II. Von Gott reden, heißt vom Menschen reden

Michael Weinrich, Wir sind aber Menschen

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I. Das Unbekanntsein Gottes
II. Von Gott reden, heißt vom Menschen reden
1. Die apologetische Perspektive
a) Gott als Sinnpotenzial
b) Gott als die Fraglichkeit des Menschen
c) Theologische Trittbrettfahrerei
2. Der theologische Zirkel
III. Von der Anmaßlichkeit des Fragens
IV. Wirklichkeit als Beziehung
V. Zur Freiheit befreit
VI. Eine Zwischenbilanz
VII. Die unmögliche Möglichkeit
VIII. Die mögliche Unmöglichkeit

Wenn Gott selbst nicht Gegenstand des menschlichen Nachdenkens sein kann – dagegen lassen sich über die genannten Gründe hinaus auch unüberwindliche erkenntnistheoretische Einwände machen –, so lässt sich vielleicht aber der Horizont benennen, für den die Thematisierung Gottes von Bedeutung und somit zumindest die Frage nach Gott von Belang ist. Lassen sich begründbar Spuren des Wirkens Gottes erkennen? Gibt es verlässliche Hinweise auf seinen Willen? Gibt es Begebenheiten oder Zusammenhänge, die erkennen lassen, dass es Gott mit den Menschen bereits zu tun hat oder aber zu tun haben will?

All diese Fragen werden erst dann sinnvoll, wenn in irgendeiner Weise damit gerechnet wird, dass sich dieser Gott bereits von sich aus in irgendeiner Weise zu erkennen gegeben hat. Ein für sich seiender Gott bleibt uns in seiner Transzendenz verborgen und die Spekulationen über einen solchen Gott bleiben müßig. Von Gott zu reden wird erst dann sinnvoll, wenn sich Gott bereits bei uns eingemischt hat und somit ein uns immer bereits schon betreffender Gott ist. Nicht um die Existenz oder um das Sein Gottes geht in der Theologie der Streit, vielmehr um das Bedenken seiner spezifischen Einmischung in unsere Wirklichkeit, die ohne ihn nicht recht verstanden werden kann. In der Hauptsache ist die Frage strittig, inwieweit und wie grundlegend uns dieser Gott betrifft.

Wenn Gott auf den Plan tritt, dann können wir uns auch selbst nur dann recht verstehen, wenn wir auch auf seine Präsenz aufmerksam sind. Deshalb kann es keine reine und als solche objektive Rede des Menschen über Gott geben, sondern nur eine durch Gottes besondere Zuwendung zum Menschen motivierte, begründete und dann auch orientierte. Und jede Rede vom Menschen greift zu kurz, die nicht auf das zwischen ihm und Gott bestehende Verhältnis aufmerksam ist. Es wird sich zeigen, dass auch dieser Konsens der Theologie noch einen allzu großen Raum eröffnet, in dem es zu überaus unterschiedlichen und sich gegenseitig ausschließenden ›Ansichten‹ kommen kann. 

1. Die apologetische Perspektive

Unweigerlich begeben wir uns auf eine dünne Eisfläche, wenn wir glauben, den menschlichen Horizont bestimmen zu können, in dem sinnvoll von Gott gesprochen werden kann. Denn wenn nicht Gott selbst bereits die Voraussetzung unseres Redens ist, von wo aus soll er dann in den Blick genommen werden? Wir kommen nicht umhin, wenigstens vorläufig den Rahmen zu bestimmen, in dem sich die Gottesrede als sinnvoll erweisen soll. Hier tun sich grundsätzlich zwei fundamental unterschiedliche Wege auf. Der erste Weg, den ich schließlich den apologetischen Weg nennen werde, ist von der Frage bewegt, welchen Beitrag die Rede von Gott für unser Selbst- und Wirklichkeitsverständnis leistet, so wie ja auch gern – von außen und von innen –  nach dem Beitrag der Kirche in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit gefragt wird.

a) Gott als Sinnpotenzial

Diese Frage nach dem besonderen Beitrag Gottes beschränkt sich von vornherein darauf, einem bereits bestehenden Wirklichkeitsverständnis des Menschen einen gewissen ergänzenden Dienst zu leisten, der darin besteht, den in ihm entdeckten Ort bzw. Raum für eine Möglichkeit Gottes nun mit der Bedeutung des jeweils einzubringenden Gottes auszufüllen bzw. in Anspruch zu nehmen. Das Gegenwartsbewusstsein des Menschen wird als Referenzrahmen anerkannt, und die Theologie bzw. die Kirche bemüht sich nun darum, in ihm ihre besondere Rede von Gott plausibel zu machen. Indem das Gegenwartsbewusstsein auch nicht einfach offen zu Tage liegt, sondern seinerseits erst mit allen Risiken einer Fehldiagnose rekonstruiert werden muss, gilt die erste Sorge der Theologie der Rekonstruktion des jeweils aktuellen menschlichen Selbstbewusstseins und des mit ihm verbundenen Wirklichkeitsbewusstseins, von dem aus der Mensch seine Wahrnehmungen orientiert und schließlich seine Entscheidungen abschätzt und verantwortet. Dabei kommt es entscheidend darauf an, dass der in Betracht gezogene Wirklichkeitshorizont Raum dafür lässt, dass die einzubringende Möglichkeit, von Gott zu reden, eine eigene Bedeutungsdimension zu eröffnen vermag.

Diesen Wirklichkeitshorizont finden wir nicht bei den Naturwissenschaften, auch wenn sich manche in der Theologie dies meist aus allzu offenkundigen Opportunitätsgründen so sehr wünschen, dass sie dies den Naturwissenschaften gerne andichten, indem sie diese – mit einem merkwürdig abstrakten Argumentationsaufwand – in den Sog von Letztbegründungsfragen hineindrängeln, die weder ihrem methodischen Zugriff noch ihrem inhaltlichen Interesse entsprechen. Gewiss können und mögen Naturwissen­schaftlerInnen an der Gottesfrage interessiert sein, aber im Horizont ihrer wissenschaftlichen Arbeit werden sie nicht auf sie stoßen, wenn sie ihnen nicht von außerhalb der Naturwissenschaft angeboten oder gar aufgedrängt würde.

