60 Jahre Ökumenischer Rat der Kirchen

Gemeinsam Veränderung bewirken

Der Ökumenische Rat der Kirchen ist die umfassendste und repräsentativste Organisation der modernen ökumenischen Bewegung. Eine Reihe von Kirchenführern hatte seine Gründung bereits 1937 beschlossen, die erste Vollversammlung in Amsterdam konnte jedoch erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs, im August 1948, stattfinden. Erster Generalsekretär wurde Willem Visser ’t Hooft aus der Reformierten Kirche in den Niederlanden.

Curd Jürgens hat es vor Jahren gebrummt: "60 Jahre und kein bisschen weise" und Udo Jürgens war sich damals noch sicher, dass das Leben erst sechs Jahre später anfängt. Der 60. Geburtstag scheint bei den meisten Menschen ein wichtiger Einschnitt zu sein: eine neue Lebensphase kündigt sich an, das Arbeitsleben geht langsam seinem Ende entgegen, der Körper und die eigene Konstitution verändert sich und vermutlich auch der Blick auf die Wirklichkeit. Anlass für viele, noch einmal so richtig die Sektkorken knallen zu lassen und so richtig zu feiern: "So jung kommen wir nicht mehr zusammen." Anders ist dies bei Unternehmen, Institutionen und Firmen: Das 60. Gründungsjubiläum ist kein wirklicher Anlass zu feiern und groß an die Öffentlichkeit zu treten. Gefeiert wird eher bei 50 und 75 Jahren. Allemal ist der 60. "Geburtstag" kein Anlass, sich auf Erfolgen der vergangenen sechs Jahrzehnten auszuruhen.

So auch für den Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK). Formell wurde der Zusammenschluss vieler Kirchen – mit Ausnahme der römisch-katholischen – am 23. August 1948 gegründet. Delegierte von 147 Kirchen aus 44  Ländern waren im niederländischen Amsterdam zusammen gekommen, um an der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirche (ÖRK) teilzunehmen. Es war eine beeindruckende Versammlung, an der so viele unterschiedliche Kirchenvertreter wie noch nie zuvor teilnahmen – anglikanische, altkatholische, sowie viele orthodoxe und  evangelischen Kirchen waren vertreten. Dieses erste Treffen zeichnete sich leider aber auch durch die Abwesenheit der zwei größten Kirchen der Welt aus – der römisch-katholischen Kirche und der Russischen Orthodoxen Kirche.

Faktisch hatte der ÖRK schon vorher existiert. 1938 hatten leitende Kirchenvertreter einen vorläufigen Ausschuss gegründet, dessen Aufgabe es war, Strukturen für die neue Einrichtung zu schaffen und die erste, für 1941 geplante Vollversammlung zu organisieren. Auch schon vor dem vorläufigen Ausschuss Ende der 30er Jahre gab es Ansätze einer ökumenischen Zusammenarbeit etwa in den Bewegungen für Glaube und Kirchenverfassung und für Mission und Evangelisation. Doch alle Ansätze wurden durch den Ausbruch des Krieges wurden diese Pläne zunichte gemacht. So war dann auch die Vollversammlung in Amsterdam durch die Erfahrung des Krieges geprägt. Demütig reagierte sie auf die neue Situation, scheute aber zugleich vor klaren Worten nicht zurück, denn die tragische Spaltung der Welt erforderte radikale Versöhnung. Willem Visser ’t Hooft, der erste ÖRK-Generalsekretär, ging auf die Sorge vor einer "Über-Kirche" ein und stellte heraus, dass mit der Verwirklichung der Vision vielmehr angestrebt sei, dass die Kirchen gemeinsam Veränderung bewirken: "Wir gründen diesen Rat nicht aus Ehrgeiz und um uns an Machtkämpfen zu beteiligen. Wir gründen ihn im Geist der Reue, weil wir versagt haben, gemeinsam Kirche zu sein, und um ein klareres Zeugnis abzulegen von dem Herrn, der kam, um allen zu dienen."

