Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1528–1572)
Jeanne d´Albret (1528–1572) war die bedeutendste Frau in der Geschichte der Hugenotten im 16. Jahrhundert. Besonders in ihrem Witwenstand, in den letzten zehn Jahren ihres Lebens, baute sie eine reformierte Kirche in Béarn auf und war das politische Oberhaupt der Hugenotten im dritten Religionskrieg (1568–1570). Nach 1570 versuchte sie, die Reformierten zu schützen und ihnen einen gesicherten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sie handelte für die Hugenotten den Friedensschluss von St. Germain 1570 aus, und durch die Heirat ihres Sohnes Heinrich (später Heinrich IV. von Frankreich) mit Margarete von Valois, Schwester des Königs Karl IX. von Frankreich, strebte sie eine enge Verbindung von Hugenotten und Katholiken an.
Keine andere Frau hatte eine solche Machtposition unter den Hugenotten in Frankreich inne. Sie war respektiert und gefürchtet in Rom und Madrid, alliiert mit Elizabeth von England und befreundet mit Katharina von Medici – keine unkomplizierte Freundschaft zwischen zwei starke Frauen.
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder – Heinrich und Katharina – im reformierten Glauben erzogen wurden. Jahrelang kämpfte Heinrich als Anführer der Hugenotten und von einer Machtbasis in Südfrankreich aus um die französische Krone, bis er 1589 König von Frankreich wurde und schließlich 1593 zum katholischen Glauben übertrat, um das Land zu befrieden.
Jeanne d´Albret war nicht nur Mutter ihres berühmten Sohnes, sie war auch selbst eine machtvolle Frau in Frankreich, da ihre Position als Anführerin der Hugenotten ihr einen Einfluss weit über die Grenzen ihres kleinen Königreiches zusicherte.
Jugend und Ehe (1528-1555)
Jeanne d´Albret wurde am 7. November 1528 auf dem Schloss Blois von Margarete und Heinrich II. von Navarra geboren. Ihre Mutter wusste angeblich, dass sie eine Tochter gebären würde, ihr sehnlichster Wunsch war freilich nach einem Sohn. Jeanne blieb das einzige Kind aus dieser Ehe, Margarete von Navarra gebar zwar kurz danach einen Sohn, der als Kleinkind starb, und alle übrigen Hoffnungen auf Schwangerschaften zerschlugen sich.
Die kleine Prinzessin konnte von ihrem Vater das Königreich Navarra erben, weil dort das salische Gesetz, das in Frankreich weibliche Thronerben verbot, nicht gültig war. Außerdem war das vicomté Béarn selbständig. Deswegen waren die zwei Großmächte Spanien und Frankreich zutiefst an diesen Grenzregionen interessiert. Frankreich wollte seine Südgrenze verteidigen, und Spanien beide Seiten der Pyrenäen besitzen, um in Frankreich einfallen zu können. Zudem war die väterliche Familie von Albret Großgrundbesitzer in Südwestfrankreich und damit Vasall des französischen Königs. Das frühere Aquitanien hatte mehrere hundert Jahre der englischen Krone gehört und war spät von England aufgegeben worden. Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet meistens als Guyenne bezeichnet.
In ihren jungen Jahren wuchs Jeanne in der Normandie auf. Ihre Mutter, Margarete von Navarra, hatte die Aufgabe, die königlichen Kinder ihres Bruders, Franz I., zu erziehen. Sie gab Jeanne in die Obhut ihrer Freundin Aymée de Lafayette, Vogtin von Caen. Man behauptet, sie sei die Vorlage für die Figur Longarine in Heptameron (vgl. Nielsen). Nach meiner Auffassung sind die Erzähler/innen im Heptameron, die sogenannten devisants, eher Typen als historische Persönlichkeiten, die Figur der Longarine ist allerdings eine sehr sympathische Frau mit Humor und Pfiff. Wenn Aymée de Lafayette die Vorlage zu Longarine abgegeben haben soll, deutet alles darauf hin, dass Margarete sie sehr schätzte und meinte, ihre Tochter sei bei ihr gut aufgehoben.
Jeanne wuchs in einem landadligen Milieu auf, umgeben von Wald, Wiesen und Tieren, mit den Mitgliedern der Familie von Aymée de Lafayette als Bezugspersonen, bis sie zehn Jahre alt war. Ihre Mutter sah sie selten, aber jedes Mal, wenn sie krank war, war Margarete sofort zur Stelle. 1538 ließ Franz I. sie nach Plessis-lez-Tours bei der Loire übersiedeln, da sie jetzt ein Alter erreicht hatte, wo sie auf dem Heiratsmarkt von Interesse war. Der König konnte über seine Verwandte entscheiden und Ehen arrangieren, wie es ihm passte.
1540 war es für Jeanne so weit. Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg hatte 1538 das Herzogtum Geldern geerbt. Sein Erbanspruch wurde von Kaiser Karl V. angefochten und auf dem Reichstag zu Regensburg wurde dem Kaiser Geldern zugeteilt. 1539 folgte Wilhelm seinem Vater auf dem Thron nach, und um sich vor den Ansprüchen des Kaisers zu schützen, arrangierte er eine Ehe mit Heinrich VIII. von England für seine Schwester Anna, und selbst verbündete er sich mit Franz I. Als Unterpfand für dieses Bündnis sollte er Jeanne d´Albret heiraten.
Was jetzt passierte, ist absolut ungewöhnlich: Jeanne weigerte sich. Die Zwölfjährige ließ ihrem Onkel wissen, dass sie den Herzog nicht heiraten möchte, und sie ließ zwei Schreiben aufsetzen, in welchen sie erklärte, dass sie gegen ihren Willen zu dieser Ehe gezwungen worden sei. Natürlich konnte sie sich nicht auf Dauer gegen den Willen des Königs auflehnen, aber bei der Hochzeitszeremonie am 14. Juni 1541 weigerte sie sich, zum Altar zu schreiten, stattdessen musste sie getragen werden. Ihr Jawort war nicht hörbar und wegen ihres Alters wurde die Ehe nicht vollzogen, der Herzog setzte nur symbolisch ein Bein in ihr Bett. Nach der Hochzeit kehrte er zurück nach Düsseldorf, während Jeanne vorläufig in Frankreich blieb.
1543 griff Kaiser Karl Kleve-Jülich-Berg an, der Herzog wurde geschlagen und musste Geldern Karl V. überlassen. Am Frieden von Venlo im September 1543 hob er das Bündnis mit Franz I. auf und verbündete sich stattdessen mit dem Kaiser. Damit war auch die französische Ehe hinfällig geworden, 1545 wurde sie vom Papst wegen Nichtvollzug annulliert, und der Herzog vermählte sich mit einer Nichte des Kaisers.
Nach kanonischem Recht durfte bei einer Eheschließung keine Zwang im Spiel sei. Die Eheleute mussten ihr Gelübde frei abgeben. Damals konnten junge Frauen aus adligen oder königlichen Familien sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern wurden als politische Garanten vermählt, und die meisten fanden sich damit ab, weil das ihr Standesbild entsprach. Jeannes Ablehnung, so wie ihre Kenntnis des kanonischen Rechts, ist erklärungsbedürftig.
Eine mögliche Erklärung ist, dass ihre Eltern für sie eine Ehe mit dem Kronprinzen Philipp von Spanien anstrebten. Königin von Spanien war natürlich prestigeträchtiger als Herzogin von Kleve zu sein, aber vor allem erhoffte sich ihr Vater damit den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. 1512 hatten die Spanier Navarra, das Baskenland, bis zu den Pyrenäen erobert und den Albrets nur das winzige Gebiet auf der französischen Seite gelassen. Seitdem überlegten sich die Könige von Navarra, wie sie zu ihrem ganzen Erbe kommen konnten, und eine Ehe zwischen dem Infanten von Spanien und der zukünftigen Königin von Navarra würde genau dies herbeiführen.
Jeanne war möglicherweise auch beeinflusst von einer Erklärung der Ständeversammlung von Béarn, die eine auswärtige Ehe für ihre Kronprinzessin ablehnte.
Sah Jeanne d´Albret ihre Zukunft gefährdet durch eine Ehe mit dem Herzog von Kleve? Oder tat sie, was ihre Eltern wünschten, statt des Königs Willen zu erfüllen? Stammten ihre Kenntnisse des kanonischen Rechts von denen? Margareta von Navarra schrieb ihrem Bruder, sie habe keine Ahnung, was in das Mädchen gefahren sei, aber stimmt das? Hat sie Jeanne mit ihrer Ablehnung der Ehe geholfen aus Liebe (Cholakian & Cholakian), oder aus Ehrgeiz? Es besteht kein Zweifel, dass königliche Kinder damals frühreif waren und in jungen Jahren schon an ihre späteren Aufgaben geführt wurden, trotzdem ist die Zähigkeit und Sturheit des Mädchens erstaunlich.
1547 starb Franz I. und als Jeanne zwanzig Jahre alt war, bot der Nachfolger, Heinrich II. von Frankreich, ihr gleich zwei Heiratskandidaten an: den Herzog Franz von Aumale (der spätere erzkatholische Herzog Franz von Guise) und Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme. Der letztere war Erbprinz und vielleicht deshalb für Jeanne die bessere Partie, obwohl er relativ arm war. Er war hochgewachsen – was für einen Bourbon eher selten war – und charmant, wie alle Männer in seiner Familie scheint er ein unverbesserlicher Schürzenjäger gewesen zu sein. Heinrich IV. von Frankreich, der vert galant, hatte seine ausgelebte Sexualität nicht von Fremden, ebenso wenig wie sein militärisches Können und seinen Mut.
Jeanne und Anton von Bourbon heirateten 1548 und sie war überglücklich. Heinrich II. schrieb in einem Brief, dass er selten eine Braut erlebt habe, die immer nur lachte. Diese Ehe war aus Liebe geschlossen, und Anton von Bourbon nahm seine Frau mit, als er in den Krieg zog. Der Kriegsschauplatz war Flandern, und da der Herzog Güter in Nordfrankreich besaß, zog Jeanne in den ersten Jahren ihrer Ehe von Schloss zu Schloss, immer in der Hoffnung, dass sie und Anton von Bourbon sich treffen könnten.
1551 gebar sie ihren ersten Sohn und gab ihn an Aymée de Lafayette, die sie selbst erzogen hatte. Ob nun Frau de Lafayette alt oder übervorsichtig geworden war, der kleine Herzog von Beaumont starb als Kleinkind, angeblich weil er von Wärme erstickt worden sei.
Bald wurde Jeanne wieder schwanger, und während ihr ältester Sohn in Nordfrankreich geboren war, sollte das zweite Kind in Béarn zu Welt kommen. Sie unternahm die lange Reise nach Süden und kam gerade rechtzeitig in Pau an, 14 Tage bevor sie von ihrem zweiten Sohn, Heinrich, auf dem Schloss in Pau entbunden wurde. Es wurde entschieden, dass dieser Junge in Pau bleiben sollte. Der Großvater, Heinrich d´Albret, wollte wahrscheinlich mit diesem kleinen Prinzen die Erbfolge in Béarn und Navarra sichern. Die Legenden von der rauen Erziehung Heinrichs seitens des Großvaters können jedoch nicht wahr sein, allein weil das Kind die ersten Jahre von Ammen betreut wurde, und der Großvater starb, als es zwei Jahre alt war. Es scheint in Béarn Sitte gewesen zu sein, die Lippen des Täuflings mit Rotwein und Knoblauch einzureiben, eine Taufe à la Gascogne, aber die Mär, dass Heinrich barfuß unter den Hirten in den Bergen aufgewachsen sein soll, ist reine Legende. Der spätere Hauslehrer Heinrichs, Palma Cayet, schrieb, als Heinrich schon König von Frankreich war, seine Biographie, und daher stammt der Bericht vom Opa und von seiner rauen Erziehung. Dieser Kindheitsbericht ist eher Propaganda des Königs, wie er gerne gesehen werden möchte.
Tatsächlich kam Heinrich in die Obhut der Familie de Miossens, die auf dem Schloss Coarraze wohnte. Die Frau, Suzanne de Bourbon-Miossens, war eine Cousine von Jeanne. Heinrich wurde demnach genau wie seine Mutter als Landadliger erzogen, und er wuchs in einer Familie mit anderen Söhnen auf, die als Erwachsene seine Gefolgsleute werden sollten. Als seine Mutter den Thron erbte, wurde er schon als Kleinkind als Kronprinz behandelt.
