Was mich treibt

Mittwochs-Kolumne. Von Barbara Schenck

"Immer mehr Menschen fragen nach Sinn."* Ich gehöre nicht dazu. Mich treibt etwas Anderes: "Die Menschen suchen nicht nach dem Sinn des Lebens, sondern nach dem Gefühl, lebendig zu sein" (Joseph Campbell). Ja, lebendig sein, voll Tatendrang, voll Lust auf heute, morgen, übermorgen. Das isses.

Das Gähnen bei der Frage nach dem Sinn des Lebens könnte modern sein, ein Zeichen für das nachmetaphysische Denken, das die großen Warum-Fragen nicht stellt, religiöse Bindung und Sinngebung allenfalls privatissime duldet. Ich fürchte, bei mir ist der Unmut, die Sinnfrage zu stellen, eher antiquiert. Ein Verdienst meines Glaubens: Wenn Gott den Menschen sucht, was soll ich Wurm mich dann noch mit der Sinnsuche plagen? Wie die Lilie auf dem Felde trinke ich aus der "Quelle des Lebens" (Psalm 36) und schöpfe aus Jesu Wort "wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten" (Joh 4,14). Zumindest momentan ist das mein Lebensgefühl.
Kaum ist das ausgesprochen, hört mein Theologinnenohr den Einwand. Kennst du nicht die erste Frage aus Calvins Genfer Katechismus? "Was ist der Sinn des Lebens?" - "Die Erkenntnis Gottes." "Nichts als recht und billig" sei es, argumentiert Calvin, dass unser Leben, dessen "Ursprung" Gott sei, "wiederum seiner Verherrlichung diene". Ist das nicht eher eine Aufgabe als Sinngebung? Oder fällt beides in eins? Zugegeben: Den Sinn des Lebens muss ich mir nicht geben, aber bei dem, was es so tagein tagaus zu tun gibt, frage ich mich schon: Ist das sinnvoll? Diese Kolumne zu schreiben etwa? Höchste Zeit, den Schreibtisch zu verlassen, den Körper aufs Rennrad zu schwingen, die Beine strampeln zu lassen, den Rausch beim Bergabrasen zu genießen, das Blut durch den Kopf brausen zu lassen. Mit ein bisschen Glück kommt ganz von selbst eine neue Idee, was ich ändern könnte "to make the world a better place". Dann braucht's nur noch die Kraft, das Gedachte anzupacken, und dann, ja dann hätt' ich gar nichts dagegen, wenn Calvin sagen könnte: Das ist "Verherrlichung Gottes".
Schön wär's.

Quellen:

*Das Zitat am Anfang stammt - frei aus dem Gedächtnis zitiert - aus dem Umschlag zu dem neuen Buch von Wilhelm Schmid: "Dem Leben Sinn geben. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen und der Welt".

Das Zitat von Joseph Campell entnehme ich dem Buch: "Wer wir sind und was wir wollen. Ein Digital Native erklärt seine Generation", München 2013.
Quelle des Originals ist vermutlich der Dokumentarfilm mit Gesprächen des Mythenforschers aus dem Jahr 1988: Joseph Campbell and the Power of Myth. Die Serie umfasst sechs einstündige Unterhaltungen zwischen dem Mythenforscher Joseph Campbell (1904 – 1987) und dem Journalisten Bill Moyers. In der zweiten Episode heißt es:
"People say that what we're all seeking is a meaning for life. I don't think that's what we're really seeking. I think what we're seeking is an experience of being alive, so that our life experiences on the purely physical plane will have resonance within our own innermost being and reality, so that we actually feel the rapture of being alive. That's what it's all finally about." (Quelle: Wikipedia)

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Barbara Schenck, 31. Juli 2013