Kurzmeldungen




20 Jahre nach dem Morden in Ruanda

Interview mit Sylvia und Peter Bukowski

Hotel Ruanda

reformiert-info: Im Auftrag der Vereinigten evangelischen Mission (VEM) haben Sie eine Zeit lang in Ruanda gearbeitet, genauer gesagt am Protestant Institute of Arts and Social Sciences (PIASS). Was haben Sie dort unterrichtet?

Peter Bukowski: Ich habe einen Kurs in Seelsorge/Pastoral Counceling gegeben, Sylvia hat mit zwei verschiedenen Klassen in Homiletik/Worship studies gearbeitet. Die Studenten/Studentinnen sind meist schon in Gemeinden tätig, manche sogar schon viele Jahre, erhalten durch das Theologiestudium aber einen anerkannten Abschluss (BA) und können sich weiter qualifizieren, bis hin zur Promotion.

Pfarrerin Sylvia Bukowski, in Wuppertal und weltweit unterwegs - Moderator des Reformierten Bundes Peter Bukowski

Welche neuen Impulse konnten Sie für Predigt und Seelsorge geben?

Sylvia Bukowski: Die Predigten liefen bisher nach einem starren Schema ab: Was sagt der Text, was bedeutet das heute, was müssen wir tun? Wir haben an anderen Formen gearbeitet: An narrativen und thematischen Predigten. Ein großes Problem bei allen Formen war die Konkretheit und eine dialogische Struktur. Da das Studium sehr akademisch ausgerichtet ist, blieben die Predigten meist sehr lehrhaft und abstrakt.
Auch die Gebete waren mir zu formelhaft. Wir haben geübt, die Anliegen genauer zu beschreiben und auch die Bitten konkreter zu füllen als mit einem: „be with them“. Spannend wurde die Frage, ob und wie man (in diesem Kontext) für Feinde beten kann/soll.
Peter Bukowski: Ich habe Module und Impulse aus der Psychotherapie vorgestellt, die für seelsorgerliche Gesprächsführung hilfreich sind; namentlich aus Gesprächspsychotherapie, Kommunikationspsychologie sowie lösungsorientierter Kurzzeittherapie. Die schwierigste Lektion bestand für die Studierenden darin, sich auf die Kunst und den Wert des aktiven Zuhörens einzulassen, anstatt - wie der Dorfweise - sofort einen Ratschlag parat zu haben. Neu war für die Studierenden auch, nicht einfach Theorien zum Mitschreiben und Lernen präsentiert zu bekommen, sondern sich auf praktische Übungen und auf Selbsterfahrung einzulassen. Am Ende wurde aber gerade diese (zunächst angstbesetzte) Form des Lernens als Bereicherung empfunden.

Wie kann Vergebung gelingen?

Am 6. April 1994, also vor 20 Jahren, begann der Völkermord in Ruanda, schätzungsweise 800.000 bis 1 Million Menschen wurden getötet. Angehörige der Hutu-Mehrheit brachten 75% der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit um. Sie, Frau Bukowski, erzählen in ihren Skizzen, dass Pfarrer Dankgottesdienste feierten, nachdem in einer Nacht mehr als 40 000 Tutsis „geschlachtet“ worden waren. Ist Schuld ein Thema unter den Hutu-Pfarrerinnen und Pfarrern?

Bukowski/Bukowski: Einzig die Presbyterian Church of Rwanda (eine reformierte Kirche) hat ein Schuldbekenntnis nach dem Genozid verfasst und öffentlich um Vergebung gebeten, obwohl sie nicht nur aus Hutus besteht. In der katholischen Kirche, deren Rolle besonders problematisch war, steht ein Schuldbekenntnis noch aus, obwohl sie sich stark in Versöhnungsarbeit engagiert.
Inzwischen verbietet die Politik Ruandas jede ethnische Unterscheidung. Alle sollen sich als Ruander definieren. Deshalb konnten wir an der Uni nicht erfahren, wer zu welcher Volksgruppe gehört. Im Unterricht spielte die Frage nach der eigenen Schuld eine kleinere Rolle als die Frage, ob und wie Vergebung gelingen kann. In der Seelsorge ist es, wie wir gehört haben, allerdings anders. Auch manche von denen, die damals noch Kinder waren, leiden unter großer Schuld, weil sie beispielsweise um die Wette nach versteckten Tutsis gesucht haben.