Der Grund, weshalb es in der Theologie so gerne gesehen würde, dass sich insbesondere auch die Naturwissenschaften mit der Gottesfrage konfrontiert sehen, liegt wohl darin, dass man gern die zentrale Berufungsinstanz auf seiner Seite hätte, die das gegenwärtige allgemeine Wirklichkeitsbewusstsein am nachhaltigsten geprägt hat. Mit dem Ausfall der Naturwissenschaften für die Gottesfrage fällt im Grunde der ganze Bereich der Empirie aus, d.h. der Bereich aufweisbarer Gegenständlichkeit. Gewiss wäre es naiv, die Naturwissenschaften auf den Bereich der Empirie festlegen zu wollen, aber es wäre umgekehrt widersinnig, sowohl ihre Ausgangsmotivation als auch die treibende Erkenntnisperspektive nicht in empirisch auswertbaren Zusammenhängen zu sehen. Auch die theoretischsten Fragen bleiben im Kontakt mit Erklärungsproblemen, deren Wurzeln in empirisch aufweisbaren Phänomenen liegen. Diese bleibende Erdverbundenheit gibt ihnen ihre unmittelbare Vertrauenswürdigkeit, die weder durch die Relativitätstheorie noch durch Theoretisierungen mit imaginären Räumen oder virtuellen Dimensionen grundsätzlich infrage gestellt ist. Und wegen eben dieser unmittelbaren Vertrauenswürdigkeit versucht die Theologie so gern, die Naturwissenschaften für die Gottesfrage zu ködern. Aber mehr, als dass sich dieser oder jener Naturwissenschaftler bzw. diese oder jene Naturwissenschaftlerin dann mit dem jeweiligen naturwissenschaftlichen Blick auf theologische bzw. als theologisch ausgegebene Fragen einlassen, kann dabei nicht herausgekommen.

Es verhält sich durchaus ähnlich wie bei der Frage nach der Ethik der Naturwissenschaften, die sie auch nicht in der Verfolgung ihrer unmittelbaren wissenschaftlichen Interessen in den Blick bekommt. Erst wenn die NaturwissenschaftlerInnen ihre wissenschaftliche Arbeit gesellschaftlich kontextualisieren, besteht die Chance, dass sich ihnen auch die notwendigen ethischen Fragen stellen – nicht als naturwissenschaftliche Probleme, sondern eben als Fragen nach dem über die verschiedenen Einzelerkenntnisse hinausgehenden Wirklichkeitshorizont, dem sie sich als Glieder ihrer jeweiligen Gesellschaft verantwortlich wissen sollten.

Auf der Ebene des Erklärens gibt es keinen tatsächlich sinnvollen Ort für Gott, d.h. wir haben uns von Gott als einem Erklärungspotenzial für naturwissenschaftliche Grenzfragen ebenso verabschiedet wie von allen Versuchen, für Gott eine naturwissenschaftliche Erklärung liefern zu wollen. An die Stelle eines Gottes als Erklärungspotenzial ist im 19. Jahrhundert Gott als Sinnpotenzial getreten[1]. Auch diese Horizontbestimmung Gottes geht – ähnlich wie die Naturwissenschaften – davon aus, dass es zum Verständnis unserer Lebenswirklichkeit zunächst keines Gottes bedarf. Der Mensch ist vielmehr dazu in der Lage, seine Existenz und seine Lebensbedingungen weithin aus sich selbst heraus zu bestimmen. Im Bereich dieser Fragen haben wir uns längst an den faktischen Atheismus gewöhnt. Aber diese vom menschlichen Selbstbewusstsein praktisch durchgesetzte Gottlosigkeit richtet schließlich doch ein Fragezeichen auf, wenn es darum geht, für das menschliche Leben einen Sinn benennen zu können. Nachdem der neuzeitliche Mensch Schritt für Schritt damit begonnen hat, alles infrage zu stellen, konnte es nicht ausbleiben, schließlich auch sich selbst infrage zu stellen. Auf diesem Weg, den sich die Skepsis bahnte, konnte sich der Mensch solange immer selbst als Antwort bereit halten, solange es nicht um ihn selbst ging. Es gehört zu den grundlegenden Erkenntnissen des Existenzialismus des letzten Jahrhunderts, der sich durchaus verbreitet über das Bewusstsein der Menschen in ihr Unterbewusstsein eingenistet hat, dass der sich selbst zur Frage gewordene Mensch keine rechte Aussicht auf Antwort hat, es sei denn die Fraglichkeit wird bereits als eine Antwort angesehen.

Ist erst einmal erkannt, dass die Ebene, auf der sich sagen ließe, dass es Gott gebe, dass er irgendwo sei und in diesem Sinne existiere, für eine sinnvolle Rede von Gott grundsätzlich ausfällt, bietet sich als Orientierungshorizont die Frage des Menschen nach sich selbst an. Da sich die Theologie die erwünschte Unterstützung aus dem allgemein akzeptierten Reservoir naturwissenschaftlicher Erkenntnis endgültig aus dem Kopf schlagen musste, erhofft sie sich wieder – wie es ihr aus ihrer Geschichte durchaus noch recht geläufig ist – vor allem von den Philosophen Unterstützung. Zwar ist die damit in Anspruch genommene Akzeptationsbasis sehr viel schmaler als bei den Naturwissenschaften, aber immerhin findet sie hier auf einer etwas exklusiveren Ebene, der nur ein Teil der umworbenen modernen Menschen Aufmerksamkeit schenkt, die gesuchte schlüssige Evidenz der permanent an über sich hinausweisende Grenzen stoßenden Selbstproblematisierung des Menschen. Die Philosophie konfrontiert den Menschen mit seiner durch keine Antwort aufzulösenden Fraglichkeit. Nicht dass sich im Allgemeinen nun gleich ein Gottesbedarf ausmachen ließe, wohl aber, dass sich im Allgemeinen intellektuell ein Raum sichern lässt, der in seiner unergründlichen und ebenso grenzenlosen Tiefe die besondere Hoffnung erschüttert, die der Mensch in der Neuzeit geneigt war, auf sich selbst zu setzen. Im Hintergrund steht die schwierige Frage: Ist der sich selbst zur Frage gewordene Mensch dazu verdammt, sich selbst fraglich zu bleiben?

