Kölner Beschneidungsurteil - europäische Rabbiner beraten über Schritte gegen das Urteil

Moskauer Rabbiner: «Es handelt sich um den vielleicht gravierendsten Angriff auf jüdisches Leben in Europa nach dem Holocaust»

ref.ch. Die Proteste gegen das Kölner Beschneidungsurteil reissen nicht ab. Die Konferenz Europäischer Rabbiner will auf einer Dringlichkeitssitzung in Berlin über Schritte gegen das Urteil beraten.

«Es handelt sich um den vielleicht gravierendsten Angriff auf jüdisches Leben in Europa nach dem Holocaust», erklärte der Präsident der Konferenz, der Moskauer Rabbiner Pinchas Goldschmidt, am 9. Juli.

Das Urteil habe die Bedeutung der Beschneidung von Knaben für Glauben und Identität der Juden gründlich missachtet. Er sei sich sicher, dass die Entscheidung keinen Bestand haben werde, erklärte Goldschmidt. Eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums sagte auf Anfrage, das Urteil werde in ihrem Haus «intensiv geprüft».

«Einzelfallentscheidung»
Unterdessen erläuterte der deutsche Botschafter in Israel das umstrittene Urteil im Parlament in Jerusalem. Andreas Michaelis übergab dem Knessetpräsidenten Reuven Rivlin am 9. Juli auch ein erklärendes Schreiben.

«Das Urteil ist eine Einzelfallentscheidung, die keine bindende Wirkung für andere Gerichte entfaltet», hiess es unter anderem in dem Brief, den die deutsche Botschaft auf ihrer Webseite veröffentlichte.

Es sei selbstverständlich, dass die deutsche Regierung die Unabhängigkeit der Justiz achte. Gleichzeitig betonte Michaelis, die Ausübung der Religionsfreiheit sei in der Bundesrepublik ein verfassungsrechtlicher Grundsatz.

Das Landgericht Köln hatte die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen als Körperverletzung bewertet. Jüdische und muslimische Verbände sowie die Kirche kritisierten das Urteil scharf als Eingriff in die Religionsfreiheit. Auch in Israel stiess die Gerichtsentscheidung auf Unverständnis und löste Irritationen aus.

Der deutsche Botschafter schrieb in seinem Brief, das Urteil wende sich im Ergebnis von der in Deutschland herrschenden Rechtsauffassung zur Beschneidung ab. Diese sei «seit sechzig Jahren gesellschaftlich und juristisch als einwilligungsfähiger ärztlicher Heileingriff akzeptiert». Die Kölner Entscheidung bedeute auch nicht, «dass andere Gerichte genauso entscheiden würden». Ausserdem sei der beschuldigte Arzt in beiden Instanzen freigesprochen worden.

Quelle: ref.ch, 10. Juli 2012