Die zwei Jahre zwischen Heinrichs Geburt 1553 und ihre Thronbesteigung 1555 verbrachte Jeanne wiederum in Nordfrankreich in der Nähe ihres Gatten. In dieser Zeit gebar sie einen dritten Jungen, der jedoch nicht lange lebte. Es muss hinzugefügt werden, dass Anton von Bourbon 1554 einen außerehelichen Sohn, Karl von Bourbon, mit einer Hofdame bekam. Jeanne hatte bereits mehrere Onkel, die illegitim waren, und sie scheint den kleinen Karl in ihrer Familie aufgenommen zu haben. Er wurde später Erzbischof von Rouen.
Erst als der Vater gestorben war, zog sie als Königin nach Pau und obwohl sie die Erbin war, ließ sich ihr Mann als König huldigen, was die Ständeversammlung eigentlich gar nicht wollte, dennoch ordneten sie sich dem Willen Jeannes unter.
Königin an der Seite von Anton von Bourbon (1555–1560)
Ihr Vater hatte Jeanne ein blühendes Land hinterlassen. Er hatte Industrien nach Béarn geholt, das Steuersystem effektiv gestaltet und für den religiösen Frieden gesorgt. Große Einkünfte entstanden auch durch seine Posten als Gouverneur und Admiral der französischen Krone in Guyenne. Anton von Bourbon bekam diese Posten nach seinem verstorbenen Schwiegervater, und später hat sein Sohn, Heinrich von Navarra, sie übernommen. Jeanne und Antoine standen als die größten Grundbesitzer Südwestfrankreichs finanziell sehr gut da.
1555 find Calvin seine missionarische Tätigkeit in Frankreich an. Reformierte gab es in Südwestfrankreich zu diesem Zeitpunkt längst, weil Margareta von Navarra sie mit Predigern unterstützt hatte und Gérard Roussel, einen Reformkatholiken, als Bischof in Orthez, eingesetzt hatte. Dieser Roussel war einmal Weggefährte Calvins gewesen, und dieser warf ihm vor, nicht konsequent genug zu sein, als er die Stelle als katholischer Bischof trotz seiner reformatorischen Sympathien annahm (CStA I,1).
Als Königin hatte Jeanne bei ihrer Krönung versprechen müssen, die katholische Religion zu verteidigen. Am selben Tag, nachdem sie diesen feierlichen Eid abgelegt hatte, schrieb sie an einen Vasallen, dem vicomte von Gourdon, und erzählte ihm, sie wolle über die Förderung des reformierten Glaubens im kleinem Kreis heimlich beraten. Dieser Brief ist Teil eines Briefwechsels mit zwei vicomtes de Gourdon, Vater und Sohn, die die gesamte Regierungszeit Jeannes überdauerte. Die Briefsammlung wurde im vorigen Jahrhundert entdeckt und gibt viele neue Einsichten in die Vorhaben und die Beweggründe Jeannes. Da die entdeckten Briefe uns nur als teilweise fehlerhafte Kopien vorliegen, haben viele Forscher die Briefe als Fälschungen abgetan (Text und Diskussion bei Bryson).
Der erste Brief vom August 1555 teilt uns mit, dass Jeanne schon zu diesem Zeitpunkt reformierte Sympathien deutlich aussprach. Sie schrieb dem vicomte, dass ihre Mutter sich zwischen den zwei Religionen nicht habe entscheiden können, und dass sie selbst aus Furcht vor ihrem Vater bislang nicht gewagt habe, sich offen zum Protestantismus zu bekennen. Das Edikt von Chateaubriant von 1551 verbot eindeutig jede „Ketzerei“ und deshalb schlug sie vor, die Reformierten sollten sich heimlich auf dem Schloss Odos treffen.
Es gibt sonst keine Quellen, die belegen könnten, dass Jeanne mit dem reformierten Glauben in Berührung kam. Es gab in ganz Frankreich zu der Zeit kleine zerstreute Gemeinden, sowie Prediger und Kolporteure, die reformatorische Bücher schmuggelten. Die wiederholten Verbote des Königs konnten das nicht unterbinden, sie führten nur dazu, dass Protestanten, wie Jeanne, sich heimlich treffen mussten.
In den Jahren nach 1555 verbreitete sich der reformierte Glaube mehr und mehr im Hochadel. Auch Anton von Bourbon wurde davon ergriffen, brachte reformierte Prediger nach Béarn und als er und Jeanne 1558 mit Heinrich nach Paris zogen, nahm er an großen psalmensingenden Demonstrationen außerhalb der Stadtmauern von Paris teil. Calvin war darüber hoch erfreut, denn er setzte in seiner Missionsarbeit gerne auf hochrangige Persönlichkeiten. Jeanne dagegen verhielt sich während dieser Zeit bedeckt.
In Paris kam sie mit ihrem vierten Kind, einer Tochter namens Katharina, nieder. Das kleine Mädchen war das einzige Kind, das bei Jeanne aufwachsen durfte, obwohl sie (natürlich) Erzieherinnen und Gouvernanten hatte.
Anton von Bourbon fiel nicht nur mit protestantischen Sympathien auf, sondern wie sein Schwiegervater versuchte er, den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. Heinrich d´Albret hatte seinen Besitz gut und gewinnbringend regiert, während Anton von Bourbon seiner Frau die Regierungsgeschäfte überließ, und selbst nur versuchte, ein größeres Königsreich für sich zu gewinnen. So konnte der spanische König Philipp ihm einen Tausch, erst mit dem Herzogtum Milano und später mit Sardinien, anbieten. Damit hätte Spanien den Sprung über die Pyrenäen geschafft und Südfrankreich bedrohen können. Wir würden solches Taktieren mit dem Feind Hochverrat nennen, damals räumte man freilich Adligen große Freiheiten ein, sich einen Herren auszusuchen, aber Anton von Bourbon wurde auch von den Zeitgenossen als unzuverlässig und unverantwortlich angesehen, und nicht zuletzt war er so politisch ungeschickt, dass es an Dummheit grenzte (Sutherland 1984).
Im Sommer 1559 starb Heinrich II. von Frankreich unerwartet. Sein Sohn Franz II. folgte ihm als nur fünfzehnjähriger Knabe auf dem Thron. In dieser Situation war die traditionelle Lösung, dass der erste erwachsene Erbprinz, Anton von Bourbon, ihn unterstützen sollte, und Calvin ermahnte ihn eindringlich, dieses Amt zu übernehmen und dabei den Hugenotten zu helfen. Anton von Bourbon verspielte diese Chance und überließ die Regierungsgeschäfte der Familie von Guise, besonders dem Herzog von Guise und dem Kardinal von Lorraine, die beide die antiketzerische Politik des verstorbenen Königs weiterführen wollten. Nach dem Tod Heinrichs II. bekannten sich mehrere hochrangige Adlige offen zum Protestantismus und es gab im März 1560 sogar einen hugenottischen Komplott, den König zu entführen und von seinen „schlechten Ratgebern“ zu trennen. Anton von Bourbon und sein jüngerer Bruder, der Prinz von Condé, beide notorische Reformierte, wurden wegen diesem Angriff auf den König angeklagt. Anton von Bourbon versprach Besserung, während sein Bruder, der Prinz Ludwig von Condé zum Tode verurteilt wurde. Nur der plötzliche Tod des jungen Königs rettete ihn vor der Hinrichtung. Da der neue König, Karl IX., ein zehnjähriges Kind war, brauchte Frankreich einen Regenten, nämlich den ranghöchsten Erbprinz Anton von Bourbon. Wiederum ergriff dieser nicht die Chance. Katharina von Medici ließ sich stattdessen als Regentin einsetzen und Anton von Bourbon wurde zum Generalstatthalter ernannt. Die Hugenotten mit Calvin an der Spitze waren zutiefst enttäuscht. In diesen Jahren hatte der reformierte Glaube großen Zulauf, es wurde von mehreren Tausend Gottesdienstbesuchern überall in Frankreich berichtet, von Abendmahlgottesdiensten, die zwei Tage dauerten und von Bekehrungen am Hof und im Hochadel.
1560 verließ Jeanne Paris, um zurück nach Pau zu fahren. Theodorus Beza, der engste Mitarbeiter Calvins, besuchte sie dort, und es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die bis Jeannes Tod dauerte. Beza versorgte sie mit Predigern und Beratern für ihr Land. Im Dezember 1560 unternahm Jeanne den entscheidenden Schritt und bekehrte sich öffentlich zum reformierten Glauben. Während ihr Gatte nicht in der Lage war, sich an die Spitze der Hugenotten zu setzen, wurde sie jetzt die leitende Hugenottin in Frankreich.
Reformierte Königin (1560–1568)
Jeanne d´Albret war zweifelsohne eine tief religiöse Frau. Lange Zeit hatte sie äußerste Diskretion walten lassen, zwar mit ihrem Gatten reformierte Prediger gehört, aber sich niemals offen zum reformierten Glauben bekannt. Erst nachdem Anton von Bourbon sich mit dem Posten als lieutenant générale abgefunden hatte, kam sie aus der Deckung.
Es war eine Zeit, wo alle große Hoffnungen bzw. Ängste für den Protestantismus in Frankreich hegten. Drei wichtige Katholiken – der Herzog von Guise, der Konstabel von Montmorency und der Marschall St. André – schlossen sich zusammen, um Frankreich gegen die Reformierten zu schützen. Sie planten den Sturz von Anton von Bourbon und einen Angriff auf Genf mit der Hilfe des Herzogs von Savoyen, zu dessen Besitz Genf bis 1534 gehört hatte. Dieses Triumvirat war der erste Vorbote der katholischen Liga, die später Heinrich IV. hartnäckig bekämpfte (Sutherland 1973).
1560 war noch zu erwarten, dass der Protestantismus nach Frankreich gekommen war, um zu bleiben. Jeanne war sich sehr bewusst, welche Gefahren ihr von Spanien, vom Papst und von der mächtigen Familie von Guise drohten. Sie hatte noch die Hoffnung, dass der junge König Karl IX., Katharina von Medici und ihr Kanzler, der tolerante Michel de l´Hôpital, die Reformierten unterstützen würden, zumal die Königinmutter sich selbst von denen von Guise bedrängt fühlte.
Diese letzte Hoffnung erwies sich als trügerisch, aber niemals wich Jeanne später vom einmal eingeschlagenen Kurs ab. Sie konnte weder geldwerte Vorteile noch politisches Kapital aus ihren Glauben schlagen, dafür hielt sie konsequent an ihrer Überzeugung fest.
In Béarn machte sie erste vorsichtige Schritte, um das Land zu reformieren. Es gab schon Reformierte dort, und Prediger hatten angefangen, den neuen Glauben zu verbreiten, Jeanne aber träumte von einem reformierten Land, und fing langsam und vorsichtig an, diesen Traum zu verwirklichen.
Der erste Schritt war, den reformierten Glauben dem Katholizismus rechtlich gleich zu stellen. Die Kirchen wurden für beide Religionen geöffnet (das sogenannte simultaneum) und aus den Kirchen in Lescar und Pau wurden Bilder und Statuen entfernt, allerdings nicht in Form eines Bildersturms, sondern von den Behörden. Jeanne beschlagnahmte das kirchliche Vermögen nicht für sich selbst, sondern investierte es in Sozialfürsorge und Bildung.
Es ist klar, dass sie den reformierten Glauben einführen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt vefolgte sie Andersgläubige, geschweige denn verbrannte sie. Immer setzte sie auf Überredung.
Im August 1561 begab sie sich wieder zum Hof. Überall wurde sie stürmisch von Hugenotten begrüßt, als ob sie „der Messias sei“, bemerkte verärgert der spanische Gesandte. Katharina von Medici hatte zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Gespräch fand in Poissy außerhalb Paris statt. Seitens der Krone war gewiss an eine Versöhnung oder gar einen Ausgleich zwischen den Religionen gedacht, die reformierten Teilnehmer mit Beza an der Spitze mochten jedoch keine Kompromisse eingehen. Beza wurde unterstützt von Calvin in Genf, der selbst zu krank war, um mitzukommen. Calvin war mit den Auftritten und Reden Bezas zufrieden, während z.B. der Admiral Coligny Beza als reichlich provokant wahrnahm.