b) Gott als die Fraglichkeit des Menschen

Kann man nicht von Gott reden, so kann man aber doch von dem reden, was dem Menschen immer wieder nahe legt, von Gott zu reden. Kann man nicht von Gott reden, so kann man doch vom Menschen reden, den die Sehnsucht nach Gott immer wieder zu überfallen scheint, weil er sonst mehr Frage als Antwort bleibt. Will man von Gott reden, so ist zunächst vom Menschen zu reden. Für Gerhard Ebeling ist in diesem Sinne der »Horizont radikaler Fraglichkeit« die Voraussetzung für ein angemessenes Verstehen Gottes[2]. Dem nach seiner Wirklichkeit fragenden Menschen »begegnet Gott als die Fraglichkeit« der ihm begegnenden Wirklichkeit. Ohne Fraglichkeit kein Gott. »Die Bedingung der Möglichkeit des Verstehens dessen, was das Wort ›Gott‹ besagt, ist ein Nichtverstehen.« (366) Und das gilt dann auch gleich umgekehrt: Allen, die tatsächlich in diesen Horizont der Fraglichkeit eintreten, könne »die Rede von Gott ... auch grundsätzlich ... verständlich werden« (365). Ebeling will damit keineswegs auf die Natur des Menschen abheben, sondern indem der Mensch sich und seine Wirklichkeit thematisiert, stößt er auf Fragen, deren Beantwortung sich nicht nur nicht aus der Wirklichkeit ergibt, sondern auch von ihr prinzipiell nicht erwartet werden kann, weil sich bei genauerem Hinsehen herausstellt, dass es sich eben um die Selbstfraglichkeit des Menschen handelt. Die »Fraglichkeit der mich angehenden Wirklichkeit und die eigene Fraglichkeit [sind] identisch« (366). In ihr melde sich »das Problem der wahren Transzendenz« (367), in dem die Fraglichkeit mit der Gotteserkenntnis in Kontakt treten kann, nicht um in ihr zur Ruhe zu kommen, sondern um von ihr orientiert zu werden. Die Entdeckung der Transzendenz birgt also in diesem fundamentaltheologischen Gedankengang die Chance, von tatsächlicher Gotteserkenntnis ergriffen zu werden, nicht um die Fraglichkeit auf diese Weise überwinden zu können, sondern um ihr eine spezifische Orientierung zu geben.

Daran schließt sich für Ebeling ein zweiter Schritt an: Diese den Menschen ergreifende Fraglichkeit bemächtigt sich von sich aus des Menschen, d.h. der Mensch findet sich ihr gegenüber ausgeliefert – er erfährt seine eigene Verwiesenheit im Blick auf die seine Existenz tragenden Grundlagen. Er wird damit konfrontiert, dass er sich der Bestimmung seiner Existenz gegenüber nur passiv verhalten kann. Der Mensch ist nicht sein eigener Schöpfer, vielmehr ist er »ins Dasein geworfen ... ohne Möglichkeit der Wahl von Zeit und Ort und Umständen« (368). Erst durch die Wahrnehmung des Faktums, gleichsam in die Welt geworfen zu sein, kann sich ihm Gott als sein Schöpfer erschließen, wenn sein Licht die Wirklichkeit erhellt und damit der Fraglichkeit eine Orientierung ermöglicht. Die Entdeckung der Transzendenz führt unweigerlich zur Konstatierung der den Menschen konstituierenden Passivität, die wiederum von der besonderen Chance begleitet wird, in Gott nicht ihre Überwindung, wohl aber ihre Bestimmung zu entdecken.

Und Ebeling lässt noch einen dritten Schritt folgen, so als sei dies zur allgemein gültigen Verteidigung der Theologie noch nicht genug. In ihrer radikalen Fraglichkeit könne sich die Wirklichkeit nur als Wortgeschehen erschließen. »Schon die Struktur der radikalen Fraglichkeit impliziert ja die Struktur der Worthaftigkeit.« (369) Soll sich also der Mensch selbst verstehen können, kann dies nur durch ein Wortgeschehen zu Stande kommen. Indem die Konstitution des Menschen – wie gezeigt wurde – nur passiv vorstellbar ist, kann es sich bei dem Wortgeschehen nur um ein Wortgeschehen handeln, das an den Menschen ergeht, indem es ihn von außen anspricht. Die von der Fraglichkeit erschlossene Worthaftigkeit der Wirklichkeit wird nicht nur von der Chance begleitet, dass sich dem Menschen die Worthaftigkeit der Offenbarung Gottes erschließt, sondern zugleich noch von der besonderen Verheißung überboten, dass sich der Mensch als Ebenbild Gottes entdecken kann. Wird nämlich erkannt, dass »Gott und unsere Wirklichkeit eins sind in der Worthaftigkeit«, dann wird unschwer plausibel werden, »daß auch von daher die Prädikation des Menschen als Imago Dei ihren Sinn erhält« (369).

Diese besondere Prädikation bleibt vorrangig im Blick, wenn Ebeling, nachdem sich die Frage des Menschen in der Frage Gottes vertieft hat, den Menschen darin zu sich selbst kommen sieht, dass er es schließlich lernt, »als Antwort zu existieren« (370). Zwar sieht Ebeling sehr deutlich: »Es ist heidnisches Reden von Gott, Gott als die Sicherung, Bestätigung, Ergänzung oder Überhöhung des weltlichen Daseins zu verstehen.«[3] Aber er glaubt offenkundig, diesem Problem bereits dadurch entkommen zu können, dass er sich durch Gott nicht irgendwelche Positionen, sondern eben die Fraglichkeit sichern lässt. Er greift die existenzialistische Irritation des Menschen auf, um ihr sofort die Theologie an die Fersen zu heften, indem der Anschein geweckt wird, dass sie im Grunde von dem Gleichen bewegt werde wie der Existenzialismus. Und zugleich präsentiert er die Theologie als Überwindung des Existenzialismus: Was für den Existenzialismus die Lösung darstellt, nämlich die Unausweichlichkeit und Unüberholbarkeit der Fraglichkeit des Menschen, wird bei Ebeling lediglich als Anlauf für die eigene theologische Lösung benutzt, nach welcher der Mensch dazu befähigt wird, als Antwort zu leben.

Die Theologie – und das gilt keineswegs nur für Ebeling – ergreift die Defizitanzeige einer das allgemeine Selbstbewusstsein des Menschen möglichst verbreitet bestimmenden philosophischen Position, um sich als eine Lösung in Szene setzen zu können, die einerseits die Defizitanzeige zu würdigen versteht und andererseits von den mit ihr verbundenen Problemen zu erlösen vermag. Hier schlägt nun die oben erwähnte Beitragmentalität durch, indem sie sich besondere Anschlusspunkte aussucht, an denen sie glaubt, sich der Allgemeinheit nützlich erweisen zu können. Allerdings ist nie ganz klar, wem nach diesem Geschäft der größte Nutzen zufällt. Hier bedient sich die Theologie der Selbstproblematisierung des Menschen, um ihre eigene befreiende Brauch­barkeit unter Beweis zu stellen. Die Wasser der Selbstproblematisierung des Menschen werden unversehens wieder auf die Mühlen der Gottesfrage gelenkt, ohne zu beachten, dass diese Wasser gerade als Reklamation der Gottesfrage ihren Lauf genommen haben und sich überall hin ausbreiten konnten.

c) Theologische Trittbrettfahrerei

Den Existenzialisten ist es nicht anders ergangen als all den anderen Gottesbestreitern, denen man – wenn sie allgemeines Gehör finden – gerne Recht gibt, um sie sogleich in den Dienst der Theologie zu stellen, die es dann regelmäßig dazu bringt, möglichst unauffällig den Spieß einfach umzudrehen. Die Religions- und Theologiekritiker werden durch ihre Verwendung in der Theologie in die überraschende Rolle gedrängt, genau das, was sie so ernsthaft zu bestreiten sich vorgenommen hatten, nun plötzlich – freilich in leicht versetzter, d.h. akklimatisierter Form – zu verteidigen, ohne je gefragt zu werden, ob sie das wollen oder nicht. Die Theologie bedient sich zur eigenen Selbstempfehlung gern dieser merkwürdigen Form der Trittbrettfahrerei, indem sie – niemals ohne Zögern und daher meist ein wenig altbacken – auf einen möglichst gewichtigen Zug des einflussreich eingeschätzten Zeitgeistes aufspringt, um dann in der Regel vom beinahe letzten Wagen aus mit dem ihr eigenen Getöse den Eindruck zu verbreiten, dass sie es im Grunde sei, die den Zug ziehe und an ein verheißungsvolles Ziel zu bringen verstehe.

Dieses Umdrehen des Spießes vollzieht sich bereits in der Suggestion, dass es möglich sei, aus der Unmöglichkeit, von Gott reden zu können, entlassen zu werden, wenn der von Gott betroffene Mensch zum Inhalt einer gleichsam indirekten Gottesrede gemacht wird, um auf diese Weise zwei Probleme gleichzeitig lösen zu können. Dem um sich selbst besorgten Menschen wird versichert, dass er sich in seiner Sorge nicht allzu sehr besorgen soll, denn die Feststellung der Unbestimmbarkeit der Bestimmung seiner Existenz sei deshalb kein Grund zur Verzweiflung, weil gerade sie es sei, die ihn zu seiner besonderen Bestimmung führe. Genau da, wo die Philosophen die Menschen von unnützer Suche abzuhalten versuchen, weil nach ihrer Einsicht die weiteren Entbehrungen dieser Suche nur in Verzweiflung führen, springen die TheologInnen auf das Trittbrett des philosophischen Zuges und erwarten ihrerseits den von seiner Suche ebenso bewegten wie auch bereits ein wenig ermüdeten Menschen. Sie erweisen dem Mut der Philosophen durchaus ihren Respekt, weil sie den Menschen bis hierher getrieben haben, wo sich der Mensch Frage bleibt. Auch geben sie zu, dass es nicht tatsächlich etwas zu finden gibt. Aber sie stimmen nicht ein in die Warnung vor weiterer Suche, vor weiterer Selbstproblematisierung. Vielmehr definieren sie die Suche von dem Punkt an, an dem sich die Aussicht verstellt, noch etwas finden zu können, als Gottsuche, so dass sich das Nichtfinden von irgendetwas als Finden Gottes ausgeben lässt. Die befürchtete Verzweiflung ist abgewendet, das Suchen ist als Grundakt der Frömmigkeit ins Recht gesetzt, der den Menschen vor lähmender Selbstzufriedenheit schützt und somit in einer sich selbst erhaltenden Bewegung hält.

Auch der den unverhofften Frieden ausbreitende Gott darf sich recht bedeckt halten, hat er seine Göttlichkeit doch ausreichend darin bewiesen, dass er etwas gebracht hat, was es nach menschlichem Ermessen nicht einmal mehr zu hoffen gab. Zudem haben wir ja bereits gesehen, dass wir mit dem Unbekanntsein Gottes nicht so große Mühen haben. Er bringt zur Ruhe, was wir nicht zur Ruhe bringen können, und überlässt uns im Übrigen das Feld. Der Mensch übernimmt es gern, als Antwort zu leben, besonders wenn mehr als unklar bleibt, wozu er sich als Antwort verstehen soll. Die eingeheiligte Leere wird das Reservoir eines guten Gewissens zur freien Nutzung des eigenen Willens.

Die philosophischen Skeptiker und Existenzialisten aber wissen nicht mehr, wie ihnen geschieht: Ausgerechnet von den Theologen, denen ihre ganze Aversion gilt, werden sie mit Dank überschüttet. Unversehens finden sie sich im Allerheiligsten, und in den Laudationes bekommen sie zu hören, dass sie es gewesen seien, die dem modernen Menschen auch den Weg zu Gott wieder geebnet hätten. Die Subtilität dieses Spiels ist ebenso raffiniert wie platt, und es hängt ganz an der Charakterstärke, ob man sich von ihm vereinnahmen lässt oder sich diesen Pfaffenspuk verbietet. Es ist eben doch ein Pfaffenspuk, denn die Lösung des Problems zeigt doch allzu offenkundig, dass schon das Problem gar nicht ernst genommen wird.

