Kurzmeldungen




Bonhoeffers Kritik am Luthertum

Bericht zur Frühjahrstagung des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins vom 04. bis 06. April 2014 im Erfurter Augustinerkloster

Dietrich Bonhoeffer mit Schülern im Frühjahr 1932; Bundesarchiv, Bild 183-R0211-316 / CC-BY-SA

von Daniel Baldig, Halle a.d. Saale

Unter dem Titel "Bonhoeffers Kritik am Luthertum und Ansätze zu einer theologischen Neuorientierung" tagten mehrere Dutzend Interessierte aus dem gesamten Bundesgebiet sowie anderen europäischen Ländern zur Frage, inwieweit eine bei Martin Luther auszumachende Judenfeindschaft die lutherische Theologie nachhaltig verengt und damit den Blick Evangelischer Kirchen gegenüber sichtbarer Unmenschlichkeit getrübt hat.

Prof. Dr. Andreas Pangritz (Bonn) zeigte auf, wie sich bei Dietrich Bonhoeffer (nach Selbstzuschreibung ein ausdrücklich lutherischer Theologe) vor dem Hintergrund der Herausforderungen seiner Zeit der Umgang mit dem lutherischen Erbe entwickelte. Hatte Bonhoeffer zunächst noch versucht, über das lutherische Bekenntnis – sozusagen einen „lutherischen Konfessionalismus“ – in Widerstand zu den der NS-Ideologie nahestehenden Deutschen Christen zu treten, so verschob sich seine Akzentsetzung hin zum Verständnis von sog. "teurer Gnade" als Ruf in die kompromisslose Nachfolge Jesu und damit in die tiefe Diesseitigkeit des christlichen Glaubens, in seine Weltlichkeit also.

Wie außergewöhnlich Dietrich Bonhoeffers Haltung als Lutheraner war, verdeutlichte Dr. Karl Martin (Berlin), der das Luthertum zu Zeiten Bonhoeffers ganz überwiegend um die institutionelle kirchliche Selbsterhaltung bemüht sah. In der Konsequenz nahm das Luthertum sichtbarer gesellschaftlicher Unmenschlichkeit gegenüber lediglich eine Zuschauerrolle ein.

Die Vorbelastungen für die Evangelischen Kirchen bei Ignoranz bis hin zu Akzeptanz gegenüber Unmenschlichkeit durch Martin Luther selbst zeigte Pfarrerin Sibylle Biermann Rau (Ebingen) auf. Sie zeigte, dass bereits in Luthers frühen Schriften feindselige Motive Juden gegenüber geäußert wurden und sich Luthers Ton zunehmend verschärfte. Insoweit bezogen sich NS-Ideologen in ihrer Judenfeindschaft teilweise berechtigt auf Luther. Besorgniserregend sei, dass auch gegenwärtig – jüngsten Untersuchungen zufolge – Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit unter Kirchenmitgliedern nicht geringer ausgeprägt ist als in der Gesamtbevölkerung.

Gabriele und Gerhard Lüdicke (Hanau) machten anhand des Lebensbildes der Lehrerin Elisabeth Schmitz (1893-1977) deutlich, welche alternativen, menschenfreundlichen Haltungen und Handlungen in christlicher Perspektive möglich waren und sind. Schmitz hatte in großer Hellsichtigkeit bereits sehr früh (im Frühjahr 1933) die elementaren Gefahren der NS-Diktatur erkannt und entsprechende Briefe und Texte an herausgehobene kirchliche Persönlichkeiten (u.a. Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer) verfasst. Sie engagierte sich innerhalb der Bekennenden Kirche, trat auch aktiv zum Schutz verfolgter MitbürgerInnen ein. Schmitz klagte insbesondere die Passivität der Evangelischen Kirchen angesichts des offenkundig menschenverachtenden NS-Regimes sowie die in der christlichen Tradition und Theologie tief verwurzelte Judenfeindschaft an.

Prof. Dr. Frank Crüsemann (Bielefeld) zeigte die Engführungen christlicher Theologie im Bezug auf die Hebräische Bibel, das sog. Alte Testament, auf. Während in christlicher Tradition überwiegend das christliche Verständnis in das Alte Testament hineingelesen wurde und noch wird, spricht das Neue Testament selbst – durch positive Bezüge – durchgängig vom Alten Testamtent als seinem Ausgangspunkt und seiner Grundlage. Crüsemann schlug vor, der Vielfalt der gesamten Heiligen Schrift aus Hebräischer Bibel und Neuem Testament nachzugehen und das daraus resultierende Potential für ein gemeinsames Leben der Religionen zu nutzen.

Wie ein roter Faden zog sich durch die gesamte Tagung, dass die angestoßenen Impulse für Neuorientierungen innerhalb der Evangelischen Kirchen weitergeführt werden sollen. Insbesondere wurde kritisch hinterfragt, welche Zielrichtung das Reformationsjubiläum 2017 angesichts der zur Sprache gekommenen Probleme lutherischer Tradition haben kann.

www.dietrich-bonhoeffer-verein.de


Daniel Baldig, Halle (Saale), 22. April 2014
 

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