Im Herbst 1562 blieb Jeanne mit ihren Kindern beim Hofe. Katharina von Medici suchte auch nach den Religionsgesprächen eine Übereinkunft mit den Protestanten, was in dem Edikt vom 17. Januar 1562 – auch Edikt von St. Germain genannt – gipfelte. Dieses Edikt, an dem der Kanzler Michel de l´Hôpital und Beza beteiligt waren, erlaubte es den Hugenotten, außerhalb der Städte Gottesdienste zu halten. Es war das günstigste Edikt, das sie jemals erlangen sollten, das Edikt von Nantes 1598 war ihm sehr ähnlich, aber nicht ganz so großzügig. Der Unterschied war, dass Heinrich IV. dafür sorgte, dass das Edikt von Nantes durchgeführt wurde, während alle frühere Edikte, so wohlgemeint sie auf dem Papier auch waren, von katholischen Behörden unterlaufen wurden, und der König zu schwach war, um für ihre Durchführung zu sorgen.
Im März 1562 massakrierte der Herzog von Guise eine reformierte Gemeinde, die innerhalb des Städtchens Wassy Gottesdienst feierte. Damit war die Versöhnungspolitik Katharinas von Medici gescheitert. Die Hugenotten unter dem Prinzen von Condé griffen zu den Waffen und Anton von Bourbon bat Jeanne den Hof zu verlassen. Er behielt seinen Sohn Heinrich bei sich, entließ aber dessen hugenottischen Hauslehrer. Jeanne beschwor ihren Sohn, nicht zur Messe zu gehen, und der junge Prinz hielt sich wohl auch ein paar Wochen daran, musste sich aber schließlich fügen. Nach ihrem Fortgang vom Hofe trat Jeanne eine monatelange abenteuerliche Reise durch Frankreich an, so gefährlich, dass die ersten Briefen von der Hand Heinrichs seine Ängste um seine Mutter bezeugen. Ihre kleine Tochter Katharina durfte sie behalten.
Im ersten Religionskrieg führte Anton von Bourbon die königlichen katholischen Truppen gegen die Hugenotten. Bei der Belagerung von Rouen wurde er verwundet und starb am 17. November. Der junge Heinrich blieb am Hofe in der Obhut Katharinas von Medici, die allerdings Jeanne gestattete, ihm wieder reformierte Hauslehrer zu geben. Sie sollte ihn erst 1564 wiedersehen.
Die Kirche in Béarn und Navarra
Ihre große Aufgabe sah Jeanne darin, die Reformation in Béarn durchzuführen.
Calvin stellte ihr Jean Raymond Merlin zur Seite, den früheren Professor für Hebräisch in Lausanne, wo er Kollege von Beza, dem Professor für Griechisch, und von Pierre Viret, dem Rektor der Akademie, gewesen war. Pierre Viret arbeitete nach seiner Zeit in Lausanne und Genf vor allem in Frankreich, besonders in den Kirchen von Lyons und Nîmes. Später sollte er für Jeanne d´Albret ihre Akademie in Orthez aufbauen. Merlin war übrigens mit einer Tochter von Marie Dentière verheiratet, derjenigen, die vor Jahren Jeanne eine selbstgeschriebene hebräische Grammatik zugesandt hatte (vgl. Graesslé13f.; Nielsen).
Merlin ging voll Eifer an die Aufgabe, eine reformierte Kirche in Béarn aufzubauen. Es gab viele Reformierte in Südfrankreich, aber meistens unter städtischen Eliten und Handwerkern. Die Reformierten waren meistens des Lesens fähig, vor allem des Lesen französischer Texte. In Südwestfrankreich sprach die Bevölkerung die langue d´oc, die alte oczitanische Sprache, in irgendeiner Form. Die Gascogne hatte ihre Sprache, in der ein Neues Testament und fünfzig Psalmen übersetzt wurden, und Béarn hatte béarnais sogar als Amtssprache. Hinzu kam, dass die Bevölkerung in Navarra Baskisch sprach. Wenn Merlin das ganze Land reformieren sollte, musste er diese Sprachbarrieren überwinden, denn die Landbevölkerung musste erreicht und für die Reformation gewonnen werden.
Jeanne d´Albret beauftragte eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Baskische, und eine Übertragung der Psalmen, der Zehn Gebote, der Liturgie und des Katechismus Calvins in die Sprache Béarns. Der Anwalt, später Pastor, Arnaud de la Salette, stellte 1571 diese Übersetzung fertig, und obwohl sie erst 1583 gedruckt wurde, darf man annehmen, dass in der Zwischenzeit Manuskriptkopien verwendet wurden. Pastoren, die die béarnesische oder die baskische Sprache beherrschten, wurde händeringend gesucht, und von den Anderen wurde ausdrücklich verlangt, dass sie es lernen sollten. Katecheten, die vermutlich Landeskinder waren, wurden in die Gemeinden geschickt.
Allmählich verbot Jeanne katholische Riten und Gebräuche, zuerst die Fronleichnamsprozessionen, danach Maibäume und Jahrmärkte. Dann wurde die Messe abgeschafft. Der Dom von Lescar und die Kirche St. Martin in Pau wurden leergeräumt, und die dort befindlichen Schätze verkauft.
Für Merlin konnte dies nicht schnell genug gehen. In seinen Briefen an Calvin klagte er seine Not: die Bevölkerung sei stur – diese Holzköpfe! - und die Königin zu langsam und vorsichtig (CO 20, Nr. 3988 & Nr. 4061). Merlin hatte übrigens auch früher in Montargis Probleme mit Renée de France gehabt, Herzogin von Ferrara, die in ihrem Gebiet so vorsichtig war wie Jeanne in Béarn (vgl. Lambin, 2). Jeanne bekam Klagen auf der jährlichen Ständeversammlung, wo die Katholiken über den Verlust alter Freiheiten und Rechte klagten. In den sechziger Jahren musste sie mehrmals Aufstände niederschlagen.
Der Nachfolger für Merlin war Pierre Viret, der enge Freund Calvins. Er war Pastor und Rektor für die Akademie in Lausanne – mit Beza und Merlin als Kollegen – gewesen. Wegen eines Streits mit dem Stadtrat in Bern, übersiedelten 1559 alle Professoren nach Genf, um dort in der neu errichteten Akademie zu unterrichten. Von Genf begab Viret sich nach Frankreich, wo er in Lyon als Pastor arbeitete, danach leitete er die Nationalsynode in Nîmes und schließlich folgte er dem Ruf nach Béarn. Seine wesentlichste Aufgabe war es, die Akademie in Orthez aufzubauen. Die Fächer Theologie, Hebräisch, Griechisch, Philosophie und Mathematik wurden dort unterrichtet, während es keine Anzeigen für Professuren in Jura und Medizin gibt.
Vor ihrer akademischen Laufbahn absolvierten die Jungen eine fünfjährigen Ausbildung in einer Lateinschule (collège), während die Grundschule sowohl Jungen wie Mädchen unterrichtete, die Mädchen allerdings getrennt mit weiblichen Lehrkräften. Damit wurde das kleine Béarn das erste Land Europas, welches kostenlosen Unterricht für Mädchen zusicherte, und zwar mit der interessanten Begründung, dass sie so im Stande waren, ihr Brot zu verdienen und sich der Gesellschaft nützlich zu machen („Pareil rolle sera aussy faict des filles qui sont en bas aage et qui n´ont nul moyen de vivre et de s´entretenir, par toutes les églises, afin que de mesmes deniers et en écolle séparée elles soient enseignées, nourries et tenues par des femmes sages et pudiques, par leur industrie pouvoir aprés se nourrir et entretenir et servir au public“. Art. 32 der Verfassung der Akademie von 1566, zitiert nach Desplat 2004). Desplat unterstreicht die säkulare Ausrichtung der Ausbildung. Allgemein wird behauptet, der Zweck des Unterrichts in protestantischen Ländern sei, die Bevölkerung des Lesens der Bibel und des Katechismus zu befähigen. Hier werden nur die Vorteile eines Schulunterrichts für die Gesellschaft betont.
Die Akademie wurde 1566 geöffnet. Die ersten protestantischen Akademiegründungen in Frankreich fanden in Nîmes (1562) und Montpellier statt. Vorrangiges Ziel war es, die Kirchen mit Pastoren zu versorgen, da die Akademie in Genf die steigende Nachfrage der Gemeinden kaum nachkommen konnte. Da Papst Pius V. die katholischen Universitäten angewiesen hatte, Protestanten die Abschlüsse zu verweigern (Maag 2002, 140), brauchten junge Hugenotten ihre eigenen Universitäten, die dann auch gegründet wurden, vor allem in Leiden und Heidelberg, aber auch in Frankreich und benachbarten Gebieten wie Béarn, Orange und Sedan, die alle zu diesem Zeitpunkt unabhängig waren.
Jeanne hatte sehr gute Gründe, langsam und überlegt vorzugehen. Der Kardinal von Armagnac ließ sie wissen, dass sie die Bevölkerung Béarns in Ruhe lassen sollte, ihre Untertanen wollten ihren Katholizismus nicht aufgeben. Jeanne antwortete, dass sie in Béarn nur Gott über sich habe, dort könne sie ihrem Gewissen folgen, und in ihrem Land werde niemand wegen seines Glaubens verfolgt. Das letzte war ihr ein Anliegen, denn 1571 schrieb sie an ihren Statthalter, den Baron d´Arros, dass in ihrem Land niemand zum Glauben je gezwungen worden war und es auch nicht werden sollte („...intention n´a point esté et n´est encores qu´ilz soyent contraints par force et violence de se reanger à ladite Religion“, d´Aas 2002, 452).
Als sie sich bei der Einführung der Reformation in ihren Ländern unnachgiebig zeigte, zitierte der Papst sie nach Rom zwecks eines Ketzerprozesses. Da sie dieser Einladung nicht folgte, exkommunizierte er sie. Der Bann war eine ernste Bedrohung, da jeder katholische Herrscher jetzt das Recht hatte, ihre Länder an sich zu reißen und sie abzusetzen, eine Chance, die Philipp II. von Spanien sich nicht entgehen lassen würde. Katharina von Medici verteidigte deshalb Jeanne, weil sie keine spanische Präsenz auf der französischen Seite der Pyrenäen dulden wollte. Außerdem war sie eine Verfechterin der gallikanischen Freiheit der französischen Kirche und meinte deshalb, der Papst solle sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen.
Königin der Hugenotten
Nach dem ersten Religionskrieg (1562-63) ließ Katharina von Medici den jungen Karl IX. mündig erklären und führte ihn mit dem Hof auf eine große Frankreichreise, die mehrere Jahre dauerte. Der Zweck dieser Reise war es, den König dem Volk zu zeigen, und damit die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. Jeanne wurde als Vasallin einberufen und stieß Ende Mai 1564 zum Zug in Macon.
Ihr Sohn Heinrich nahm auch Teil an diese Reise und seinetwegen stritten die zwei Königinnen sich, weil Jeanne ihn bei ihren protestantischen Gottesdiensten dabei haben wollte, und Katharina wünschte, dass er mit der königlichen Familie zur Messe gehe. Schließlich sandte Karl IX. Jeanne zu ihrem Besitz in Vendôme, während Heinrich als Gouverneur von Guyenne den Zug begleitete und in den Städten für den feierlichen Empfang des Königs sorgte.
Jeanne durfte nicht mit nach Bayonne, wo Katharina ihrer Tochter Elizabeth, Königin von Spanien, begegnen wollte. Philipp II. sandte als seinen Gesandten den Herzog von Alba, der auf dem Weg in die Niederlande war. Die Hugenotten waren später überzeugt, dass Alba und die Königinmutter in Bayonne ihre Ausrottung geplant hatten. Sicher ist, dass Alba in den Niederlanden mit aller Härte gegen die Protestanten vorging, und es ist durchaus möglich, dass er versuchte, Katharina auf seinen mörderischen Kurs einzustimmen. Schon 1568 – also vor der Bartholomäusnacht! – schrieb Jeanne, dass die Waffen, die gegen die Hugenotten verwendet werden sollten, in Bayonne geschmiedet worden seien (Ample déclaration).
