Frau Weisheit

Predigt zu Sprüche Salomonis 8, 1-5; 12-33


Allegorie von Weisheit und Stärke, 1576 - Paolo Veronese (Ausschnitt) © Wikimedia / ArtUK

"Die Weisheit beteiligt sich nicht an Hetzkampagnen, wenn eine Bischöfin eine Straftat begangen hat, aber die Weisheit ist stark genug, den Rücktritt zu raten, wenn Bleiben belastend für alle geworden wäre."

1 Ruft nicht die Weisheit,
und erhebt nicht die Einsicht ihre Stimme?
2 Oben auf den Höhen, am Weg,
wo die Strassen sich kreuzen, steht sie.
3 Bei den Pforten, am Zugang zur Stadt,
am Eingang der Tore ruft sie:
4 Euch, Männer, rufe ich,
und an die Menschen richtet sich meine Rede.
5 Werdet klug, ihr Einfältigen,
und ihr Dummen, werdet verständig!

12 Ich, die Weisheit, wohne bei der Klugheit
und finde umsichtiges Wissen.
22 Der HERR hat mich geschaffen am Anfang seines Wegs,
vor seinen anderen Werken, vor aller Zeit.
23 In fernster Zeit wurde ich gebildet,
am Anfang, in den Urzeiten der Erde.
24 Als es noch keine Fluten gab, wurde ich geboren,
als es noch keine wasserreichen Quellen gab.
25 Bevor die Berge eingesenkt wurden,
vor den Hügeln wurde ich geboren,
26 als er die Erde noch nicht geschaffen hatte und die Fluren
und die ersten Schollen des Erdkreises.
27 Als er den Himmel befestigte, war ich dabei,
als er den Horizont festsetzte über der Flut,
28 als er die Wolken droben befestigte,
als die Quellen der Flut mächtig waren,
29 als er dem Meer seine Grenze setzte,
und die Wasser seinen Befehl nicht übertraten,
als er die Grundfesten der Erde festsetzte,
30 da stand ich als Werkmeisterin ihm zur Seite
und war seine Freude Tag für Tag,
spielte vor ihm allezeit.
31 Ich spielte auf seinem Erdkreis
und hatte meine Freude an den Menschen.
32 So hört nun auf mich, ihr Söhne!
Wohl denen, die auf meinen Wegen bleiben.
33 Hört auf die Unterweisung und werdet weise,
und schlagt sie nicht in den Wind.

Sprüche Salomonis 8, 1-5; 12-33

Liebe Gemeinde,

unter allen irdischen Gütern gehört die Weisheit zu den erstrebenswertesten. Die Weisheit ist der Klugheit benachbart, sagt der weise Salomo. Sie ist nicht die Klugheit. Weisheit ist mehr als die Fähigkeit des Verstandes, Dinge wahrzunehmen und sie zu beurteilen.  Weisheit betrifft das ganze Leben. Sie betrifft Herz und Verstand, Klugheit und Lebenserfahrung. Sie steht in der langen Reihe der Generationen. Sie schöpft aus den Quellen der alten Schriften und aus gegenwärtiger Erfahrung. Sie ist alt und aktuell.

Die Weisheit lässt sich nicht durch den äußeren Schein täuschen. Die Weisheit sieht hinter die Dinge. Sie sieht den Dingen auf den Grund. Wer nach Weisheit strebt, dessen Leben wird gut. Weisheit lehrt zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden. Weisheit fällt nicht auf die Tagesparolen herein, die die Schlagzeilen für einen Tag, vielleicht auch für zwei bestimmen und dann wieder vergessen sind. Die Weisheit fragt nach dem, was bleibt, nach dem Grund, der gelegt ist, und der unverrückbar fest steht. Mode ändert sich. Heute trägt man die und morgen jene Textilien.

Heute liest man diese Bücher und lässt sich von jenen Filmen in den Bann schlagen. Die Weisheit hält auf Abstand. Sie lässt den Dingen, den Bewegungen die ihnen zukommende Würde, aber mehr eben auch nicht. Der Jubel der Massen ist ihr ebenso fremd wie die tiefe Depression. Die Politik redet heute so und morgen so, und das ist in gewisser Weise auch ihr Ding, zeitgenössisch und auf der Höhe der Diskussion zu bleiben. Die Weisheit sucht nach dem, was das gestern mit dem heute und dem morgen verbindet. Sie fragt nach dem Bleibenden im Flug der Zeiten. Sie Fragt nach Gerechtigkeit inmitten einer Welt der Ungerechtigkeit, und sie fragt nach der Wahrheit in Zeiten der schnellen Lüge. Die Weisheit beteiligt sich nicht an Hetzkampagnen, wenn eine Bischöfin eine Straftat begangen hat, aber die Weisheit ist stark genug, den Rücktritt zu raten, wenn Bleiben belastend für alle geworden wäre.

