Emden wird voraussichtlich ''Reformationsstadt''

Menso Alting Ausstellung Auftakt zur ''Reformationsstadt Emden''

Die Stadt Emden kann sich von kirchlicher Seite aus künftig „Reformationsstadt“ nennen. Der Stadt ist während der jüngsten Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) in Florenz dieses Prädikat avisiert worden. Das teilte Dr. J. Marius J. Lange van Ravenswaay, wissenschaftlicher Vorstand der Johannes a Lasco Bibliothek, am Donnerstag (4.10.) während der Pressekonferenz zur Eröffnung der „Menso Alting“-Ausstellung in Emden mit.

Von städtischer Seite ist noch ein entsprechender Ratsbeschluss nötig, der dieser Auszeichnung und den damit verbundenen Inhalten sowie die künftige Ausrichtung Emdens als „Reformationsstadt“ mit auf den Weg bringen kann.

Vor diesem Hintergrund versteht sich die Gemeinschaftsausstellung „Menso Alting und seine Zeit. Glaubensstreit – Freiheit – Bürgerstolz“ als erster Beitrag und prägnanter Auftakt aus der „Reformationsstadt Emden“ zum Reformationsjubiläum 2017. 
Eine entsprechende Gewichtung erfährt die kulturhistorische Präsentation des Ostfriesischen Landesmuseums Emden und der Johannes a Lasco Bibliothek bereits durch die Schirmherrin: Die evangelische Theologin Prof. Dr. Margot Käßmann, die als „Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017“ wirkt, hat unlängst die Schirmherrschaft für die sechs Monate währende Ausstellung übernommen. Margot Käßmann wird am 2. Dezember 2012 nach Emden kommen und sich die Präsentation in beiden Häusern anschauen. Geplant ist an diesem Tag zudem ein Vortrag der „Luther-Botschafterin“ in der Johannes a Lasco Bibliothek.

Gottesdienst zur Eröffnung am 400. Todestag Menso Altings

Die Ausstellung „Menso Alting und seine Zeit. Glaubensstreit – Freiheit – Bürgerstolz“ wird am kommenden Sonntag, dem 7. Oktober 2012, um 17 Uhr im Rahmen eines Gottesdienstes in der Johannes a Lasco Bibliothek eröffnet – am 400. Todestag des streitbaren Predigers. Die Andacht wird von den evangelisch-reformierten Emder Pastoren Bert Gedenk und Manfred Meyer im Rahmen einer Dialog-Predigt gestaltet. „Wir werden uns darin auf der Grundlage von biblischen Texten mit den Wertvorstellungen von Freiheit und Toleranz zu Altings Lebzeiten und mit ihrem Stellenwert in der heutigen Zeit auseinandersetzen“, schilderte Pastor Manfred Meyer.
Musikalisch begleitet wird der Gottesdienst in der einstigen Wirkungsstätte Menso Altings vom Posaunenchor Wybelsum. Der Oberbürgermeister der Stadt, Bernd Bornemann, wird im Anschluss Grußworte sprechen. Danach wird bei einem kleinen Imbiss zu einem Gedankenaustausch eingeladen; überdies kann die Ausstellung in beiden Häusern erstmals in Augenschein genommen werden (bis 20 Uhr).

Gemeinschaftssausstellung mit Glanzpunkten

Am 7. Oktober jährt sich der 400. Todestag des Predigers und Theologen Menso Alting – ein streitbarer Calvinist, der weit über Emden und Groningen hinaus wirkte. Das Ostfriesische Landesmuseum Emden und die Johannes a Lasco Bibliothek nehmen dies zum Anlass und erinnern gemeinsam an den bedeutenden Kirchenmann der Reformationszeit und der folgenden Zeit der Konfessionalisierung. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht der Mensch Alting und dessen Einfluss auf die Zeitläufe. Von ihm heißt es, dass er den Calvinismus in Emden manifestierte und die Stadt, in der ein religiöser Pluralismus gelebt wurde, so zum Brennpunkt konfessioneller Auseinandersetzungen in Europa machte. Mit ihm gedieh die Emder Revolution von 1595 – ein schillerndes Kapitel Geschichte, dass die Stadt bis in die heutige Zeit prägt.

Das Ostfriesische Landesmuseum Emden widmet sich den kulturellen und wirtschaftlichen Aspekten jener Emder Epoche, die von einem starken Bedürfnis nach bürgerlicher Selbstbestimmung geprägt war und späterhin als das „goldene Zeitalter“ der Stadt deklariert wurde. Die Ausstellung wartet mit Themenschwerpunkten wie „Vorreformatorische Zeit“, „Konfessionalisierung“, „Armenwesen“, „Der Weg zur Emder Revolution“ sowie „Bürgerstolz“ auf. Auch die Rüstkammer, in der originale Waffen aus dem Spanisch-Niederländischen Krieg (1568-1648) gezeigt werden, wird zum Schauplatz. Dass die Ausstellung im Rathaus an jener Stätte zu sehen ist, in der dereinst die Bürgergemeinde tagte und in der bis heute so manches Kleinod aus jener „bürgerstolzen“ Zeit präsentiert wird, gibt der inhaltlichen Ausrichtung eine besondere Gewichtung. So wie das vor 50 Jahren an selber Stelle neu errichtete Emder Rathaus als Sinnbild einer selbstbewussten Stadt fungiert.

Besonderheiten:  In der Gemäldegalerie in der zweiten Etage wird „Die Bildwelt der nördlichen Niederlande“ eindrucksvoll in Szene gesetzt, mit Exponaten, die aus der SØR Rusche Sammlung Oelde/Berlin zur Verfügung gestellt werden. Gezeigt werden Ölgemälde, in denen die Künstler die gesellschaftlichen Verwerfungen des 17. Jahrhundert anprangerten – motivisch ausdrucksstark und subtil zugleich. Ein Beispiel: Die „Allegorie auf den christlichen Streiter – Der Kampf des Tugendhelden gegen die Laster“ (1655) von Adriaen van Nieulandt (1587-1658).  

Der Emder Ratssilberschatz und die Fenster des Renaissance-Rathauses von 1576 sind ebenso überlieferte Zeugen jener bewegten Zeit, in der Menso Alting in der Stadt für den Calvinismus stritt, wie zahlreiche Objekte der weithin für ihren Bestand berühmten Emder Rüstkammer. Dort werden dem Besucher im Rahmen der aktuellen Ausstellung unter anderem die Protagonisten und die Abläufe der legendenreichen Schlachten von Heiligerlee und Jemgum anno 1568 vor Augen geführt – und es wird erzählt, wie der Harnisch des niederländischen Feldherrn Ludwig von Nassau (1538-1574) nach Emden kam.

Die Johannes a Lasco Bibliothek nimmt Menso Alting als politischen Theologen in den Fokus. In der einstigen Großen Kirche verkündigte er seine reformierte Glaubensauffassung mit einer Vehemenz, die letztendlich in die Aufkündigung der Gefolgschaft zu seinem lutherischen Landesherrn Edzard II. mündete. Die „Moder Kerk“ wurde so zum geistigen Zentrum der Emder Revolution; ein Umbruch, der die Stadt schließlich in die politische Unabhängigkeit führte. Dort stritt Alting bis zu seinem Tod für den Calvinismus und fand ebenda vor 400 Jahren seine letzte Ruhestätte – beigesetzt wurde er an jenem Platz, an dem er während des Abendmahles zu sitzen pflegte. Der Besucher wird erfahren, wie sich das Täufertum in Emden konstituierte, wie sich die Diakonie entwickelte, welche kirchlichen Dispute in der Konsistorienkammer ausgetragen wurden und wie es um Emden als Zentrum des reformatorischen Buchdrucks bestellt war.

Besonderheiten:  Zu den außerordentlichen Leihgaben zählt ein Brief von Johannes Calvin (1509-1564), den der Reformator im Mai 1557 an die Emder Gemeinde schrieb und der vom Stadsarchief Amsterdam zur Verfügung gestellt wird; zum Briefinhalt: Als die Emder Gemeinde sich vehement um den ehemaligen Theologieprofessor Francois Perucelle als Prediger bemühte, bat Calvin darum, diesen doch der Frankfurter Gemeinde zu lassen und demütig zu sein. Auch Original-Korrespondenz Menso Altings wird in der a Lasco Bibliothek zu sehen sein – Briefe, die der Prediger an den reformierten Theologen und Begründer der Groninger Universität, Ubbo Emmius, schrieb. Ausgestellt sind überdies theologische Streitschriften zum Emder Katechismus sowie seltene Buchdrucke aus jener Zeit. Ein Beispiel: Eine „Lutherbibel“ von 1541, die zum Fundus der Marienbibliothek in Halle gehört und erstmals außerhalb von Halle öffentlich vorgestellt wird. Die in Wittenberg gedruckte Gesamtausgabe gehörte der Lutheranerin Felicitas von Selmenitz (1488-1558) aus Halle und war ein Geschenk Luthers an die Taufpatin seiner Kinder. Ein katholisches Prunkstück der vorreformatorischen Zeit stellt die „Monstranz von Campen“ von 1523 dar, welche einst zur Kirche des Krummhörner Dorfes gehörte. Die silbervergoldete Monstranz überdauerte die Reformation im zunächst noch katholischen Groningerland; das Kleinod kommt als Leihgabe aus dem Groninger Museum nach Emden.

