Wenn aus Hoffnung Dramen werden – Frontex gegen die ''illegale Migration''

Informationsveranstaltung mit Podiumsdiskussion in der Katholischen Hochschule Aachen

Wenn kurz vor Weihnachten an einem Abend mitten in der Woche die Aula der Katholischen Hochschule Aachen bis auf den letzten Platz besetzt ist, dann ist das außergewöhnlich. Professorin Dr. Marianne Geneger-Stricker begrüßte ein engagiertes Publikum zur Informationsveranstaltung „Wenn aus Hoffnung Dramen werden – Frontex gegen die „illegale Migration“.

Ausgewiesene Fachleute informierten über die europäische Grenzsicherungs-Agentur Frontex: der ehemalige Kapitän der „Cap Anamur“, Stefan Schmidt, die Migrationsforscherin Dr. Gerda Heck, der Mitarbeiter im Aachener „Café Zuflucht“, Ali Ismailovski, und der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Jülich, Pfarrer Jens Sannig.

Alfrid Spinrath vom Diözesanrat Aachen verwies in seiner biblischen Einleitung darauf, dass die Botschaft des Jesus von Nazareth universal, also an alle Menschen und Völker ohne Einschränkung gerichtet sei. Folgerichtig habe Papst Johannes XXIII. beim 2. Vatikanischen Konzil einen Dialog mit der Welt, also über die Grenzen der katholischen Kirche hinaus, gefordert.

Frontex – die unbekannte Agentur mit hochwirksamer Arbeit

Stefan Schmidt beschrieb die Arbeit von Frontext und ihre Folgen. 280 Mitarbeitende organisieren und koordinieren den Schutz der europäischen Grenzen. Hinter dieser nüchternen Beschreibung verbirgt sich eine Arbeit, die Flüchtlinge aus Afrika und Asien daran hindert, europäisches Gebiet zu betreten. Die angewandten Mittel haben nichts mit humanitärer Hilfe zu tun. Im Gegenteil: Länder wie Marokko oder Libyen werden mit hohen Geldbeträgen dafür bezahlt, dass sie bereits auf ihrem Staatsgebiet Flüchtlinge daran hindern, nach Norden weiter zu reisen. Die angewandten Mittel reichen von der Errichtung scharf bewachter Lager über den Bau von Grenzanlagen, bei denen die Grenzsicherung der DDR Pate gestanden haben könnte, bis hin zur physischen Vernichtung der Menschen, die oftmals eine lange und entbehrungsreiche Flucht hinter sich haben. Schmidt wies darauf hin, dass während der gesamten Zeit des Bestehens der DDR etwa 150 Menschen an der innerdeutschen Grenze den Tod gefunden haben, dass an den Grenzen zu Europa jedes Jahr etwa 1500 Menschen sterben. Der Öffentlichkeit bekannt ist nur ein kleiner Teil, etwa die Flüchtlingsboote im Mittelmeer, die von Grenztruppen gestoppt, aller an Bord befindlichen Nahrungsmittel und Wasservorräte beraubt und zurückgeschickt werden. Stefan Schmidt und der von ihm mitbegründete Verein „borderline europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V.“ beobachten genau die Folgen der Arbeit von Frontex.

Frontex und die Folgen für Migrantinnen und Migranten

Dr. Gerda Heck sieht in der Agentur Frontex einen Faktor unter vielen, die die Situtation der Flüchtlinge in den vergangenen 20 Jahren verschärft haben. Das Schengen-Abkommen beispielsweise habe die innereuropäischen Grenzen geöffnet, aber die Schließung der europäischen Grenzen nach außen perfektioniert. Die 2005 gegründete Agentur Frontex diene eben diesem Zweck, das Bollwerk Europa zu befestigen. Zudem werde auf die Fluchtstaaten in Asien und Afrika wirtschaftlicher Druck ausgeübt, damit sie selbst Menschen an der Flucht Richtung Europa hindern. Eine der Folgen dieser europäischen Politik seien immer längere Fluchtwege, die immer mehr Geldmittel erforderten. Unverändert seien die Fluchtgründe: politische Verfolgung mit Bedrohung des Lebens, aber auch beispielsweise das Ziel, die Familie ernähren zu können. Die Ärmsten der Armen könnten sich eine Flucht finanziell nicht leisten, es sei eher die Mittelschicht, die ihr Heimatland verlasse. Dr. Heck brachte das Verhalten der EU auf den Punkt, indem sie von einem „neuen System der Apartheid in Europa“ sprach.

Frontex – das unmenschliche Angesicht europäischer Flüchtlingspolitik

Moderiert von Michael Hippler, Leiter der Abteilung Afrika und Naher Osten bei MISEREOR, brachten Ali Ismailovski, Superintendent Sannig, Stefan Schmidt und Dr. Gerda Heck ihre persönlichen Erfahrungen und Gedanken ein.

Superintendent Sannig berichtete von Erfahrungen der marokkanischen Partnerkirche seines Kirchenkreises Jülich, die eine intensive Arbeit mit Flüchtlingen betreibt. „Es ist alles noch viel schlimmer, als es uns die Medien vermitteln. In Marokko werden Flüchtlinge im Auftrag von Frontex gezielt einzeln in der Wüste ausgesetzt, damit sie dort sterben.“ Kinder, die auf der Flucht geboren würden, seien rechtlich nicht existent und hätten daher kein Recht auf Gesundheitsvorsorge oder Bildung. Die Friedensnobelpreisträgerin EU verstoße mit ihrer Abschottungspolitik gegen das Menschen-, ja Gottesrecht der Migration.   

Ali Ismailovski brachte seine Erfahrungen mit den Problemen der Flüchtlinge vor Ort ein. Die wenigen, denen überhaupt eine Flucht nach Deutschland gelungen sei, hätten die Belastungen des Asylverfahrens zu tragen, aber auch die Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden resp. finden zu dürfen. Der rechtliche Status der Duldung sei mit dem ständigen Gefühl von Unsicherheit verbunden. Die hohe psychische Belastung führe zu einer gesteigerten Suizidalität. Positiv wußte er davon zu berichten, dass einige Aachener Ärzte Flüchtlinge kostenlos behandeln.

Einig waren sich alle in der Forderung, die Stefan Schmidt formulierte: Fluchtgründe fallen weg, wenn wir aufhören, anderen Menschen etwas weg zu nehmen, wenn wir anfangen, alle Menschen menschlich zu behandeln. Oder mit anderen Worten: Es müsse ein Ziel aller Politik sein, die humanitären Bedingungen vor Ort entscheidend zu verbessern zum Wohl der Länder und ihrer Menschen. Dann würden die Gründe wegfallen, warum gut ausgebildete und politisch engagierte Menschen sich zur Flucht entschlössen, was natürlich auch zum Nachteil ihres Heimatlandes geschehe, dem dann eben diese Menschen fehlten.

Und für den Umgang mit den Menschen, die es tatsächlich geschafft haben, Deutschland zu erreichen, wurde der Wunsch formuliert, dass sie bei uns ohne Angst vor Abschiebung und unter menschenwürdigen Bedingungen leben können.

Nicht zuletzt das abschließende Gespräch mit dem Auditorium machte deutlich, dass die Veranstalterinnen und Veranstalter ihr Ziel erreicht hatten, „den Blick für das Leiden der Menschen an den Außengrenzen Europas schärfen, auf die politische und gesellschaftliche Verantwortung zu dieser Situation hinzuweisen und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen“.                                                                                                                          

 


© Johannes de Kleine, 20. Dezember 2012