Kurzmeldungen




Die zehn jungen Frauen und die Frage nach der Klugheit

Bibelarbeit über Matthäus 25,1-13. Von Georg Rieger

Galluspforte am Basler Münster; Foto: Wikipedia Commons

am 6. Juni 2015 auf dem Kirchentag in Stuttgart

Bibelarbeit über Matthäus 25, 1-13 (PDF)

Guten Morgen zur Bibelarbeit! Heute ist ein weiteres Gleichnis an der Reihe. Und was für eins! Wieder geht es um die Klugheit. Diesmal um die von Jungfrauen. Wenn man der Überschrift trauen kann.

In der Kirchentagsübersetzung geht die Geschichte so:

1Dann wird die gerechte Welt Gottes zu vergleichen sein mit zehn jungen Frauen, die ihre Fackeln nahmen und sich aufmachten, dem Bräutigam entgegenzugehen. 2Fünf von ihnen waren gedankenlos und fünf klug: 3Die sich keine Gedanken machten, nahmen ihre Fackeln mit, aber kein Öl. 4Die Klugen nahmen zu ihren Fackeln auch Krüge voll Öl mit. 5Als nun der Bräutigam auf sich warten ließ, wurden sie alle müde und schliefen ein. 6Um Mitternacht dann lautes Rufen: „Da! Der Bräutigam! Macht euch auf, geht ihm entgegen!“ 7Da wachten die jungen Frauen alle auf und machten ihre Fackeln zurecht. 8Die Gedankenlosen sagten zu den Klugen: „Gebt uns von eurem Öl, sonst verlöschen unsere Fackeln!“ 9„Auf keinen Fall,“ antworteten die Klugen, „für uns und euch reicht es nicht. Geht doch zu den Händlern und kauft euer eigenes.“ 10Während sie noch unterwegs waren um einzukaufen, kam der Bräutigam. Die vorbereitet waren, gingen mit ihm zum Hochzeitsfest hinein. Die Tür wurde verschlossen. 11Später kamen auch die übrigen jungen Frauen und riefen: „Herr, Herr, mach uns auf!“ 12Er antwortete aber: „Im Ernst, das sage ich euch: Ich kenne euch nicht.“ 13Also bleibt wach! Denn ihr kennt weder den Tag noch die Stunde.

So ist das also in der gerechten Welt Gottes: Die genug Öl dabei haben, kommen zum Feiern rein, den Gedankenlosen wird die Tür vor der Nase zugeknallt: Selber schuld! Wie im richtigen Leben halt. Warum auch anders? Ein Kapitel aus dem Handbuch für heranwachsende Frauen, die lernen sollen, wie sie das Leben nicht verpassen?

Ich habe keine halbwüchsige Tochter. Aber zwei halbwüchsige Söhne. Und von daher weiß ich – und werde an meine eigene Jugend erinnert: Vorausschauendes Handeln ist die Stärke dieser Altersgruppe nicht. Wird sich hier gar über pubertierende Planlosigkeit lustig gemacht?

So ist das ja mit manchen Gleichnissen, dass die Geschichte und die Aussage oberflächlich ganz einfach sind. Oft auch vermeintlich herzlos und ungerecht: Die eh schon viel haben, bekommen noch mehr. Die Vorsichtigen gehen leer aus. Lohn gibt es für die Faulen wie für die Fleißigen denselben und sogar Menschenleben werden geopfert, um Hochzeitsgäste zu laden. Und dann wird einer hinausgeschmissen, weil er nicht richtig gekleidet ist. Geradezu grausam

Ich spiele auf andere Gleichnisse an, die im Umfeld dieses für heute ausgewählten Textes stehen, und die jeweils einer Interpretation bedürfen. Aber das ist natürlich auch der Sinn und Zweck eines Gleichnisses. Im Zentrum steht die Frage, wofür ist das ein Gleichnis und welche Elemente der Geschichte stehen für was?

Ich mache das immer so, wenn ich mich näher mit einem Bibeltext befasse, dass ich mir erst einmal anschaue, was für Geschichten so drum herum angeordnet sind und in welchem Zusammenhang der Abschnitt steht. Damit fangen wir also mal an:

Jesus redet über das Ende der Zeit

Kurz vor dem Ende seiner Zeit am Gründonnerstag hält Jesus noch einmal eine Rede über das Ende der Zeit. Er tut das auf dem Ölberg, auch Olivenberg genannt.

Nach jüdischen Vorstellungen wird der Messias über den Ölberg nach Jerusalem einziehen und dann unterhalb des Hügels das Jüngste Gericht abhalten. Deshalb ist der Berg auch heute ein riesiger Friedhof, damit die Toten praktisch schon da sind, wenn es soweit ist.

Der Ort ist also gut gewählt. Und es ist eine Rede, die in ihrer Intensität der Bergpredigt in nichts nachsteht. Was ihren Inhalt angeht aber wohl. Sie richtet sich vornehmlich an die Jüngerinnen und Jünger, also an den engeren Kreis. Es geht darum, dass Jesus seine Wiederkunft ankündigt. Oder, um es etwas neutraler zu sagen, einen weiteren Schritt, der noch in der Zukunft liegt, und auf den sich alle vorbereiten sollen. Es geht um harte Zeiten, die bevorstehen, um den Tag der Entscheidung – es geht um die „Endzeit“.

Schon dieser große Bogen und das bestimmende Thema sind den meisten Christen heute suspekt. Endzeit-Szenarien überlassen wir Glaubensgemeinschaften wie den Sieben-Tage-Adventisten oder den Zeugen Jehovas. Und in der Tat: Die eindringliche Rede Jesu liest sich über viele Zeilen ganz ähnlich wie der „Wachtum“. Da wird eine echte Drohkulisse aufgebaut, werden Zeichen gedeutet und schlimme Zeiten prophezeit.

Und immer wieder geht es eben auch darum, dass die Jüngerinnen und Jünger wachsam sein sollen und durchhalten müssen. Es kommen viele Prüfungen auf die Jesus-Anhänger zu und es werden falsche Propheten erwartet. Und es wird dann am Tag des Weltgerichts „geschieden“ – zwischen denen die zu ihm gehören, den Erwählten, und denen, die draußen bleiben, den Verdammten. Und da ist dann mindestens Heulen und Zähneklappern – alles in allem ewige Verdammnis.

Ich habe die beiden Kapitel 24 und 25 des Matthäus-Evangeliums daraufhin noch einmal durchgelesen. Es kommt darin mit keinem Wort oder auch nur einer Andeutung die Gnade Gottes zur Sprache, für die wir das Evangelium doch so schätzen. Fällt Jesus am Ende seiner Tage doch in Denkstrukturen zurück, die doch eigentlich genau er endgültig überwinden soll?

Lassen wir es mal so stehen und schauen die Geschichte aus einem anderen Blickwinkel an. Nämlich aus dem, wie dir Geschichte ganz für sich genommen verständlich ist. Wenn man die Andeutungen eines Gleichnisses verstehen will, muss man sich die Komponenten seiner Zusammensetzung genauer anschauen. Also:

Die Jungfrauen, der Bräutigam und die seltsame Hochzeit

Das Gleichnis dreht sich ja um eine Hochzeitsfeier. Die Hochzeit ist auch an anderen Stellen der Bibel eine Umschreibung für den „großen Tag“ des Endgerichts. Das ja auch in unseren Breiten immer noch aufwändigst gefeierte Hochzeitsfest steht also sinnbildlich auch für das große Scheidungsgericht. Seltsam ist das schon.

Und nun gab es bei so einem Hochzeitsfest zur Zeit, als Jesus lebte, offensichtlich ein paar Bräuche, die nicht nur wir so nicht kennen, sondern die auch in der Bibelwissenschaft für einige Spekulationen gesorgt haben. Erst jetzt hat man festgestellt, dass im heutigen Palästina einige Elemente dieser hier beschriebenen Abläufe durchaus noch gang und gebe sind:

Nachdem schon den ganzen Tag munter gefeiert wurde, findet bei Einbruch der Nacht das Hochzeitsmahl im Haus des Bräutigams statt. Dahin wird bei Fackelschein zuerst die Braut gebracht. Der Bräutigam feilscht derweil mit den Verwandten der Braut um deren Geschenke – wohl so eine Art Auslöse – und zieht dann von seinen Freunden begleitet zu seinem Haus. Die Verspätung, die die Jungfrauen ohne das Reserveöl so in die Bredouille bringt, ist keine Nachlässigkeit, sondern eine Folge davon, dass die Brautverwandschaft hart um die Aussteuer gehandelt hat.

Jedenfalls ziehen dem Bräutigam und seiner Schar die unverheirateten Freundinnen der Braut singend und tanzend und mit Fackeln entgegen. Kein Schelm ist, wer sich vorstellen kann, dass bei dieser Gelegenheit geschäkert und geflirtet wird. Da werden Beziehungen und künftige Hochzeiten angebahnt – keine Frage! Diese Gelegenheit verpassen die Damen, deren Fackeln nicht brennen, in jedem Fall. Und die klugen Frauen haben das Feld für sich. Aber dazu später mehr.

Zunächst noch eine Anmerkung zu den Lampen. In den meisten Darstellungen (auf dem Bild die Galluspforte des Basler Münsters) werden die Frauen mit Öllämpchen dargestellt. Doch die wären für so einen Anlass kaum geeignet. Vielmehr wird es sich um Fackeln handeln, mit denen in der Hand sich auch tanzen lässt und die nicht beim geringsten Luftzug wieder ausgehen. Ein Professor für das Neue Testament namens Ulrich Luz hat in Bern mit einer Studierendengruppe in einer Art Selbstversuch solche tanztauglichen Fackeln nachgebaut, „an deren Spitze sich eine Art Schale aus Kupfer befindet, in die man Kleiderfetzen samt Öl und Baumharz tut“ (Zitat nach Hermann L. Strack/Paul Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und  Midrasch, Bd. 1, 1928, 8. Aufl., München: C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, 1986, S. 969) und die so etwa zwei Stunden brennen bis die Schalen nachgefüllt werden müssen.

Das Öl gehört also unabdingbar zur Funktionsfähigkeit der Fackeln dazu. Kaum vorstellbar, dass die Hälfte der Mädchen das nicht wusste. Anderseits und wie gesagt: In diesem Alter ist eine gewisse Nachlässigkeit normal. Und wohl auch das Gezicke. Nicht einmal ein Ansatz von Hilfsbereitschaft ist bei den gut ausgestatteten Kolleginnen vorhanden. Stattdessen schicken sie die anderen zum Einkaufen. Auch wenn es im alten Palästina noch keine gesetzlichen Geschäftszeiten gegeben haben wird, ist es erstaunlich genug, dass die Mädchen zu so später Stunde noch was bekommen.

Nur halt zu spät. Als sie zurückkommen ist die Feier in vollem Gange und die Türe zu. Und der Bräutigam erweist sich als schroffer Ausgrenzer, der keine Gnade kennt. Von orientalischer Gastfreundschaft ist da wenig zu spüren. Und das „Ich kenne euch nicht“ ist eine abgrundtiefe Beleidigung.

Das Gleichnis verstört also auch insofern, als die Geschichte realitätsfern ist.  Das hat sie allerdings mit anderen Gleichnissen gemein, die in der Endzeitrede und davor schon vorkommen. Und genau diese Parallele wird noch zu untersuchen sein.

Ein zum Scheitern verurteilter Deutungsversuch

Die klassische Auslegung von Gleichnissen wird „allegorisch“ genannt. Das heißt, dass für jede Komponente eine Parallele benannt wird. So bedeutet die Geschichte dann etwas ganz Anderes, aber geht doch wieder auf. Also: Jesus ist der Bräutigam, die Jungfrauen sind wir. Dann gibt es die Dummen, die ihr Leben verschlafen, und die Klugen, die vorausschauend und aufmerksam sind. Und die Zeit des Wartens ist das Leben, das eben auf den Moment der Entscheidung auszurichten ist, wenn man am Ende auf der Seite der Guten sein will.

Ja, das passt so.

Aber es passt nicht zu anderen Kapiteln und Reden Jesu und Gleichnissen und schon gar nicht zu dem Bild von Gott, das wir aus einer Gesamtbetrachtung der Bibel gewinnen. Das würde als die Beispielgeschichte eines Versicherungsvertreters durchgehen, der mit Vorsorge und Risikominimierung argumentiert. Von dem gnädigen Gott ist da nichts zu spüren.

Hat Jesus in der Bergpredigt nicht noch die sorglosen Vögel des Himmels und die Lilien des Feldes als Vorbilder gepriesen? Die Vögel säen nicht und ernten nicht und sammeln nicht in ihre Scheunen, und der himmlische Vater gibt ihnen trotzdem, was sie zum Futtern brauchen.
Und die Blumen weben und spinnen nicht und sind doch schöner gekleidet als König Salomo in all seiner Pracht, wie es so schön heißt. „Sorgt euch nicht um den morgigen Tag“. Das ist die Schlussfolgerung, die Jesus aus diesen wunderbaren Bildern aus der Natur zieht: „Sorgt euch nicht um den morgigen Tag, der morgige Tag wird für das Seine sorgen, es ist genug, dass ein jeder Tag seine eigene Plage hat“.

Genau das ist es doch, was die sogenannten „törichten“ Jungfrauen in unserem Gleichnis tun. Sie sind sorglos, sie leben im Hier und Jetzt, sie vergessen verträumt das Öl zuhause. Wer will ihnen diese Leichtsinnigkeit übel nehmen? Und es geht ja schließlich um nicht mehr als um eine verpasste Chance zu flirten.

Soll es denn nun allen Ernstes vorbildhaft sein, jede Mithilfe zu verweigern, nur an sich selbst zu denken und die Gegnerinnen auszustechen? Bei Germany’s Next Topmodel lasse ich mir sowas ja eingehen. Aber in der Bibel?!

Eine bittere Erkenntnis: Hier stimmt was nicht.

Also nochmal von vorne: Die Geschichte beginnt mit dem Hinweis, dass die gerechte Welt Gottes mit den zehn Jungfrauen vergleichbar sein wird. Diese Zukunftsform hat schon manche Interpretinnen und Ausleger dazu verleitet, in dem Zickenkrieg einen Hinweis auf die Zeit vor dem Anbrechen des Reiches Gottes zu sehen. Aber das ist nur schwer zu begründen und weicht doch eher der bitteren Erkenntnis aus: Hier stimmt irgendetwas nicht.

Diese beiden Kapitel der Rede am Ölberg und auch schon einige Geschichten davor atmen einen Geist der endzeitlichen Abrechnung und einer pseudogerechten Gnadenlosigkeit, die einfach nicht mit dem Jesus von vorher in Übereinstimmung zu bringen sind. Andreas Fischer, Pfarrer in Schwamendingen bei Zürich, hat es in einer Predigt auf den Punkt gebracht:

Die Jungfrauen klopfen an die verschlossene Tür. „Klopft an, so wird euch aufgetan“, sagt Jesus in der Bergpredigt. Doch dieser Bräutigam sagt genau das Gegenteil. Er spricht Worte, die man in der Religionswissenschaft als Bannformel bezeichnet: „Amen, ich sage euch, ich kenne euch nicht!“

Und Fischer zitiert die australische Professorin für Neues Testament Vicky Balabanski mit den Worten: „Wenn wir zulassen, dass die geschlossene Tür das letzte Wort hat, dann haben wir das Zwei-Wege-Paradigma akzeptiert, das die Welt in eine Reihe von binären Unterscheidungen einteilt.“ Und weiter: „Wenn die Tür geschlossen bleibt, dann ist Christi Gegenwart verborgen unter denen, die draußen sind.“

Mit dem Zwei-Wege-Paradigma ist gemeint, dass die Einteilung der Frauen in die törichten und die klugen genau aus dem Denken stammt, das Jesus sein kurzes aber intensives Leben lang permanent bekämpft hat.

Jesus ist auf solche Menschen zugegangen und hat die Unterscheidungen in Gut und Böse aufgeweicht. Er hat Türen geöffnet, sich zum Essen einladen lassen, hat Menschen mit übler Vergangenheit Gottes Gnade zugesprochen und die von sich selbst Überzeugten vor den Kopf gestoßen. Für die etwas einfach gestrickten Menschen hatte er ein offenes Herz und die, die sich für besonders schlau hielten, hat er auflaufen lassen.

Schwarz-Weiß-Malerei, oberflächliche Verurteilungen, nur Gut oder Böse und die gnadenlose Abrechnung am Ende der Zeiten. Genau damit sollte eigentlich Schluss sein. Und genau das soll er am Ende seines Lebens wieder gepredigt haben? Der Verdacht drängt sich auf, dass nicht Jesus, sondern der Evangelist Matthäus oder wer immer an diesem Evangelium mit- und weitergearbeitet hat, dass der oder die jedenfalls am Ende der Aufzeichnungen den roten Faden verloren hat.

Da haben plötzlich andere Interessen Eingang gefunden. Und es gibt auch Mutmaßungen, welche das gewesen sein könnten. Matthäus und seine Gemeinde standen unter Druck. Die relativ junge Christengemeinde war ja immer noch so eine Art jüdische Sekte. Und dementsprechend kritisch beäugt. Und in solcher Bedrängnis und Konkurrenz, da kommt eben leicht wieder das Bedürfnis hoch, sich klar zu unterscheiden.

Die Künstlerin Maria Lohaus versinnbildlicht in ihrer Installation mit dem Titel „Die fünf klugen und fünf törichten Jungfrauen“ (2010) gut die Zweiteilung

Wie oft in der Menschheitsgeschichte ist das schon passiert, dass Bewegungen zunächst viel Freiheit gefordert und auch verwirklicht haben. Dann kommt der Widerstand von außen und die Organisation muss gestrafft werden, um die Reihen beieinander zu halten. Und dann kommen plötzlich so Sprüche „Wir müssen doch erkennbar sein“ und „Es muss klar sein, wer zu uns gehört und wer nicht“. So ist dann schnell Schluss mit der Offenheit, der Freiheit und dem anderen Umgang miteinander.

An vielen Stellen des Matthäus-Evangeliums ist diese Auseinandersetzung mit der jüdischen Mehrheitsreligion spürbar. Doch am Ende seines Werkes bricht es vollends durch. Selbst den Taufbefehl sieht man in diesem Licht etwas anders. Geht es nicht auch mit diesem Zeichen vor allem um Eindeutigkeit und Abgrenzung?

Für uns stellt sich nun natürlich die Frage: Wie gehen wir mit dieser Erkenntnis um? Was ist das Gleichnis denn nun eigentlich noch wert? Oder gar das ganze Evangelium des Matthäus? Stehen in der Bibel auch falsche Sachen?

Die Bibel hat nicht immer Recht

Es ist sogar noch viel schlimmer: In der Bibel stehen auch keine richtigen Sachen. Vielleicht halten wir das eine oder andere dafür, aber da wird es schon hier unter uns in diesem Raum große Unterschiede geben. Dafür Wahrheiten aufzulisten ist dieses Buch ja auch gar nicht da. Die Wahrheit wird es für uns Menschen niemals geben, denn sonst wären wir selber kleine Götter. Was Andere erzählt und aufgeschrieben haben, was über Jahrhunderte und Jahrtausende immer wieder für interessant befunden wurde, das sind Glaubenszeugnisse von Menschen. Sie verarbeiten Dinge, die sie erlebt und gehört, gedacht und geglaubt haben in Texte und die verändern sich wieder durch Menschen, die sie umschreiben, übersetzen und weitergeben.

Ja, in der Bibel steht Vieles, was wir für nicht so ganz sinnvoll erachten – so will ich es einmal vorsichtig formulieren. Und zwar im Alten wie im Neuen Testament. Aber es gab Zeiten, in denen eben dieses sehr wohl für richtig gehalten wurde, und es gibt heute wahrscheinlich auch Menschen, die das für richtig halten – zum Beispiel diese Scheidung in Törichte und Kluge und das Verschließen der Tür auch.

In manchen Texten in den Evangelien fühlen wir uns aufgehoben und schaffen es doch gar nicht, ihnen gerecht zu werden. Und bei anderen verstehen wir die Intention gar nicht auf Anhieb. Paulus ist ein Gehirnakrobat, der mit seinen Thesen um eine erste umfassende Glaubenslehre ringt und doch immer wieder von den Niederungen des Menschseins eingeholt wird. Sein Frauenbild passt zum Beispiel nicht gut zu seinen steilen Thesen über die allumfassende Gnade Gottes.

Und im Alten Testament gar, wo die Spannbreite zwischen wirklich archaischen Berichten und hoch komplexen theologischen Diskursen riesengroß ist. Es geht gar nicht anders, als dass wir eine Auswahl treffen, so wie das alle Generationen der an Gott Glaubenden immer getan haben. Vielleicht sind es heute diese und morgen andere Texte, die uns interessieren, die uns herausfordern und zum Denken anregen.

Die Wahrheit gibt es schon – aber zwischen den Zeilen

Die Wahrheit steckt in diesem Ganzen. In dem Erzählen, Aufschreiben, in den Zeilen, Kapiteln, Büchern, in dem jahrhundertealten Gebrauch der Texte und in unserem heutigen Verständnis. Je mehr wir davon wissen, lesen, spüren, hören, desto mehr erschließt sich uns die tiefere Wahrheit der Bibel.

Aber: So wie es keine klugen und törichten Jungfrauen gibt, die nach links und rechts oder Himmel und Hölle zu sortieren sind, so gibt es auch nicht Bibelstellen, die falsch und die richtig sind.

Nicht erst die Bibelwissenschaft hat dazu geführt, dass biblische Texte differenziert gelesen werden können. Sie hat uns nur einige nachvollziehbare Erkenntnisse gebracht für etwas, das schon immer im Raum stand und auch zur Tradition der Bibellese gehört: dass manche Texte zeitbedingt und andere zeitlos sind, dass manche ihre Gültigkeit verlieren (wie z.B. viele Reinheits- und andere Gebote) und andere nie. Dass manches wörtlich verstanden werden kann und anderes symbolisch. Und dass in manchen Texten Ängste oder Interessen erkennbar werden, die zu hinterfragen sind.

In diesem Fall ist das wohl so. Aber ich frage mich doch, ob Matthäus, wie manche meinen, dieses Gleichnis selbst erfunden hat. Hat er nicht vielleicht ein Gleichnis Jesu falsch verstanden oder umgedeutet oder verändert? Gibt es also nicht möglicherweise eine Interpretation vor der des Evangelisten?

Wie ich es jedoch drehe und wende, komme ich auf keine Allegorie, die auch bei einer Veränderung der Geschichte passt. Klar ist die die Mahnung zur Wachsamkeit nie falsch, aber auch nicht zu dem entspannten Jesus passend. Und was das Öl auch immer sein mag, es nicht teilen zu können macht eigentlich keinen Sinn.

Nein, die Geschichte müsste schon beherzt umgeschrieben werden, wie das der griechische Schriftsteller Nikos Kazantzakis getan hat, der den Schluss der Geschichte öffnet und den Bräutigam rufen lässt: „‚Öffnet das Tor, dies ist eine Hochzeit, alle sollen essen und trinken und fröhlich sein! Lasst die gedankenlosen Jungfrauen hereinkommen und sich die Füße waschen, denn sie sind weit gelaufen.‘“

Noch aufrechter ist es allerdings, die Geschichte als fehlgeleitete stehen zu lassen und sie als Herausforderung zu verstehen. Wie schaffen wir es, diesem Schwarz-Weiß-Denken zu entkommen und uns nicht wieder von ihm einholen zu lassen? Was ist für uns eigentlich dieser Endpunkt der Geschichte, wenn uns der Vergleich mit einem Hochzeitsmahl nicht so schmeckt? Wie offen stehen eigentlich unsere Türen, wenn es darum geht, die nicht so wachsamen und aufs Leben gut vorbereiteten Mitmenschen in den Saal unseres Lebens zu lassen?

Und sind wir immer wieder neu bereit, uns den Glauben schenken zu lassen, uns von Glaubenserfahrungen anderer Menschen anstecken zu lassen und selbst offen damit umzugehen, was wir von Gott glauben?

Damit wir klug werden, sollten wir uns also nicht an den klugen Jungfrauen orientieren, sondern aufmerksam zurück und nach vorne lesen, die Worte auf uns wirken zu lassen und dem Heiligen Geist Raum zu geben, dass er das wahre Verständnis dazu gibt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
 

"Die Bibel ist von Menschen geschrieben, sie ist ein menschliches Buch, und darum kann sie nicht anders gelesen und verstanden und nicht nach anderen Methoden ausgelegt werden als andere menschliche Bücher auch."

Dr. theol. Heinz Zahrnt (1971 bis 1973 Präsident des Evangelischen Kirchentags, 25 Jahre
theologischer Chefredakteur des "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts", 
Es begann mit Jesus von Nazareth, Gütersloh 1960, S. 30)

 


Georg Rieger, Stuttgart, 6. Juni 2015

Bibelarbeit über Matthäus 25, 1-13 (PDF)

 

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