Vieles, was der ÖRK in den vergangenen Jahrzehnten an christlichem Zeugnis geleistet hat, ist konkret fassbar: sein reeller Beitrag zur Gründung der Vereinten Nationen und zum Text der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte; grundlegende theologische Arbeit zu Taufe, Eucharistie und Amt sowie wichtige Beiträge zur missionstheologischen Reflexion; prophetisches Mahnen zu Anliegen wie nachhaltige Entwicklung, Rassismus, interreligiöser Dialog und Klimawandel, lange bevor diese in der öffentlichen Diskussion angekommen waren.

Fast alle Erfolge gaben auch Anlass zu Kontroversen. In den 1970er Jahren distanzierten sich viele Evangelikale vom Rat wegen des nach ihrer Meinung zu schwachen Engagements für Mission und Evangelisation. Gleichzeitig stand immer wieder das starke politische Engagement des Rates, z.B. das Programm zur Bekämpfung des Rassismus mit seiner entschlossenen Unterstützung der Anti-Apartheidbewegung im südlichen Afrika, im Kreuzfeuer der Kritik.

Als der ÖRK auf der Vollversammlung 1998 in Harare den 50. Jahrestag seiner Gründung feierte, würdigte Nelson Mandela das Programm, durch das auch er Unterstützung erfahren hatte, als Ausdruck "echter Solidarität." Es habe gezeigt, "dass Sie uns nicht lediglich als ferne Wohltäter karitativ unterstützen, sondern uns im Kampf um unsere gemeinsamen Ziele zur Seite stehen wollten". "Für uns in Südafrika, im südlichen Afrika, ja auf dem ganzen Kontinent", so erklärte er, "ist der ÖRK von jeher ein Vorkämpfer für die Sache der Unterdrückten und Ausgebeuteten gewesen." Und dann kann es – in Abwandlung des Schlagers von Schauspieler Curd Jürgens – tatsächlich heißen: "60 Jahre und kein bisschen leise".

Die größte Leistung des ÖRK sehen diejenigen, die über all die Jahre hinweg mit dem Rat in Verbindung kamen, nicht darin, dass er ein bestimmtes Anliegen aufgegriffen, ein bestimmtes Programm durchgeführt oder ein bestimmtes Dokument veröffentlicht hat, sondern im Zusammenhalt der Kirchen, in der Gemeinschaft, die sie allem Trennenden zum Trotz bewahren und leben. Und der ÖRK wächst weiter. Gegenwärtig gehören ihm 347 Kirchen und Denominationen in mehr als 110 Ländern und Territorien in der ganzen Welt an. Die Russische Orthodoxe Kirche wurde 1961 Mitglied; die römisch-katholische Kirche arbeitet in vielen Programmbereichen eng mit dem Rat zusammen und ist Vollmitglied in den Kommissionen für Glauben und Kirchenverfassung und für Mission und Evangelisation.

Das Wachstum des ÖRK ist ein Zeichen seines Erfolgs und eine Herausforderung für die Zukunft, denn es macht deutlich, dass sich das Gesicht der Ökumene und des Christentums wandelt. Die meisten Gründungsmitglieder des ÖRK waren europäische und nordamerikanische Kirchen, wenngleich auch Kirchen aus anderen Regionen vertreten waren. Heute kommen die meisten Mitglieder aus Afrika, Asien, der Karibik, Lateinamerika, dem Nahen Osten und dem Pazifik.

Die Vielfalt der Kirchen im ÖRK macht Ökumene zu einer weiter bestehenden Aufgabe: sie verbindet, schärft die Sicht, verändert, um so die Einheit wahrhafter zum Ausdruck zu bringen. Der intensive Dialog, der in den letzten zehn Jahren zwischen den orthodoxen Kirchen und anderen Traditionen geführt wurde, hat der Gemeinschaft der Kirchen die Augen dafür geöffnet, dass einige Praktiken, die den meisten westlichen Mitgliedskirchen vertraut waren, für andere fremd und entmutigend waren. Infolgedessen wurde die Geschäftsordnung des ÖRK in wichtigen Punkten abgeändert und insbesondere das Konsensverfahren bei der Entscheidungsfindung eingeführt.