Jeanne und Heinrich trafen sich später in Paris. 1566 ersuchte sie erneut um Erlaubnis, mit ihren beiden Kindern nach Béarn zu fahren, was ausgeschlagen wurde. Sie erhielt aber Erlaubnis, ihren Sohn in seinen französischen Ländereien herumzuführen, und Anfang 1567 reiste sie dann mit ihm nach Vendôme, und von dort setzte sie sich unerlaubt ab nach Béarn. Damit machte sie laut des Biographen Heinrichs, Pierre Babelon, aus einem französischen Prinzen einen Ausländer, und vor allem einen Hugenotten.
Von 1567 an arbeitete Jeanne für die Zukunft ihres Sohnes. Ihre Lebensaufgabe, schrieb sie selbst, sei: Gott, Königtum und ihr Blut. Mit Gott war die reformierte Religion, die wahre Kirche Gottes, gemeint. Mit dem König ihr Status als Vasallin und – trotz Béarn – als Französin, und mit dem „Blut“, die Familie, zuallererst ihr Sohn Heinrich. Er sollte von jetzt an kein Höfling mehr sein, sondern die Aufgaben eines Regenten lernen. Als ein Aufstand in Navarra niedergeschlagen worden war, wurde er dorthin geschickt, um die Basken zu befrieden. Als 14jähriger hielt er für seine Untertanen eine Rede, in welcher er ihr Fehlverhalten geißelte, ihnen die Gunst der Königin zusicherte, falls sie sich verbessern würden, und seinen berühmten Charme mit seinem Autoritätsanspruch verband.
Im Herbst 1567 versuchten die Hugenotten, die sich von der Aufrüstung des Königs bedroht fühlten, Karl IX. in ihre Gewalt zu bringen. Die Entführung missglückte, und die königliche Familie suchte, beschützt von den schweizerischen Söldnern, die die Ängste der Hugenotten verursacht hatten, Zuflucht in Paris. Die Hugenotten belagerten die Stadt. Im November wurden sie vor den Toren von St. Denis geschlagen und mussten sich in die Provinz zurückziehen, wo sie den Kampf bis zum Friedenschluss von Longjumeau im März 1568 fortsetzen.
Der Friedensvertrag war an sich nicht ungünstig für die Hugenotten, nur haperte es wie immer mit der Umsetzung. Katholische Behörden waren über die für die Hugenotten günstigen Bedingungen empört und setzten sie nicht um. Der Protestant La Noue schrieb in seinen Erinnerungen, dass der Krieg zwar viel Unheil bringe, aber dieser elende kleine Friedensvertrag sei viel schlimmer für die Reformierten, die in ihren Häuser umgebracht wurden, ohne dass sie sich zu wehren wagten („ …une guerre est misérable et qu´elle apporte avec soy beaucoup des maux…cette méchante petite paix est beaucoup pire pour ceux de la Réligion, qu´on assassinoit en leur maisons, et ne s´osoyent encores défendre“, d´Aas 2002, 382) Im Laufe des Sommers 1568 versuchten die Gruppierungen noch einmal miteinander zu reden, Karl IX. sandte einen Botschafter nach Béarn, und Jeanne verfasste ein Sendschreiben an den König mit dem Antrag, den Frieden in Guyenne wiederherzustellen.
In der Zwischenzeit fühlten sich der Prinz von Condé und der Admiral Coligny auf ihre Schlösser in Bourgogne zunehmend bedroht. Der Herzog von Alba wollte in den Niederlanden mit Feuer und Schwert den Protestantismus auszurotten, und Flüchtlinge berichteten ihnen von seinem Terror. Am 23. August 1568 flüchteten sie mit ihren Familien und Angehörigen über die Loire nach La Rochelle. Die Überquerung der Loire erinnerte fast an den biblischen Durchzug durchs Schilfmeer: so viele Hugenotten hatten sich angeschlossen, dass der Zug fast wie eine Völkerwanderung aussah, und die Loire hatte in der Augusthitze einen so niedrigen Wasserstand, dass Sandbanken in der Mitte auftauchten. Dementsprechend sangen alle Psalm 114 vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, als sie hinüber waren. Die Parallele wurde noch einmal deutlich, als die königlichen Truppen, die sie verfolgten, wegen plötzlich einsetzenden Hochwassers den Fluss nicht überqueren konnten.
In dieser Situation war Jeanne zutiefst gespalten. Bislang hatte sie die Kriege moralisch unterstützt, aber nicht selbst teilgenommen. Falls es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, konnte sie immer mit ihren Kindern in der uneinnehmbaren Festung Navarrenx Zuflucht suchen. Sie hatte jedoch ihren Sohn, der als zukünftiger Führer der Hugenotten das Kriegshandwerk lernen sollte, und so musste sie wählen, ob sie in Béarn unter ihrem Volk bleiben oder sich den Hugenotten anschließen sollte: „ich hatte den Krieg im Bauch“ schrieb sie danach („J´eu la guerre en mes entrailles“, Ample declaration). Sie setzte den Baron d´Arros als Statthalter ein, und Anfang September begab sie sich in Eilmarsch nach La Rochelle (Cocula 2004). Dort konnte sie ihren Sohn dem Prinzen von Condé überantworten. Sie schrieb unterwegs eine Reihe Briefe an Karl IX., an Katharina von Medici, an ihren Schwager, den Kardinal von Bourbon und an die Königin Elizabeth von England, um ihren Entschluss zu begründen. Angekommen in La Rochelle schrieb sie eine Erklärung („Ample declaration“) um der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie sich der hugenottischen Armee zugesellte.
Die Hugenotten unter ihren Anführer aus der königlichen Familie wollten nicht als Aufrührer dastehen. Sie behaupteten, die erzkatholische Partei sei schuld daran, dass königliche Befehle nicht vollzogen wurden. Die Katholiken mit ihren Verbindungen nach Spanien und Rom seien Landesverräter. Die Politik des Kardinals von Lorraine verdient laut Sutherland (1974) keinen anderer Namen. Wenn Jeanne vom Frieden sprach, meinte sie eine Duldung der Hugenotten in Frankreich. Die Forderungen der Hugenotten waren immer dieselbe: Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, Gerichte mit zur Hälfte hugenottischen Richtern, sichere Zufluchtsstädte – deren Anzahl schwankte in den Verhandlungen – und Zugang zu Ausbildung und Beamtenstellen gleichrangig mit den Katholiken. Die Provinz Languedoc unter dem moderat katholischen Gouverneur Montmorency-Damville war ein friedlicher Ort in den Religionskriegen, weil Damville den Hugenotten solche Rechte einräumte, und die katholische Bevölkerung sich damit abfand.
Im März 1569 fand eine Schlacht bei Jarnac statt. Der Prinz von Condé kämpfte mit, wurde verwundet und nach der Schlacht ermordet. Es gelang Admiral Coligny, die hugenottischen Truppen zusammenzuhalten, aber der Verlust des Prinzen war ein herber Schlag. Heinrich von Navarra war jetzt der ranghöchste Prinz, und zusammen mit seinem Vetter, dem gleichaltrigen Heinrich von Condé, wurde er jetzt Oberbefehlshaber über die Armee der Prinzen. In Wirklichkeit lag die Verantwortung für die Kriegsführung bei dem erfahrenen Admiral, und die beiden Prinzen wurden seine Pagen genannt.
Jeanne blieb in La Rochelle, während Coligny mit den Prinzen im Krieg war, und sie konnte, unterstützt von einem Rat adliger Hugenotten, die „Regierungsgeschäfte“ regeln. Sie schrieb an England und nach Deutschland. Sie unterzeichnete Erlässe, versuchte Geld für das Heer aufzutreiben, pfändete ihren schönsten Schmuck für einen Kriegsdarlehen an Elizabeth von England und ließ ein Kriegsschiff namens „Die Hugenottin“ bauen.
So wie sie immer behauptete, nicht gegen den König, sondern gegen seine schlechten Ratgeber zu kämpfen, so behauptete Karl IX., dass sie in La Rochelle von den Hugenotten gefangen gehalten wurde, und er ließ den Baron Terride mit einer „Befreiungsarmee“ in Béarn einfallen. In kürzester Zeit waren ganz Béarn und Navarra erobert und zum Katholizismus zurückgeführt. Nur der Baron d`Arros hielt im Navarrenx stand. Um ihre Länder zurückzuerobern, sandte Jeanne den Graf von Montgommery mit einer „Hilfsarmee“ nach Navarrenx. In noch kürzerer Zeit als Terride gebraucht hatte, verjagte er ihn aus Béarn. Die Befreiung von Terride wurde in Pau mit einem Festgottesdienst gefeiert, wobei Pierre Viret über Psalm 124, 7: „Unsere Seele ist aus dem Netz des Vogelfängers entkommen“ predigte.
Vom Winter 1569 bis zum Frühjahr 1570 führte Coligny sein Heer mit den Prinzen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé durch ganz Südfrankreich und von Provence nach Norden, bis er Paris bedrohte. Der König hatte kein Geld mehr, um Krieg zu führen, und musste notgedrungen Friedensverhandlungen einleiten. Im August 1570 wurde dann der Frieden von St. Germain geschlossen. Wiederum war Jeanne d´Albret diejenige, die auf Augenhöhe mit dem König verhandeln konnte. Der Vertragstext erklärt immer wieder, dass der König die Bedingungen seiner Tante erfüllen wollte (Sutherland 1980, Potter 1997).
Jeanne blieb vorläufig in La Rochelle. Im April 1571 fand dort die Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs statt. Theodor Beza kam aus Genf angereist, um die Synode zu leiten. Pierre Viret wollte teilnehmen, starb aber vorher, vermutlich hatte seine Gesundheit in der Gefangenschaft unter Baron Terride gelitten. Auf der Synode wurde das französische Glaubensbekenntnis von 1559 neu verhandelt und die endgültige Fassung als „Bekenntnis von La Rochelle“ beschlossen. Darüber hinaus wurde eine Kirchenordnung für Béarn beschlossen, und die Synode diskutierte Fragen, die Jeanne d´Albret gestellt hatte. Als Ersatz für Pierre Viret bekam sie Nicolas des Gallars zur Seite gestellt. Er war Calvins Sekretär gewesen, danach hatte er die „Strangers´ Church“, die Kirche für Ausländer in London, als Nachfolger für Johannes à Lasco geleitet und dann an Bezas Seite im Colloquium von Poissy 1561 gestanden. Er war Pastor in Orléans gewesen und wurde jetzt Seelsorger für Jeanne d´Albret und ihr theologischer Ratgeber für die Kirche in ihrem Land.
Er war eine gute Wahl, denn während Beza sehr an dem Konzept von Genf hing und ein presbyteriales Kirchenverständnis (Kingdon 1967) hatte, war des Gallars in England gewesen, als Königin Elizabeth nach dem Tod ihrer katholischen Schwester die anglikanische Kirche einführte. Außerdem behauptet Bernard Roussel (2004), dass er das Buch Martin Bucers „De regno Christi“ von 1550 mitbrachte. Dieses Buch ist dem englischen König Edward VI. gewidmet und beschreibt, wie ein König eine reformierte Kirche leiten kann. Damit hatte des Gallars ein Konzept für eine von einer Fürstin geleitete Kirche, die dann in den Jahren als Heinrich und Katharina von Navarra das Erbe der Mutter verwalteten, Bestand hatte.
Während Jeanne in La Rochelle noch weilte, ereilte sie ein Angebot von Katharina von Medici, ob ihren Sohn Heinrich die Tochter Katharinas heiraten mochte. Hugenotten und Katholiken würden sich versöhnen und die Häuser Valois und Bourbon sich nahekommen. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen, aber Jeanne traute Katharina nicht so recht, jedenfalls wollte sie nicht gleich nach Paris ziehen, um über die Ehe zu verhandeln.