Der Feind der Weisheit ist die Dummheit – besser noch die Torheit. Nicht einfach nur die Abwesenheit von Klugheit, die eingeschränkten Fähigkeiten, die Dinge entsprechend wahrzunehmen und sie zu beurteilen. Torheit ist mehr. Torheit ist der Versuch, die Dinge besser machen zu wollen, als Gott sie geordnet hat. Torheit setzt ausschließlich auf das Offensichtliche. Sie ist Leben ohne Gott. Torheit ist es, auf militärische Macht zu setzen und nicht darauf, den Frieden und die Verständigung zu suchen. Torheit ist, sich selbst für den Mittelpunkt der Welt zu halten und keine anderen Götter neben mir zu dulden. Der Tor hat keine Zukunft. Er verspielt seine Zukunft in der Gegenwart. Der Tor setzt nur auf schnellen Erfolg. Der Tor geht in seinem Weg über Leichen. Die anderen kümmern ihn nicht. Und Gott kümmert ihn schon gar nicht.

Mensch, du hast die Wahl, sagt das Sprüchebuch das man dem weisen König Salomo zugeschrieben hat. Entscheide dich, ob du den Weg der Torheit gehen willst, oder ob du der Weisheit folgst. Entscheide dich für den Weg, der zum Leben führt oder für den Todesweg. Entscheide dich für das gute Leben, das sinnvolle Leben, das im Einklang mit Gott ist und seiner Schöpfung.

Das wäre schon bedenkenswert, sich für das gute Leben entscheiden. Für das nachhaltige Leben, wie man heute sagen wird. Nicht leben auf Teufel komm heraus auf Kosten anderer und auf Kosten der Zukunft, leben im Einklang mit der Natur – das geht schon gar nicht mehr – aber doch so leben, dass die Schöpfung nicht über die Maßen verletzt und  geschädigt wird. Dazu braucht es die Weisheit, die lehrt, mich einzuschränken, in größeren Zusammenhängen zu denken, kritisch mit mir selbst und mit meiner Lebensweise umzugehen. Unzählige Ratgeber gibt es zu kaufen und zu lesen, die alle solch Gutes Leben versprechen. Menschliche Weisheit aus der Bibel, aber auch aus den anderen Religionen der Welt kann  helfen, dass wir uns selbst nicht verlieren, sondern uns als Geschöpfe Gottes in der Welt wieder finden.

Die Weisheit ist eine Frau. So ist sie im Sprüchebuch Salomos geschildert. Eine Frau, die von Anfang an mit dabei war. Die Erstgeschaffene der Schöpfung. Die Zeugin bei Gottes Schöpfungswerk. Erschaffen vor allen Menschen und allen Tieren. Die Weisheit, nicht als Mensch, aber als Person gedacht, als eine Urkraft, die die Welt von Anfang an durchzieht. Sie war dabei als Gott Himmel und Erde schuf, als er die Berge gründete, als er die Quellen sprudeln ließ. Sie war dabei. Frau Weisheit spielte auf dem Erdkreis zur Freude Gottes und zu ihrer eigenen Freude.

Als die Schöpfung noch war, wie sie gemeint war, unversehrt und  unverbraucht. Als keine Schuld der Menschen den Himmel verdunkelte und kein Leid die Ordnung der Welt in Frage stellte. Die Weisheit ist eine Frau. Das ist bemerkenswert. Man hat vermutet, dass hier in der Weisheitsliteratur Israels ägyptische Einflüsse sichtbar werden. Bei den Ägyptern galt die Weisheit als Göttin, die Maat, die Göttin des Sonnengottes Re. Weisheit hatte dort göttlichen Rang, wurde von Priestern an den Tempeln gepflegt und ihre Weisheit wurde in Schulen der Tempelpriester weitergegeben.

Die Bibel unterscheidet sich von dieser Göttervorstellung. Die Weisheit mag das erste aller Geschöpfe Gottes sein, aber sie ist keine Gottheit. Sie gehört zur Schöpfung, wie Tiere und Menschen  und auch Engel zur Schöpfung gehören. Die Weisheit hat keine eigene Lebenskraft, keine Würde, die sie außerhalb des  von Gott geschaffenen Bereiches stellen würde. Weisheit ist und bleibt eine Größe dieser Welt. Sie hilft die Welt zu Ordnen. Weisheit äußert sich in Sprichwörtern und Sinnsprüchen. So wird sie weitergegeben und überliefert, auch wenn nicht jeder Sinnspruch und jedes Sprichwort unbedingt ein Ausdruck von Weisheit sein muss. Man braucht Weisheit, um zwischen weisen und törichten Sprichwörtern zu unterscheiden. Und man braucht, so denkt es jedenfalls das Sprüchebuch des weisen Königs Salomo die Furcht Gottes, um weise zu sein. „Die Furcht Gottes ist der Anfang der Weisheit“ heißt es zu Beginn dieses Buches.

