Jahreslosung 2016: „Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“

Meditation zu Jesaja 66,13


Foto: Niall Crotty / freeimages.com

Von Meike Waechter, Berlin

„Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“

Vor einigen Jahren besuchte ich eine alte Dame. Sie hatte keine Angehörigen mehr und zeigte Anzeichen von Demenz. Wir saßen zusammen im Aufenthaltsraum des Heimes, in dem sie seit einiger Zeit lebte. Sie war sehr unruhig und niedergeschlagen. Sie wusste nicht, wo sie war. Ich versuchte, sie zu beruhigen. Um sie abzulenken, fragte ich: An wen erinnern Sie sich denn gerne? An wen denken Sie häufig zurück? Ich erwartete, dass sie mir etwas von ihrem Mann oder ihrem Sohn erzählen würde. Aber nein. Auf einmal sah sie mich mit leuchtenden Augen an und sagt: Meine Mutter! Meine Mutter war eine Perle!

Ich denke, sie sehnte sich nicht nach ihrer Mutter als erwachsene Frau, die sie vermutlich bis zum Tod begleitet hat. Ich denke, in der Unsicherheit und Hilflosigkeit, in der sie sich jetzt als alte Frau befand, sehnte sie sich nach der Mutter, die bei ihr war, als sie klein war. Die sie auf den Arm genommen hat. Bei der sie sich auf dem Schoß zusammenrollen konnten. Die Mutter, die in der Nacht kam und die Geister vertrieb, die Mutter, deren Hand sie greifen konnte, so dass sie sich sicher und geborgen fühlte, auch wenn alles herum unsicher und unbekannt war.

„Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“

In den Texten des Propheten Jesaja klingen oft die Erfahrungen der Vertreibung des Volkes Israel mit. Das Volk trägt das Gefühl von Heimatlosigkeit, Fremde und Verlorenheit in sich. Der Prophet verheißt Überwindung dieses Unheils. Gott wird sich seinem Volk zuwenden wie eine Mutter ihrem Kind. Das Volk wird genährt werden, mit dem besten, was ein Kind bekommen kann, mit Muttermilch. Es wird liebevoll getragen. Es sitzt auf dem Schoß Gottes. Gott spielt mit seinem Volk. Gott tröstet sein Volk. Gott ist ganz nah. Heimatlosigkeit, Fremde, Verlorenheit gehören der Vergangenheit an. Gott kann wie eine Mutter Angst und Schrecken vertreiben.

„Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“

Gott wie eine Mutter: Dieses Bild rührt tiefe Gefühle an. Die Sehnsucht nach Geborgenheit  tragen alle Menschen in sich. Und doch erscheint es fremd, Gott als Mutter zu bezeichnen. Herr, unser Gott, Herrscher, Vater – diese Worte prägen unsere Hör- und Sprachgewohnheiten von klein auf.

In der hebräischen Bibel ist das noch anders. Die Metaphern und Gottesbilder sind vielfältig.  Und der Name Gottes, wiedergegeben mit den Konsonanten JHWH, ist geschlechtsneutral. Er ist mehr ein Verb als ein Substantiv. In der jüdischen Tradition wird dieser Name zu Gottes Ehren nicht ausgesprochen.

Doch in der deutschen Bibelübersetzung wird der Name JHWH mehr als 6000x, in das Wort „Herr“ gequetscht. Ein Wort, mit dem wir auch jeden x-beliebiger Herrn Müller oder Herrn Mayer anreden. So ist der männliche Herrgott in unserer Sprache ganz selbstverständlich.

Natürlich sagen die meisten Menschen, sie stellten sich Gott nicht als Mann vor. Und trotzdem bleiben wir in der Regel bei den männlichen Bezeichnungen:  Herr, unser Gott, Herrscher, Vater usw. Es ist es schwer, Hör- und Sprachgewohnheiten zu ändern. Weibliche Bezeichnungen für Gott klingen vielfach fremd und falsch. Und das Bild des alten bärtigen Mannes auf einer Wolke ist so bekannt, dass es schwer ist, davon loszukommen. Ein Kind, das noch nie einen Fuß in eine Kirche gesetzt hat, wird bei diesem Bild trotzdem wissen, wer es sein soll.

„Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“

Jesaja hat Gott anders gedacht. Er hat Gott mit Eigenschaften verbunden, mit Trost und Zuwendung, mit Nähe und Hoffnung. Und in einem zweiten Schritt hat er diese Eigenschaften Gottes mit menschlichen Erfahrungen verknüpft. Von den menschlichen Erfahrungen spricht er, um Gott zu beschreiben. Gott wird nicht auf ein Bild festgelegt.

Da Gott größer ist als alles, was wir in Worte fassen können, ist es gut, wenn sich diese Weite auch in unserer Sprache widerspiegelt. Gott, - der, die oder das, weder Mann noch Frau, noch Vater oder Mutter -, schenkt Trost und Geborgenheit, so wie wir es als Kinder bei unseren Müttern oder Vätern oder anderen Menschen erlebt haben. Und diesen Trost erfahren wir hoffentlich auch noch als alte, hochbetagte Menschen, wenn die eigenen Mütter und Väter schon längst nicht mehr da sind. So ist es uns verheißen: Gott-Mutter, Gott-Vater verlässt uns nicht.

„Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“


Pfrin. Meike Waechter, Berlin, Mitglied im Moderamen des Reformierten Bundes
Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Jesaja 66,13