Stattdessen fuhr sie nach Pau zurück, führte die neu beschlossene Kirchenordnung ein und kümmerte sich um ihre Länder. Die Tuberkulose machte sich bemerkbar und sie wollte zur Kur in die Bergen fahren. Währenddessen zogen sich die Eheverhandlungen hin, bis Jeanne endlich im Frühjahr 1572 nach Paris zog. In den Briefen an ihren Sohn hört man von den Verhandlungen, von ihrer Missbilligung des höfischen Lebens und von ihrem Ärger mit Katharina. Jeanne wollte so viele Rechte wie möglich für ihren Sohn und die Hugenotten aushandeln. Am Ende musste sie es aufgeben, Margareta von Valois, Margot genannt, zum reformierten Glauben zu bekehren. Dafür hoffte sie aber, dass das Brautpaar nach Béarn ziehen würde. Eine königliche Mischehe war etwas ganz Neues und musste in Detail besprochen und geplant werden. Jeanne handelte das Meistmögliche für ihren Sohn aus und im April 1572 wurde eine Einigung erzielt. Heinrich sollte allerdings noch eine Weile in Béarn bleiben und Jeanne bereitete in Paris die Hochzeit vor.
Die zähen Verhandlungen im Frühjahr hatten viel Kraft gekostet, Jeanne hielt sich aber tapfer. Im Juni brach sie zusammen und starb am 9. Juni an der Tuberkulose, die sie seit Jahren geplagt hatte. Später entstanden Gerüchte, sie sei von Katharina von Medici vergiftet worden. Diese sollte ihr ein Paar Handschuhe, die von ihrem privaten Giftmischer präpariert worden seien, geschenkt haben. Da Katharina nach den Massakern von St. Bartholomäus, die in der Periode von August bis November 1572 stattfanden, von den Hugenotten als der Inbegriff des Bösen dargestellt wurde, gehört der Giftmord an Jeanne d´Albret zu den Verleumdungen.
Heinrich traf erst etwas später in Paris ein. Im Testament Jeannes hatte sie sich gewünscht, in Béarn bei ihrem Vater beerdigt zu werden. Ihr Sohn setzte sich über ihren letzten Willen hinweg: sie wurde nach Vendôme geführt und neben ihrem Mann, Anton von Bourbon, bestattet.
Trotz ihre Fähigkeiten wurde sie eine Fußnote in der Geschichte Frankreichs: ihr Sohn wurde zwar als Heinrich IV. König von Frankreich, aber er wurde katholisch und aus den Hugenotten wurde, dank des Ediktes von Nantes 1598, eine geduldete Minderheit. Die Kirche, die Jeanne in Béarn aufgebaut hatte, wurde unter ihrem Enkelsohn, Ludwig XIII., verboten. 1685 wurde dann das Edikt von Nantes aufgehoben, und die Reformierten wurden grausam verfolgt. Viele flüchteten, viele konvertierten und viele wurden umgebracht. Die großen Hoffnungen, die die Hugenotten um Jahr 1560, als Jeanne konvertierte, hegten, erwiesen sich als trügerisch.
Wenn auch letztlich nicht erfolgreich, war sie dennoch bewundernswert. Mit dem Admiral Coligny zusammen hatte sie den Frieden von St. Germain errungen, dann eine Landeskirche aufgebaut und ihre Kinder gefördert. Sie war die reformierte Präsenz in der königlichen Familie und in ihren letzten Jahren wurde sie die Königin der Hugenotten.
Stammtafeln der Familie von Valois und der Familie von Bourbon (PDF)
Literatur
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Nielsen, Merete: Marie Dentière,
Theologie als Erzählung – erzählte Theologie: Das Heptameron
Religiöse Aspekte in den Novellen der Marguerite d'Angoulême, Königin von Navarra (1492–1549)
Diese Dame wird in der Forschung meist als die französische Königin von Navarra identifiziert, die sich Geschichten anhört und auch selbst gerne erzählt. Ihr Spätwerk „Das Heptameron“ besteht aus 72 Erzählungen, von einer Rahmenhandlung zusammengehalten. Diese Rahmenhandlung fängt mit einem Prolog an. Dieser schildert, wie eine vornehme, aus zehn Damen und Herren zusammengesetzte Gesellschaft in den Pyrenäen vom Unwetter gezwungen wurde, in einem Kloster Schutz zu suchen, und diesen unfreiwilligen Aufenthalt dazu nutzte, mit Geschichtenerzählen die Zeit zu verbringen. Nach jeder Erzählung folgte eine Debatte über das Gehörte, und im Laufe der Tage wurden diese Debatten immer länger und interessanter.
Es war natürlich die Absicht der Königin zu unterhalten, aber darüber hinaus auch ihre ZuhörerInnen zum Nachdenken zu bringen. Die Debatten sollten die religiösen und ethischen Inhalte der Erzählungen aufzeigen. Vermochten die Novellen zu bewegen, konnten die Debatten belehren.
Das Heptameron analysierten vor Allem Romanisten und Historikern, kaum Theologen, weshalb die Frömmigkeit der Königin, die in ihrem Werk zum Ausdruck kommt, kaum betrachtet wurde. Wir wissen, dass Marguerite d´Angoulême zeit ihrer Jugend sich für religiöse Fragen brennend interessierte, dass sie von den französischen, katholischen Reformbestrebungen beeinflusst war und dass sie Protestanten und Freidenkern nach Kräften half und Asyl gewährte. Wir wissen allerdings auch, dass Calvin sich stets wünschte, sie möge sich offen zur Reformation bekennen, und dass sie dennoch katholisch blieb.
Aus diesen Gründen soll hier der Versuch unternommen werden, ihre Theologie näher zu beleuchten. Viele Novellen und Debatten im Heptameron sind theologisch hoch interessant und können die vielen reformatorischen Elemente in ihrer Religiosität, die bislang kaum beachtet wurden, gut beleuchten. Gleichfalls soll untersucht werden, welche theologischen Überzeugungen die Königin im katholischen Glauben festhielten.
Die Forschung geht meistens davon aus, dass sie als Schwester des Königs aus politischen Gründen altgläubig blieb. Diese politischen Überlegungen waren m.E. bestimmt für sie wichtig, dennoch wird eine so kluge und fromme Dame wie die Königin von Navarra mit Sicherheit auch schwerwiegende theologische Gründe für ihr Verbleiben im katholischem Glauben gehabt haben.
Marguerite d´Angoulêmes literarisches Schaffen umfasst religiöse Gedichte, Schauspiele und eben das Heptameron. Ein Forscher wie Lucien Febvre (1878 - 1956) wundert sich, warum die Königin in ihrer Jugend fromme Gedichte schrieb und im Alter erotische Erzählungen. Am Ende gibt er doch die Einheit ihrer Persönlichkeit und ihrer Religiosität zu. Ihre Erzählungen nur als leichtsinnige Unterhaltung zu deuten, ist jedoch ein Kurzschluss.
Da die meisten Forscher der Liebesbegriff bei Marguerite untersucht haben, und da sie die Liebe ganz anders schildert, als wir es heutzutage gewohnt sind, soll hier zuerst ihre Schilderung der Liebe und der Sexualmoral kurz vorgestellt werden, bevor die Theologie ihrer Erzählungen dargestellt wird.
Von der Liebe und anderen Gewalttaten
„Aber Geburon [Guebron] hielt ihr entgegen, solange die Welt bestehen werde, trügen sich auch Ergebnisse zu, die denkwürdig und erzählenswert sein…“ (Debatte 50 >>>)
Marguerite schrieb über das Verhältnis zwischen den Geschlechtern und schilderte dabei oft Gewalt, Überfälle, List und Betrug. Manchmal ließ sie die Liebenden vor Kummer sterben oder ins Kloster gehen, nur äußerst selten erzählte sie Geschichten von glücklichen Liebenden. Den Grund hierfür muss man nicht lange suchen: die Gesellschaft verlangte eine Doppelmoral, die eher zu Verzweiflung und Gewalttätigkeit als zu erfüllter Liebe führte.
Die Frauen hatten die Aufgabe, ihre Ehre und Keuschheit zu bewahren – das galt natürlich auch für verheiratete Frauen. Sie konnten „serviteurs“ (=Diener) haben, und mit diesen aufwartenden Kavalieren durften sie flirten, mehr nicht. In die Ehe sollten sie als Jungfrauen eintreten und ihrem Ehemann, ob sie ihn nun liebten oder nicht, absolute Treue wahren. Die Männer dagegen setzten ihren ganzen Stolz darauf, möglichst viele Frauen zu erobern. Ein richtiger Mann akzeptierte kein nein und war der Ansicht: „kommst du nicht willig, dann brauch´ ich Gewalt“, denn es war eine Kränkung seiner Ehre, zurückgewiesen zu werden. Es wird in den Novellen von Jägern und Gejagten, von Belagerungen und zu erobernden Städten gesprochen, kurzum, die Männer betrachteten die Frauen als Freiwild.
Auch platonische Liebe kommt in den Novellen vor, einer der Erzähler namens Dagoucin vertritt in der Runde stets die Ansicht, die Männer hätten die Frauen zu lieben und zu respektieren, indem sie ihnen nicht einmal ihre Liebe gestehen, sondern sie auf Abstand stumm und ergeben anbeteten. Dagoucin wird von den anderen Männern in der Erzählerrunde ausgelacht und verhöhnt, und selbst die Frauen bezweifeln den Wert dieser vergeistigten Liebe. Eine der Frauen, Parlamente, schildert das platonische Konzept, wonach die Liebe in der irdischen Bewunderung des Schönen und Guten anfängt, um sich dann zu Gott emporzuschwingen als dem einzig wahren Schönem und Gutem, als dem höchsten Gut überhaupt. Nach dieser Auffassung ist die irdische Liebe nur eine Art des Einübens in die wahre, religiöse Liebe. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Königin die platonische Philosophie aus Italien kannte und dafür sorgte, dass Platon ins Französische übersetzt wurde.
Die Rahmenhandlung stellt Parlamente und ihren Gatten Hircan als reifes, liebendes Paar dar, obwohl die anderen Frauen Parlamente warnen, ihr Ehemann betrüge sie. Die Erzählerin der Rahmenhandlung deutet an, dass eine vornehme Ehefrau sich davon nicht aus der Fassung bringen lassen soll. Ihr Ansehen und soziale Stellung würden davon nicht betroffen.
Die Andachten der Frau Oisille
Die Königin möchte mit ihren Novellen nicht nur die Liebe oder den Kampf der Geschlechter schildern, sondern als eine zutiefst fromme Frau auch das Verhältnis der Menschen zu Gott beschreiben. Deswegen sind ihre Novellen keineswegs nur als galante Abenteuer aufzufassen, sondern als Beispiele für menschliches Verhalten – oft abschreckende Beispiele. Wie der Erzähler Geburon [Guebron] sagt:
„Denn die Arglist der schlechten Menschen ist immer noch so wie zuvor, wie auch die Güte der guten Menschen dieselbe bleibt. Solange Bosheit und Güte auf Erden herrschen, werden auch immer wieder neue Taten begangen, obwohl geschrieben steht, es gebe nichts Neues unter der Sonne. Doch uns, die wir nicht zu Gottes geheimen Rat berufen worden sind und den Ursprung der Dinge nicht kennen, kommen alle Dinge um so wunderbarer vor, je weniger wir sie vollbringen möchten oder könnten.“ (A.a.O. >>>)
Die Zuhörenden dieser Geschichten sollten nicht nur unterhalten werden, sie sollten sich empören, Mitleid empfinden, und zur Nachdenklichkeit angeregt werden. Mit diesen Mitteln wollte die Verfasserin ihren Zuhörern und Lesern über die menschliche Schwäche und die unermessliche Gnade Gottes aufklären. Wie jede gute Predigerin wusste sie sehr wohl, dass schockierende und abschreckende Beispiele bestens geeignet sind, Zuhörer aufzurütteln und nachdenklich zu stimmen. Schon die mittelalterlichen Prediger wussten von der Effektivität der „Exempla“, der Beispiele, die Pointen ihrer Predigten hervorzuheben. Die bestens ausgebildete Marguerite war außerdem überzeugt, dass man die Offenbarung Gottes nicht nur in der Bibel, sondern auch in der Welt erkennen und am Benehmen der Menschen „ablesen“ könne. Die Novellen sollten den Zuhörern und Lesern beibringen, die menschliche Gebrechlichkeit und die Barmherzigkeit Gottes zu begreifen und zu schätzen.