Menschen, die Gott erfahren haben in ihrem Leben und im Leben ihres Volkes, die nutzen die menschliche Weisheit, um ihre Welt zu ordnen, um die Zusammenhänge zu verstehen. Kain Zufall, dass die Weisheit als Frau beschrieben wird, die nicht nur mit dem Verstand denkt, sondern auch mit dem Herzen, die das Leben im Zusammenhang begreift und nicht nur danach fragt, wie es funktioniert. Frau Weisheit geht auch spielerisch mit der Welt um. Sie richtet nicht alle Dinge auf ein technisches Ziel aus. Ihre Welt ist auch die Welt der Erzählungen und Gedichte, nicht nur die digitale Welt der Ja-Nein-Informationen. Eine männlich geprägte Welt braucht die weibliche Stimme der Weisheit.

Die Weisheit hat in der Kirche ihre Geschichte gehabt. In der römisch katholischen Theologie hat man die alttestamentliche Gestalt der Weisheit auf Maria, die Himmelskönigin und Mutter der Weisheit gedeutet und hat auf diese Weise die Mutter Jesu in einer männlich bestimmten Theologie und Kirche groß gemacht. Ob man damit der Weisheit, wie König Salomo sie beschreibt, alle Ehre antut? Oder ob man Maria, das jüdischen Mädchen, das sich ganz dem Willen Gottes ergeben hat, wirklich gerecht wird? Man tut gut daran, die Texte erst einmal so zu lesen, wie sie geschrieben und wie sie gemeint sind. Und die theologische Bedeutung der alttestamentlichen Weisheit liegt wohl darin, dass man in einer Zeit, in der Israel zum Staat geworden war, nicht mehr in erster Linie nach den Geschichten von der Führung und Befreiung Israels erzählte, sondern auch danach fragte, wie denn jetzt im Land der Verheißung das Leben zu gestalten und einzurichten sei. Es gab die Gebote Gottes, und es gab die vielen Traditionen menschlicher Weisheit, auch aus den Nachbarländern, aus Ägypten und Babylon. Konnte man das zusammenbringen? Hatte die Weisheit auch einen Platz in den Geschichten von Gottes Offenbarung?

Salomo und die, die die Sprüche und Sprichwörter gesammelt haben, haben die Frage mit Ja beantwortet. Über die Gebote Gottes hinaus ist die Weisheit, die Einsicht in den Lauf der Welt eine Hilfe zur Lebensgestaltung. Vieles sind Naturbeobachtungen. Manche sind ganz einfach: Dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen – jedes Kind weiß das. Aber wie schwierig ist es, zu lernen, was das heißt, dass Wachstum nicht unbegrenzt ist, dass alles auf der Welt seine Grenze hat und dass klug ist, wer nicht gegen diese Grenzen anrennt, sondern wer sie respektiert. Diese weise Einsicht kann einen veränderten Umgang mit Gottes Schöpfung bewirken.

Frau Weisheit hat uns etwas zu sagen. Und wir haben allen Grund, bei Frau Weisheit in die Schule zu gehen. Überall ist ihre Stimme zu hören. Die Bibel erwähnten wir schon, auch die anderen Religionen, die durchaus Wichtiges zur menschlichen Weisheit beizutragen haben. Aber auch manches, was uns Zeitgenossinnen und Zeitgenossen sagen, ist weise  und verdient behalten zu werden. Manches, was Kinder sagen, kann in seiner Weisheit Erwachsene zum Nachdenken bringen.

Und natürlich ist auch Jesus ein Weisheitslehrer gewesen. Wie er den Willen Gottes in seiner Person gelebt hat und mit seinem Leben dafür eingestanden ist, so hat er seine Jünger auch Weisheit gelehrt: „Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. (Mt.5,45)“. Ein Weisheitswort, das bedeutet: In der Schöpfung werden die Guten nicht bevorzugt und die Bösen nicht bestraft. Gottes Gnade umgreift Böse und Gute. Beide leben auf einer Welt zusammen und müssen auf einer Welt zusammenleben. Eine tiefe Einsicht, die die eigene Person und auch die Welt in einem anderen Licht erscheinen lässt. Ein Tor, wer meint, er könne das Böse aus der Welt ausrotten!

Frau Weisheit durchzieht die Schöpfung Gottes, ganz in seiner Nähe, ganz vertraut mit den Dingen der Welt und mit ihren Verhältnissen. Die Menschen tun gut daran, auf ihre Stimme zu hören, sich ihre Belehrungen zu Herzen zu nehmen. Torheit gibt es genug auf der Welt, und Torheit – so Dietrich Bonhoeffer – ist noch schlimmer als die Bosheit, weil sie unbelehrbar ist. Die Weisheit macht uns zu gelehrigen Schülerinnen und Schülern. Wenn  wir ihr folgen, dann werden wir selber weise werden und als Christenmenschen für andere Hilfe und Orientierung sein können.

Amen

Gottesdienst am Sonntag, dem 28. Februar 2010 um 10.00 Uhr im Ev.-ref. Domgemeindehaus zu Halle – Sonntag Reminiscere


Pfr. Martin Filitz, Halle
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Die Esther-Erzählung ist eine Bewahrungsgeschichte. Gott liebt sein Volk. Er gibt es nicht auf. Und nur weil Gott seinem Volk Israel treu bleibt, können auch wir Christen auf seine Treue zählen.