Schwerpunkte für die programmatische Arbeit des ÖRK festzulegen, ist eine schwierige Angelegenheit, da die Mitgliedskirchen in sehr unterschiedlichen Kontexten leben. Dennoch zeichnet sich eine gemeinsame Linie ab, die auf dem aufbaut, was dem ÖRK von Anfang an wesentlich war. Wie es ein europäischer Theologe ausdrückt: "Die Rolle des ÖRK besteht darin, der eine Ort zu sein, an dem Christen mit einer Stimme sprechen können."

Innerhalb dieses gemeinsamen Raums greifen die Kirchen Herausforderungen auf, vor denen sie heute gemeinsam stehen: sie reagieren auf Bedrohungen des Lebens, wie Armut, Klimawandel, HIV und AIDS, untersuchen traditionelle und neuere Dimensionen des geistlichen Lebens, fördern Dialog und Zusammenarbeit zwischen den Religionen, suchen die Zusammenarbeit mit christlichen Traditionen, die der Ökumene lange skeptisch gegenüber gestanden haben, und entwickeln neue Perspektiven für die Ökumene im 21. Jahrhundert.

Wer, wie das Thema des 60-jährigen Gründungsjubiläums es sagt, "Gemeinsam Veränderung bewirken" will, wird nicht nur das 60-jährige Bestehen einer Institution, sondern vielmehr einer Gemeinschaft, einer Bewegung und einer Vision zu feiern. Vor sechs Jahrzehnten haben die Teilnehmenden in Amsterdam bekannt: "Wir sind voneinander getrennt, nicht nur in Fragen der Lehre, der Ordnung und der Überlieferung, sondern auch durch unseren sündigen Stolz: Nationalstolz, Klassenstolz, Rassenstolz." Wenn sich auch an dieser Realität bis heute nichts geändert hat, so besteht doch auch die ökumenische Vision fort: "Aber Christus hat uns zu Seinem Eigentum gemacht, und in Ihm ist keine Zertrennung", heißt es weiter in der Botschaft von Amsterdam. Es bleibt die konkrete und mit Leben gefüllte Selbstverpflichtung der Kirchen, die sich trotz aller Spaltungen zwischen ihnen und in der Welt auf die Erklärung von 1948 berufen: "Wir haben den festen Willen, beieinander zu bleiben".

Quelle: Homepage der EKD/Homepage des ÖRK

Die Gemeinschaft feiern - 60 Jahre ÖRK

Gratulation des Auslandsbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Martin Schindehütte

Auf der Homepage des ÖRK ab demnächst: Materialien für gemeinsame Andachten, Bibelarbeiten und Meditationen


Barbara Schenck
, Marga
(1915-2002)

Mit 60 Jahren entschied die Germanistin und Theologin Marga Bührig sich für die feministische Bewegung. Als in der Ökumene an oberster Spitze engagierte Theologin bereitete sie Frauen den Weg, öffentlich ihre Erfahrungen in Kirche und Gesellschaft zu Wort zu bringen.
, Willem Adolf
(1900-1985)

Der Theologe aus der Reformierten Kirche in den Niederlanden war von 1948 bis 1966 der erste Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK).
Eine Würdigung des Ökumenischen Rats der Kirchen vom Vorsitzenden der ACK Deutschland, Landesbischof Friedrich Weber

Der kritischen Anfrage, ob der ÖRK heutzutage noch relevant sei, entgegnet Landesbischof Weber, ihm müsse eine „präzise Rolle im Miteinander weltweiter ökumenischer Organisationen zugewiesen werden“. Dabei sollte der ÖRK die konfessionellen Verschiedenheiten zum Strahlen bringen.