Wie oben gesagt, beginnt die Rahmenhandlung mit einem Prolog. Als die Gruppe sich überlegt, was sie zusammen machen könne, berichtet die älteste Frau der Gesellschaft, die Witwe Oisille, von ihrer Bibellektüre, und wird daraufhin von Hircan, der wohl dem Gatten der Marguerite, König Heinrich II. von Navarra, ähnelt, dazu aufgefordert, jeden Tag mit einer Andacht zu beginnen. Danach kann die Gruppe sich am Nachmittag dann Geschichten erzählen. Diese Andachten nehmen im Laufe der Tage an Wichtigkeit zu, so dass man in der Forschung urteilen kann, die Rahmenhandlung sei der eigentliche Roman, und die Geschichten seien nur Füllstoff. Dann wäre das Heptameron als ein Bildungsroman aufzufassen, der die religiöse Entwicklung der Gruppe beschreibt.
Die Bibelarbeit fängt mit dem Römerbrief an, um dann die Apostelgeschichte und den ersten Johannesbrief zu behandeln – ein ehrgeiziges Unterfangen für zehn Tage, von denen uns nur acht Tage erhalten sind. Die TeilnehmerInnen sind dankbar für die geistige Nahrung, die Oisille darbietet, und gehen danach in die Messe.
Abgesehen davon, dass Frau Oisille mit dem Römerbrief ein Kernstück evangelischen Glaubens behandelt, fällt auch auf, dass eine Frau die Andachten hält. Sie bereitet sich sehr gründlich vor, steht früh auf und ihre Auslegung der heiligen Schrift begeistert alle.
„(Sie) baten Madame Oisille, ihnen wie gewohnt, geistige Nahrung zu spenden. Das tat sie, behielt aber die Gesellschaft länger zurück als zuvor; denn sie wollte…die erste Epistel des heiligen Johannes noch zu Ende auslegen. Das machte sie so vortrefflich, daß es war, als spräche der heilige Geist voll Liebe und Sanftmut aus ihrem Munde. Ganz entflammt von diesen Feuer, begaben sie sich alle in die Messe und gingen hernach zum Mittagsmahl…“ (Prolog, 8. Tag >>>)
Hier spricht eine Frau, so dass man glaubt, den heiligen Geist aus ihrem Mund zu hören, und sie spricht sowohl Männer als auch Frauen an. Wie ungewöhnlich das ist, kann man von Marie Dentière erfahren, die an Marguerite von Navarra schrieb, es müsste doch erlaubt sei, dass Frauen einander die Bibel auslegen (vgl. Nielsen, Marie Dentière >>>). Marie Dentière wurde wegen ihrer Kühnheit von Calvin gerügt, aber die Königin übertraf sie, indem sie die ganze Gruppe aus Männern und Frauen der Frau Oisille zuhören ließ.
Außerdem war es seit Jahren verboten, sich in Konventikeln zu versammeln, um die Bibel zu lesen. Das galt als gefährliche protestantische Sitte. Die konservativen Theologen von Paris hatten schon 1525 ein Verbot der Bibellektüre und der Bibelarbeit in Gruppen durchgesetzt. Das traf unter anderen die Reformkatholiken von Metz hart, weil die Bibelübersetzungen des Lefèvre d´Etaples als ketzerisch verboten wurden. Nirgendwo sagt die Verfasserin des Heptamerons, die Gesellschaft sei protestantisch, dennoch sind die Andachten bei Frau Oisille doch deutlich aus dem protestantischen Geist gewachsen, wie auch die Bemerkung Hircans im Prolog: „Madame, wer die Heilige Schrift gelesen hat, wie wir alle, glaube ich, getan haben…“ - die Bibel lasen damals eigentlich nur die Protestanten, ganz diskret wegen des obengenannten Verbots.
Überhaupt wird Frau Oisille als eine protestantische Frau beschrieben; der Prolog schildert, wie sie sich zum Wallfahrtsort Notre-Dame de Sarrance begibt:
„Doch eine Dame, eine lebenserfahrene Witwe namens Oisille, entschloss sich, alle Furcht vor den ungangbaren Wegen hintanzusetzen, bis sie nach Notre-Dame de Serrance gelangt wäre. Nicht etwa daß sie so abergläubisch gewesen wäre anzunehmen, die hochheilige Gottesmutter hätte ihren Sitz zur Rechten ihres gebenedeiten Sohnes verlassen und wäre in diese Einöde herniedergestiegen, sondern einzig und allein aus Verlangen, diesen frommen Ort zu sehen, von dem sie soviel gehört hatte. Auch vertraute sie darauf, daß die Mönche, wofern es eine Möglichkeit gab, der Gefahr zu entrinnen, sie gewißlich finden würden.“ (Prolog >>>)
Als das „Heptameron“ 1559 gedruckt erschien (siehe Anhang I >>>), wurde die kursiv gesetzten Zeilen als zu eindeutig protestantisch weggelassen. Der Hinweis auf den katholischen Aberglauben, die Betonung, dass Oisille keineswegs pilgere, so wie die Bemerkung über die Jungfrau, die im Himmel bleibt – alles dies bezeugt eindeutig protestantisches Gedankengut, was der erste Verleger auch als solches erkannte.
Der leichte Spott über die Mönche wurde dagegen nicht als unkatholisch empfunden, und die Verfasserin war in bester humanistischer Gesellschaft, wenn sie die Mönche kritisierte. Der gute Katholik Erasmus war längst mit beißendem Spott über die Mönche hergezogen. Vor Allem kritisierte die Königin die Bettelmönche, die Franziskaner, aber sie erwähnte in den Geschichten auch immer wieder, dass sie und ihre Familie die Klöster reformiert hatten. Nicht das Mönchswesen als solches, sondern den Missbrauch prangerte Marguerite d´Angoulême an.
Als die ganze Gruppe alle mögliche Gefahren von wilden Tieren, Räubern und Hochwasser entronnen sind, fingen sie an sich zu überlegen, wie sie die Zeit vertreiben sollten, bis eine Brücke gebaut worden sei, und fragten Frau Oisille, was sie vorschlagen möchte. Sie erzählte dann von ihrer täglichen Bibellesung:
„Und fragt ihr mich, welche Lebensweise mich in meinem hohen Alter noch so heiter und gesund erhält, so laßt euch sagen: es ist nur meine Gewohnheit, sogleich, wenn ich erwache, die Heilige Schrift zur Hand zu nehmen und darin zu lesen. Und wenn ich dann Gottes Güte sehe und erwäge, daß er für uns seinen Sohn auf Erden gesandt hat, damit er uns dieses heilige Wort und die frohe Botschaft verkünde, durch welche er Vergebung aller Sünden, Tilgung aller Schuld durch das Gnadengeschenk seiner Liebe, seiner Leiden und seines Opfertodes verheißt, dann erfüllt mich diese Betrachtung mit so tiefer Freude, daß ich mein Psalter nehme und demutsvoll mit Herz und Mund die schönen Psalmen und Lieder singe, die der Heilige Geist David, dem Psalmisten und den anderen Dichtern eingegeben hat. Und die Zufriedenheit, die ich daraus schöpfe, tut mir so wohl…“ (Prolog >>>)
Am Abend tut sie ähnlich, aber ihr Ratschlag an die Jüngeren lautet dann so:
„Mir scheint, wenn ihr allmorgendlich eine Stunde mit der Heiligen Schrift verbringen und hernach in der Messe fromm euer Gebet verrichten wolltet, dann würdet ihr in dieser Einöde solche Schönheit finden…“ (Prolog >>>)
Man sieht, Frau Oisille liest nach guter protestantischer Art ihre Bibel, sie weiß, dass die Vergebung der Sünden allein aus Gnaden stammt, sie singt ihre Psalmen (siehe Anhang III >>>) und doch empfiehlt sie den Anderen, ihre Gebete in der Messe zu verrichten. Was ist sie nun, katholisch oder protestantisch? Calvin würde sie eine Nikodemitin nennen nach Art von Nikodemus (Johannes 3,1-21), der nachts sich zu Jesus heranschlich, benennen, womit er Leute meinte, die der Auffassung seien, sie könnten sich aussuchen, was ihnen in der christlichen Lehre gefalle und müssten niemals wählen oder gar Stellung beziehen(siehe Anhang II >>>).
Nach den theologischen Überlegungen im Prolog, wenden wir uns jetzt den einzelnen Novellen zu.
Die zweite Novelle
Die zweite Novelle erzählt Oisille. Sie ist eine traurige, erschütternde Geschichte. Aber gerade solche benutzt die Autorin immer wieder, um über Gnade, Rechtfertigung durch Glauben und die Erwählung Gottes nachzudenken.
Kurz erzählt handelt die Novelle von der Frau eines Maultiertreibers, die in der Abwesenheit ihres Mannes von ihrem Knecht überfallen wird. Die keusche Frau versucht, der Vergewaltigung zu entgehen, aber der Knecht sticht sie mit seinem Degen nieder, vergewaltigt ihren fast leblosen Körper und flieht. Die Frau lebt gerade noch so lange, dass sie ihre Seele Gott anvertrauen kann, und stirbt dann. In der Diskussion über die Tapferkeit, Keuschheit und Wehrhaftigkeit der Frau sagt Oisille:
„Deshalb müssen wir in Demut verharren; denn Gott verleiht seine Gnade den Menschen nicht nach ihrem Stand oder Reichtum, sondern wie es ihm in seiner Güte gefällt. Er kennt kein Ansehen der Person, vielmehr erwählt er, wen er will, und wen er erkoren hat, den ehrt er mit seinen Tugenden. Und oftmals erwählt er ein niedrig Geschöpf, um die zu beschämen, die in der Welt für hoch und ehrenvoll gelten. Sagt er doch selbst: Freuen wir uns nicht unserer Tugenden, sondern dessen, daß wir im Buch des Lebens eingeschrieben sind, aus dem uns nicht Tod noch Hölle und Sünde ausstreichen können.“ (Novelle 2 >>>)
Dieser letzte, kursiv gesetzte Satz wurde aus der 1559 gedruckte Ausgabe entfernt, weil er zu reformiert klang, aber der ganze Abschnitt ist durch und durch reformiert geprägt. Zum Ersten ist hier von der Rechtfertigung durch den Glauben die Rede, man hört Römer 2,11 durch. Danach folgt eine Anspielung auf 1. Korinther 1,27-28. Das Buch des Lebens, wo die Namen der Erwählten unauslöschlich eingeschrieben sind, ist ein Zitat aus der Apokalypse 20,15 und 21,27. Die ganze Passage ist durchzogen von Bibelzitaten. Der Gedanke, dass wir nicht wegen unserer Tugenden von Gott erwählt werden, sondern, dass Gott erwählt, wen er will, und dass nichts den Erwählten von Gott trennen kann, ist reformierte Theologie, so wie sie damals in Frankreich gepredigt wurde. Die Verfasserin erweist sich als sehr bibelfest.
Im französischen Originalton kommt die Erwählung noch stärker durch:
“Car les graces de Dieu ne se donnent point aux hommes, pour leurs noblesse ou richesses, mais selon qu´il plaist à sa bonté, qui n´est point accepteur de personne, lequel eslit ce qu´il veult. Car ce qu´il a esleu, l´honore de ses vertuz, et le couronne de sa gloire. Et souvent eslit choses basses, pour confondre celles que le monde estime haultes et honorables. Comme luy mesme dict, ne nous rejouïssons point en noz vertuz: mais en ce que nous sommes escriptz au livre de la vie, duquel ne nous peut effacer mort, enfer, ne peché.“
Man sieht an meinen Hervorhebungen, wie oft einen Form des Verbum „élire“ = erwählen vorkommt. Aus der deutschen Übersetzung geht es nicht ganz so klar hervor.
Novelle 23
Auch die tragische Novelle 23 handelt von Gewalt, Betrug und Verirrungen. Außerdem gehört sie zu den zahlreichen Novellen, die von den Missetaten der Franziskaner berichten.
Kurz erzählt: Ein Barfüßermönch besucht einen Edelmann, dessen Frau kürzlich entbunden hat. Weil der Edelmann fromm und kirchentreu ist, fragt er den Mönch, ob er schon wieder mit seiner Frau schlafen darf, denn die Kirche sah bekanntlich eine Wöchnerin als unrein an. Der Mönch erlaubt es ihm, sorgt aber dafür, ein paar Stunden vorher unerkannt die Frau in ihrem Bett aufzusuchen, die nichtsahnend nachher ihren Mann fragt, warum er schon zum zweiten Mal komme? Der Mönch hat sich längst aus dem Staub gemacht, aber während der gekränkte Gatte ihn verfolgt, bringt die junge Frau sich aus Scham und Verzweiflung um, und durch einen Missgeschick nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Sohn in der Wiege. Ihr Bruder entdeckt die beiden Toten, glaubt der Schwager habe sie umgebracht, setzt ihm nach und tötet ihn, doch nicht ohne vorher von dem verwundeten Schwager den richtigen Tatbestand erfahren zu haben.
Auch diese Geschichte stammt aus dem Mund der Frau Oisille, die eine Vorliebe für solche Erzählungen zu haben scheint, so wie sie niemals unterlässt, die religiöse Moral daraus zu ziehen:
„Die junge Frau blieb allein in ihrem Bett und hatte keinen Rat und Trost als nur ihr kleines neugeborenes Kind. Sie bedachte den gräßlichen und sonderbaren Fall, der ihr zugestoßen war, und kam, ohne ihre Unwissenheit als Ausrede gelten zu lassen, zu dem Schluß, sie sei schuldig und die unseligste Frau der Welt. Sie hatte von den Franziskanermönchen nie etwas anderes gelernt, als daß man auf gute Werke bauen und seine Sünden durch ein strenges Leben, durch Fasten und Kasteien büßen müsse, und wußte nichts von der Gnade, die uns unser gütiger Gott durch den Kreuzestod seines Sohnes geschenkt hat, von der Vergebung der Sünden durch sein Blut, von der Versöhnung Gottvaters mit uns durch seinen Tod, von dem Leben, das den Sündern einzig durch seine Allgüte und Barmherzigkeit geschenkt wird. So übermannte sie die Verzweiflung…“ (Novelle 23 >>>)
Dieser Angriff, nicht auf das Leben, sondern auf die Lehre der Bettelmönche wurde in der Ausgabe von 1559 gestrichen. Es ist paulinische Lehre, Römer 3,23-25; 4, 5-6, und ist zunächst nicht anders, als was Erasmus, Lefèvre d´Etaples oder Bischof Briçonnet in Meaux in den Jahren von 1520-1524 hatte predigen lassen. Der Bischof hatte übrigens damals die Franziskaner mit Predigtverbot belegt, um seinen eigenen humanistisch orientierten Priester predigen zu lassen, aber in den Jahren um 1540 und später, als Marguerite das Heptameron schrieb und redigierte, wusste sie natürlich sehr wohl, dass die Rechtfertigung allein aus Gnade reformatorische Lehre sei. Während sie in vielen Novellen die schlechte Lebensführung der Bettelmönche anprangerte, war der Angriff in Novelle 23 viel ernster, denn hier wurde die Lehre angegriffen und dafür angeklagt, die Leute in Verzweiflung zu treiben. Ab und zu trifft man unter zeitgenössischen Theologen die Auffassung, die Rechtfertigungslehre sei eine zu pessimistische Beurteilung der Menschen und ihrer Kräfte, so Diarmaid McCulloch in seinem Buch „Die Reformation 1490 – 1700“ (deutsch 2008). Die Novellen im Heptameron zeigen hingegen eher, welche befreiende Kraft von der Lehre von der Gnade Gottes ausging.
Es ist auffallend, dass keine der beiden Novellen, 2 und 23, die irdische Gerechtigkeit erwartet. In beiden Fällen kommen die Übeltäter davon, während sie Mord und Verzweiflung hinter sich lassen. Verbrechen werden wenig geahndet im Heptameron, aber ab und zu, wenn man Glück hatte, schritt die königliche Familie ein, rettete die Unschuldige und bestrafte die Übeltäter. Die Königlichen, die Regentin Louise von Savoyen, Marguerite von Angoulême und natürlich Franz I., treten als „deus ex machina“ auf, damit die Gesellschaft wieder funktionieren konnte. Marguerites Rolle in vielen Novellen war, Klöster zu reformieren und Ordensleuten zu helfen oder zu bestrafen, eine Aufgabe, die sie auch im wirklichen Leben wahrnahm.
In den Novellen entsteht eine verschachtelte Konstruktion: Ein Erzähler – oder eine Erzählerin – berichtet im Prolog und in den Rahmenhandlungen sowie in den Debatten der einzelnen Tagen über eine Gruppe Edelleute, die sich Geschichten erzählen. Im Prolog und in den Geschichten wird wiederum oft vom Hofe erzählt, und hier tauchen die Königin und ihre Familie namentlich auf – in einigen Novellen auch anonymisiert, aber dennoch leicht erkennbar wie in Novelle 62 oben >>>. Marguerite als Verfasserin ist folglich nicht unbedingt identisch mit dem/der VerfasserIn der Prologe und Debatten, noch ist sie identisch mit einer der ErzählerInnen, sondern kann als Person in den Erzählungen vorkommen. Wir haben es folglich mit einer raffiniert konstruiertem Kunstwerk zu tun, und wenn wir z.B. die reformierten Ansätze bei Frau Oisille bemerken, müssen wir immer bedenken, dass diese theologischen Aussagen nicht unbedingt die Ansichten von Marguerite wiedergeben. Mehr dazu später, wenn die Gestalten der Erzähler behandelt werden.
Novelle 67
Die folgende Novelle 67 >>> ist eine geschichtliche Novelle, die auf einer wahren Begebenheit beruht, jedoch wieder reformierte Theologie betreibt. Sie handelt von einer Expedition nach Kanada, wo ein Mann und eine Frau auf einer einsamen Insel vor der kanadischen Küste ausgesetzt werden. Später wird die Frau noch lebend gefunden und zurück nach Frankreich gebracht.
Diese Geschichte beruht auf einer wirklichen Begebenheit (siehe Anhang IV >>>): Franz I. hatte seit 1524 verschiedene Expeditionen nach Amerika ausrüsten lassen. 1541-42 ließ er den Kapitän François de la Roque, Sieur de Roberval, es mit ein paar Schiffen versuchen, Kanada – das hier noch eine Insel genannt wird! – zu besiedeln. Mit an Bord waren Edelmänner und –frauen, Handwerker und auch zum Teil Gefängnisinsassen, die eine Chance für ein neues Leben bekommen sollten. Diese Expedition führte nicht zu sehr viel, die Kolonie musste aufgegeben werden, da der kanadische Winter zu lang und hart war. Unter den Frauen an Bord war auch eine Verwandte des Kapitäns, Marguerite de la Roque, die sich in einem jungen Mann verliebte, und als Strafe auf einen Insel vor der Küste Labradors – es handelt sich um die Île de la Demoiselle, heute unter den Harrington Islands zu finden - ausgesetzt wurde. Nachdem die junge Dame mit ihrer Amme dorthin gebracht worden war, schloss der junge Mann sich ihnen an. Sie wohnten dort, bis erst der junge Mann starb, dann ein gemeinsames Kind und schließlich die Amme. 1544 – nach zweieinhalb Jahren auf der Insel - wurde die Frau von französischen Fischern gefunden und zurück nach Frankreich gebracht.
Die Novelle >>> macht aus dem Liebespaar ein Handwerkerehepaar. Der Mann begeht einen Verrat und die Frau folgt ihm in die Verbannung. Die Frau hat ein Neues Testament bei sich:
„Und da sie einzig in Gott Trost fand, trug sie ständig als Schutz und Schirm, als Erquickung und Trost das Neue Testament bei sich, in dem sie unablässig las.“
Die Kirche, die Priester und die Sakramente sind nicht wirklich notwendig, solange dass sie eine Bibel hat und damit kann die Frau priesterliche Funktionen übernehmen:
„…daß er (der Mann) bald darauf starb, nur von seiner Frau gewartet und getröstet, die ihm als Arzt und Beichtiger diente, so daß er freudig aus dieser Einöde in die himmlische Heimat überging.“
Nach seinem Tod musste sie alleine weiterleben:
„So lebte sie, was ihren Leib betraf, ein tierisches Leben, hinsichtlich ihrer Seele aber fromm und rein wie ein Engel und verbrachte ihre Zeit mit Lesen, Beten, Andachten und fromme Betrachtungen und behielt ein frohes und zufriedenes Gemüt in einem abgezehrten und halb toten Leib. Doch er, der die seinen nicht verläßt und, wenn alle verzweifeln möchten, seine Macht zeigt, ließ es nicht zu, daß die Tugend, die er dieser Frau verliehen hatte, den Menschen verborgen bleibe, sondern wollte, daß sie zu seinem Ruhm bekannt werde.“
Endlich wird sie von einer der Expeditionsschiffe gefunden und nach La Rochelle verbracht, wo sie als Lehrerin bei den Damen der Stadt hoch geehrt weiterlebt.
Im Prolog hatte Parlamente vorgeschlagen, sie sollten nach Art des „Dekameron“ von Boccaccio, der am Hofe so geschätzt wurde, Novellen erzählen. Boccaccio hatte eine Gesellschaft von zehn jungen Männern und Frauen auf der Flucht vor der Pest in Florenz, in zehn Tagen insgesamt hundert Novellen erzählen lassen. Am französischen Hof wollte man es ihm ähnlich machen, „doch sollte zum Unterschied von Boccaccio keine Novelle aufgezeichnet werden, die nicht auf einer wahren Begebenheit beruhte“ und deshalb meinte Parlamente, dass die Gruppe sich an die historische Wahrheit halten sollte: „jeder erzählt eine schöne Geschichte, die er selbst erlebt hat oder von einem vertrauenswürdigen Mann gehört hat.“
Novelle 67 >>> ist, wie wir gesehen haben, eine solche wahre Geschichte, erzählt von einem der Herren, Symontault:
„Da ich nun sehe, daß das schwache Geschlecht einer Tat fähig ist, die gemeinhin über die Kraft einer schwachen Frau geht, nehme ich das zum Anlaß, euch zu erzählen, was ich vom Kapitän Robertval und mehreren seiner Begleiter gehört habe“.
Dennoch erlaubte die Königin als Verfasserin des Heptamerons es sich, in die Geschichte gestaltend einzugreifen. Unter ihrer Feder soll die Geschichte die Vorsorge Gottes schildern:
„Das wäre ihnen (scil. den Rettern) schier unglaublich vorgekommen, hätten sie nicht gewußt, daß Gott auch in einer Wüste seine Diener ebenso zu ernähren vermag wie bei den üppigsten Festmählern der Welt.“
Die Frau zeigte eheliche Treue, sie blieb fest im Glauben, und wichtig ist, dass ihr das Neue Testament völlig reichte, um den Mann zu trösten, als er sterben musste, und um sich selbst zu erhalten. Einen typisch protestantischen Frömmigkeitstyp führt Marguerite uns vor Augen: sola scriptura! Die Bibel allein ist ausreichend für die Gläubigen. Priester und Sakramente sind überflüssig, und der Mann kommt in die Himmel, nachdem er seiner Frau gebeichtet hat, ohne Sterbesakrament. Zu der Zeit, als Marguerite schrieb, erkannte man unter Anderem Protestanten daran, dass sie nicht den Priester für das Sterbesakrament holen ließen. Damit ist die Erzählung nicht länger ein Bericht von einer tapferen jungen Frau, sondern eine erbauliche Geschichte von Gottvertrauen und Gottes Hilfe in der Not. Man bemerke auch, dass die Tugenden der Frau ihr von Gott geschenkt sind: Gott allein die Ehre – eine typisch protestantische Haltung!
Über die ErzählerInnen
Ich habe die religiösen Inhalte der Erzählungen hervorgehoben, es muss aber hinzugefügt werden, dass die Königin keineswegs prüde war. Sie ließ einige Männer derbe Geschichten erzählen, und eine junge Frau, wie die Erzählerin Nomerfide, konnte recht grobe Späße berichten.