Wie leben die Angehörigen der beiden Volksgruppen heute miteinander?

Bukowski/Bukowski: Wir haben von außen nur friedliches Zusammenleben gesehen. Aber wir haben von den Schwierigkeiten gehört, die dadurch entstehen, dass Opfer (meist Witwen, ohne männlichen Schutz) und die entlassenen Mörder ihrer Angehörigen oft wieder in enger Nachbarschaft leben müssen. Und nicht alle Täter haben ihre Verbrechen aufrichtig bereut. Manche haben nur die Möglichkeit der Gacacas (Dorfgerichte) genutzt, durch ein formales Schuldbekenntnis die Hälfte ihrer Strafe erlassen zu bekommen. In manchen Dörfern herrscht daher immer noch Angst, manchmal auch gezielte Bedrohung. Und die soziale Lage der Überlebenden, die oft nicht nur alle Angehörigen, sondern auch den gesamten Besitz verloren haben, ist in vielen Fällen immer noch prekär, weil es keine Entschädigung gibt. Die Regierung hat dafür keine Mittel; die, die sich bereichert haben, meist auch nicht, und die internationale Gemeinschaft sieht sich nicht in Verantwortung.

Ist das eine theologische Frage in Ruanda: Wie predigen nach dem Genozid?

Sylvia Bukowski: Auf der Bonhoeffer Tagung in Kibuye ging es um theologische Konsequenzen aus den Erfahrungen des Genozids. Wie nah darf die Kirche mit dem Staat verbunden sein (die Tagung wurde durch einen Vertreter des Staates eröffnet und geschlossen!), wie weit reicht die öffentliche Verantwortung der Kirche (noch immer sind viele Predigten auf das Jenseits gerichtet), wie wird die (afrikanische) Tradition des Gehorsams gegenüber Autoritäten für einen kritischen Diskurs geöffnet?
Peter Bukowski: In den Predigten, die wir gehört haben, war die Erfahrung des Genozids merkwürdig abgespalten von biblischen Texten, besonders deutlich in den Morgenandachten, die fortlaufend Deuteronomium auslegen mussten – auch die göttlichen Befehle zum Genozid.

In Murambi erinnern mumifizierte Körper der Ermordeten an das Grauen des Abschlachtens. Beim Anblick der Fotos war mein ersten Reflex: Die müssten doch begraben werden. Wie ist es Ihnen, Frau Bukowski, ergangen in dieser Gedenkstätte?

Sylvia Bukowski: Den Anblick der Kinderkörper fand ich unerträglich schrecklich. Ich war froh, dass meine Kollegin, selbst eine Überlebende, bei mir war. Sie war es, die mich getröstet hat.
Die Frage einer würdigen Bestattung der Opfer spielt für viele Überlebende eine große Rolle. Das Buch von Esther Mujawayo, „Auf der Suche nach Stephanie“ gibt davon Zeugnis. Ihre Schwester und deren Kinder wurden wie viele andere in Latrinen geworfen. Dort möchte man sie natürlich nicht lassen. Bisher sind – auch in Murambi – viele Opfer exhumiert worden, um sie an einem angemessenen Ort zu bestatten – in den meisten Fällen heißt das in einem Massengrab bei einer der vielen lokalen Gedenkstätten.
Bisher ungelöst ist das Problem der ermordeten Hutus (es sind ja auch viele moderate Hutus ermordet worden, vor allem, wenn sie Tutsis schützen wollten). Einiger Helden wird jährlich gedacht, aber für sie gibt es keine Gedenkstätte, und oft auch noch kein würdiges Grab.

