Calvin und die adeligen Frauen im französischen Protestantismus III

Von Rosine Lambin, München

1. Die Politik und die Methode Calvins
A. Die Überzeugung Calvins
B. Die Strategie Calvins
2. Die Unabhängigkeit der Frauen
A. Die Freiheit am Hof der Frauen
B. Theologische Argumente gegen Calvin

2. Die Unabhängigkeit der Frauen

A. Die Freiheit am Hof der Frauen

Calvin konnte aber nicht durchsetzen, daß alle Frauen, die eine Sympathie für die Reformation gezeigt hatten, seine Reform konsequent durchführten: Weder Marguerite d’Angoulême, Renée de France, noch Marguerite de France schworen dem Katholizismus ab. Sogar Jeanne d’Albret brauchte lange, um sich offiziell[1] für die Reformation auszusprechen[2]. Keine dieser Frauen ordnete sich, aus politischen Gründen oder aus Überzeugung, der religiösen Unnachgiebigkeit unter. Da Marguerite d’Angoulême offen für eine Auseinandersetzung mit Menschen aller Gesinnungen war, nahm sie zwei Mystiker und Freidenker, die Herren Pocque und Quintin, gegen 1543 an ihrem Hof auf. Diese vertraten die Meinung, daß man die katholischen Riten äußerlich ausüben und gleichzeitig seine eigenen theologischen Überzeugungen behalten könnte. Calvin veröffentlichte eine bissige Spottschrift gegen die zwei Mystiker und ihre Anhänger, die er als gefährliche Sekte bezeichnete[3]. Marguerite d’Angoulême war von der Kompromißlosigkeit Calvins erschüttert. Sie fühlte sich persönlich angegriffen, weil er Leute ihres Hofes „Libertins“ nannte und beleidigte. Sie ließ Calvin wissen, daß sie seine Schrift ärgerlich fand. Statt sich nun streng zu zeigen, versuchte Calvin im Gegenteil, ihre Freundschaft zu erhalten. Sein Brief vom 28. April 1545 ist ein ausschlaggebendes historisches Zeugnis für die Verdienste der Prinzessin zugunsten der reformierten Religion in Frankreich[4]. Calvin blieb dabei, daß eine Gefahr von solchen Sekten ausging, versicherte aber Marguerite, daß er sie nicht in seiner Kritik miteinbezogen hatte. Er bat sie darum Verständnis für seine Verteidigung der Wahrheit zu zeigen; machte ihr klar, daß Gott sein Herr war und nicht die Machthaber dieser Welt. Er betonte aber, daß er nicht der Grund dafür sein wollte, daß sie eventuell ihre Hilfe den Protestanten in Frankreich versagen würde. Marguerite hielt die Meinungsfreiheit an ihrem Hof für deutlich wichtiger als die Doktrin Calvins, der jedoch immer noch auf die Königin angewiesen war, um den Schutz der Protestanten in Frankreich zu gewährleisten (chercher la référence)[5]. Er konnte daher nicht völlig auf die Hilfe der Königin verzichten. Sie hatte 1545 zwar wenig Einfluß in Frankreich, aber wenigstens in Béarn eine gewisse Macht. Calvin erkannte auch an, daß Marguerite seiner reformierten Kirche in Frankreich mutig gedient und die Kirche teilweise sogar gerettet hatte.

Auch Renée de France stritt sich mit Calvin. Sie befand sich in einer schwierigeren Lage als ihre Cousine, weil Teile ihrer Familie entweder Vasallen des Papstes waren oder an der Spitze der katholischen Partei in Frankreich standen. Nach dem Tod ihres Ehemannes Ercole von Este (1508-1559) im Jahre 1559 wurde Renée vor die Wahl gestellt, entweder die katholischen Riten mitzuvollziehen oder Ferrara zu verlassen. Im Laufe des Konzils von Trient (1545-1563) wurde die Reformation in Ferrara, Modena und dem Rest Italiens ausgerottet. Es war dem Sohn Renées, Alfonso II. (+ 1597), nicht mehr möglich einer Prinzessin zu erlauben, in der Öffentlichkeit ein häretisches Leben in einem päpstlichen Vasallenstaat zu führen. Calvin sprach sich aber gegen die Rückkehr Renées nach Frankreich aus[6]. Seine Gründe waren, daß Renée die letzte Hoffnung für die Reformation in Italien war, daß, wenn Renée nach Frankreich zurückkehren würde, ihre Verwandten Guise ihren Namen gegen die Protestanten benutzen könnten, und letzlich, daß Renées protestantische Überzeugung nicht fest genug war. Renée kehrte trotzdem nach Frankreich zurück. Ab 1561 war François Morel für die Gemeinde von Montargis in Renées Gebiet verantwortlich. Renée wollte ihr Herrschaftsgebiet ohne Gewalt reformieren und jagte daher keine Katholiken aus dem Land. Morel durfte aus diplomatischen Gründen in seiner Predigt nicht den Papst und die Bilder beleidigen[7]. Er versuchte trotzdem, die Genfer Ordnung in Renées Gebiet einzuführen[8] und stritt sich mit der katholischen Bevölkerung über die Messe. Daß Calvin sich bei René für Morels Eifer entschuldigte, deutet an, daß Renée darüber vermutlich eine harsche Diskussion mit Morel hatte[9].

