Reformation anders

Eine Besprechung von Jürgen Kaiser


Tilman Hachfeld hat zur rechten Zeit ein kleines Buch über Zwingli geschrieben.

Man kann es nicht leugnen: Die Reformationsdekade war weitestgehend eine Luther-Dekade. Zwar gab es 2009 ein Calvin-Jahr, doch am Ende zielte alles auf Luther und Wittenberg. Die Schweizer Reformatoren haben in ihrem Umfeld die Reformation jedoch gründlicher und weiter gedacht als Martin Luther. Was zunächst in Zürich und später in Genf verwirklicht worden ist, bahnt deutlichere Wege in die Neuzeit als alles, was unter Luthers Einfluss zustande kam. Dabei steht leider der Erste - Zwingli - immer noch im Schatten des späteren Calvin.

Ihn da rauszuholen ist das Anliegen von Tilman Hachfeld. In seiner Laufbahn als Pfarrer an verschiedenen Orten der Schweiz und Deutschlands – zuletzt in der Berliner Hugenottengemeinde - hat er in Aufsätzen und Vorträgen immer wieder auf Huldrych Zwingli und seine Reformation in Zürich aufmerksam gemacht. Ältere Publikationen sind nun in überarbeiteter und ergänzter Form als kleines Buch erschienen, das Leben, Werk und Denken Zwinglis zusammenfasst. Der Hauptteil des Buches beschreibt Zwinglis reformatorisches Handeln an einzelnen thematischen Kapiteln, die im Ganzen einem chronologischen Aufriss folgen. In einem kleineren zweiten Teil fasst Hachfeld noch einmal die wichtigsten Themenfelder von Zwinglis Theologie zusammen.

Hachfeld schreibt verständlich und kann Wesentliches auf den Punkt bringen. Vor allem aber arbeitet er den unauflöslichen Zusammenhang von theologischem und politischem Wirken bei Zwingli heraus. So zeigt eine der wenigen erhaltenen Nachschriften von Zwinglis Predigten „einen wesentlichen Charakterzug der Zürcher Reformation: Es geht ihr um einen heute und mit den heutigen Fragen gelebten Gottesdienst in Tat und Gebet, der in allen, besonders auch den politischen Bereichen klare Entscheidungen fordert und zu verwirklichen sucht.“ (S. 41)

Im erst für diese Publikation verfassten Abschnitt „Zwinglis Verhältnis zum Judentum“ behauptet Hachfeld, dass für den Züricher Reformator der Bund Gottes mit den Nachkommen Abrahams auch nach Christi Erscheinen ungebrochen bestehen bleibe (S. 46). Dies ist schwer in Einklang zu bringen mit den Untersuchungen Achim Detmers, der auch Zwingli den damals geläufigen theologischen Antijudaismus bescheinigt, wonach die Juden zurecht verworfen und verdammt seien, weil sie Christus verkannt und ans Kreuz ausgeliefert hätten. (zu Detmers Ausführungen siehe reformiert-info.de)

Am treusten sieht Hachfeld Zwinglis Erbe in den religiösen Sozialisten um Leonhard Ragaz (1868-1945) aufgehoben. Es ist vor allem die prophetische Wahrnehmung der politischen und sozialen Geschichte als Bühne göttlichen Handelns, die die beiden Eidgenossen - Zwingli und Ragaz - verbindet. Zwingli sah in seiner Zeit die göttliche Gerechtigkeit durch das Gotteswort mehr am Werk als in vergangenen Jahrhunderten. Hachfeld scheint sich dieser heilsgechichtlichen Bewertung des reformatorischen Wirkens Huldrych Zwinglis anschließen zu wollen, wenn er bemerkt: „In der Persönlichkeit des Reformators Zwingli allein kann sie [die innere Triebkraft dieser Bewegung] nicht liegen, auch nicht im Zusammenwirken dieser Persönlichkeit mit vielen besonderen Zeitumständen und Erwartungen [...]. Das äußerliche Werk dieser Reformation war so nur möglich, weil sie in ihrem Kern eine Erweckungsbewegung war. Die heilsgeschichtliche Antwort, die die Geschichtswissenschaft nicht geben kann, ist unumgänglich.“ (S. 77)

Tilman Hachfeld hat rechtzeitig zum großen Reformationsjubiläum einen Beitrag geleistet, der einen immer wieder - auch bei diesem Jubiläum - sich abzeichnenden Irrtum korrigiert: Als sei die Reformation ausschließlich ein Werk Martin Luthers. Es gab auch gute und nachhaltige Reformationen ganz ohne Luther.

Das Buch ist zum Preis von 7 € im Buchhandel oder beim Verlag (www.bod.de) erhältlich. Von Tilman Hachfeld gibt es dort auch einen Band mit Psalmpredigten zum Preis von 12 €.

Tilman Hachfeld
Reformation anders
Huldrych Zwingli und die Zürcher Reformation
Verlag: Books on Demand
Paperback, 96 Seiten
ISBN-13: 978-3-7448-2069-1


Jürgen Kaiser

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