Kurzmeldungen




Ich will erzählen, was er meiner Seele getan hat

Praktische Überlegungen anhand Ps 66,16 für Predigten

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Vom Glauben erzählen, das will jede Predigt, sagt Paul Kluge und gibt als erfahrener Pastor Tipps, wie dies gelingen kann.

Der 66. Psalm singt von dem, was jede Predigt will und soll: Von dem erzählen, was Gott getan hat. Doch der Psalmdichter relativiert das sofort: Was Gott "seiner Seele", also ihm getan hat. Damit ist etwas sehr Wichtiges an- und ausgesprochen: Vom Glauben zu erzählen ist etwas ganz Persönliches, Intimes. Und: Wer von dem erzählt, was Gott ihm oder ihr getan hat, greift auf persönliche Erfahrungen zurück, die er oder sie vom eigenen Glauben her deutet; wer vom Glauben erzählt, kann sich nicht auf harte Fakten berufen. Schon die Autoren der biblischen Bücher erzählen von Erfahrungen, von deren Deutungen und Be-Deutungen. Andere Menschen und Menschen anderen Glaubens deuten die gleichen Erfahrungen womöglich völlig anders.

Als Predigerinnen und Prediger versuchen wir, die Hörerinnen und Hörer anzuregen, ihre Lebenserfahrungen im Licht Gottes zu betrachten und zu deuten. Wie etwa Ämilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt, Gräfin zu Barby und Mühlingen, das mit ihrem bekannten Lied ausdrückt: "Bis hierher hat mich Gott gebracht." Jemand anderes würde vielleicht meinen, durch Schicksal oder durch eigene Tüchtigkeit vorangekommen zu sein. Wer sein Leben, seine Erfahrungen vom Glauben an Gott her deutet, erzählt: Bis hierher hat mich Gott gebracht - und niemand sonst, und so und so hat er es getan.

Als ein biblisches Beispiel für unterschiedliche Deutungen eines Ereignisses sei an die Pfingstgeschichte Apg. 2 erinnert: Die einen deuten Auftreten und Verhalten der Jünger als Wirken des heiligen Geistes, andere als Ergebnis völliger Trunkenheit. Dass das so ist, sollte beim Umgang mit biblischen Texten bewusst sein und bedacht werden - es hilft beim Umgang mit den Texten, weil es den Verstand befreit. Wer biblische Geschichten als Berichte über Geschehnisse liest, die wortwörtlich so passiert seien, stößt mit seinem Verstand schnell an Grenzen. Unser Denken heute ist von der Aufklärung geprägt und durch Rationalität verengt. Für uns zählen Tatsachen, zählt Geschichte, nicht Geschichten; unser (natur-)wissenschaftlich orientiertes Denken versperrt uns oft den Zugang zur Bildsprache der Bibel. Die Bibel aber ist eher ein Buch mit gemalten Bildern als eine Fotodokumentation, sie ist ein Buch voller Geschichten und kein Geschichtsbuch. Hier sei an den Theologen Heinz Zahrnt erinnert, der einmal gesagt hat: Man kann die Bibel ernst nehmen – oder wortwörtlich.

Denn in alten Zeiten gab man Lebenserfahrung und Lebensweisheit in Geschichten weiter. Die lassen sich einfach besser behalten und rühren an tiefere Schichten als all unsere Vernunft. Heute müssen wir wohl wieder neu und mühsam lernen, Mythen zu verstehen, die Wahrheiten von Legenden zu begreifen; wir müssen uns von der unangemessenen Frage verabschieden, ob das denn alles so passiert sei, wie es in der Bibel geschrieben steht - und von der ebenso unangemessenen Vorstellung, dass alles so passiert sein müsse, weil es in der Bibel geschrieben steht. Wenn uns das gelingt, werden biblische Geschichten sich uns neu erschließen, uns gute Hilfe zur Bewältigung des Lebens mit all seinen Höhen und Tiefen anbieten. Denn sie erzählen von unserem einzigen Trost im Leben und im Sterben. Biblische Geschichten sind ver-dichtete Lebens- und Glaubenserfahrungen, die wir für unsere Zeit weiterdichten können und dürfen. Die dazu nötige Freiheit vom Wortlaut biblischer Texte haben wir, denn auf die Inhalte kommt es an.