Leihgaben und Förderer

Die Ausstellung aus dem Fundus beider Emder Kultureinrichtungen wird unterstützt mit Leihgaben aus dem Groninger Museum, dem Diözesanmuseum Osnabrück, dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, den Kunstsammlungen der Universität Göttingen, dem Stadsarchief Amsterdam, der Stiftung Luthergedenkstätten Wittenberg, der Landesbibliothek Stuttgart, der SØR Rusche Sammlung Oelde/Berlin, der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, der Marienbibliothek Halle (Saale), dem Landesarchiv Detmold, dem Staatsarchiv Aurich, dem Stadtarchiv Emden, der Ostfriesischen Landschaft sowie aus Gemeinden Ostfrieslands. Dazu zählen – zu den oben bereits genannten Leihgaben ­ – Grafiken aus dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg und den Luthergedenkstätten, Werke aus den Kunstsammlungen der Universität Göttingen sowie liturgische Gegenstände, die den konfessionellen Pluralismus Ostfrieslands in jener Epoche anschaulich machen – unter anderem ein lutherischer Abendmahlskelch (1559-1599) aus der Kirchengemeinde Baltrum. Der Kelch wurde von der schwedischen Königstochter Katharina von Wasa (1539-1610) gestiftet, die mit Graf Edzard II. von Ostfriesland verheiratet war – er war Menso Altings lutherischer Widersacher in Emden.
Gefördert wird die Ausstellung durch das Staatsministerium für Kultur und Medien, das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur, von der Stadt Emden, der Ostfriesischen Landschaft sowie von der reformierten Kirchengemeinde Emden.

Katalog zur Ausstellung

Rechtzeitig mit Beginn der Ausstellung „Menso Alting und seine Zeit. Glaubensstreit – Freiheit – Bürgerstolz“ wird ein 350 Seiten starker Katalog vorliegen. Der erste Katalogteil widmet sich in Aufsätzen dem Menschen und Theologen Menso Alting, den geschichtlichen Belangen Emdens und Umgebung während dessen Ära sowie der Bedeutung der Großer Kirche (Wirkungsort Altings) und des Rathauses als politisches Zentrum der Stadt. Im zweiten Teil präsentiert sich die Gemeinschaftsausstellung „Menso Alting und seine Zeit. Glaubensstreit – Freiheit – Bürgerstolz“ mit ihren Themenbereichen und vielfältigen Exponaten. Der mit zahlreichen Abbildungen versehene Katalog ist in beiden Ausstellungshäusern erhältlich; Preis: 19,90 Euro.

Inhaltliche Ausrichtung findet sich im Rahmenprogramm wieder

Vor dem Hintergrund des Reformationsjubiläums 2017 und der Ausrichtung Emdens als Reformationsstadt richten die beiden Emder musealen Institutionen ihr Augenmerk nicht allein in die Vergangenheit. So wird der Besucher mit Begriffen wie Freiheit, Selbstbestimmung und Toleranz konfrontiert – Wertvorstellungen, die damals wie heute auf das bürgerliche Leben Einfluss nehmen und aktuell reichlich Diskussionsstoff bieten. In Zusammenarbeit mit der reformierten Kirchengemeinde Emden und anderen Kooperationspartnern – auch von niederländischer Seite – werden sich diese Themenansätze auch im Rahmenprogramm der Ausstellung, die Ende März 2013 endet, wiederfinden. Das Programm setzt sich aus wissenschaftlichen Vorträgen, musikalischen Veranstaltungen und einem museumspädagogischen Programm des Ostfriesischen Landesmuseums zusammen, an dem sich auch niederländische Schulen beteiligen. 


Pressemeldung des Ostfriesischen Landesmuseums emden, 4. Oktober 2012