Türkischer Wahlkampf - deutscher Wahlkampf

Mittwochs-Kolumne - Paul Oppenheim


Die aufgeregte Debatte um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland offenbart vor allem Eines: Deutschland erntet die Früchte seiner unklaren Einwanderungspolitik und das wäre ein wichtiges Thema für den anstehenden deutschen Wahlkampf.

Im Jahr 1961 begann mit dem Anwerbeabkommen zwischen der Türkei und der Bundesrepublik der Zuzug türkischer „Gastarbeiter“ nach Deutschland. Es hat beinahe 40 Jahre gedauert bis die hier geborenen Kinder türkischer Einwanderer eine realistische Chance bekamen, deutsche Staatsangehörige zu werden. Als die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 diese Möglichkeit schuf, lebten etwa zwei Millionen türkische Staatsbürger in Deutschland, von denen über 35% hier geboren waren, und trotzdem noch Ausländer waren.

Ein Gefühl der Zugehörigkeit zu ihre deutschen Wahlheimat konnte bei türkischen Einwanderern nicht aufkommen, solange es hieß: „Deutschland ist keine Einwanderungsland“. Bis heute finden sich viele Politiker nur sehr halbherzig mit der Realität ab, dass Deutschland auf Einwanderung angewiesen ist. Im Zeitraum von 40 Jahren musste sich also jene türkische Parallelgesellschaft herausbilden, zu der vor allem das von der türkischen Religionsbehörde (Diyanet) gesteuerte Netzwerk türkischer Moscheen (DITIB) gehört. Selbstverständlich gehört auch türkische Innenpolitik zum Alltag der hier lebenden Türken. Allabendlich empfangen sie türkische Fernsehprogramme per Satellitenschüssel in ihren Wohnzimmern. Sie sind Erdogans gleichgeschalteten Medien alternativlos ausgesetzt. Warum gibt es eigentlich keine türkischsprachigen Nachrichten von ARD oder ZDF? Zahlen türkischstämmige Mitbürger etwa keine Gebühren an die GEZ?

Nach über fünfzig Jahren türkischer Einwanderung hat die Hälfte der hier lebenden türkischstämmigen Menschen noch immer einen türkischen Pass. Sie sind damit in der Türkei wahlberechtigt; aber warum interessieren sie sich so leidenschaftlich für das, was in der Türkei passiert? Sie interessieren sich dafür, weil es um ihre ganz persönliche Zukunft geht, solange sie hierzulande keine klare Zukunftsperspektive für sich erkennen können. Dass der türkische Wahlkampf so vehement in Deutschland ausgetragen wird, verrät, dass viele der hier lebenden türkischstämmigen Menschen auch in der zweiten oder dritten Generation noch nicht wirklich in Deutschland angekommen sind. Das Verbot von Wahlkampfveranstaltungen wird das sicher nicht besser machen, im Gegenteil.

Die gute Nachricht ist aber, dass es auch jene türkischstämmigen Mitbürger gibt, die sehr wohl ihre persönliche Zukunft in Deutschland sehen und sich hierzulande politisch engagieren. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns mit ihnen gemeinsam für eine Einwanderungspolitik einsetzen, die den Kindern von Einwanderern eine Alternative zum Leben in der Parallelgesellschaft eröffnet. Der anstehende bundesdeutsche Wahlkampf wäre dafür eine gute Gelegenheit. Es müsste jetzt endlich um das längst überfällige Einwanderungsgesetz gehen, und um die Gestaltung einer Gesellschaft, die Einwanderung bejaht und denen eine Perspektive anbietet, die zu uns kommen, um zu bleiben.

8. März 2017