Mehr Licht …

Meditation zu Chanukka. Von Klaus Müller

Foto: Yair Aronshtam

Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier usw. usw. Was wir nötig haben in diesen Tagen, ist die aufsteigende Linie hin zum hoffentlich Schöneren, Besseren, Helleren – nicht den Countdown in Richtung Tiefpunkt, an dem dann alle Hoffnungen auf Tage des Friedens und der Gerechtigkeit auf ein Nichts zusammenschnurren oder eben wie in einem Krater nach erfolgter Explosion versinken.

Darum: Eins, zwei, drei, vier usw. usw. statt: vier, drei, zwei, eins …Das zunehmend heller werdende Licht des Advent – in diesen Tagen umstrahlt von den Lichtern des Chanukkafestes, das die Wiedereinweihung des Tempels mittels jenes Lichtes vom Öl des Olivenbaums anderthalb Jahrhunderte vor der Geburt Jesu feiert.

Was wir nötig haben als Menschen, alle miteinander geschaffen und bestimmt zu einem kommunikativen Gegenüber Gottes, was uns als Angefochtene aufhilft und förderlich ist im Angesicht des ewigen Gottes – das sind Fragen, die auch im Hintergrund der rabbinischen Debatten zu allen Zeiten standen und stehen. Auch jener klassischen Debatte der Denkschulen Hillels und Schammais vor zwei Jahrtausenden. Der Talmud erzählt so:

„Wie ist das Gebot der acht Chanukkalichter auszuführen? Die Schule Schammais lehrt, man solle am ersten Tag acht Lichter anzünden und dann an jedem Tag ein Licht weniger, sodass am letzten Chanukkatag noch eine Kerze brennt. Die Schule Hillels dagegen lehrt anders: Am ersten Tag zünde man eine Kerze an, und dann jeden Tag eine mehr, bis am letzten Tag der volle Chanukkaleuchter brenne“ (Babylonischer Talmud Schabbat 21b).

Hillel, Gott sei Dank! Sachwalter menschlicher Empfindungen und Regungen, denen ein menschenfreundlicher Gott empathisch nahe kommt. In Zeiten zunehmender Dunkelheit braucht es mehr Licht, nicht weniger. Das gilt jahreszeitlich ebenso wie tiefenpsychologisch und weltpolitisch. Mehr Licht, nicht Countdown zum Nullpunkt hin. Hillel votiert für das Aufhellen, für „Aufladen“ statt „Downloaden“. Und dies, obwohl historisch-political-korrekt das Ölwunder zu Chanukka umgekehrt erzählt wird: Am ersten Tag das volle Licht und dann während der folgenden acht Tage immer schwächer werdend und verlöschend. Doch was Mensch heute braucht – und damals auch – ist: „Mehr Licht!“

„Die Halacha entspricht der Lehre des Hauses Hillel“, konstatiert die talmudische Überlieferung. Und dennoch sind die Worte des Hauses Schammai weiter zu tradieren, als Mahnung gegen alle Lichtphantasmen, die sich in sprühendem Optimismus der Kleinarbeit an allem Düsteren dieser Welt verweigern. Doch der Tenor ist Licht, ja mehr Licht – an Chanukka und an Weihnachten. Lichterfeste in Zeiten zunehmender Düsternis.

„Mehr Licht!“ sprach Goethe jedenfalls nach populärer Überlieferung. Ich sage mit der Botschaft der Tage um Chanukka und Weihnachten: Mehr Licht in düsteren Zeiten durch einen lichtvollen Wandel der Kinder des Lichtes! Nicht der Countdown ist anzusagen, sondern die adventliche Linie von eins und zwei und drei und vier usw. bis acht. Wir halten Ausschau nach der Erleuchtung durch den Einen und sind verbunden im Warten auf den, von dem das Jesajabuch spricht: „Über dir geht auf der Ewige, und seine Herrlichkeit erscheint über dir“ (Jes 60,2).

Klaus Müller, Beauftragter der ev. Landeskirche in Baden für das christlich-jüdische Gespräch

 

 

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