Eine auf ihren Beitrag (möglichst zu allem) fixierte Theologie will das Problem der Philosophen auch gar nicht sehen, weil sie mit ihrem eigenen Problem okkupiert ist. Würde sie sich nämlich mit dem Problem der Philosophen beschäftigen, so fände sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass insbesondere sie es sei, die den Menschen von einer nüchternen Selbstwahrnehmung fernhalte und ihm eine fiktive Weltwahrnehmung einflöße, indem sie ihm mit ihren Gottesspekulationen zu einem vollkommen unbegründbaren und für die Welt faktisch verheerenden Selbstvertrauen verhelfe und damit eine realistische Selbstwahrnehmung des Menschen und seiner Möglichkeiten behindere. Die Vorbehalte rekapitulieren alle einschlägigen Argumente der Religionskritik, die ja auch bisher von der Theologie entweder peinlich überhört oder eben substanziell verharmlost wurden, um möglichst unberührt von ihnen den Weg fortsetzen zu können, auf dem sie diese Argumente traf. Die selektive Wahrnehmung funktioniert hier nicht ohne Raffinesse, denn dem großzügigen Überhören der Substanz des jeweiligen Einwandes entgeht kaum eine Möglichkeit der Anverwandlung der Kritik zur eigenen Verteidigung. Diese unbußfertige Kunst des Spießumdrehens scheint die insbesondere von der neuzeitlichen Theologie am besten beherrschte Kunst zu sein, die enorme Anteile ihrer intellektuellen Kapazitäten bindet. Ihre permanente Extravertiertheit verführt sie unablässig zur Einmischung in Diskurse, denen sie zu ihrem wahren Ernst zu verhelfen anbietet, um damit ihre eigene Unverzichtbarkeit unter Beweis zu stellen. Offenkundig hindert sie jedoch der aufgewandte Eifer an der nüchternen Wahrnehmung, dass ihre Offerten in der Regel vollkommen ins Leere gehen und keineswegs die erhoffte Resonanz hervorrufen[4].

Der Anschein der Unernsthaftigkeit hängt in dem eben besprochenen Beispiel möglicherweise auch damit zusammen, dass es im Existenzialismus um eine Not geht, die erst im Kopf produziert wird, was dann dazu verführt, sie mit eben diesem Kopf wieder eliminieren bzw. so zähmen zu wollen, dass man sich mit ihr ohne besonderen Aufwand und ohne existenzielle Beteiligung interessant machen kann. Will man nicht schon den Philosophen den Vorwurf eines narzisstischen Intellektualismus und einer hysterisierenden Selbstmitleidigkeit machen, so kann man ihn der hier Honig saugenden Theologie leider nicht ersparen. Sie instrumentalisiert die Problemwahrnehmung nicht nur für ihre eigenen Interessen, sondern verharmlost diese zugleich so widerspruchslos, dass sie zu einem in beinahe jede Richtung ausziehbaren intellektuellen Konversationsstoff verkommt.

Die Theologie präsentiert sich gern mit einer entweder soeben befriedigten oder aber unschwer später zu befriedigenden Wehleidigkeit, die der ausgeprägten Phantasie folgt, mit der sich die Menschen immer wieder in neue Nöte versetzt sehen, mit denen man es aber leicht aufnehmen könne, wenn man den vom christlichen Glauben bereitgestellten Gegenmittel vertraut[5]. Zu den Zutaten gehört stets eine ordentliche Portion ›Gott‹. Sie taucht in jeder Rezeptur auf und verspricht die eigentliche Wirkung. Aber es ist eben ein Gott, der nur auf Rezepten auftaucht, die deshalb verschrieben werden, weil es da ein tatsächliches oder auch nur ein scheinbares Problem zu lösen gibt.

Nachdem wir Gott als Erklärungspotenzial bereits verabschieden mussten, hat es allen Anschein, ihn nun auch als Sinnpotenzial verabschieden zu müssen, jedenfalls sofern mit Sinn die Beantwortung der Frage des Menschen nach sich selbst gemeint ist. Gott lässt sich nicht als eine Sinnressource bereithalten, aus der dann in der Not (ein wenig) geschöpft wird, während sich ansonsten die ganze Wirklichkeit permanent gegen ihn behauptet.

Das entscheidende Problem der apologetischen Beitragmentalität von Theologie und Kirche scheint mir darin zu liegen, dass alle Wahrnehmungen und Orientierungen auf einen Komparativ fixiert sind, ohne dass die Frage des Indikativs ernsthaft diskutiert wurde. Wir bewegen uns zunehmend im Schwebezustand einer Welt eines Komparativs, der keinen Indikativ mehr kennt – möglicherweise ist das eine angemessene Bestimmung dessen, was wir uns Postmoderne zu nennen angewöhnt haben. Anstatt von sich aus die Frage nach dem Indikativ zu stellen, lässt sie sich unablässig in Fragestellungen und Konflikte hineinziehen, zu denen sie nichts Besonderes beisteuern kann, denn sie verfügt hinsichtlich der verbreiteten Verlegenheiten etwa im Blick auf die geschichtlich zu lösenden Zukunftsfragen auch über keinerlei höhere Einsichten als alle anderen nachdenkenden Menschen. Dennoch versucht sie, hier und da eine Perspektive anzubieten, und bemüht sich, vor allem der Hoffnung möglichst unablässig Nahrung zuzuführen. Sie verschleißt sich weithin am falschen Objekt, ohne von dem ihr entgegen schlagenden Befremden angefochten zu werden, das vor allem deshalb höflich schweigt, weil die ebenso rührige wie wohlmeinende Betulichkeit durch ihre gelegentliche Berufung auf Gott etwas Entwaffnendes an sich hat. Zugleich enthält sie eben das, was insbesondere von ihr zu erwarten stünde, ihren Zeitgenossen vor.

Die Theologie hat in der Neuzeit ihre Allzuständigkeit für das Wirklichkeitsverständnis des Menschen endgültig eingebüßt und wurde auf den phänomenologisch von der Religion repräsentierten Bereich begrenzt. Äußerlich hat sie sich mit dieser Partikularisierung weithin zufrieden gegeben, faktisch versucht sie aber von dieser beschnittenen Position aus nach wie vor alles in ihren Wirkungsbereich zu ziehen – nun allerdings nicht mehr unter Berufung auf den alles bestimmenden Indikativ der Wirklichkeit Gottes, sondern – vermeintlich bescheiden – als fein dosierte Offerten zur geflissentlichen Selbstbedienung. Es ist diese ihr so rettungsgewiss erscheinende Beitragmentalität, welche die Kirche unweigerlich als einen religiösen Dienstleistungsbetrieb erscheinen lässt – und eben dies scheint sie nicht einmal zu stören, nachdem sie sich erst einmal so freudig auf den Markt hat schicken lassen, wo nun einmal die Gesetze des Komparativs und der Konkurrenz herrschen. Was aber müsste das für ein Gott sein, der sich da ständig auf Konkurrenzveranstaltungen schicken lässt?

