Welker: Was nützt uns die Herrschaft Christi?

Der Heidelberger Katechismus und seine Zukunftspotentiale

Bericht von Karlfried Petri über eine Vortragsveranstaltung zu 450 Jahre Heidelberger Katechismus - Vortrag von Prof. Dr. Michael Welker online

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von Prof. Dr. Michael Welker (PDF)

Im reformiert geprägten Evangelischen Kirchenkreis Siegen fand jetzt (13. November. 2013) eine Vortragsveranstaltung für Theologen und interessierte Gemeindeglieder statt, zu der die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) gemeinsam mit dem Ev. Kirchenkreis Siegen in das Gemeindehaus der Evangelischen Christus-Kirchengemeinde am Siegener Wellersberg eingeladen hatte. Anlässlich des zu Ende gehenden 450. Jubiläumsjahres des Heidelberger Katechismus referierte der weit über Deutschland hinaus bekannte reformierte Theologe Dr. Dr. Michael Welker, Heidelberg, über das anspruchsvolle Thema: „Was nützt uns die Herrschaft Christi? Der Heidelberger Katechismus und seine Zukunftspotentiale“. Oberkirchenrat Dr. Ulrich Möller stellte den Wissenschaftler vor, der auch etliche Gastprofessuren im Ausland wahrgenommen hat.
In vielen Gegenden der Welt wurde in diesem Jahr die Erfolgsgeschichte des Heidelberger Katechismus gefeiert. Ein kleines Buch mit großer Wirkung. Der Katechismus, eine Schrift, die das Bekenntnis des christlichen Glaubens zusammenfasst, wirkte besonders in Deutschland, in den Niederlanden, in Schottland, in Ungarn, in Afrika, in den USA und in Südkorea. Den Menschen heute ist die Denk- und Sprachwelt des „Heidelbergers“ eher fremd. Es gäbe Stimmen, so Welker, wonach seine Wirkung im Schwinden sei und seine Erfolgsgeschichte sich dem Ende nähere. Daher seine Frage, ob Zukunftspotentiale des Heidelberger Katechismus zu erkennen seien und seine bleibende Wirksamkeit erwartbar werden lasse.

Heute als anstößig geltende Themenkomplexe griff der Theologe auf. Dazu gehöre die detailliert beschriebene Macht der Sünde, die zu erkennen im Katechismus als notwendig angesehen werde, um den Trost und das Heil in Jesus Christus zu erfassen. Als Ausdruck der menschlichen Sündhaftigkeit wird der Hass gegenüber Gott und dem Nächsten beschrieben. Hass, so Welker, sei mehr als Feindschaft, Abscheu, Verbitterung und Aggression. „Hass steht für: nicht sympathisch finden, nicht viel übrig haben, nichts zu tun haben wollen, nicht leiden können und nicht mögen.“ Er bezieht sich auf Karl Barth, der als Hass auch die möglichen Spielarten der Gleichgültigkeit, der Unwahrhaftigkeit und Ungerechtigkeit benennt. Mit dieser Sicht sei der Katechismus zum Vorbild im kirchlichen, moralischen und politischen Widerstand in Situationen geworden, in denen ganze Gesellschaften an ihre politischen, rechtlichen und religiösen Grenzen gestoßen seien. Welker nennt die Barmer Theologische Erklärung von 1934 gegen die Ideologie des Nationalsozialismus in Deutschland. Auch das wirkungsvolle Bekenntnis von Belhar von 1986 gegen das Apartheidsregime in Südafrika gehört dazu. Beide orientieren sich an zentralen Gedanken des Heidelbergers. Welker: „Das Leben unter der Macht der Sünde ist ein Leben, das in Aggressivität, Selbstherrlichkeit, aber auch in Gleichgültigkeit und Ohnmachtsempfinden in falscher und verhängnisvoller Weise die Grenzen und die Ohnmacht des Geschöpflichen nicht wahrnehmen will. Es will darüber hinaus der Liebe Gottes zu uns und unserer Liebe zu Gott, aber auch weiten Bereichen der zwischenmenschlichen Liebe ausweichen. Das Leben der Macht der Sünde ignoriert oder bekämpft die guten Kräfte, die uns helfen können, mit unserer irdischen Endlichkeit und unseren irdischen Grenzen zu leben.“

