Kirchenkampf und Bilderverbot

Gedenken an die Freie reformierte Synode 1935 in Siegen

An eine schwere und verwirrende Zeit für die Reformierten vor 75 Jahren erinnerte sich die Reformierte Konferenz Südwestfalen auf ihrer Tagung am 6. November 2010 in Siegen. Die Zweite Reformierte Synode vom 26. bis 28. März 1935 in der Siegener Nikolaikirche fand statt in einer Zeit der Klärung und der Neuausrichtung im Zuge des Kirchenkampfes, erläuterte Prof. Dr. Veronika Albrecht-Birkner, Kirchenhistorikerin an der Universität Siegen.

Die freie reformierte Synode 1935

„Im Glauben an die eine, heilige, allgemeine Kirche Christi bejahen wir aufs neue die alte Aufgabe des Reformierten Bundes, die nach Gottes Wort reformierte Kirche in Deutschland zu sammeln und zu ihrer besonderen Verantwortung aufzurufen“. Mit diesen Worten eröffnete Hermann Albert Hesse, Studiendirektor des Reformierten Predigerseminars in Elberfeld und Moderator des Reformierten Bundes, am 27. März 1935 in Siegen seinen Vortrag zur Zweiten Reformierten Synode. Das Vortragsthema lautete: „Sammlung der nach Gottes Wort reformierten Kirche in Deutschland im Sinne des Detmolder Beschlusses.“ Mit diesem Thema und dieser Eröffnung, so Albrecht-Birkner, war ein Programm formuliert worden, das in dem besonders für die protestantischen Kirchen seit 1933 zunehmend zermürbenden Kampf um eine existenz- und identitätserhaltende Positionsbestimmung Orientierung bringen sollte. Hatte es doch in den vergangenen zwei Jahren nach Hesses Einschätzung richtige Weichenstellungen aber auch fehlgeschlagene Versuche gegeben, zu einer Sammlung der nach Gottes Wort reformierten Kirche in Deutschland zu kommen.

So waren auf einer „Tagung der Freunde des Reformierten Bekenntnisses“ in Rheydt am 17. April 1933 überraschend 1200 Teilnehmer erschienen. Man sah die Zeit eines ganz außerordentlichen Aufbruchs gekommen und war dankbar für eine Regierung, die die Kirche nicht unterdrückte. Angestrebt wurde eine Reichskirche mit einem lutherischen und einem reformierten Zweig. In Siegen kritisierte Hesse dieses Vorgehen, das er selbst mit unterstützt hatte. Man hatte zwischenzeitlich erkennen müssen, dass eine Kooperation mit dem Reichskirchenregiment mitschuldig macht an dessen falscher Theologie und dessen Unrecht und dass somit dem Reichskirchenregiment kein Gehorsam zu leisten sei. Unter den Reformierten hatten sich mittlerweile bei verschiedenen Zusammenkünften unterschiedliche Positionen mit eigenen Leitungsgremien herausgebildet. Es entstanden Oppositionen der Bekenntnisgemeinschaften, die dem Kirchenausschuss gegenüberstanden. Dazu gehörte auch der so genannte „Coetus Reformierter Prediger“ – gegründet im Herbst 1933 auf Initiative des Barmer Pfarrers Karl Immer. Ein Gegenüber zu dem von Martin Niemöller gegründeten Pfarrernotbund.

Anhand seines Rückblicks auf die als falsch gewerteten Entwicklungen seit 1933, in die sich Hesse selbst aufs Engste verwoben sah, versuchte er im März 1935 in Siegen klar zu machen, dass der Zeitpunkt für konkrete Veränderungen in der Reformierten Kirche gekommen sei. Hierzu gehörte für ihn auch die Ablehnung einer fremden finanziellen Abhängigkeit vom Staat. Die in Siegen tagende Freie reformierte Synode wandte sich mit ihren Beschlüssen an alle bekennenden reformierten Gemeinden. Es sind solche Gemeinden, die am Heidelberger Katechismus festhalten oder sich sonst in Besinnung auf ihre reformierte Herkunft und Verantwortung unter Gottes Wort stellen. Beschlossen wurde, dass die „Freien Synoden der bekennenden reformierten Kirche Deutschlands“ schnellstens zusammentreten müssen und wie dies geschehen soll.

Nicht verwunderlich ist es, dass die mit dem Kirchenregiment verbundene Landeskirche die Siegener Synode und ihre Beschlüsse rechtlich und theologisch als illegitim darstellte.

Hermann Barth, Pfarrer in Oberfischbach, rief in seinem Vortrag auf der Freien Reformierten Synode in Siegen dazu auf, gegen den Einbruch des Neuheidentums in die Gemeinde vorzugehen. Unter „Neuheidentum“ wurde die neue rassische Weltanschauung verstanden, die in weitem Maße zu einer neuen Religion der Rasse erhoben worden war.

