Bundestagspräsident: Europa braucht die Kirchen

Lammert auf der Politikertagung der westfälischen Landeskirche

SCHWERTE-VILLIGST/WESTFALEN - Im Kampf gegen die Euro- und Schuldenkrise spielen die Kirchen nach Überzeugung von Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert eine bedeutende Rolle. Denn diese Krise lasse sich nicht allein auf ökonomischem Weg lösen: „Europa braucht gemeinsame Erfahrungen, Überzeugungen, Orientierungen“, sagte Lammert am Freitagabend (31.8.) während einer Begegnungstagung für Politiker, zu der die Evangelische Kirche von Westfalen nach Schwerte-Villigst eingeladen hatte. Von den Kirchen erwartet der Bundestagspräsident, dass sie die existenzielle Bedeutung der gemeinsamen Überzeugungen und Orientierungen immer wieder deutlich machen.

Lammert warnte vor einfachen Lösungen. „Die Kirchen in Europa können helfen, komplizierte Zusammenhänge verständlich zu machen. Und sie dürfen die Politik daran erinnern, dass die Neigung zur Maßlosigkeit dazu verführt, rechtliche Verpflichtungen hinter sich zu lassen, weil man leicht Opfer des eigenen Größenwahns wird.“

Um die wirtschaftliche Krise zu bewältigen, müssen sich die Europäer nach Lammerts Überzeugung darüber klar werden, was sie sich eigentlich unter Europa vorstellen. „Es reicht nicht, dieses wachsende Gebäude ständig zu renovieren oder neu zu möblieren.“ Es sei nicht damit getan, die Finanzmärkte mit Rücksicht auf die Interessen der Banken zu beruhigen. Mit Bezug auf den früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors sprach er von der „Seele Europas“, die für die Gemeinschaft lebensnotwendig sei.

Lammert beobachtet nicht nur ein Defizit an religiöser Orientierung. Moderne Gesellschaften würden auch dazu neigen, die Bedeutung der Religion zur Lösung ihrer Probleme zu unterschätzen. Demokratie könne zwar kann nur bei sorgfältiger Trennung von Staat und Kirche funktionieren – „diese Trennung setzt aber eine religiöse Orientierung voraus; ohne die es die Demokratie gar nicht gäbe“, sagte der Bundestagspräsident.

Für eine europäische Verfassung mit Bezug auf Gott sprach sich Präses Annette Kurschus aus. Die Formulierung im deutschen Grundgesetz „im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott“ diene vor allem der Selbstbegrenzung des Menschen. Die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) sprach vom Licht des Evangeliums als dem Licht der Versöhnung, von der alle Menschen leben: „Hoffentlich leuchtet es bis in eine künftige europäische Verfassung hinein, so dass wir auch Europa gestalten im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen.“

Zu der jährlichen Begegnungstagung für Politikerinnen und Politiker der EKvW kamen über hundert Gäste aus Politik und Kirche, unter ihnen die nordrhein-westfälische Landtagspräsidentin Carina Gödecke und Europaministerin Angelica Schwall-Düren.

weitere Beiträge zur Tagung:

Versöhnte Verschiedenheit als Zukunft für Europa


Pressemeldung der EKvW, 31. August 2012