torah – und weil dann erst mal ein Riesenstapel abzuarbeiten ist, wird es noch mal locker 3-4 Wochen dauern, bis ich mein Visum habe. Entweder die Jungs (und Mädels) im Außenministerium sind besonders raffiniert dabei, sich Arbeit zu machen – und damit natürlich möglichst viele Planstellen zu sichern; oder es ist Teil der routinemäßigen Schikane, mit der im Allgemeinen um Visa bettelnde Ausländer behandelt werden; oder sollte es doch nur schlichte Unfähigkeit sein; mag man gar nicht glauben in einem Land, dass die kampfkräftigste Armee der Welt hat...

Jedenfalls bin ich dann mit dem Zug weiter die schöne Strecke durchs judäische Bergland mit ihren vielen Kurven. Endstation ist nicht mehr am alten Bahnhof beim schottischen Hospiz nahe der Altstadt, sondern weit draußen in Malcha. Ich hatte mir meine Superduperkarte mitgenommen – aber das stellte sich als überflüssig heraus, denn von Anfang an war doch tatsächlich unmissverständlich das City Center ausgeschildert, und als ich dann bei der Kreuzung unten in Katamon ankam, wo's links nach Kirjat Jovel geht und rechts die Rav Herzog rauf nach Rechavia, da merkte ich so richtig, wie es klick machte und der innere Navi ansprang. Von da an kannte ich mich blind aus und genoss es, mit meinem wendigen Bikel durch den für Autofahrer_innen so höllischen Jerusalemer Verkehr zu swingen, auf der wunderschönen Terrasse des YMCA einen Kaffee zu trinken, bevor ich mich dann in der Nähe des Jaffators zwei Stunden mit Gabi Zander unterhalten und erste Verabredungen getroffen habe.

Nachmittags – ich musste die Zeit bis zum ökumenischen Gottesdienst anlässlich der gemeinsamen Pilgerreise von Deutscher Boschofskonferenz und Rat der EKD überbrücken – wurde ich dann Zeuge des Jerusalem Marsches, auf dem auch viele der ganz Meschuggenen von der sog. „International Christian Embassy in Jersualem“ mitzogen und „Jesus Christ as King“ feierten. Auch eine deutsche Delegation war vertreten – aber mir kam es so vor, als wären sie sich doch nicht so ganz sicher, wie es ankommt, wenn sie mit ihren großen Deutschland-Fahnen durchs Jerusalemer Stadtzentrum trampeln...

Interessant war zu sehen, wie der Marsch durch quergestellte Egged-Busse gegen evtl. Anschläge mit Fahrzeugen gesichert wurde – auf meinem Weg zum „Link“, dem schönen Restaurant unterhalb von Katjas Studentinnenbude in unserem Studienjahr 80/81 – jaja, Nostalgie, Nostalgie...

Abends dann der sog. „Ökumenische Gottesdienst“ in der Erlöserkirche. (Auf dem Weg zum Gottesdienst ist das nette Bild entstanden von den Ultraorthodoxen an der Nordwestecke der Altstadtmauer vor der Irija (dem alten Rathaus), die versuchen, die Passant_innen (und vermutlich vor allem auch sich selbst) davon zu überzeugen, dass nur ein Leben ohne Internet und Filme ein wahrhaft glückliches (wörtl.: bereichertes) Leben sein kann).

Bei dem Gottesdienst ist mir dann allerdings entgangen, was das ökumenische daran war, denn alle Akteur_innen waren durch und durch evangelische Pfarrer_innen; ich habe auch nicht mitgekriegt, dass einer von den katholischen Würdenträgern zum Abendmahl gegangen wäre. Ist mir neu, dass ein Gottesdienst schon dann „ökumenisch“ heißt, wenn Menschen anderer Konfessionen im Saal anwesend sind.
Den anschließenden Empfang habe ich (ganz entgegen meiner sonstigen Gewohnheit... ein wenig abgekürzt, um den vorletzten Zug nach Naharija zu kriegen – denn heute Morgen um 6:30 Uhr stand die Olivenernte in Nes Ammim an. Ich bin doch noch kurz zum Bar Evening und hab' mir eine kleine Packung Wohlgefühl abgeholt, als die Volos sich so darüber gefreut haben, dass ich noch reingeschaut habe. Habe allerdings dann nur 10 Minuten darüber diskutiert, wie wir den Alpha-Kurs finden, denn ich musste dringend ins Bett.

22.10.2016

Heute dann also die Olivenernte – von mir auf Bitten Jussefs mit ein paar Versen aus Psalm 104 eingeleitet, in denen u.a. eben davon die Rede ist, dass ER (bzw. SIE) „olive oil (produces) to make us cheerful“. Das „olive-picking“ selber ist allerdings eher eine Arbeit „für jemanden, der Vater und Mutter erschlagen hat“, wie unsa Mutta gesagt hätte: Unendlich mühsam, die einzelnen Oliven aus dem Laub zu klauben, die nicht auf die ausgebreiteten Planen fallen, wenn Jussef mit seinen Stöcken die Zweige abschlägt. Immerhin sind 32 Kilo Öl dabei rausgekommen (war ein schlechtes Jahr: letztes Jahr war's doppelt so viel; hat nicht genug geregnet dieses Jahr...).

Das Interessanteste war die Ölmühle, in die wir nachher die Ernte gefahren haben – irgendwo hinten auf den Feldern zwischen den arabischen Dörfern – zu der man nur auf Feldwegen gelangt, durch endlose Olivenhaine hindurch. Und an der Mühle ist jetzt in der Erntezeit natürlich Hochbetrieb: Ununterbrochen treffen die Pick-Ups und Anhänger mit den Olivensäcken ein; die Mühle läuft in diesen Wochen Tag und Nacht, es wird diskutiert, gebrüllt, gestikuliert, Kaffee getrunken, geraucht, gewartet, geschwatzt. Wieder so eine eigene Subkultur dieses Landes – bzw. in Wirklichkeit für die arabische Bevölkerung ein zentraler Teil ihrer Lebensart, von dem wir Europäer allerdings nichts mitkriegen normalerweise: Ich jedenfalls habe in all meinen Israelaufenthalten noch nie einen Einblick in diese Seite des israelischen, nämlich seines arabischen Alltags bekommen, der sich in der Tat zu einem erheblichen Teil um den Olivenbaum dreht.


Dr. Tobias Kriener, Studienleiter in Nes Ammim, Oktober 2016
Leben in Israel zwischen Golan und Sinai, Mittelmeer und Jordan, unter Juden, Muslimen, Christen, Agnostikern,Touristen, Freiwilligen - Volontären, Israelis, Palästinensern, Deutschen, Niederländern, Schweden, Amerikanern undundund

Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener