Erfurt: Opferberatung kritisiert Reaktion der Polizei nach rechtsmotiviertem Angriff

''Für Betroffene von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist es oft ein erneuter Schlag ins Gesicht, dass ihre Situation oder ihre Aussage gegenüber den ermittelnden Behörden nicht ernst genommen wird und am Ende sogar der Anschein entsteht, es hätte nur einen Streit zwischen zwei rivalisierenden Personen oder Gruppen geben''

Die Mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen (ezra) kritisiert die Reaktionen der Polizei nach einem Angriff mit rechtsradikalem Hintergrund auf die Besucher einer Ausstellungseröffnung im Kunsthaus Erfurt am 13. Juli. Die Berater zählen den Vorfall zu einer rechtsmotivierten Angriffs-Serie in der Thüringer Landeshauptstadt und konstatieren eine "Anhäufung von Fehleinschätzungen". Gleichzeitig bekunden sie Solidarität mit den Betroffenen und bieten ihre Hilfe an. Staatliche Behörden, Politik und Gesellschaft werden dazu aufgerufen, "das Problem rechter Gewalt ernst zu nehmen und ebenfalls Solidarität mit den Betroffenen zu bekunden".

In Anbetracht der jüngsten Ereignisse im Zusammenhang mit den Morden der "Zwickauer Terrorzelle" und den damit verbundenen skandalösen Erkenntnissen über das Versagen staatlicher Behörden sei es erschreckend, aber leider kein Einzelfall, dass die Polizei in ihrer ersten Pressemitteilung den Hintergrund der Tat mit keiner Silbe erwähnt habe, sagt Jürgen Wollmann, Projektleiter bei ezra. "Sieg-Heil"-Rufe, Horst-Wessel-Shirt und Naziparolen seien klare Indizien für die politische Heimat der Täter, die in einer Pressemeldung oder auf Nachfrage von Journalisten nicht verschwiegen werden dürften. "Für Betroffene von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist es oft ein erneuter Schlag ins Gesicht, dass ihre Situation oder ihre Aussage gegenüber den ermittelnden Behörden nicht ernst genommen wird und am Ende sogar der Anschein entsteht, es hätte nur einen Streit zwischen zwei rivalisierenden Personen oder Gruppen geben", so Wollmann.

Er informiert darüber, dass erst vor vier Wochen Teilnehmer einer Veranstaltung des Bildungskollektivs (BiKo) in der Offenen Arbeit der Evangelischen Kirche in Erfurt von Neonazis angegriffen wurden. "Betroffene fühlten sich von der Polizei als Täter behandelt. Wir verurteilen diese Anhäufungen von Fehleinschätzungen von Seiten der Ermittlungsbehörden auf das Schärfste und fordern Aufklärung", so Wollmann. Er warnt zudem davor, dass die Gesellschaft in Sorge um das Image ihrer Region den Betroffenen rechtsmotivierter Gewalt den Stempel der "Nestbeschmutzer" verpasst, oder im Rahmen der "Extremismusdebatte" Täter und Opfer in einen Topf wirft.

Die Mobile Opferberatung in Thüringen bietet den Betroffenen der Angriffe in Erfurt sowie allen Zeugen und Angehörigen Hilfe an. Das Angebot reicht von Beratung über Begleitung (z. B. zu Behörden, Ämtern, Polizei und Gerichten) bis hin zur Beantragung finanzieller Unterstützung. Die Notrufnummer: 0176-94627507.

Weitere Informationen im Internet: www.ezra.de


Pressemitteilung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), 18. Juli 2012