Ab 1562 engagierte sich Renée deutlicher für die protestantische Bewegung, behielt aber eine gute Beziehung mit Katharina von Medici bei und behandelte die Katholiken in ihrem Territorium schonend. Sie hatte wahrscheinlich nie die Absicht gehabt, die Genfer Ordnung in ihrem Gebiet zu etablieren. Calvin gibt selbst Hinweise für diese Hypothese[10]. Als er sie in einem Brief vom 8. Januar 1564 ermutigte, ihre Reform weiterzuführen, schrieb er auch, daß er sicher sei, daß Renée dem Pastor Morel ihre volle Unterstützung gab, der solch eine Ordnung in ihrem Gebiet organisieren wollte. Aber Calvin wußte auch, daß die Höfe der Prinzen zur Korruption neigten. Deswegen dachte er, daß es nicht überflüssig wäre, Renée wieder zu ermahnen, diese Ordnung zu erhalten. Er redete ihr auch zu, die Leute, die sie entmutigen wollten, wie die Pest zu meiden, und nichts von der Ordnung der [reformierten] Kirche zu verändern. Sie sollte auch nicht versuchen, ihre Dienstleute mit Hilfe ihrer Autorität vor der Sittenzucht der Kirche zu beschützen. Calvins Mahnungen unterstreichen Renées Zögern. Die Prinzessin blieb unentschieden.

B. Theologische Argumente gegen Calvin

Nach dem Tod ihres Schwiegersohns François de Guise 1563 proklamierten einige protestantische Prediger, daß er in der Hölle gelandet wäre: Renée fand diese Behauptung verletzend und protestierte bei Calvin dagegen. Sie sprach sich auch vehement gegen die Plünderung katholischer Geschäfte aus[11]. Der duc de Guise kam an die Macht in Frankreich, als sein angeheirateter Neffe, Franz II. (1544‑1560), König wurde[12]. Er führte eine gnadenlose Repressionspolitik gegen die Protestanten, sogar gegen seine eigene Schwiegermutter Renée de France. Calvin reagierte auf den Tod von Guise ambivalent[13]. Die Kontroverse zwischen Renée und Calvin ging um die christliche Liebe versus den Haß gegen die Feinde Gottes. Während Calvin betonte, daß David uns lehrt, die Feinde Gottes zu hassen (Psalm 139/19-22), argumentierte Renée, daß das Gesetz in Davids Zeit herrschte, was ihm erlaubte, seine Feinde zu hassen. Calvin erklärte dann Renée, daß David nur soweit es möglich war, barmherzig mit seinen Feinden war. Er betonte, daß man vorsichtig sein muß, die Grenzen seiner Berufung nicht zu überschreiten. Er meinte damit, daß Renée ihre theologischen Bemerkungen lieber für sich behalten sollte. Da David mehrere Male in der Bibel als Figur Christi bezeichnet wird, kann auch kein Mensch versuchen, besser als David zu sein. Ohne es direkt zu sagen, verurteilte Calvin die Arroganz der Prinzessin, die mehr Gnade für die Feinde der reformierten Kirche zeigte, als David selbst gezeigt hätte. Die Ambivalenz Calvins zeigte sich aber im zweiten Teil der schriftlichen Diskussion: Er verurteilte die Prediger nicht, die „das Böse“ in François de Guise sahen, aber versuchte auch Renée gegenüber gemäßigt zu sein: Er gab zu, daß die protestantische Kirche eine Kirche der Liebe und der Vergebung ist, die für die Versöhnung zwischen den Christen eintritt. Calvin betonte, daß Guise „das Feuer entzündete“ und, daß die reformierte Kirche gute Gründe hatte, ihn tot sehen zu wollen[14]. Er fügte aber hinzu, daß man zu weit gehen würde, Guise für verdammt zu erklären, weil Gott schließlich der einzige Richter aller Menschen sei. Die wahre Kirche Christi sollte aber nicht alle als Mitglied der Kirche anerkennen und sollte das Böse ablehnen. Calvin stimmte Renée schließlich zu, was die Plünderung der katholischen Geschäfte betraf. Renée antwortete Calvin am 21. März 1563[15]. Dieser Brief Renées an Calvin ist uns eine große Hilfe, um Renées Standpunkt zu dem Fall und auch ihre religiösen Überzeugungen besser zu verstehen[16]. Sie führte ihre Kontroverse mit Calvin mit Hilfe von theologischen Argumenten weiter. Sie verstand die christliche Religion als eine Religion der Liebe und die christliche Liebe als Mittel, das Gute in ihren eigenen Gegnern, die sie verfolgten, zu entdecken. Deswegen unterstrich Renée die Tugend und die Ehre ihres Schwiegersohnes, obwohl er Leid und Gewalt in ihr eigenes Gebiet gebracht hatte. Über die Roheit des François de Guise sprach Renée in ihrem Brief weniger als von dem Eifer der Kalvinisten in ihrem Gebiet von Montargis. Diesen Eifer hatte sie im übrigen nur mit größtem Widerwillen geduldet. Auf Calvins biblische Argumente antwortete sie:

„Herr Calvin, einer der Geistlichen reizte mich zu einem teuflischen Haß, den Gott nicht befahl. Ich werde nicht leugnen, daß David sagt, daß wir die Feinde Gottes mit einem tödlichen Haß hassen müssen [Psalmen 139:19-22] und wenn ich wüßte, daß der König, mein Vater, und die Königin, meine Mutter, mein verstorbener Gemahl und alle meine Kinder von Gott verdammt wären, würde ich sie alle mit einem tödlichen Haß hassen und sie in die Hölle wünschen. Ich würde dem Willen Gottes ganz Folge leisten, wenn er mir diese Gnade erweisen würde [...]. Ich weiß, daß mein Schwiegersohn Menschen verfolgt hat, aber ich sage Ihnen in aller Freiheit, daß ich nicht weiß, ob er von Gott verdammt ist, weil er Zeichen der Reue erkennen ließ, bevor er starb. Diejenigen, die sich für die Führer der Protestanten, also für den König von Navarra [Henri] und den Prinzen von Condé, eher David anstatt Christus als Vorbild wünschen, pervertieren die Wahrheit mit ihren unverschämten Lügen. [...] Ich bitte Sie, Herr Calvin, zu Gott zu beten, er möge Ihnen die Wahrheit zeigen. Wenn es zum Gebet kommt, habe ich von meinen Geistlichen oder jemand anderem niemals verlangt, daß sie für mich beten. Ich habe ihnen freigestellt, zu beten, wie sie es mit ihrer Gewissensfreiheit vereinbaren konnten“ [17].

Die Strategie Calvins erreichte also ihr Ziel nur bis zu einem gewissen Punkt, von dem an manche Frauen nicht mehr mitspielten. Die Frauen des Adels wollten wahrscheinlich ihren neuen Handlungsspielraum nutzen, um ihre eigenen Regierungspläne zu verwirklichen. Sie wußten auch, mit welcher politischen und sozialen Lage sie zu tun hatten. Charakteristisch für die Frauen der Periode vor dem ersten Religionskrieg war ihr Verständnis der Religion als einer eher innerlichen Angelegenheit. Sie waren zwar für eine Reform der katholischen Kirche, aber wollten nicht völlig mit ihr brechen. Marguerite d’Angoulême, die während dieser Periode lebte, blieb deutlich eine katholische Humanistin. Émile Léonard schreibt mit Recht, daß die Königin eine „lutherische Seele, [einen] humanistischen Geist, [eine] katholische Sensibilität“ hatte[18]. Sie war eine Brücke, die die höchste Autorität der katholischen Kirche, die höchsten Autoritäten der evangelischen Bewegung und die bekanntesten Humanisten ihrer Zeit miteinander verband. Obwohl Renée de France und Marguerite de France von der zweiten Periode an zur reformierten Religion neigten, entschieden sie sich für einen eigenen Glauben, der ihnen die Freiheit ließ, von den Parteien unabhängig zu bleiben. Renées gemäßigtes Verhalten auch während der Periode nach dem Konzil, ist ganz besonders anerkennenswert. In einer Zeit, in der Krieg herrschte, war es besonders mutig, Verfolgte beider Religionen aufzunehmen und sich immer noch für eine Versöhnung zwischen den Religionen auszusprechen, obwohl jede Seite eine Entscheidung von ihr verlangte. Besonders die Frauen der königlichen Familie aber auch die Frauen des niedrigeren Adels hielten ihre religiöse Unabhängigkeit für ein Privileg ihrer Stellung. Andererseits wollten sie nicht mit der Krone, also zum Teil ihrem eigenen Blut, brechen. Sie unterstützten die Reformation, haben aber nie die Dogmatik als oberste Priorität betrachtet. Renée de France hatte wie Calvin und Beza gehofft, daß Katharina von Medici sich für die Reformation entscheiden würde (1560-1562). Am Hof von Orléans hatte Renée den Botschafter Englands[19] kontaktiert mit der Hoffnung, daß die Königin Elisabeth Druck auf Katharina von Medici in diese Richtung ausüben könnte[20]. Aber als Renée merkte, daß ihre Hoffnung keinen Sinn hatte, rebellierte sie nicht gegen den königlichen Willen. Wie Marguerite d’Angoulême blieb Renée dem König und der Nachkommenschaft der Valois treu. Trotz ihrer Beziehung mit Calvin ergriff sie nie die Partei Condés. Ihr Wissen um ihre Stellung in der feudalistischen Gesellschaft ermöglichte auf einer Seite diesen Frauen religiös offen und frei zu wirken, auf der anderen Seite verbot gerade dies vielen von ihnen, sich in der Öffentlichkeit für die Reformation zu bekennen. Außer in dem Fall von Jeanne d’Albret und ihrer Tochter Catherine de Bourbon bekannten sich nur Frauen aus den niedrigeren Adelsständen ganz zur Reformation und nur wenige von ihnen folgten genau den Anweisungen Calvins. Die Frauen sind deutlich eine Basis für die Verbreitung der Reformation in Frankreich gewesen. Gleichzeitig mäßigten sie den Radikalismus der Missionsarbeit mancher kalvinistischen Pastoren. Aber gerade das machte die Entwicklung der Reformation in Frankreich lebendig und menschlich.

Rosine Lambin, Dr. phil., Evangelisches Bildungswerk München e.V.

Zitierempfehlung:
Rosine Lambin, Calvin und die adeligen Frauen im französischen Protestantismus, online Version Juli 2008, URL: http://www.reformiert-info.de/side.php?news_id=2304&part_id=0&navi=16

Gedruckte Veröffentlichung in: Klueting, Harm & Rohls, Jan (Hg.): Reformierte Retrospektiven, Vorträge der zweiten Emder Tagung zur Geschichte des reformierten Protestantismus, Band 4, Foedus-verlag, Wuppertal, 2001, ISBN 3-932735-51-X.


[1] Am 24. Dez. 1560 in Pau schwor sie der römischen Religion ab, las ihr Glaubensbekenntnis laut und nahm das protestantische Abendmahl, danach schickte sie einen Bekenntnisbrief zum König Charles IX. Vorher hatte sie eine « private » Religion in ihren Gemächern ausgeübt, in denen sie protestantische Geistliche predigen ließ.

[2] Bordenave, S. 108.

[3] Jean Calvin. Contre la secte phantastique et furieuse des libertins qui se nomment spirituelz, 1545. In: Opera Calvini, Bd. 7, S. 145-252.

[4] Calvin, Bd. 1, A la reine de Navarre, 28. Apr. 1545, S. 111-117.

[5] Abel Le Franc. Les idées religieuses de Marguerite de Navarre d’après son œuvre poétique. In: BSHPF XLVI (1897), S. 7-30, 72-84, 137-148, 295-311, 418-442, hier S. 131; Jourda, (995) S. 222.

[6] Calvin, Bd. 2, A la duchesse de Ferrare, 5. Juli 1560, S. 339.

[7] Opera Calvini, Bd. 18, S. 590; Rodocanachi, S. 336; Gil, S. 190.

[8] Opera Calvini, Bd. 18, S. 642; Rodocanachi, S. 346; Gil, S. 190.

[9] Rodocanachi, S. 396.

[10] Calvin, Bd. 2, 8 Jan. 1564, S. 547.

[11] Renées Beschwerden und Argumente werden ausschließlich durch Calvins Brief bekannt: Calvin, Bd. 2, 24 Jan. 1564, S. 553-557.

[12] Claude de Lorraine, 1. duc de Guise (1496-1550) war der Vater von Charles de Guise, cardinal de Lorraine, von François I. de Lorraine (1519-1563), 2. duc de Guise, Vater von Henri I., 3. duc de Guise, Chef der Liga, und von Marie de Guise und de Lorraine (1515-1560), Königin Schottlands, Mutter der Marie I. Stuart (1542-1587).

[13] Calvin, Bd. 2, 24 Jan. 1564, S. 553-557.

[14] Calvin, Bd. 2, S. 553

[15] Renées Antwort vom 21. März 1563 auf dem Brief Calvins vom 24. Jan. findet man in Théodore de Bèze. Histoire en brief de la vie et mort de Calvin. Bd. 5. o.O. Juli 1564, S. 404.

[16] Alle andere Briefe Renées an Calvin wurden zerstört.

[17] Bèze, S. 402. Übersetzt von Rosine Lambin.

[18] Léonard, S. 202.

[19] Sir Nicolas Throckmorton, Botschafter der Königin Elisabeth I.

[20] Calendar of State Papers, 1561.


©Dr. Rosine Lambin, München