In vielen biblischen Geschichten erzählen die Autoren von ihren Erfahrungen und wie sie sie deuten. Darunter viele Erfahrungen, wie Menschen sie zu allen Zeiten gemacht haben und machen. Biblische Geschichten zeigen Wege aus Krisen, Wege zum Guten des Einzelnen und der Gemeinschaft. Biblische Geschichten erzählen von Gottes Wegen mit Menschen, von menschlichen Wegen und Irrwegen mit Gott. Diese Geschichten sind von Menschen für Menschen geschrieben, von Menschen, die gute eigene Erfahrungen mit Gott gemacht haben und Gleiches von anderen kennen. Dadurch sind biblische Geschichten geeignet, Glaubende in ihrem Glauben zu stärken und zu vergewissern, und andere für den Glauben an Gott zu gewinnen.

Um das zu tun, haben die Autoren der 66 biblischen Bücher sich manche Geschichte selber ausgedacht, oder sie haben Geschichten aus anderen Zusammenhängen genommen und ihrem Anliegen angepasst. Die Autoren der sog. "geschichtlichen Bücher" des AT deuten die Geschichte Israels von ihrem Glauben her (die Unterschiede und Widersprüche zwischen den Büchern der Könige und denen der Chronik machen das sehr schön deutlich) und Jesus selbst hat mit Geschichten gepredigt, hat Gleichnisse erzählt, erdachten Geschichten also, in denen tiefe Wahrheiten stecken - erfundene Wahrheiten. Und er hat die Geschichten nicht noch kommentiert oder interpretiert - sie sprachen für sich und reichten als Antwort völlig aus.

Als Predigerinnen und Prediger stehen wir vor der Aufgabe, die Anschaulichkeit biblischer Geschichten zu erhalten und zu aktualisieren. Das geschieht zumeist derart, dass eine Geschichte kommentiert und interpretiert - und damit zugleich abstrahiert wird. Vorstellbare Bilder werden zu mehr oder auch weniger klaren Gedanken verdünnt, lebenspralle Handlungsabläufe zu mehr oder auch weniger nachvollziehbaren Gedankenketten.

Hörerinnen und Hörer solcher Predigten können zwar mitdenken, aber kaum mitfühlen, mit(er)leben. Viele Predigten füttern zwar den Geist, doch die Seele geht leer aus. Der Dichter des 66. Psalms aber will erzählen, was Gott seiner Seele getan hat, und will damit andere Seelen erreichen, andere Herzen.

Es scheint so, als ob die Autoren biblischer Bücher schon wussten, was Lernpsychologen im vorigen Jahrhundert herausgearbeitet haben: Von dem, was ein Mensch nur hört, behält er etwa zehn bis höchstens zwanzig Prozent. Ist ein Mensch hingegen mit seinen Gefühlen beteiligt, bleiben achtzig und mehr Prozent in Erinnerung. "Meistens habe ich die Predigt schon beim Amen vergessen", sagte mir einmal eine Diakonisse. Und so wie ihr dürfte es vielen Menschen gehen. Als Predigerinnen und Prediger aber wollen wir doch das uns Mögliche dazu tun, dass von dem weitergesagten Gotteswort etwas bei den Hörerinnen und Hörern haften bleibt und sie bei der Gestaltung ihres Lebens und Sterbens begleitet.

Dabei kann uns das Erzählen von Geschichten unterstützen. Denn erzählte Geschichten lassen vor den inneren Augen der Hörenden Bilder entstehen, manchmal sogar kleine Filme. Es sind Bilder aus der je eigenen Erinnerung, aus den je eigenen Lebenserfahrungen, und mit solchen Bildern, mit solchen Erinnerungen sind Empfindungen, sind Gefühle verbunden. Damit wird die Geschichte zum Geschehen, das in einzelnen Menschen abläuft, damit verbinden sich biblische Geschichten mit dem Leben einzelner. Zur Ermutigung sei daran erinnert, dass wir mit keiner einzelnen Predigt alle Hörerinnen und Hörer erreichen; nehmen wir uns also den Sämann zum Vorbild, der großzügig sät, obwohl oder auch weil er weiß, dass nur ein kleiner Teil aufgehen und Frucht bringen wird.

