Kurzmeldungen




Warnung vor einem gefährlichen Mechanismus

Von Achim Detmers - Ein Kommentar zu den Reaktionen der Front National und von Pegida auf den Terroranschlag gegen das Satiremagazin Charlie Hebdo

Foto: freeimages.com

»So kann man sich vor jedem, auch dem Unbedeutendsten und Schwächsten fürchten und vermuten, dass er gefährlich werden könne.« - Johannes Calvin

Durch den vermeintlich islamistischen Anschlag in Paris sehen sich Pegida und ihre Sympathisanten bestätigt. Noch sind die Hintergründe des Mordanschlags auf die Pariser Satirezeitung Charlie Hebdo nicht geklärt. Und schon stehen die seit Nine Eleven immer wieder missbrauchten Warnungen vor einer angeblich drohenden Gefahr durch den Islamismus im Raum. Die Chefin des rechtsextremistischen Front National, Marie Le Pen, hat zum "Krieg gegen den Fundamentalismus" aufgerufen und fordert ein Referendum über die Wiedereinführung der Todesstrafe in Frankreich. Pegida und Le Pen wissen, dass sich mit den Bildern aus Paris Stimmung machen lässt und dass dies bei anstehenden Wahlen von Vorteil sein wird.
Seit Nine Eleven kennen wir die Abläufe: Getrieben von den Ereignissen fordern auch die verantwortlichen Politiker und Politikerinnen schärfere Gesetze. Die rechtlichen Möglichkeiten werden bis ans Unerträgliche ausgereizt. Und am Ende sind sogar Folter und gezielte Tötungen mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit vereinbar.

Bereits Johannes Calvin hat 1563 vor diesem gefährlichen Mechanismus gewarnt. Er hat die Hetzjagd auf Hugenotten in Frankreich erlebt und kommentiert die Warnung des Pharao vor einem sich angeblich gefährlich vermehrenden Volk Israel (Ex 1,9f) folgendermaßen:

»Und nur zu leicht bietet sich der einleuchtende und doch trügerische Vorwand, dass man einer drohenden Gefahr doch begegnen müsse. Die tragischen Dichter der Alten legen wohl einer verzweifelten Frevlergestalt das entsetzliche Wort in den Mund, man müsse einem Verbrechen zuvorkommen, da ja die Natur selbst es dem Menschen eingebe, sich wider Ungerechtigkeit und Verkehrtheit aufzulehnen. Scheint doch der Angriff die beste Abwehr, und scheint doch ein vorausschauender Mann oft geradezu gezwungen, den anderen zu schädigen, um für die eigene Sicherheit zu sorgen. Auf diese Weise sind fast alle Kriege entstanden: Wenn ein Fürst sich vor den Nachbarn fürchtet, so treibt ihn diese Furcht dazu, das Land mit Menschenblut zu bedecken. So glauben auch manche Privatleute berechtigt zu sein, zu betrügen, zu verletzen, zu rauben und zu lügen, da man unrechte Handlungen abhalten müsse, indem man ihnen zuvorkommt. Und doch ist das eine gottlose Weisheit, mag sie auch fälschlicherweise als eine Art Vorsicht bezeichnet und so in Schutz genommen werden; als wenn wir für unser Wohl sorgten, indem wir andere mit Unrecht schädigen! So kann man sich vor jedem, auch dem Unbedeutendsten und Schwächsten fürchten und vermuten, dass er gefährlich werden könne. Um vor ihm sicher zu sein, sucht man ihn dann auf jede mögliche Weise zu unterdrücken. So kann man gegen den größten Teil der Menschen misstrauisch werden. Wollte aber jedermann sich diesem Gedanken hingeben und gegen seine vermeintlichen Feinde Übles im Schilde führen, so würde ja Verbrechen auf Verbrechen folgen. So gilt aber vielmehr, solche grenzenlose Sorge und Angst, die jedes Streben nach Gerechtigkeit und Billigkeit ertötet, durch den Blick auf Gottes Vorsehung niederzuhalten; stützen wir uns auf sie, so werden wir uns nie aus Furcht vor einer Gefahr zu unrechter Handlung oder hinterlistigem Plan fortreißen lassen. In den Worten des Pharao ist nicht weniger als alles verkehrt: Auf die Erinnerung, dass die Kinder Israel, wenn sie wollen, leicht Schaden stiften könnten, baut er ganz einfach den Rat, dass man also ihre Kraft um jeden Preis brechen müsse. Denn, wo einmal die Sorge für eigenen Vorteil, Ruhe oder Rettung unbedingt den obersten Platz behauptet, da fragt man überhaupt nichts mehr nach Recht oder Unrecht.«

Quelle: Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift in deutscher Übersetzung, Band 2/1, 2.-5. Buch Mose, Neukirchen [1907], 11-17.

Pfarrer Dr. Achim Detmers, Generalsekretär des Reformierten Bundes, 9. Januar 2015

 

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