Kirchentag persönlich: ''Ich richte täglich.''

Tagebuchnotiz am Ende eines Tages auf dem DEKT. Von Barbara Schenck

Hamburg, 2. Mai gegen Mitternacht. Eine kurze Notiz zur Bibelarbeit von Ines Pohl, Chefredakteurin der TAZ, Berlin. Das Gleichnis von der bittenden Witwe in Lukas 18 ist der Text: Eine Witwe fordert von einem Richter, ihr Recht zu schaffen. Der Richter will ihr einwilligen, denn sie macht ihm so viel Mühe und er sorgt sich selbst, ob die Witwe ihm wohl ansonsten ins Gesicht schlüge. Ihrem Metier, dem Journalismus entsprechend hat Ines Pohl viele Fragen:

Wer war die Witwe? Welches Unrecht ist der Frau geschehen? Ist die Witwe eine Migrantin? Eine Deutsche? Wer war der Richter? Wer kommt böse auf die Welt? Warum denkt er gleich an Schläge? War er traumatisiert? Braucht er eher Therapie als die Macht eines Richterstuhls? Eine ganze Reihe von Deutungen der Metaphern zog Pohl in Erwägung, bevor sie ihre persönliche preisgab. Im Bewusstsein ihre Machtstellung als Journalistin, erst recht als Chefredakteurin habe Lukas 18 sie an die Richterin in ihr selbst erinnert: "Ich richte täglich." Und sie müsse sich fragen, ob ihr nicht manche Klagen lästig geworden seien. Das Gleichnis rufe auf, sich selbst zu prüfen, denn wir alle richteten täglich, träfen Urteile.
Die Auslegung vom Gleichnis der bittenden Witwe war die erste Bibelarbeit der Journalistin auf einem Kirchentag. Das Fazit der Chefredakteurin ist: "Ich danke der Bibel, dem Kirchentag für die Erinnerung an die Richterin in mir und die Verantwortung für die Gerechtigkeit".
Danke, Ines Pohl.


Barbara Schenck, 2. Mai 2013