In der baptistischen Universität von Goma steht ein Denkmal für vergewaltigte Frauen. Der kaputte Stiefel zeige, wie lange die Gewalt schon dauert und sei gleichzeitig Hoffnung, dass sie endet, schreiben Sie, Frau Bukowski. Wird Gewalt gegen Frauen in Rwanda weniger verschwiegen als hierzulande?

Sylvia Bukowski: Den Vergleich finde ich schwierig. Vergewaltigung ist im Ostkongo, der immer noch an den Folgen des Genozids leidet, ein großes Thema, da sie weiterhin gezielt von Rebellen praktiziert wird. Auch in Ruanda spricht man offen von den vielen überlebenden Frauen, die im Genozid vergewaltigt und z.T. bewusst mit HIV infiziert worden sind. Aber auch häusliche Gewalt kommt in Ruanda häufig vor und wird in vielen (Frauen) Gruppen offen thematisiert.

Was hat Sie persönlich in Ruanda besonders berührt?

Bukowski/Bukowski: Der Kontrast zwischen diesem wunderschönen Land mit seiner großartigen Landschaft und dem Grauen des Genozids, als auf den lieblichen Hügeln das große Morden stattfand. Und natürlich können wir die Menschen nicht vergessen, von denen so viele trotz der eigenen Schmerzen nach einem echten Neubeginn suchen.

31. März 2014

 

Skizzen aus Kigali, Ruanda. Teil I. Von Sylvia Bukowski

In Ruanda unterricht Pfarrerin Sylvia Bukowski im Auftrag der Vereinigten Evangelischen Mission (VEM) einige Wochen lang angehnde Pastorinnen und Pastoren. Von ihren ersten Eindrücken aus Kigali erzählt sie in Gedichten:
Lied der Woche vom Sonntag Septuagesimä, 3. Sonntag vor der Passionszeit

Ein Impuls zur neuen Woche von Sylvia Bukowski, zur Zeit in Ruanda.
von Sylvia Bukowski

„Die Kirche ist aus Bambus und Gras, ringsherum armselige Hütten Dort wohnen Witwen und Waisen des Genozids, aber auch entlassene Mörder...“
EKvW-Vizepräsident Albert Henz: Kraft des Glaubens führt zu tatkräftigem Handeln

RUANDA/WESTFALEN - Leitende Vertreter evangelischer Kirchen in Ruanda und in Deutschland haben an die verantwortlichen Politiker appelliert, sich für eine friedliche Entwicklung im Ostkongo und den angrenzenden Ländern einzusetzen.
Ruanda: Treffen westfälischer Kirchendelegation mit Premierminister

RUANDA/WESTFALEN - Die Versöhnungsarbeit der evangelischen Kirchen in Ruanda nach dem Völkermord vor 20 Jahren ist für die Gesellschaft des afrikanischen Landes vorbildlich und wegweisend.
Skizzen aus Butare, Ruanda. Teil III

von Sylvia Bukowski
Skizzen aus Butare, Ruanda. Teil IV

von Sylvia Bukowski
20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda. Internationale Tagung in Wuppertal

von Christoph Wand, VEM
Lied der neuen Woche (Letzter Sonntag nach Epiphanias): Herr Christ, der einig Gottes Sohn (eg 67)

Sylvia Bukowski erzählt, wie es ihr mit dem „ehrwürdigen Bekenntnislied“ in Ruanda ergeht.
Lied der Woche vom Sonntag Estomihi: EG 413

von Sylvia Bukowski, z.Zt. in Ruanda
EG 196 - Wochenlied zum Sonntag Sexagesimä

Ein Impuls von Sylvia Bukowski aus Ruanda
 

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