Möglicherweise hängt dieser Gott als ›Indikationslösung‹ mit dem Ausgangspunkt dieses Kapitels zusammen. Der Unmöglichkeit, von Gott reden zu können, lässt sich nicht einfach dadurch entkommen, dass man vom Menschen redet. Jeder Weg, der seinen Ausgangspunkt beim Menschen nimmt, kommt nicht von ihm los, jedenfalls führt er nicht zu einem Gott, von dem sich reden lässt, ohne nicht sofort in die längst ausgestreckten Hände der Religionskritik zu geraten, deren Griff sich nicht tatsächlich dadurch lockern lässt, dass man ihr eine redliche Absicht bescheinigt. Unweigerlich wird Gott als eine anthropologische Bedarfslösung in Erscheinung treten, weil sich die Rede von Gott von den Bedürfnissen des Menschen her gestaltet und damit darauf angelegt ist, dem Menschen Recht zu geben. Ein in dieser Weise an den Menschen gebundener Gott kann nur die tatsächlichen oder eingebildeten Bindungen des Menschen offenbaren. Er bezieht seine Ehre aus dem ›Menschendienst‹, für den er herangezogen wird und den er dann – gewiss mit reichlich Unterstützung von Seiten der Bibel – zuverlässig verrichten wird, aber er verfügt über keine eigene Ehre, die der Mensch zu wahren hätte und um derer willen er sich zu einem ›Gottesdienst‹ veranlasst sehen könnte.

2. Der theologische Zirkel

Das Motiv der Gott um seiner selbst willen gebührenden Ehre enthält einen Hinweis darauf, dass der in diesem Kapitel beklagte Fehler noch unzureichend identifiziert ist, wenn allein das Faktum, dass hier der Mensch ins Spiel gebracht wurde, als seine Quelle angesehen wird. Ohne ihn ins Spiel zu bringen, wären wir auf die Möglichkeit zurück verwiesen, Gott an und für sich zum Gegenstand unseres Redens zu machen, die wir ja ebenfalls als Unmöglichkeit bereits erkannt haben, so dass uns tatsächlich nichts anderes übrig bliebe, als über Gott zu schweigen. Doch wie gezeigt wurde, eröffnet nicht jede Art und Weise, den Menschen ins Spiel zu bringen, auch eine sinnvolle Perspektive, von Gott zu reden. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, wie der Mensch ins Spiel gebracht wird. Neben dem apologetischen Weg, auf dem man zunächst sehr zügig vorankommt, um dann aber am Ende auf kaum aufzulösende Probleme zu stoßen, bietet sich für die Theologie ein anderer Weg an, bei dem sich alle Probleme gleich am Anfang auftürmen, so dass der begründete Anschein entsteht, dass es keinen rechten Einstieg zu diesem Weg gibt, zumindest keinen einfach begehbaren.

Als Rudolf Bultmann 1925 noch vor seiner Heidegger-Rezeption die These aufstellte: »will man von Gott reden, so muß man offenbar von sich selbst reden«[6], lag sein ganzes Engagement darin, einerseits ein gegenständliches Reden von Gott und andererseits ein vom Menschen abgeleitetes Reden von Gott konsequent auszuschließen. Zugleich war es seine Absicht, das von ihm geteilte Anliegen der so genannten dialektischen Theologie, dass nur da angemessen von Gott gesprochen wird, wo die Rede an seiner Selbstoffenbarung orientiert ist, so nah mit dem Existenzverständnis des Menschen auf gegenseitige Sichtweite zu bringen, dass das »ganz Andere« Gottes in seinem konstitutiven Kontakt zu dem »ganz Anderen« der sich selbst zur Frage stehenden Existenz des Menschen erkannt wird. Die Gottesfrage hat in der menschlichen Existenz insofern eine Entsprechung, als der Mensch über seine Existenz ebenso wenig verfügen kann wie über Gott. Beide können nur durch einen Akt der Ermächtigung in den Blick kommen – hier liegt die entscheidende Differenz zum apologetischen Weg.

Für Bultmann ist es grundlegend, dass eine solche Ermächtigung nur von Gott ausgehen kann, so dass sich mit der von ihm betroffenen, d.h. in seinem Licht erkennbar werdenden menschlichen Existenz auch angemessene Aussagen von Gott, nämlich aus Gott machen bzw. bekennen lassen. Sinnvolle Gottesrede wird erst dadurch ermöglicht, dass der Mensch aus seinem Selbstverblendungszusammenhang befreit wird. Es geht um eine Befreiung aus einem sich selbst ernährenden Zirkel, in den sich der Mensch von sich aus nur immer fester verbeißen kann. Diese Befreiung ist die angesprochene Ermächtigung, durch die sich im radikal verändernden Handeln Gottes seine eigene Existenz (völlig neu) erschließt. Einen neutralen Standpunkt, der dann erst in einem zweiten Schritt existenziell angeeignet wird, indem sich der Mensch darauf zu beziehen versucht, kann es hier nicht geben.

»Wir können also z.B. nicht sagen: weil Gott die Welt regiert, ist er auch mein Herr; sondern nur wenn man sich in seiner eigenen Existenz von Gott angesprochen weiß, hat es Sinn von Gott als dem Herrn der Wirklichkeit zu reden.« (33)

In diesem Sinn kann Bultmann dann auch sagen, dass man von Gott nur dann tatsächlich reden kann, wenn man von Gott reden muss (vgl. 34), weil man erkannt hat, dass die eigene Existenz an ihm hängt. Dieses Müssen entspricht dem Glauben an Gott als der meine Existenz bestimmenden Wirklichkeit (vgl. 35f).

Von einem Gott zu reden, an dem nicht schon die eigene Existenz hängt, bleibt ein in sich widersinniges Unternehmen. Bultmann hält es für das schlechthin gottlose Unternehmen, das in der Sünde Adams sein Vorbild hat, indem es sich wie Adam darauf einlässt, über das ausdrückliche Wort Gottes zu diskutieren: Sollte Gott wirklich gesagt haben? (vgl. 27) Hier wird mit der Möglichkeit gespielt, dass der Wille Gottes auch einfach an mir vorbeigehen könnte, so als könnte ich es mir aussuchen, ob es für mich einen Gott gibt oder eben nur für diejenigen, die einen besonderen Gefallen daran haben; – so wäre ein Gott vorstellbar, der seine Nichtbeachtung ohne jede Anteilnahme gleichsam regungslos hinnimmt. Die Gottlosigkeit besteht schon darin, mit dem Gedanken zu spielen, im Angesicht Gottes für sich selbst eine von Gott unberührbare Freiheit in Anspruch nehmen zu können. Es ist die nur als Hybris zu bezeichnende Ansicht, selbst entscheiden zu wollen, ob es für mich Gott gibt oder nicht, durch welche Gott jeder Ernsthaftigkeit entzogen wird, so dass er zu einem möglichen Ausstattungsrequisit – eben einem Beitrag – zu einer von mir selbst zusammen­zu­stellenden Weltanschauung minimiert wird.

