Kurzmeldungen




Hoffnung auf Entgrenzung der konfessionellen Bünde

Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen grüßt den reformierten Weltgipfel

Mit einer kurzen Ekklesiologie der Entgrenzung begrüßte Präses Annette Kurschus den reformierten Weltgipfel in Leipzig. Zwischen Luthers Überzeugung, es wisse gottlob ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei, und Calvins Erkenntnis, allein Gott sei die Erkenntnis der Kirche zu überlassen, hörte sie den "Ruf zur Engrenzung".

Der Ruf zur Entgrenzung weist auf eine Öffnung, „die bereit ist, im Blick auf die Kirche viel zu erwarten und viel zu erhoffen - weil sie von Gott alles erhofft und alles erwartet“ - auch die Entgrenzung der konfessionellen Bünde, so die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Zwei Tage vor der Wittenberger Erklärung und dem der Beitritt der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen zur „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungserklärung“, die 1999 der Lutherische Weltbund und die Römisch-katholische Kirche unterzeichneten, grüßte die stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD die Reformierten mit einem weiten ökumenischen Horizont.
Kurschus: Es möge in Zukunft geschenkt sein, „von einer noch weiter erneuerten und verwandelten Weltgemeinschaft“ zu sprechen, von einer „Weltgemeinschaft Reformierter und Unierter und Lutherischer Kirchen“.

Das vollständige Grußwort :

Präses Annette Kurschus,
Evangelische Kirche von Westfalen,
Stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland

Grußwort Generalversammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen

Leipzig, 03. Juli 2017

Sehr geehrter Präsident Pillay, liebe Schwestern und Brüder!

I. Wie schön, dass Sie mich heute hier in Leipzig willkommen heißen! Ich richte Grüße aus für die Evangelische Kirche von Westfalen und für den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland. Es ist für uns eine große Freude und eine Ehre, dass die Reformierte Weltgemeinschaft in diesem besonderen Jubiläumsjahr der Reformation bei uns in Deutschland zu Gast ist.

An den Anfang stelle ich ein Zitat Martin Luthers über die Kirche.
In den Schmalkaldischen Artikeln schreibt er:
„Es weiß gottlob ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei, nämlich die heiligen Gläubigen und die Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören.“ (Johannes 10,3)

Zumindest die Erwachsenen waren sich, als Luther diese Worte schrieb, allerdings schon lange nicht mehr einig darüber, was denn die Kirche sei. Und so polemisiert bereits im nächsten Satz ein verbitterter Reformator gegen die platten Chorhemden, die langen Röcke und allerlei Zeremonien, die über die Schrift hinaus erdichtet seien.

Hat also gerade das neue Hören auf die Stimme des Hirten Christus zur Trennung geführt und zum geringschätzigen Herabsehen auf andere?
Und wenn es damals so war, muss es heute auch so sein?

II. Leipzig, liebe Schwestern und Brüder, ist für die Generalversammlung der reformierten und unierten Kirchen aus aller Welt ein guter Ort.
In dieser Stadt wurde im Jahre 1519 mit der Leipziger Disputation unverkennbar deutlich: Über dem neuen Verständnis der Rechtfertigung war die Einheit der Kirche zerbrochen – sofern sie darin bestand, die Entscheidungen der Konzilien ungeteilt anzuerkennen und sich dem Primat des Papstes zu beugen.
Besagte Leipziger Disputation hat viel zu Martin Luthers Ruhm als unbeugsamem Reformator beigetragen. Dabei war Luther selbst keineswegs glücklich über dieses theologische Streitgespräch. Es „habe übel angefangen“, äußert er sich in einem Brief, und es „sei noch ärger ausgegangen.“ Mindestens darin könnten ihm auch Reformierte zustimmen.
Aber: Was übel anfing und noch ärger ausging, muss nicht zwangsläufig übel weitergehen und auch nicht notwendig arg bleiben.
Und ist das, liebe Geschwister, nicht wunderbar: Leipzig als Ort für diese Generalversammlung macht es möglich, dass im 500. Jubiläumsjahr der Reformation auch wir Reformierten übermorgen in Wittenberg die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre unterzeichnen – dankbar und froh über den lebendigen Gott, der uns erneuert und verändert.
Die Wittenberger Erklärung stellt die konfessionsübergreifende Übereinstimmung in der Rechtfertigungslehre zugleich in den umfassenden Horizont, der uns Reformierten so besonders am Herzen liegt: „Gerechtigkeit ist nicht eine nur ethische Umsetzung von Rechtfertigung, gewissermaßen im Nachgang. Vielmehr ist Gerechtigkeit theologisch in der Rechtfertigung selbst enthalten.“
So befreit Gottes Gerechtigkeit die Kirche der gerechtfertigten Sünder dazu, dem lebendigen Gott nachzufolgen in seiner Mission, allen Menschen Gerechtigkeit und das Leben in Fülle zu bringen.
„Es weiß gottlob ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei“, meinte Luther. Da möchte man neidisch werden auf die Kinder. Oder neidisch womöglich auf Luther, der es in allem Streit doch immer erstaunlich genau wusste.
Und doch: Ist es mit dem Genau-Wissen und erst recht mit dem Allzu-genau-Wissen nicht auch so eine Sache? Und sind wir, wenn wir heute weit weniger vollmundig über die Kirche und ihre Einheit zu reden vermögen, am Ende doch näher an der Wirklichkeit? Näher an der Wirklichkeit unserer Gegenwart gewiss – aber vielleicht auch näher an der theologischen Wirklichkeit?

III. Johannes Calvin jedenfalls hält es keinesfalls für ein Kinderspiel zu wissen, was die Kirche sei. Er warnt sogar davor, es allzu genau wissen zu wollen. Ja, mehr noch: Er hält es für gefährlich, auch nur zu meinen, man könnte es überhaupt genau wissen. Im vierten Buch seiner Institutio schreibt er:

„Allein Gott ist die Erkenntnis der Kirche zu überlassen,
weil seine geheime Erwählung ihr Fundament ist.“ (IV.2.11)

Die Erkenntnis der Kirche ist ausschließlich Gottes Sache!

Ich höre darin zuerst eine heilsame Begrenzung. Eine Begrenzung, die es uns verbietet, unsere eigenen Blicke auf die Kirche und unser eigenes Wissen von ihr schon für die volle Wahrheit und die ganze Wirklichkeit zu halten.
In den Augen und im Herzen Gottes werden unsere Blicke und unser Wissen allemal die Blicke und das Wissen von Kindern sein.

Die Erkenntnis der Kirche ist ausschließlich Gottes Sache!

Ich höre daraus – umgekehrt – auch den Ruf zur Entgrenzung.

Eine hoffnungsvolle Entgrenzung, die bereit ist, im Blick auf die Kirche viel zu erwarten und viel zu erhoffen - weil sie von Gott alles erhofft und alles erwartet.
Eine Entgrenzung, die weniger am Definieren interessiert ist als viel mehr am Öffnen; weniger am Sich-Unterscheiden als viel mehr am Verbinden; weniger an den Mängeln, den Fehlern und Schwächen als viel mehr an der geheimnisvollen Gabe der Kirche.
Eine Entgrenzung auch der konfessionellen Bünde, wie sie auf der Generalversammlung 2010 in Grand Rapids in der neuen Verfassung der Weltgemeinschaft anklingt: Eine Öffnung hin auf unsere Geschwister in anderen reformatorischen Traditionen, „soweit die betreffende Kirche dieser Verfassung zustimmt“.

Als vor drei Jahren das Büro des Reformierten Weltbundes von Genf nach Hannover umzog, in ein gemeinsames Gebäude mit den Evangelischen Kirchen der Union, habe ich – halb im Scherz, aber mit vollem Ernst – kühn prophezeit, wir könnten vielleicht bereits im Jubiläumsjahr 2017 von einer „Weltgemeinschaft Reformierter und Unierter Kirchen“ sprechen.

Nun, der Heilige Geist lässt sich Zeit.
Aber in Ruhe lässt er uns nicht. Er zieht und schiebt uns. Zärtlich und mächtig. Er liebt und lockt uns hinein in die Wirklichkeit des Geheimnisses Jesu Christi, das auch unser Geheimnis und unsere Wirklichkeit ist. 

Dieses Geheimnis, nämlich die Erwählung Christi und die Erwählung der Menschen in ihm, verbindet uns längst zu einer Kirche.  Vor und hinter allen Unterschieden – und durch sie hindurch.
Erwählung ist die Kraft, die uns zu Erneuerung und Veränderung ruft. Und darum nach unserem eigenen Tun und Handeln fragen lässt.

Erwählung ist die Gabe, die all unseren vielen Aufgaben vorausgeht.
Erwählung – nicht unser Beraten und Beschließen, nicht unser Arbeiten und Kämpfen – Erwählung allein begründet die Einheit der Kirche.
Sie ist nicht das Rätsel, das wir lösen müssten.
Sie ist und bleibt das Geheimnis, aus dem wir leben.
Suchen sollen wir sie, weil sie schon da ist.
Finden können wir sie, weil sie uns umgibt.

Erfahren werden wir sie, wo wir kraft des Heiligen Geistes, der uns erneuert und verwandelt, in dieses Geheimnis immer tiefer hinwachsen, uns hinein denken und mehr noch uns hinein loben und beten und wachsen im gemeinsamen Zeugnis der Liebe.

Und - wer weiß? - vielleicht wird uns bis zum Jahr 2029 – 500 Jahre nach dem Marburger Religionsgespräch – der Durchbruch geschenkt, so dass die darauf folgende Generalversammlung von einer noch weiter erneuerten und verwandelten Weltgemeinschaft sprechen kann:
Von einer „Weltgemeinschaft Reformierter und Unierter und Lutherischer Kirchen“... ?!


Präses Annette Kurschus, Evangelische Kirche von Westfalen, stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland
 

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