Zwei Fragen sind oft Schlüssel zu einem biblischen Text: 1. Welche allgemein menschliche Erfahrung steht hinter dem Text? Und 2.: Wo und wie lebten die Menschen, für die dieser Text geschrieben wurde?

Die erste Frage ist die schwierigere, denn deren Beantwortung erfordert einiges an Kenntnis alles dessen, was Menschen möglich ist, und sie erfordert, sich durch die Oberfläche biblischer Geschichten zu wühlen, um die darunter verborgenen Schätze zu entdecken. Denn die Autoren der biblischen Texte waren „Kinder ihrer Zeit“, schrieben für ihre Zeitgenossen in den politischen, wirtschaftlichen, ethischen, aber auch klimatischen Verhältnissen ihrer Zeit. Das Bild vom Wasser erschließt sich erst voll, wenn man die Wüste mitdenkt und mitfühlt. Damit sind wir bei der zweiten Frage, wo und wie die Menschen damals lebten. Das lässt sich in Büchern nachlesen, in Filmen ansehen oder - am besten - durch Reisen in biblische Länder erfahren.

Für eine Antwort auf die Frage nach menschlichen Erfahrungen in einem biblischen Text ist es nützlich sich zu vergegenwärtigen, was damals anders war als heute: Kultur und Technik, Wissen und Verstehen, Beruf und Alltag. Vieles hat sich geändert, seit die Bibel geschrieben wurde, die Menschen haben viel dazugelernt. Nicht geändert aber haben sich die Menschen: Geburt, Kindheit und Jugend, Ehe und Familie, Alter, Krankheit und Tod sind damals wie heute Lebensthemen. Auch das Zusammenleben in Gemeinschaften wie Familie, Sippe und Volk litt damals unter ähnlichen Schwierigkeiten wie heute: Von Neid und Habgier reicht die Palette bis zu Mord und Totschlag. Biblische Geschichten, die davon erzählen, zeigen immer Wege, mit solchen Schwierigkeiten fertig zu werden, solche Krisen zu überwinden; sie warnen vor Irrwegen und verschweigen nicht die nötigen Mühen und Anstrengungen. Der Glaube ist kein Zaubermittel und "Jesus" keine Zauberformel, mit denen sich alles Dunkle aus dem Leben wischen ließe.

Am Beispiel des Propheten Elia in der Höhle (1. Kö 19) lässt sich das Gesagte verdeutlichen: Elia ist in die Höhle geflohen, nachdem er die Baalspriester niedergemetzelt hat und verfolgt wird. Nacheinander kommen Sturm, Erdbeben, Feuer, danach eine große Stille, in der er Gott erkennt. Dann geht Elia nach Damaskus, um sich in die Politik einzumischen.

Was diese Geschichte beschreibt, ist ein therapeutischer Prozess: Ein Mensch begibt sich in einen schützenden Raum, stellt sich den Stürmen und Erschütterungen seines Lebens und allem, was ihn ausgebrannt hat. Danach findet er zur Ruhe, findet zu sich selbst und zu Gott – und ist nun wieder stark genug fürs Leben. So gesehen, zeigt diese Geschichte einen Weg aus einer depressiven Krise. Menschen, die wie Elia sagen: „Es ist genug, ich mag nicht mehr leben!“ können mit dieser Geschichte auf den Weg der Genesung kommen. Dazu gehört allerdings, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen, was oft schmerzt; doch erst danach stellt sich Ruhe ein und die Kraft, wieder unter Menschen zu gehen und aktiv zu handeln.