Ebenfalls befremdlich ist heute das Nutzen-Denken des Heidelberger Katechismus. Er scheut nicht zurück vor der Frage: Warum lohnt es sich, an Gott und an Jesus Christus zu glauben? Dies sei ein realistisches Verständnis der Kraft der Güte Gottes, des Glaubens und seiner Früchte. Der Katechismus gebrauche das Wort Trost. Es stehe für Sicherheit, Zuversicht, Zutrauen, (Lebens)Mut und Hoffnung. Es werde gleichgesetzt mit dauerhafter Verlässlichkeit, Hilfe, Halt, Rat, Rettung, mit Beruhigung und Ruhe, mit Stärke, Stütze, Schirm und Schutz.
Welker: „Nach Überzeugung des Heidelberger Katechismus können wir Menschen uns selbst diese innere Festigkeit, die „im Leben und im Sterben“ trägt, nicht geben, auch untereinander und beim besten Willen nicht. … Die Befreiung von der Macht des Bösen und von dem durch diese Macht ausgelösten Hass in allen seinen offensichtlichen und verdeckten Spielarten – das ist der große „Nutzen“ des Trostes, der uns durch Jesus Christus und durch den Heiligen Geist von Gott geschenkt ist. Dieser Trost ermöglicht uns ein befreites Leben.“ Diesen befreienden Trost und diesen Halt, so der Theologieprofessor, biete die Herrschaft Christi nicht nur in diesem Leben, sondern auch darüber hinaus.

Der Heidelberger Katechismus beschreibt unter dem Titel „Von des Menschen Elend“, warum die Menschen dringend auf den durch Jesus Christus, sein segensreiches Wirken und seinen Heiligen Geist geschenkten Trost angewiesen sind. Eine Erklärung geschieht in einer Sprache, die heute vielfach fremd und anstößig empfunden wird. Durch eigene Schuld und durch teuflische Verstrickung fallen die Menschen aus der Gottesbeziehung heraus. Gott hasste diese Abkehr und will die Menschen retten. Gott will aber seine Barmherzigkeit nicht ohne seine Gerechtigkeit ergehen lassen. „Strafe“ und „Bezahlung“ sind die Begriffe, die der Katechismus verwendet. Eine Bezahlung, die der Mensch nicht erbringen kann. Unter dem Titel „Von des Menschen Erlösung“ wird ausgeführt, dass Gott selbst die Not des Menschen in Jesus Christus auf sich nehme. Welker: „In Jesus Christus schenkt Gott den Menschen eine Gerechtigkeit und ein neues Leben, das sie selbst nicht mehr gefährden und zerstören können. Dieses neue Leben wird in der Kraft des Geistes verwirklicht und im Glauben angenommen.“ Dies hat Auswirkungen, die der Theologe auf die „königliche“, „priesterliche“ und „prophetische“ Macht Gottes, zurückführt, an die Glaubende durch die Kraft des Geistes Anteil gewinnen. Menschen werden dadurch zum Dienst der Liebe und der Diakonie befähigt. Der Schutz der Schwachen in ihrer Not, der Kampf gegen physisches Leid und Krankheiten, das Engagement für Bildung und die damit gegebene Befreiung sind prägend für die Nachfolge. Sie führt zur aktiven Teilnahme am gottesdienstlichen und kirchlichen Leben. Zudem befähigt sie zu einer gewaltlosen Auseinandersetzung mit den Kräften der Sünde und des Todes in der Welt. Auf allen diesen Ebenen der Christusnachfolge werde Trost verheißen und geschenkt. Dieser Trost lasse auf ein größeres Leben blicken, „als es unsere irdische und vergängliche Existenz ist“. Die Auferstehung Christi gebe schon jetzt Anteil an seinem neuen Leben und verheiße die Teilhabe am ewigen Leben.

Der gesamte Vortrag kann unter www.kirchenkreis-siegen.de nachgelesen werden.

v.l.: Oberkirchenrat Dr. Ulrich Möller, Prof. Dr. Dr. Michael Welker und Superintendent Peter-Thomas Stuberg

 


Text und Fotos: Karlfried Petri, Öffentlichkeitreferent Kirchenkreis Siegen, 14. November 2013

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