Geht es um Gott, kann es um nichts anderes als ums Ganze gehen: Entweder ist er die unsere Existenz bestimmende Wirklichkeit oder er ist nur eine Gottesphantasie bzw. ein geduldiger Götze, der sich für den Menschen als Befehlsempfänger für religiöse Dienstleistungen bereithält. Gott ist kein Grenzgedanke, zu dem vorzustoßen einem sinnvoll erscheinen muss, sondern er kann nur als die Nötigung in Erscheinung treten, mein ganzes Wissen und Verstehen loszulassen, um es im Lichte Gottes grundlegend zu revidieren. Er kann nur darin erkannt werden, dass er den Menschen zu einer neuen Sicht seiner  selbst und seiner Wirklichkeit bringt. Er muss nicht nur am Anfang der Gedanken stehen, sondern selbst ihr Konstitutionsgrund sein.

Schon die Alte Kirche, die sich ständig mit dem Problem der Apologetik herumgeschlagen hat, d.h. mit der Frage, wie weit sie sich zur eigenen Selbstdarstellung auf allgemein akzeptierte Argumentationszusammenhänge berufen dürfe, hat in aller Klarheit zwei unmittelbar zusammenhängende Grundsätze aufgestellt: »Gott findet sich nicht im Allgemeinen« (Tertullian). Und: »Gott wird nur durch Gott erkannt« (Irenäus). Diese beiden Grundsätze ziehen der Apologetik äußerst enge Grenzen und verweisen darauf, dass wir spätestens – oder sollen wir sagen: schon gleich – bei der Gottesfrage in den so genannten theologischen Zirkel geraten. Dieser besteht darin, dass das, was durch begründete Argumentation erschlossen werden soll, immer schon vorausgesetzt werden muss. Alle Argumente können hier nur die Funktion haben, das zu bestätigen, was vor jeder Argumentation – im doppelten Sinn des Wortes – bereits ›bekannt‹ sein muss. Gott vermag allein durch sich selbst und nicht durch seine argumentative Präsentation zu überzeugen.

Das ist der Grund, warum von Gott nicht anders zu reden ist, als eben im Verweis auf ›Offenbarung‹. Nur deshalb, weil Gott irgendwo in Erscheinung getreten ist, kann auch von ihm geredet werden, d.h. davon, was in der jeweiligen Offenbarung von ihm erkennbar geworden ist. Für das theologische Verständnis bleibt es entscheidend, dass Offenbarung nur vorausgesetzt und eben nicht aufgewiesen werden kann, denn sie offenbart nichts, was dem Sein des Menschen oder dem Kosmos seiner Welt inhärent ist, sondern erreicht den Menschen aus der Transzendenz, die dafür steht, dass Gott seinem Wesen nach für uns unzugänglich bleibt – er bleibt den von uns aus erschließbaren Lebensbedingungen gegenüber jenseitig[7] und somit – in der Sprache der ›dialektischen‹ Theologie gesagt – der ›ganz Andere‹. Allein aufgrund seiner Selbsterschließung kann von diesem Gott gesprochen werden – eben dies besagt Offenbarung. Indem aber Offenbarung eine Geschehen und nicht etwa ein dauerhaftes Denkmal Gottes darstellt – Barth spricht von einer »nicht kapitalisierbare[n] Offenbarung«[8], die sich der Inbesitznahme durch den Menschen verweigert –, kann sie nur durch das Bekenntnis derjenigen bezeugt werden, die sie wahrgenommen haben – es gibt aber keine Möglichkeit, sie auf Dauer festzuhalten oder mithilfe irgendwelcher Fakten verifizieren zu können.

»Gott wird nur durch Gott erkannt« – das ist der theologische Zirkel, auf den jeder Versuch von Gott zu reden stößt, wenn er mehr sein will als eine spekulative Verlängerung dieser oder jener als besonders ›hoch‹ oder ›tief‹ eingeschätzten Welteinsicht, mit der wir uns einen Reim auf die mit unserer Existenz gegebenen Fragen machen. Er ist die einzig tragfähige Alternative zur theologischen Trittbrettfahrerei, die sich immer an etwas anhängt, was der Mensch selbst in Bewegung gesetzt hat.

Es geht nicht um einen Beitrag, sondern um die Neukonstitution des Ganzen, bei der nichts einfach so bleibt, wie es war. Es geht um einen neuen ›Indikativ‹ und nicht um einen abstrakten Komparativ, der mehr verspricht, aber weniger ist. Nicht eine Steigerung wird in Aussicht genommen, die mit ihrem Teilerfolg einen Schritt weiterzuführen verspricht, sondern es wird ein neuer Grund gelegt und damit die ganze Wirklichkeit grundlegend verändert. Wenn Gott in unser Leben eingreift, werden wir gleichsam an einen anderen Ort versetzt, von dem uns ein völlig neuer Blick auf die Wirklichkeit ermöglicht wird, der nicht einfach unseren Steigerungsoptionen und Utopien folgt, weil ihr Stoff eben immer nur aus den Bedingungen rekrutiert werden kann, unter denen wir uns die Welt mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zurecht gelegt haben.