Für eine eigene Hochschule für reformatorische Theologie sprach sich Wilhelm Niesel, Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union, aus. Es sollte eine theologische Hochschule sein, die nicht, wie die theologischen Fakultäten, staatlichen Eingriffen ausgesetzt sein würde. Die Hochschule wurde Ende 1935 eröffnet und sofort verboten. Im Untergrund fanden fortan die Vorlesungen und Prüfungen statt. Erst am Beginn der 40-er Jahre verlieren sich die Spuren dieses Lehrbetriebs.

Gottesbilder

In einem zweiten Vortrag ging der Siegener Theologieprofessor Dr. Georg Plasger auf die Predigt Karl Barths in Siegen ein. Sie musste damals aus der überfüllten Nikolaikirche in die Martinikirche übertragen werden. Der Theologieprofessor Karl Barth legte das Bilderverbot aus.
Die meisten reformierten Kirchen sind bilderlos und verzichten, zumindest in Deutschland, sogar auf das Kreuz. Heute müssten reformierte Christen diesen Zustand nicht selten in einer Verteidigungshaltung erklären, so Plasger. Barth kehrt die Verteidigungshaltung um: „Wir werden also nicht leicht davon lassen können, auch unsere lutherischen Brüder gelegentlich immer wieder zu fragen: mit welcher Erlaubnis oder auf Grund welchen Gebotes eigentlich sie nun doch ein von Händen gemachtes Bild unseres Herrn und Heilands durchaus auf ihren Altären sehen wollen?“ Und an reformierte Gemeinden gerichtet, die doch Bilder in die Kirche gebracht haben, fragt er an, ob sie „von der Anbringung bunter Fensterscheiben mit allerhand biblischen und symbolischen Darstellungen in ihren Kirchen eine Erhöhung der Schönheit und Erbaulichkeit ihres Gottesdienstes erwarten“?

Karl Barth ging es aber nicht nur um Äußerlichkeiten. Er fragte, welche Ursache dem Wunsch, Bilder von Gott haben zu wollen, zugrunde liegt. Barth: „Kennen wir es etwa nicht: jenes eigenmächtige Formen Gottes zu der Gestalt, in der wir ihn dann nach bestem Wissen und Gewissen unseren Gott sein lassen, in der wir ihn dann nach dem Drang und der Lust unseres Herzens anbeten und ihm dienen wollen?“ Zu solchen Bildern und Gestalten gehören nach Barth auch und besonders wirkungsvoll: Prinzipien, Gedankengebäude und Systeme, Pläne und Programme, Träume und Ideologien, die zur Ehre Gottes entworfen und aufgerichtet werden. Das Grundproblem nach Barth ist, so Plasger, dass der Mensch sich ständig Gottesbilder erdenkt, sich also Gott nach seinen eigenen Vorstellungen entwirft. Und damit eben nicht Gott selber trifft, sondern nur die eigenen Vorstellungen, vielleicht sogar den je eigenen Wunsch. Weil das so ist, müssen wir uns immer wieder fragen und vergewissern lassen, was denn das richtige oder angemessene Reden und Denken von Gott ist.

Georg Plasger erläuterte die Gottesbilder, die 1935 durch die Deutschen Christen um sich griffen. Darunter auch die Vorstellung, einen das deutsche Volk in besonderer Weise würdigenden Gott; ein Gott, der das Führerprinzip beschlossen hat; ein Gott, der die Menschen in unterschiedlichen Rassen geschaffen hat, die nicht zu vermischen sind. Aber auch veränderte reformierte Organisationsstrukturen bergen nach Karl Barth die Gefahr eigener Gottesbilder. Deutlich machte der Bonner Theologe Barth in seiner Predigt, dass Jesus Christus das Ebenbild Gottes ist. Deshalb bedürfe es keiner eigenen Gottesbilder. In Jesus Christus, in der Menschwerdung Gottes, im Sterben Jesu am Kreuz, in der Auferstehung Jesu ist Gott selber so da, wie er ist. Christus ist kein selbstgemachtes Gottesbild, sondern Gottes eigenes Ebenbild.

Da ein Mensch aber nicht ohne eigene Vorstellungen von Gott, also ohne Gottesbilder leben kann, deshalb, so rät Barth: „Auch unsere liebsten Gewohnheiten und Überzeugungen haben wir jeden Morgen neu zu prüfen“.

Abschließend fragte Plasger nach heutigen Gottesbildern. Die könnten darin liegen, den Inhalt der Bibel zu einfach und niedrigschwellig und damit womöglich belanglos und harmlos zu machen. Er fragt, ob nicht durch die Liedauswahl in den Gottesdiensten Gott auf ganz bestimmte Melodien festgelegt werde? Und auch die Pfarrerzentriertheit der Gemeinden verhindere es beinahe systematisch, dass Menschen Aufgaben und Verantwortung übernähmen. Damit werde der Leib Christi auf ein bestimmtes Organisationssystem festgelegt – und damit auch Gott selber.


Karlfried Petri, Kirchenkreis Siegen, Haus der Kirche, Öffentlichkeitsreferat, 8. November 2010