EKHN: Flüchtlingshilfe statt populistischer Asyldebatte

Kirche und Diakonie bauen Verfahrensberatung aus - Kritik an Stimmungsmache gegen Roma

Frankfurt/Darmstadt/Gießen, 2. November 2012. Die Evangelische Kirche und das Diakonische Werk in Hessen und Nassau haben ihr Engagement in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in Gießen vorübergehend ausgeweitet. Seit letzter Woche arbeitet dort eine Flüchtlingsberaterin des Evangelischen Dekanates mit voller Stelle. Anlass hierfür ist die steigende Zahl von Asylsuchenden.

„Beratung, Unterstützung und Seelsorge für Menschen, die ihre Heimat gezwungenermaßen verlassen mussten und hier Schutz suchen, ist eine zentrale Aufgabe von Kirche und Diakonie. Ich bin sehr froh, dass wir unser Engagement für Flüchtlinge mit großzügiger Unterstützung der Evangelischen Kirche in Deutschland sogar ausbauen können“, erklärt der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Dr. Volker Jung. Der Gießener Dekan Frank-Tilo Becher erläutert: „Die Zahl Asylsuchender steigt seit Jahren und noch einmal verstärkt seit diesem Herbst. Die Hauptherkunftsländer  in Hessen sind zurzeit Serbien, Afghanistan, Pakistan, Mazedonien und Syrien. Die Bemühungen des Landes Hessen zur Unterbringung dieser Menschen ergänzen wir durch ein verstärktes haupt- und ehrenamtliches Engagement.“

Asylverfahren müssen fair bleiben

Der Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau, Dr. Wolfgang Gern, kritisiert die populistische Debatte über einen angeblichen „Asylmissbrauch“ durch Roma aus Serbien und Mazedonien. In der Tat seien unter den Asylsuchenden gerade vor dem Winter verstärkt Angehörige der Minderheit der Roma, die in Serbien und Mazedonien vielfach Opfer von Diskriminierung und rassistischen Übergriffen sind und in menschenunwürdigen Verhältnissen leben müssen. „In Einzelfällen haben die geschilderten Diskriminierungen immer wieder zur Gewährung von Asyl geführt. Darum brauchen wir auch weiterhin faire Asylverfahren und eine individuelle Prüfung der Asylbegehren“, so Gern. Verkürzte Asylverfahren, indem man Serbien und Mazedonien einfach zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erkläre, seien der falsche Weg. „Jede einzelne Anerkennung macht deutlich, dass diese Länder gerade für die Minderheit der Roma alles andere als sicher sind“, betonte Gern.

Keine Absenkung von Sozialleistungen

Kirchenpräsident Jung lehnt eine Kürzung der Sozialleistungen für Asylantragsteller ab. In diesem Sommer hatte das Bundesverfassungsgericht eine Anhebung der Leistungen beschlossen, weil ein menschenwürdiges Existenzminimum der Antragsteller bisher nicht gesichert war. „Die Kürzung von Barleistungen für bestimmte Personengruppen zwecks Abschreckung ist aus unserer Sicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar. Das höchste deutsche Gericht hat unmissverständlich festgestellt, dass die Menschenwürde ‚migrationspolitisch nicht zu relativieren‘ ist“, betont Jung. Dekan Becher wandte sich gegen den Vorschlag einiger Politiker, statt Geld nur noch Sachleistungen auszugeben. „Das hieße mehr Bürokratie, letztlich höhere Kosten und beträfe alle Asylsuchenden, auch die aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan. Diese stellen im Jahresdurchschnitt immer noch den Hauptanteil aller Asylbewerber.“

Lebensbedingungen der Roma verbessern

Diakonie-Chef Gern kritisiert schließlich die Forderung des hessischen Innenministers, für Serbien und Mazedonien die Visumspflicht wieder einzuführen. „Die Beschränkung der Reisefreiheit ist genauso falsch wie die absichtliche Verschlechterung der Lebensverhältnisse hier Schutz suchender Menschen“, sagt Gern. „Vielmehr muss sich Deutschland gemeinsam mit anderen europäischen Ländern intensiver darum bemühen, die Lebensbedingungen von Roma in ihren Herkunftsländern zu verbessern.“

Gemeinsam warnen Jung, Gern und Becher davor, durch Übertreibungen und eine künstliche Dramatisierung der aktuellen Situation Ressentiments und Vorurteile gegenüber Asylsuchenden  und insbesondere der Minderheit der Roma zu schüren. „Die derzeit steigende Zahl von Asylsuchenden ist keine Katastrophe. Die damit verbundenen Herausforderungen können gemeistert werden. Mit der Ausweitung unseres Engagements in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen wollen wir einen Beitrag dazu leisten.

Erläuterung:

Definition „Sichere Herkunftsstaaten“

Dies sind Staaten, bei denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse die gesetzliche Vermutung besteht, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet (§ 29a AsylVfG). Diese Vermutung besteht, solange ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht glaubhaft Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, dass er entgegen dieser Vermutung doch politisch verfolgt wird. Als „sichere Herkunftsstaaten“ gelten außerhalb der EU zurzeit lediglich Ghana und Senegal.


Pressemeldung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, November 2012