Habe ich unter der Oberfläche einer Geschichte etwas von möglicher Lebenserfahrung entdeckt, kann ich die Geschichte ausführlich nacherzählen und dabei meine Entdeckung deutlich herausstellen. Dabei kann ich z. B. die Sicht einer Nebenfigur einnehmen oder eine erfinden - Elia etwa könnte einen Diener bei sich gehabt haben, der nun erzählt, was er mit seinem Herrn in der Höhle durchgemacht hat. Oder ich versetze die handelnden Personen in die Gegenwart: Elia als einer, der darunter leidet, dass er anderen geschadet hat, um Gutes zu erreichen.

Wichtig ist, dass ich den Weg nachgehe, den der Text vorgeht - und dass ich nicht an einem einzelnen Vers hängen bleibe. Der 22. Psalm z.B. beginnt mit dem bekannten Ruf "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!" Dann beschreibt der Dichter einen Menschen in verzweifelter Lage, der allmählich aus seinem Glauben Hoffnung schöpft und am Ende Gott mit starken Worten lobt. Nach dem Matthäusevangelium - und nur nach diesem - sagt Jesus diesen Satz, bevor er stirbt. Das verstellt uns oft den Blick für den Weg, den der Psalm geht, und der auch einen Weg von einem Karfreitag zu einem Ostern beschreibt. Im übrigen ist dieser Psalm wie auch viele andere nach einem Schema aufgebaut, das die Sozialwissenschaftlerin Erika Schuchard als erfolgreichen Weg einer Krisenbewältigung erarbeitet hat.

Wer mit seinen oder ihren Predigten Menschen erreichen will, sollte neben theologischer Literatur immer auch solche aus Psychologie und Sozialwissenschaft heranziehen. Häufig öffnen solche Arbeiten eine biblische Geschichte leichter als theologische Untersuchungen. Auf den Punkt gebracht: Wer die Menschen kennt, wird die Bibel verstehen. Und hat damit eine Fülle von Material für Geschichten, durch die Gott und Mensch in Verbindung kommen.

Eine letzte Anmerkung noch zum erzählenden Predigen: Unter unseren Kanzeln sitzen Menschen nicht nur unterschiedlicher Bildung, sondern auch unterschiedlicher Intelligenz. Eine abstrakte, einen Text reflektierende Predigt erschwert manchen Hörerinnen und Hörern das Verstehen. Ist sie hingegen auf Kindergartenniveau, erschwert sie anderen das Zuhören. Eine Geschichte mit handelnden Personen ist für alle verständlich und bietet manchen die Möglichkeit, unter der Handlung liegende Wahr- und Weisheiten zu entdecken.

Ein paar praktische Hinweise zum Schreiben von Predigt-Geschichten:

  • Lesen Sie, was vor und nach dem Predigttext steht - so erkennen Sie seinen Zusammenhang.
  • Beachten Sie die Querverweise - so erkennen Sie die biblischen Bezüge des Textes.
  • Suchen Sie eine ungewohnte, überraschende Perspektive - Altbekanntes zu wiederholen, langweilt die Zuhörenden.
  • Schreiben und sprechen Sie in kurzen Sätzen! Zwölf bis vierzehn Wörter pro Satz sind genug. Ein Hauptsatz mit einem Nebensatz auch.
  • Benutzen Sie möglichst viele Verben, das macht den Text lebendig.
  • Meiden Sie Fremdwörter, Wörter auf -ung und Passivformen, sonst wirkt der Text steif.
  • Sprechen Sie beim Schreiben in Gedanken mit - Sie schreiben einen Rede-, keinen Lesetext.
  • Geben Sie den handelnden Personen menschliche Züge - das erleichtert den Hörenden die Identifizierung.
  • Lassen Sie bekannte Redewendungen anklingen (Sprichwörter, Bibelzitate, Liedzeilen) - das erhöht die Aufmerksamkeit und weckt Erinnerungen.
  • Machen Sie Anspielungen auf aktuelle Ereignisse - das bringt den Predigttext in die Gegenwart.
  • Streuen Sie Formulierungen oder kleine Szenen zum Schmunzeln ein - das öffnet Ohren und Herzen.
  • Merke: Was ich nicht einfach ausdrücken kann, habe ich noch nicht ganz verstanden.

Paul Kluge
 

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