Man hat in der Forschung allgemein angenommen, dass ihre ErzählerInnen historische Personen des navarresischen Hofes darstellen, dass Parlamente Marguerite selbst sei, und Hircan der König Henri d´Albret, ihr Gemahl, Oisille ihre Mutter Louise von Savoyen. Kurzum, alle die eigenartigen Namen der ErzählerInnen sollten Anagramme sein, wie man sie im 16. Jahrhundert in höfischen Kreisen gerne bildete. Nun wissen wir, dass Louise von Savoyen in der Zeit ihrer Regentschaft die Protestanten hart verfolgte. Das passt nicht so recht zu der Frömmigkeit der Oisille. Betty Davis hat in ihr Studie über die ErzählerInnen klar gezeigt, dass die familiären Verbindungen unter den Personen, die zu den historischen Persönlichkeiten passen sollten, komplett fehlen. Daher muss man annehmen, dass die ErzählerInnen nicht den Persönlichkeiten in der Umgebung der Königin nachgebildet wurden. Marguerite schrieb in ihren letzten Lebensjahren, neben dem Heptameron eine Reihe von Schauspielen, meistens mit klaren Charakteren: die weise Frau, die Mondäne, die Abergläubische usw. Da die Debatten im Heptameron reine Dialoge sind und da die Autorin die ErzählerInnen mit diesen Dialogen trefflich charakterisiert, so dass man irgendwann meint, diese Leute zu kennen, und schließlich das Heptameron liest, um zu erfahren, was sie zu den Geschichten meinen und sagen, sind die ErzählerInnen m.E. Kunstfiguren, Typen, die Marguerite verwendet, um zu zeigen, wie sie die Erzählungen interpretiert haben möchte. So werden im Laufe der Tage die Geschichten immer kürzer und die Debatten immer interessanter.
Es gibt innerhalb des Heptamerons sogar einen Hinweis darauf, dass die Königin mehr wollte als „nur“ Geschichten erzählen: Im Epilog zum zweiten Tag wird berichtet, wie die Gesellschaft, die sich zur Vesper in der Kirche eingefunden hat, feststellen muss, dass die Mönche sich verspätet haben, weil „sie sich bäuchlings hinter einer dicken Hecke in einen Graben gelegt“ hatten, um den Geschichten zuzuhören. Es wird ihnen dann gestattet, bequem hinter der Hecke zu sitzen, um dabei zu sein. Am dritten Tag diskutiert die Gruppe eifrig und lange eine Erzählung:
„’Aber ihr achtet ja gar nicht auf das, was ich sehe’ rief auf einmal Hircan. ‚Während wir uns nämlich unsere Geschichten erzählten, haben die Mönche hinter jener Hecke die Vesperglocke völlig überhört, und jetzt, da wir von Gott zu sprechen angefangen haben, sind sie auf und davon und läuten eben zum zweiten Mal.’“ (Novelle 30 >>>)
Die einfältigen Mönche hören sich gerne die erotischen Erzählungen an, aber, wenn dann die Interpretation folgt, und die Gruppe die religiöse Moral, die in der Geschichte steckt, herausarbeitet, langweilen sie sich und laufen davon. Nur über die Diskussionen eröffnet sich der tiefere Sinn der Erzählungen, und nur dort kommen solche Sätze vor:
„…denn all das Böse, das wir hier von Männern und Frauen sagen, wird nicht zur besonderen Schande derer gesagt, von denen die Geschichten handeln, sondern um mit der Überschätzung des Vertrauens in der menschliche Kreatur aufzuräumen, indem wir die Schwächen zeigen, denen sie unterworfen ist, auf daß unsere Hoffnung sich auf Gott allein stütze, der vollkommen ist und ohne den jeder Mensch eitel Unvollkommenheit ist.“ (Debatte Novelle 48 >>>)
Oder: „Gerade die Frauen, die am wenigsten darüber zu sprechen vermögen, fühlen am besten Gottes Liebe und Absicht. Darum soll man nur über sich selbst richten.“ (Debatte Novelle 65 >>>; Hervorhebung der Verfasserin).
Die letzten Worte zeigen die Toleranz der Königin und könnten als Motto über das ganze Heptameron stehen.
„Wie lange hinket ihr auf beiden Seiten?“
Mit Worten des Propheten Elias drang Calvin die Sympathisanten der Reformation zu mehr Entschlossenheit: "Wie lange hinket ihr auf beiden Seiten?" (1. Könige 18,21) Man konnte nach Calvins Auffassung nicht ewig zwischen dem Herr Gott und Baal zögern, sondern musste sich bekennen. Calvin hatte es längst aufgegeben, die katholische Kirche von innen reformieren zu wollen, und forderte deshalb Alle, die die Wahrheit des reformierten Glaubens eingesehen hatten, zur Flucht auf. Damit verlangte er nicht mehr, als was er selbst bereit gewesen war, zu tun (siehe Anhang II >>>). Blieb ein offen bekennender Protestant in Frankreich, drohte ihm der Scheiterhaufen.
Deshalb muss an dieser Stelle der Versuch unternommen werden, die Frage zu beantworten, inwieweit Marguerite von Navarra insgeheim eine Protestantin war. Sie blieb in der katholischen Kirche, weil sie ihren Bruder liebte, und seine Stellung als Oberhaupt der gallikanischen Kirche respektierte. So viel ist klar. Aber auch nach dem Tod ihres Bruders hatte sie einen Franziskaner als Beichtvater und empfing das Sterbesakrament aus dessen Händen. Wäre sie insgeheim eine Protestantin gewesen, hätte sie spätestens auf dem Sterbebett auf geistliche, katholische Hilfe verzichten können, wie viele es damals taten.
Die Kirchenkritik, die die Königin von Navarra im Heptameron äußert, ist mit dem Humanismus innerhalb des Katholizismus vereinbar, wie Erasmus und Bischof Briçonnet in Meaux mit seinem Kreis von Männern wie Lefèvre d´Etaples, Guillaume Farel und Gérard Roussel ihn propagierten. Die Königin wollte alle die berechtigten und guten reformatorischen Ansätze mit ihrem katholischen Glauben verbinden und so die katholische Kirche von innen reformieren. In diesem Sinn wirkte der von ihr eingesetzten Bischof von Oloron, Gérard Roussel, in Navarra, in seiner Diözese. Calvin war zutiefst traurig und enttäuscht darüber, dass Roussel in der Kirche als Bischof blieb. Aber Roussel versuchte, ganz im Geist von Marguerite das Gute aus der Reformation in der katholischen Kirche zu erhalten. So teilte er das Abendmahl in beiderlei Gestalt aus, und gerade hier liegt vielleicht der Grund für Marguerites Verbleiben in der katholischen Kirche: in Frankreich trennten sich die Geister in der Abendmahlsfrage.
Für die Katholiken war es wichtig, dass in dem Augenblick, als der Priester die Einsetzungsworte 1. Korinther 11, 23-25 aussprach, die Wandlung von Brot und Wein ins Fleisch und Blut Christi vollzogen wurde. Das Opfer Christi auf Golgatha wurde damit wiederholt und die Gläubigen konnten sicher sein, dass Gott selbst unter den Menschen wohnte. Deswegen wurde bei den Fronleichnamsprozessionen die Hostie in aller Ehre und Andacht angebetet. Für die Protestanten dagegen – und das war lange vor Calvins Zeit, als Zwinglis Lehre schon großen Einfluss in Frankreich hatte – war Gott keinesfalls in der Hostie gegenwärtig. Die Protestanten spotteten über „einen Gott aus Teig“, sie schmückten weder ihre Häuser für die Fronleichnamsprozession noch schlossen sie sich ihr an, sondern sie feierten das Abendmahl als Erinnerung an das einmalige Opfer Christi und als Zeichen ihrer Zusammengehörigkeit um den Tisch des Herrn. Sie galten in Frankreich als Sakramentarier, und weil sie die Gegenwart Gottes in der Hostie, und damit im Land, im Frankreich, verneinten, begingen sie praktisch Landesverrat. Der König von Frankreich, der sich der allerchristlichste nannte, war Oberhaupt der Kirche und durch seine Salbung bei der Krönung war er gottgeweiht. Er konnte z.B. mit einer Berührung Kranke heilen. Diese Verbindung von Gott, König und Vaterland zeigt der katholische Kampfruf: „Ein Gesetz, ein König, ein Glaube!“
Weil die Messe von Protestanten als Götzendienst aufgefasst wurde, flüchteten sie nach Straßburg, wo Calvin ein paar Jahre lang die französische Flüchtlingsgemeinde als Pastor betreute, und dann später nach Genf. Der Ausweg, den das Heptameron in den Prologen und Epilogen nahelegt: zuerst in der Bibel zu lesen und Psalmen zu singen, um dann in die Messe oder zur Vesper zu gehen, war für viele Protestanten zu sehr ein Kompromiss mit der Abgötterei.
Im Heptameron kommt das Abendmahl sehr selten vor: im Prolog >>> wird an einer Stelle geschildert, wie die Gruppe „das heilige Sakrament“ empfängt, „in dem alle Christen vereint sind“. Oder später, in der Debatte zu Novelle 61 >>>, heißt es:
„… das heilige Sakrament, welches, wenn man es nicht gläubig und in christlicher Demut empfängt, zu ewiger Verdammnis reicht.“
In keiner dieser Aussagen berührt die Königin die konfessionstrennende Auffassungen, im Gegenteil, sie hat es vorsichtig unterlassen, zumal die Verfasserin des Prologs nicht sie selbst sein muss, und es Hircan ist, der sich in Novelle 61 ausspricht.
1549 starb Marguerite, gewissermaßen rechtzeitig, bevor die Religionskriege in Frankreich jede Möglichkeit eines dritten Weges ausschlossen. Bischof Roussel wurde 1550 von einem aufgebrachten Katholiken umgebracht. Marguerites Tochter, Jeanne d´Albret, wurde 1560 überzeugte Hugenottin und nahm an den Religionskriegen teil.
Das Verständnis, das Marguerite für die Reformation und deren Anhänger aufbrachte, kann man im Briefwechsel der Reformatoren deutlich erkennen. Die Reformation in Frankreich hat ihr viel zu verdanken, und vielleicht gelang es ihr, so vielen Protestanten zu helfen, gerade weil sie katholisch blieb.
Anhang I: Die Ausgaben des Heptameron >>>
Anhang II: Von der Theologie >>>
Anhang III: Die Psalmen >>>
Anhang IV: Kanada >>>
Literatur
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Belleforest, François de: Histoires Tragiques, Paris 1564-1616
Bryson, David: Queen Jeanne and the Promised Land,
Ellwood, Christopher: The Body Broken, The Calvinist doctrine of the Eucharist and the Symbolization of Power in Sixteenth Century France, New York, Oxford 1999
Lefèvre, Sylvie: L´Heptaméron entre editions et manuscrits, in: Marguerite de Navarre 1492-1992, Actes du Colloque de international de Pau, Mont-de-Marsan 1992
Lenselink, Samuel Jan: Les Psaumes de Clément Marot, Édition critique du plus ancient texte (ms. Paris B.N.Fr. 2337) avec toutes les variantes des manuscrits et des plus anciennes Éditions jusqu´`a 1543, accompagnée du texte definitive de 1562 et precede d´une etude. Assen 1969
Macculloch, Diarmaid: Die Reformation: 1490-1700, München 2008
Martineau-Genieys, Christine: La Lectio Divina dans l´Heptaméron, in: Etudes sur l´Heptaméron de Marguerite de
Morison, Samuel Eliot: The European Discovery of
Schlesinger, Roger & Stabler, Arthur P.: André Thevet´s North America, a Sixteenth Century View,
Salminen, Renja: Une nouvelle lecture de l´Heptaméron: le manuscript 2155 de la Bibliothèque Nationale de Paris in: Marguerite de Navarre 1492-1992, Actes du Colloque international de Pau, Mont-de-Marsan 1992
Schmidt, Charles: Gérard Roussel, Prédicateur de la reine Marguerite de Navarre, 1. Ausgabe Strasbourg 1845, Slatkine Reprints, Genève 1970
Screech, M. A.: Clément Marot, A Renaissance Poet Discovers the Gospel, Lutheranism, Fabrism and Calvinism in the royal courts of
Wanegffelen, Thierry: Ni Rome ni Genève, Des fidèles entre deux chaires en France au XVIe siècle, Paris 1997
©Merete Nielsen, Göttingen
Die Herzogin von Alençon und Königin von Navarra war humanistisch geprägt und hielt ihre schützende Hand über Humanisten, Lutheranern und Reformierten in Frankreich.