Markige Worte und verhaltene Bedenken. Mehr nicht.

Internationale Konferenz in Siegen über die Rolle der Reformierten im ersten Weltkrieg. Ein Bericht von Georg Rieger


Hans-Georg Ulrichs (Foto: G. Rieger)

Die Kriegsbegeisterung 1914 - auch in den Kirchen - ist für uns heute kaum mehr verständlich. Ein offener Widerspruch gegen den Krieg war in der aufgeheizten Stimmung nicht möglich aber auch in kirchlichen Kreisen gar nicht im Blick. Am ersten Tag der Konferenz wurde die Frage beleuchtet, wie es so weit kommen konnte.

Die Tagung begann am Donnerstag Nachmittag mit Vorträgen, die einen Überblick geben sollten. Der Münsteraner Professor für Kirchengeschichte Martin Greschat machte den Anfang, indem er die Rolle der Kirchen in einigen kriegsbeteiligten Ländern beleuchtete. Ganze 22 Kriegserklärungen habe es 1914 gegeben und überall hätten die Kirchen eine ähnliche kriegstreiberische Rolle gespielt. Um die Stimmung in der Bevölkerung zu illustrieren, zitierte Greschat aus Berichten, dass junge Männer, die nicht an der Front waren, von Frauen angespuckt wurden. Ob in Deutschland, Frankreich, England oder Russland – der Nationalismus habe auch die Kirchen erfasst und teilweise exzessive Ausmaße angenommen. Gegnerische Länder und ihre Bevölkerungen wurden diffamiert, der eigene Kampf als gottgefällige Verteidigung des Christentums interpretiert. Bis hin zum Aufruf zur Vernichtung der verhassten Nationen gingen die Pfarrer in ihren Predigten.

Nach dieser ernüchternden Einleitung gab Professor Martin Laube, Inhaber des reformierten Lehrstuhls in Göttingen, einen Überblick über die theologischen Strömungen am Anfang des 20. Jahrhunderts – mit besonderem Augenmerk auf eine speziell reformierte Theologie. Genau eine solche sei in den Jahren vor dem Weltkrieg nicht auszumachen, meinte Laube. Die theologischen Schulen seien zu dieser Zeit weniger an der konfessionellen Ausrichtung als an ihrem Verhältnis zu Kultur und Kirche auszumachen. Hätten die liberalen Theologen ein ungebrochenes Vertrauen in den kulturellen Fortschritt der Gesellschaft gepflegt, setzten die Konservativen auf die Kirche als vereinende Kraft. Auf je unterschiedliche Weise hätten beide Seiten dem Nationalismus gehuldigt und der späteren Kriegsbegeisterung nichts entgegengesetzt.

Der Heidelberger Hochschulpfarrer Hans-Georg Ulrichs ist einer der Organisatoren der Konferenz und hielt seinen Vortrag über die Rolle der Reformierten in Deutschland während des 1. Weltkriegs. Einen Unterschied gelte es zu machen zwischen den reformierten und unierten Kirchen und dem vereinsmäßig im Reformierten Bund organisierten Reformiertentum. Während die Kirchenleitungen aufgrund ihrer Verflechtung mit dem Staat völlig linientreu waren, gab es in der Pfarrerschaft und in den Gemeinden durchaus differenziertere Haltungen zum vaterländischen Krieg. Ulrichs hat die Ausgaben der Reformierten Kirchenzeitung (RKZ) ausgewertet und darin ein breites Meinungsspektrum gefunden. Die Schriftleiter Theodor Lang und Hermann Albert Hesse hätten stets in markigen Worten für den Krieg geschrieben, andere Autoren mehrheitlich gegen einen theologisch begründeten Nationalismus. Nach Ulrichs könnten die Reformierten insgesamt nicht von sich behaupten generell kritischer dem Krieg gegenüber eingestellt gewesen zu sein. Jedoch habe es nach seinen Recherchen im reformierten Bereich keine so exzessiven theologischen Verirrungen gegeben, wie die Bezeichnung von Soldaten als Vollstrecker Gottes. Mit der sich abzeichnenden Niederlage ab 1917 häuften sich die Beiträge über das Gericht Gottes und nötige Buße und Demut.

Die Tagung dauert noch bis Samstag (5.7.), am heutigen Freitag stehen Berichte aus europäischen Ländern auf dem Programm. Insgesamt kommen 24 Referenten zu Wort.

Georg Rieger, 4. Juli 2014