Palästina - Fahrt in Westbank und Gazastreifen II

Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 29. Kapitel

Abrahams Zelt - Herodion - Checkpoint zwischen Bethlehem und Jerusalem - Anti-Hamas-Zensur

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Tobias Kriener schreibt:

3. Station: Abrahams Zelt – ein Projekt zur Nachmittagsbetreuung von Schulkindern, organisiert von der lutherischen Gemeinde in Beit Jala. Auf einem malerisch gelegenen Gelände am Rande der judäischen Wüste wurden wunderschöne alte arabische Häuser renoviert, die jetzt Platz bieten für Arbeitsräume, eine kleine Bibliothek, Küche, Büro. Dazwischen ein Spielplatz und von den Kindern gepflanzte Bäume. Eine kleine Oase in dem Chaos des ungeplanten, vermüllten, von hässlichen Betonbauten zugestellten öffentlichen Raums der Ortschaften der Westbank. Zum Abschied gab's eine Tanzdarbietung der Mädchen.

4. Station: Herodion – eine der Festungen Herodes des Großen in der judäischen Wüste – ein künstlich aufgeschütteter Berg, weithin sichtbar in Bethlehem und bis nach Jerusalem, wo der verhasste Potentat sich in einem protzigen Mausoleum beisetzen ließ. Ich bin ja überzeugt, dass die Geschichte vom Kindermord in Bethlehem im Matthäusevangelium ein hochpolitischer, subversiver Versuch ist, seiner Selbstmythologisierung die Basis zu entziehen und ihn als den Schlächter in Erinnerung zu halten, der er war.

Von oben hat man jedenfalls einen tollen Panoramablick – und eine instruktive Übersicht über den Kampf zwischen jüdischen Siedlungen und palästinensischen Landbesitzern um jeden Quadratmeter Boden: Die Gegend südostlich vom Herodion ist Area C – d.h. unter israelsicher Militär-Verwaltung. Nach ottomanischem Recht – das von britischer Mandatsregierung, jordanischem Herrscherhaus und israelischer Militäradministration gerne weiter angewendet wurde und wird, wenn's passt – kann Land, das nicht landwirtschaftlich genutzt wird, vom Staat konfisziert werden. Deshalb pflanzen die Palästinenser Olivenbäume bis weit in die Wüste hinein, wo niemand eigentlich Landwirtschaft betreiben würde, um der Enteignung zugunsten der vielen kleinen Siedlungsaußenposten zu entgehen, die von hier oben gut zu erkennen sind.

5. Station: Der Checkpoint zwischen Bethlehem und Jerusalem, durch den die palästineneischen Arbeiter_innen müssen. Wir gingen ohne Probleme zügig einmal durch und wieder zurück. Schön ist's natürlich nicht – und es erinnert auch an die Grenzübergänge zur DDR unseligen Angedenkens. Der Vergleich mit dem DDR Grenzregime ist gleichwohl fehl am Platze, denn damals ging es darum, die abwanderungswillige Bevölkerung einzusperren, während es Israel darum geht, Selbstmordattentäter fernzuhalten. Die Mauer an sich ist nicht das Problem – eher schon an vielen Stellen ihr Verlauf. Aber das eigentliche Problem ist die Aufteilung der Westbank in A-, B- und C-Zone – dazu im weiteren Verlauf noch mehr...

6. Station: Nach dem langen Tag völlig erschöpft hatten wir dann noch ein Gespräch mit einem Imam. Einigen Volos fielen die Augen zu, und ich hatte auch Mühe, bei seinen Allgemeinplätzen über die tollen Beziehungen zwischen Muslimen und Christen in Palästina wach zu bleiben. Weiter ist mir nur noch in Erinnerung, dass er 13 Kinder von 2 Frauen hat – die Polygamie ist in Palästina also noch gang und gäbe. (Sie ist übrigens auch in Israel noch nicht ausgerottet, wie ein Artikel in der Wochenendausgabe von Ha'aretz zeigte, der sich damit beschäftigt, ob denn nun das Gesetz von 1951, das Polygamie verbietet, nun endlich auch im arabischen Sektor durchgesetzt wird…)

Interessant war dann seine Antwort auf die Nachfrage, was denn so ein Imam eigentlich zu tun hat. Er hat zu predigen. Und das Thema für die wöchentliche Predigt wird von der palästinensischen Autonomiebehörde vorgegeben. Die Predigt muss dann eingereicht werden, weil sie darauf geprüft wird, ob zu Gewalt aufgerufen wird – eine klare Anti-Hamas-Zensur. Da zeigte sich sozusagen live und in Echtzeit das Problem vieler arabischer Regierungen: Zugunsten der Eindämmung islamistischer Propaganda muss das Recht auf freie Meinungsäußerung weichen. Demokratie baut man so nicht auf – wenn's wenigstens den Islamismus stoppen könnte.

Danach wurden wir für die Übernachtung auf Familien verteilt. Ich landete mit drei Volos in einem Haus direkt neben Rahels Grab – von dem wir allerdings nichts zu sehen bekamen, weil das Haus auf drei Seiten von der Mauer umgeben ist.

 


Dr. Tobias Kriener, Studienleiter in Nes Ammim, Januar 2017
Leben in Israel zwischen Golan und Sinai, Mittelmeer und Jordan, unter Juden, Muslimen, Christen, Agnostikern,Touristen, Freiwilligen - Volontären, Israelis, Palästinensern, Deutschen, Niederländern, Schweden, Amerikanern undundund

Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener
 

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