Gackernde Hühner und Drohnen, die nach Rebellen suchen

Skizzen aus Butare, Ruanda. Teil III

von Sylvia Bukowski

Butare 2

 

Reverend Gershon trägt heute einen eleganten Anzug:
glänzender, hellbrauner Stoff,
darunter ein Hemd in hellem Lila.
Alles passt gut zu seinem dunklen Gesicht.
Allerdings ist der Kragen 3 Nummern zu groß,
die Schultern zu breit, die Hose zu lang.
Aber Rev. Gershon trägt die gebrauchte Kleidung
mit eigener Würde
und wird von seiner Gemeinde bewundert.

 

Im obersten Stockwerk der Markthalle
liegen die begehrtesten Läden.
Sie sind gefüllt mir gebrauchter Kleidung,
bei uns leichten Herzens entsorgt,
hier schweren Herzens teuer bezahlt:
Körbe voller Socken,
Unterwäsche nach Größe sortiert,
ganze Räume voller Hemden,
andere ein Hosenlager.
Der Ansturm ist groß.
Wegwerfklamotten werden zum Schatz.

 

Mein Lieblingsstudent heißt Benoit Israel.
Er hat Kant gelesen und von Heidegger gehört.
Vor kurzem hat er darüber geschrieben,
wie sich der Mensch neu erfinden muss:
aus eigener Kraft,
ohne sich auf einen Gott zu verlassen.
Im Chor singt er mit geschlossenen Augen
von Jesus, sweet saviour,
der alles bewirkt durch seine Gnade.

 

Am „Hafen“ von Kibuye

Wir folgen einer schmalen Grasnarbe
am Ufer des Kivusees,
bis wir 2 Touristinnen sehen
und eine schlafende Frau im Schatten.
Neben ihr rebelliert ein Huhn in einer Pappschachtel.
Wir warten und schwitzen.
Mehr Leute kommen.
Die Plätze im Schatten werden rar.
Ein magerer Welpe sucht vergeblich Schutz:
Kinder schubsen und treten ihn zu ihrem Vergnügen.
Überall beginnen Gespräche:
Wann kommt das Schiff?
Wo wird es anlegen?
Nach mehreren Stunden hört endlich der erste den Schiffsmotor.
Die Menschen drängen sich zusammen.
2 Hühner wittern ihre Chance zu entkommen,
aber ihr lautes Gackern verrät sie leider.
Über einen schmalen Holzsteg
werde ich ins Schiff geschoben
und zwischen die Reisenden gequetscht.
Der ruandische Käpten ermahnt die Kongolesen (vergeblich) zur Ruhe.
Sie gelten hier als ein lautes Volk.

Dann beginnt die Reise
und wir fahr`n über den See,
vorbei an Fischerbooten,
mit 4 langen Holzangeln an jeder Seite,
die wie Spinnen über das Wasser gleiten,
vorbei an den vielen Inseln
bis wir den Vulkan von Gisenyi sehen
und am Ziel festmachen.

 

Bei Freunden in Goma

In Gomas Straßen holpern wir über Lavageröll,
liegengeblieben seit 2002,
als der Vulkan die Stadt wieder einmal
mit glühenden Fluten überrollt hat.
Überall schleppen Menschen Lasten:
auf dem Kopf, auf Fahrrädern und auf Tsukudus,
wuchtigen Rollern aus Holz,
häufig von kleinen Jungen geschoben.
Am Straßenrand viele kleine Geschäfte,
oft nur winzige Buden
oder Frauen, die ihre Waren in Körben feilbieten.
Alles bedeckt von schwarzen Staub.
Am Tag kreisen UN Hubschrauber über der Stadt,
am Abend hört man ein lautes Sirren.
Das sind die Drohnen,
die nach den Rebellen suchen
und daran erinnern,
dass es immer noch Kämpfe gibt,
nicht weit von den Grenzen der Stadt,
aber weit genug,
dass die Leute hier sagen:
es ist jetzt fried-lich – fast wie Frieden,
denn im stromlosen Dunkel hört man keine Schüsse mehr,
sondern nur noch das Geschrei
spielender Kinder.

 

Rubeni war lange ein Kirchendiener.
Bei Vulkanausbruch hat er alles verloren.
Aus Deutschland kam Hilfe.
Nun steht auf einer Lavahalde
ein kleines Holzhäuschen
und zwischen den Steinen
blühen Lilien,
wächst Gemüse,
und man Kann Papayas ernten.
Rubeni empfängt uns mit breitem Lächeln.
Seine Frau hat im hohen Alter
endlich eine Schule besucht.
nun spricht sie Englisch,
verlegen und stolz.
Zum Abschied bekomme ich ein lebendes Huhn,
das aussieht als wüsste es,
dass seine Stunden gezählt sind.
Die Ehre, am Abend seinen Magen zu essen,
gebe ich gern meinem Gastgeber weiter.


Text und Fotos: Sylvia Bukowski, März 2014
Skizzen aus Kigali, Ruanda. Teil I. Von Sylvia Bukowski

In Ruanda unterricht Pfarrerin Sylvia Bukowski im Auftrag der Vereinigten Evangelischen Mission (VEM) einige Wochen lang angehnde Pastorinnen und Pastoren. Von ihren ersten Eindrücken aus Kigali erzählt sie in Gedichten:
von Sylvia Bukowski

„Die Kirche ist aus Bambus und Gras, ringsherum armselige Hütten Dort wohnen Witwen und Waisen des Genozids, aber auch entlassene Mörder...“