Abschattungen und Abschottungen

Einspruch! - Mittwochs-Kolumne von Georg Rieger


Die Wiederbelebung der These Adolf Harnacks, dass das Alte Testament nicht mehr kanonisch sein solle, kann dem Judentum getrost egal sein. Den christlichen Glauben trifft sie aber ins Mark.

In der Diskussion um die Thesen des Berliner Professors Notger Slenczka wird mit Recht auf die antijüdische Haltung hingewiesen, die sich aus der Abwertung des Alten Testaments speist. Die Wirkungsgeschichte dieser Abwertung ist bekanntermaßen grauslich.

Gleichwohl kann diesem Argument allzu leicht entgegen gehalten werden, dass eine Ungültigkeit der jüdischen Bibel für das Christentum keineswegs zwangsläufig zu einer Feindschaft dieser Religion gegenüber führen muss. Slenczka hält ja sogar gerade die Ergebnisse des christlich-jüdischen Dialogs für ausschlaggebend für die Einsicht, dass das Alte Testament in der Kirche nicht mehr kanonischen Rang haben kann.**

Und in der Tat: Unsere jüdischen Freunde müssten sich nicht ärgern, denn ihnen wird ja nichts weggenommen. Wohl aber dürften sie sich wundern: Darüber nämlich, dass ihre Religionsverwandten das wertvollste, was sie haben, degradieren.

Aber zum Glück ist es nicht so, wie Professor Slenczka meint, dass nämlich das AT im kirchlichen Bewusstsein faktisch längst zu den Apokryphen zähle. Eine Vermittlung des christlichen Glaubens ohne das Alte Testament ist undenkbar. Auch im Alten Testament geht es – und zwar von Anfang an – um die Horizonterweiterung von Menschen. Diese Glaubenszeugnisse verlieren in keiner Weise an Gültigkeit dadurch, dass Jesus diesen Horizont noch weiter erweitert und die Gnade Gottes in seiner Person quasi fassbar gemacht hat.

Auf diese Idee kann theologisch nur kommen, wer sich wie Slenczka eine Brille aufsetzt – in diesem Fall die Universalismus-Brille: Das Evangelium stehe für die Universalität des Gottesverhältnisses, also die Zuständigkeit Gottes für die ganze Menschheit. Das Alte Testament sei dagegen ein „Zeugnis einer Stammesreligion mit partikularem Anspruch“.* Es gebe darin lediglich „Abschattungen des Jesuanischen Universalismus“*, die das AT wertvoll machten.

Abgesehen von der Geschichtsvergessenheit auch dieser Position – immerhin hat der Universalgeltungsanspruch des Christentums die grausigsten Vernichtungskriege nach sich gezogen – ist dies eine unsägliche Reduzierung des Glaubenszeugnisses – und zwar beider Teile der Bibel.

Ich bin zwar nur ein Hobby-Exeget, aber dass das Neue Testament in seiner Gänze ein Zeugnis der Universalität des Gottesverhältnisses ist (wie Slenczka das dem AT abspricht), halte ich für ein Gerücht. Die uns heute so selbstverständliche weltoffene Perspektive, den Taufbefehl eingeschlossen, ist in die Evangelien erwiesenermaßen erst nachträglich eingezeichnet worden. Das spricht nicht gegen die Gültigkeit dieser Textstellen, sondern für eine Entwicklung, deren Beginn aber nicht mit Jesu Geburt auf Null gestellt werden kann.

Der Gegensatz zwischen den Teilen der Bibel wird also konstruiert. Und ob die Motive für diese Abschotttung rein wissenschaftlicher Natur sind, das zu hinterfragen, ist mit Verlaub, auch die Aufgabe journalistischer „Schreihälse“.**

Georg Rieger, 15. April 2015

*) Notger Slenczka, Die Kirche und das Alte Testament, Marburger Jahrbuch XXV, Das Alte Testament in der Theologie , Seite 94

**) Bezugnehmend (auch an anderen Stellen) auf die Presseerklärung von Prof. Dr. Notger Slenczka vom 10. April 2015 „Skandalisierung der Wissenschaft“

Kommentare

Renate Schatz, Pastorin EKiR am 27. April 2015:
"Jetzt hat die Evangelische Theologie ca. 30 Jahre daran gearbeitet zu akzeptieren, dass Jesus von Nazareth ein Jude war und nur als jüdischer Lehrer, der sich auf das Zeugnis der Hebräischen Bibel stützt, zu verstehen ist, und von Paulus haben wir neu gehört: "Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich!" Rö 11.18 (Ich verdanke diese Erkenntnis Prof. B. Klappert), da kommt so ein Schlaumeier und meint, das sei alles nicht so wichtig. Fragen wir doch die Forscherinnen des AT, welche Erkenntnisse sie aus dieser Schrift ziehen, bevor wir uns ein Urteil anmaßen! Das tun wir für uns und unsere Theologische Lehre, für unsere Kirche und für unseren Glauben.Was soll diese Bewertung und Abwertung bringen? Es führt letztlich zur Selbstzersetzung der Theologie als ernst zu nehmende Wissenschaft"

Bernd Kehren, 27. April 2015:

"Es zeigt sich wieder mal: Was man an Kriterien vorne reinsteckt, wird hinten auch wieder rauskommen. Wer den "Universalismus" zum entscheidenden Kriterium macht, wird auch nur "Universalimus" hinten rausbekommen. Ob es der Sache angemessen ist oder nicht... Wenn dabei das AT rausfällt: Stimmt dann am AT etwas nicht - oder ist nicht vielleicht auch das Kriterium falsch?"

Empörung über Professor Slenczkas Abwertung des Alten Testaments

Bereits 2013 erschien die Abhandlung „Die Kirche und das Alte Testament“ des Berliner Professors für Systematische Theologie, in dem er empfiehlt, das AT aus dem Kanon der biblischen Bücher herauszunehmen. Die christlich-jüdischen Gesellschaften nehmen jetzt Stellung.