Auf jeden unseren Vorstellungen entspringenden Gott wartet das nicht zu bestehende Gericht der Religionskritik. Diesem Gericht hat sich allerdings auch jedes Gottesbekenntnis auszusetzen, das sich auf Offenbarung beruft. Es wird sich dann zu zeigen haben, ob diesem Gericht dadurch Recht gegeben wird, dass ihm diese oder jene Art von Verteidigungslinien entgegengehalten wird, oder ob ihm gegenüber einerseits eingeräumt wird, dass die in die Hände der Menschen geratene Offenbarung Gottes immer auch reichlich Stoff für berechtigte Religionskritik produziert, und andererseits schlicht die Hoffnung auf die von unseren Verdrehungen und Benutzungen möglichst ungetrübte Selbstoffenbarung zum Ausdruck gebracht wird, die von keiner Kirche und schon gar nicht von der Theologie stellvertretend übernommen werden kann. Auch der Religionskritik gegenüber kann die Theologie nur schlicht ihren Ausgangspunkt in der Selbstmitteilung Gottes nehmen und auf das Wirken des heiligen Geistes, d.h. die aktuale Lebendigkeit Gottes hoffen. Damit sind sowohl die (im theologischen Zirkel konzentrierte) Verlegenheit der Theologie[9] und all unseres Redens von Gott als auch die auf der Offenbarung selbst liegende Verheißung benannt[10].

Damit sind wir nun bei sehr grundsätzlichen Überlegungen angekommen, die stets Gefahr laufen, einerseits in ihrer Stringenz durchaus akzeptabel zu erscheinen und andererseits doch insofern einen etwas herbeigeholten Charakter behalten, als wir uns selten bzw. niemals in der Verlegenheit befinden, uns selbst auf Herz und Nieren und vor allem auf den Konstitutionszusammenhang unseres Erkennens, Denkens und Verstehens befragen zu lassen. Wir scheinen uns heute weithin unserer selbst gewiss zu sein, ohne nach den Sternen zu greifen und ohne in Depression zu verfallen. Wahrscheinlich resultiert diese Gewissheit vor allem daraus, dass wir es auf der grundsätzlichen Ebene nicht mehr so unbedingt dringlich empfinden, nach der Bestimmung des Menschen zu fragen, und zwar nicht aus Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit, sondern weil bereits so viele Antworten gegeben wurden, von denen sich jede wieder infrage ziehen lässt, so dass grundsätzlich das Vertrauen in die Aussagekraft dieser Antworten erschüttert ist. Wenn es möglich ist, so viele und überaus verschiedene, ja sich auch widersprechende Antworten zu geben, kann wohl keine für sich den Anspruch erheben, eine verlässliche Orientierung zu geben. Wer mag, kann sich aus den vorhandenen Antworten das heraussuchen, was am plausibelsten erscheint, aber niemand soll meinen, dass es hier eine Wahrheit zu erwarten gäbe, die dazu in der Lage wäre, den Menschen tatsächlich seiner selbst zu vergewissern. Wahrheit in diesem Sinne steht im Grunde nicht mehr zur Debatte – im besten Fall kann es um die eigene Wahrheit gehen. Die moderne Selbstsuche ist somit nicht allein Ausdruck eines besinnungslosen Narzissmus, sondern eben auch ein Reflex auf den Verlust überzeu­gender Verbindlichkeiten.

Aber es geht um mehr als um den allgemeinen Vertrauensverlust in die Versuche, so etwas wie die Wahrheit zu ergründen. Die skeptische Haltung gegenüber den gegebenen Antworten bleibt durchaus als ein Gewinn zu registrieren, welcher der menschlichen Anfälligkeit, sich in die möglichst bedingungslose Gefolgschaft irgendeiner Lösung zu begeben, wirksam entgegentreten könnte. Solange die Skepsis sich nicht ihrerseits als eine Lösung präsentiert, sondern zur Ernüchterung und Versachlichung der menschlichen Selbstverständigungsversuche beiträgt, lassen sich wohl kaum stichhaltige Gründe beibringen, ihr skeptisch zu begegnen und ihr die wahrgenommene Freiheit zu bestreiten. Der Menschheit wäre gewiss schon viel Leid erspart geblieben, wenn sie die Skepsis vor allem dazu genutzt hätte, ihr Verhältnis zur Wirklichkeit zu ernüchtern, und eben nicht nur dazu, ihr auf der einen Seite den Heiligenschein zu nehmen, um sie auf der anderen Seite der Scheinheiligkeit unbegrenzter menschlicher Möglichkeiten anzuvertrauen.

Deshalb möchte ich von dem so pointiert vorangetriebenen Gedankengang noch einmal zurücktreten, um mich der zur Debatte stehenden Frage noch von einer anderen Perspektive aus zu nähern, die uns heute vielleicht näher liegt, als das Abstecken von Fundamentalaspekten.

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[1]    Vgl. dazu G. Sauter, Was heißt: Nach Sinn fragen? Eine theologisch-philosophische Orientierung, München 1982.

[2]    Vgl. G. Ebeling, Elementare Besinnung auf verantwortliches Reden von Gott, in: Ders., Glaube und Verstehen, Tübingen 31967, 349-371, 365 (weitere Seitenangaben im Text).

[3]    Weltliches Reden von Gott, in: Ders., Glaube und Verstehen, Tübingen 31967, 372-380, 376.

[4]    Die im Zuge solcher Selbstempfehlungen inzwischen vollzogene vordergründige Assimilation der Theologie an den der menschlichen Eitelkeit nicht gerade fern stehenden universitären Wissenschaftsbetrieb – zumindest im deutschsprachigen Bereich – hat weder ihr selbst – in ihrer spezifischen Bestimmung als kritische Selbstkontrolle der Praxis der Kirche – gut getan, noch ihr tatsächlich irgend etwas im Blick auf ihre allgemeine wissenschaftliche Akzeptanz eingebracht.

[5]    Hier liegt m.E. der Hauptgrund für die dann allerdings auch schnell wieder verfliegende Erfolgsstory von Eugen Drewermann.

[6]    Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?, in: Ders., Glauben und Verstehen, Bd. 1, Tübingen 61966, 26-37, 28 (weitere Seitenangaben im Text).

[7] Vgl. dazu K. Barth, Das christliche Verständnis der Offenbarung (TEH N.F. 12), München 1948.

[8]    Ebd., 5.

[9]    Barth hat immer wieder von der ›Not‹ der Theologie gesprochen (s. Anm. 16) und die Theologie selbst ein »Notzeichen« genannt; vgl. Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie (s. Anm. 6), 162.

[10]  Vgl. u.a. K. Barth, Not und Verheißung der christlichen Verkündigung, in: Ders., Das Wort Gottes und die Theologie (s. Anm. 6), 99-124; ders., Die Not der evangelischen Kirche, in: ZZ 9 (1931), 89-122.


© Prof. Dr. Michael Weinrich