Banale Normalität in einer arabischen Stadt in Israel

Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 36. Kapitel

Das Fußballstadion in Sakhnin

Besuch im Fußballstadion von Sakhnin - ein orthodoxer Priester: Abuni (unser Vater) für Christen und Muslime

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Tobias Kriener erzählt:

21.2.217

Gestern haben wir nun den Besuch in Sakhnin nachgeholt, der im Januar wegen des Besuchs des Britischen Botschafters verschoben werden musste.

Sakhnin ist die zweitgrößte arabische Stadt in Israel. Das Erwähnenswerteste an ihr ist ihr Fußballclub „Ibn Sakhnin“ – die Söhne Sakhnins, der als einziger Fußballclub einer arabischen Stadt in der höchsten israelischen Liga spielt und sogar schon mal die Meisterschaft gewonnen und deshalb in einem europäischen Wettbewerb gespielt hat und im Stadion von Westham United zu Gast war – der ganze Stolz dieser Stadt; davon werden sie noch ihren Nachkommen bis ins 6. und 7. Glied erzählen

Natürlich haben wir noch zahlreiche andere Errungenschaften besichtigt:

Das Community Centre, in dem Ghazzal – unser Kontaktmann – arbeitet und die Kinder zu Friedensstiftern anzustiften versucht; die Grundschule – Motto: „Chinuch im Chijuch“ (Erziehung mit einem Lächeln); die jüdische Schule aus Tiberias, die gerade zu Besuch war und mit den Schüler_innen der Partnerschule in Sakhnin auf dem Platz neben dem Fußballstadion ein großes Gewusel veranstaltete;  die Quelle, an der früher die Frauen das Wasser holten und wo der Treffpunkt war, wo die jungen Frauen und Männer sich treffen und ihre Beziehungen anbahnen konnten – deshalb so viele arabische Liebeslieder, in denen die Quelle eine prominente Rolle spielt (vgl. wie Isaak zu seiner Frau Rebekka kam, Gen 24 – eine meiner absoluten Lieblingsgeschichten in der Bibel); der Besuch beim orthodoxen Priester, der von allen in der Stadt (also eben auch von den Muslimen) nur „Abuni“ (unser Vater) – genannt wird, der uns u.a. eine herrliche Räuberpistole darüber erzählte, wie die alte Kirche zu ihrer Erweiterung gekommen war: der muslimische Nachbar, der im Sommer auf dem Dach seines Hauses neben dem Kirchenfenster zu schlafen pflegte, hörte nämlich eines Nacht das Trappeln von Pferdehufen in der Kirche – und dann brach ein Reiter durch das Kirchenfenster auf sein Dach: der heilige Georg, Namenspatron der Kirche, persönlich – da bekam er es mit der Angst oder auch der Ehrfurcht zu tun und verkaufte sein Haus an die Kirche, so dass diese erweitert werden konnte; Besichtigung der noch im Bau befindlichen neuen orthodoxen Kirche, die dann angeblich die größte in Israel sein wird; der Besuch in einer Kaffeerösterei; in einer Galerie, in der arabische und jüdische Künstler_innen ausstellen, und schließlich bei einem aus Ägypten stammenden Bäcker.

Natürlich war ab und zu auch Thema, dass Israel Land beschlagnahmt hat und noch beschlagnahmt und die Steuern aus dem auf dem beschlagnahmten Land gebauten Gewerbegebiet nicht in die Stadtkasse von Sakhnin fließen, sondern in die Kasse der Regionalregierung; dass nicht genug Bauland da ist, und deshalb Olivenhaine neuen Wohngebieten weichen müssen. Aber das kam nur so am Rande vor. Das Wichtige war das unspektakulär-alltägliche, was die Sakhniner aber stolz macht: Ihre kleinen und etwas größeren Errungenschaften – Fußball, neue Kirche, schöne Schule.

Was will man mehr? Was braucht man mehr?

Oder spielen die alle wirklich nur ein ganz großes Theater, um uns naive Europäer darüber hinwegzutäuschen, dass sie im tiefsten Inneren an nichts anderes denken als an die Zerstörung des zionistischen Gebildes und die Juden ins Meer treiben zu wollen – wie ich es immer wieder höre; auch das Gespräch mit Avner Shai vorige Woche war ja nicht frei von diesem pauschalisierenden „sie“, die „uns“ hier nicht haben wollen.

Ich denke, dass es nicht ohne Folgen bleibt, wie Palästinenser (und Juden) leben: Ob man zwischen Graffiti von Salladin und Arafat und Marwan Barghuti und Saddam Hussein und allen möglichen „schuhada“ (Märtyrern) aufwächst – wie in der Westbank –, oder ob den Kindergartenkindern das hebräische Alphabet mit dem Givat-Haviva-Poster „To Live in Peace“ nahegebracht wird und die Grundschule „Erziehung mit einem Lächeln“ betreibt und im Fußballstadion groß annonciert wird „Ken lesport – lo lealimut“ (Ja zum Sport – Nein zur Gewalt) und Sakhnin sich als „Ir lelo alimut“ (Stadt ohne Gewalt) versteht und sich etwas darauf zugute hält, einen Spieler ausgerechnet von Beitar Jerushalajim verpflichtet zu haben – das hat nämlich noch mal 'ne andere Dimension als wenn Manuel Neuer von Schalke zu den Bayern wechselt, denn die Beitar-Fans sind dafür berüchtigt, dass ihr Lieblingsschlachtruf lautet:
„Mavet laAravim“ (Tod den Arabern)...

Ich glaube nicht, dass das alles nur Mimikry ist; ich glaube nicht, dass „sie“ darauf festgelegt sind, Israel zu hassen; ich will daraus jetzt keine großen Schlussfolgerungen ableiten, was das für die Einschätzung des israelisch-palästinensischen Konflikts oder für Syrien oder für die arabische Welt bedeuten könnte. Mir ist nur beim Aufschreiben des gestrigen Tages aufgefallen, wie unspektakulär, wie „unpolitisch“, wie „normal“ – ja: wie banal dieser Besuch in einer arabisch-palästinensischen Stadt in Israel war. Was mir angesichts der Anspannung, die wir in Jerusalem oder in der Westbank mitbekommen haben, wiederum bemerkenswert erscheint.

Ansonsten gab's zu Mittag wieder lecker Humus und es war angenehm warm und der Himmel makellos blau und die Berge schön anzuschauen – und abends dann wieder Arabisch mit neuem Arabischlehrer – aber davon erzähle ich ein andermal, bestimmt!

(Die Bilder sind übrigens nicht von mir – hatte meinen Fotoapparat vergessen; Dank an Rolf, unseren neuen communications-officer, der sie mir zur Verfügung gestellt hat!)


Dr. Tobias Kriener, Studienleiter in Nes Ammim, Februar 2017
Leben in Israel zwischen Golan und Sinai, Mittelmeer und Jordan, unter Juden, Muslimen, Christen, Agnostikern,Touristen, Freiwilligen - Volontären, Israelis, Palästinensern, Deutschen, Niederländern, Schweden, Amerikanern undundund

Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener