Angst essen Seele auf

Einspruch! - Mittwochs-Kolumne von Georg Rieger


Foto: Rieger

Wovor müssen wir wirklich Angst haben und warum haben wir sie vor dem Terror?

Unter diesem Titel hat Rainer Werner Fassbinder 1974 das Leben eines deutsch-türkischen Paares verfilmt. Aus dem Filmtitel ist ein geflügeltes Wort geworden.

Jetzt droht die Angst die Seele unserer Gesellschaft aufzuessen. Die Anschläge in Brüssel, Paris und Nizza, die islamistisch kaschierten Ausraster in Würzburg und Ansbach, der Amoklauf in München … es entsteht ein Gefühl von Unsicherheit. Fast wäre in Nürnberg dieses Wochenende das Bardentreffen abgesagt worden, Deutschlands größtes Weltmusik-Festival. Keine Musik mehr aus Angst?

Für die, die für Sicherheit sorgen sollen, ist das eine riesen Belastung. Denn alle wissen: Sicherheit gibt es nicht. Nicht nur keine absolute, sondern eigentlich fast keine. Trotzdem fühlen wir uns normalerweise sicher. Normalerweise leben wir mit hunderten von Sicherheitsrisiken täglich.

Die Gefahr, bei einem Terroranschlag ums Leben zu kommen, ist um ein Vielfaches niedriger als beim Essen zu ersticken. Und das ist ja schon eine der eher seltenen (vorzeitigen) Todesarten. Wir können auf das Essen nicht verzichten, darum ignorieren wir die Angst. Alles andere wäre paranoid. Etwas anders sieht es schon beim Straßenverkehr aus, in dem Tausende Menschen jedes Jahr ums Leben kommen. Mobilität ist immerhin schon weniger lebensnotwendig und Fahren ohne Geschwindigkeitsbegrenzung eine ganz bewusste lebensgefährliche Entscheidung, die erstaunlich wenig in Frage gestellt wird.

Es ist ja nicht nur die reine Gefahr, sondern auch die dahinter steckende Aggression, die uns aufregt. Dass Menschen uns umbringen wollen, weil sie sich für Opfer und uns für ihre Unterdrücker halten, das ist schwer hinzunehmen - selbst wenn etwas Wahres dran sein sollte. Und haben wir nicht durch die Aufnahme von Flüchtlingen Mitmenschlichkeit gezeigt?

Angst vor einer Person zu haben, die vor einem steht und einen bedroht, ist etwas Anderes als die Angst vor einer unbestimmten Gefahr. Da spielen viele Faktoren mit hinein: Was wird mir berichtet und wie wird es kommentiert? Welche Einstellung habe ich gegenüber der Bedrohung?

Es geht schlicht um die Frage: Kann ich mit der Angst leben? Will ich ihr trotzen oder mich ihr ergeben? Da spielt die Einstellung eine große Rolle. Und auch eine vernünftige Einordnung der Gefahrenlage. Ein guter Beitrag dazu ist der WDR-Beitrag aus der Rubrik #kurzerklärt: Wie berechtigt ist die Terrorangst in Europa. https://www.tagesschau.de/inland/kurzerklaert-terrorangst-101.html

Nein, meine Seele soll nicht von der Angst aufgegessen werden. Ich lasse mir mein Mitgefühl mit wirklichen Opfern nicht nehmen. Und auch nicht den Spaß am Leben. Ich freue mich auf die Musik am Wochenende und die Gäste aus aller Welt. Ein besseres Mittel gegen die Angst gibt es nicht.

Georg Rieger