Kirche, Geist, Gelassenheit

Mittwochs-Kolumne. Von Barbara Schenck

Was braucht die Kirche? "Gelassenheit", so eine Antwort, die ich vom Kirchentag mitnehme. ChristInnen müssten sich darin üben, hinzunehmen, getragen zu sein, anstatt kaninchengleich auf die böse Schlange Demographie zu starren, die die Zahl der Kirchenmitglieder beständig dezimiert. Darin waren sich drei leitende Theologen aus Bremen, Leer und Oldenburg einig.

"Gelassenheit" ist auch ein gutes Stichwort für das Katechismus-Jubiläumsjahr: Frage 54 hält fest: der Sohn Gottes "versammelt, schützt und erhält" die Kirche. "Bloßer Aktivismus" sei also "schlicht nicht angemessen", schreibt Stefan Werner, ein Mitglied im Oberkirchenrat der Badischen Landeskirche. Es mache ihn in seinem Dienst gelassen, "dass der Fortbestand der Kirche nicht nur von meinen oder anderer guten oder schlechten Ideen abhängt". Fehlende Gelassenheit führe "schnell zu Verkrampfung und Verbissenheit". Das werde "unserer Kirche in schwierigen Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs, die wir gerade erleben, gerade nicht gut tun". Allerdings heiße Gelassenheit nicht "Verantwortungslosigkeit und Untätigkeit", so Werner.

Gelassenheit ist eine Tugend, nicht nur in der Kirche. Der Philosoph Martin Seel preist den Gelassenen, der "die Vergeblichkeit des menschlichen Bemühens" kenne, "ohne es darum vergeblich zu finden". Wer die Tugend der Gelassenheit besitze, könne vieles bejahen, "womit die anderen nur hadern können".

Ach ja, an dieser Tugend mangelt es mir. Ein Geist der Unruhe und ein Geist der Kritik rauschen in meinem Kopf. Ständig habe ich etwas zu mäkeln, sei's an der Predigt meines Mannes, sei's am Aufsatz meines Kindes. Und was könnte man nicht alles besser machen, etwa in der Berichterstattung auf reformiert-info, also eigentlich: Was sollte ich besser machen? Wie könnte es voran gehen? Das, was ist, kann doch nicht alles sein! Ja, dran mangelt es mir, wertzuschätzen, was gut läuft, und die vielen Gaben vor Ort zu entdecken. Wer ebenfalls von einem solchen Charakter geschlagen ist, wird sich vermutlich über die Schlusspointe bei Martin Seel freuen: "Die Gelassenen scheinen alles Belastende ihres Daseins abgeworfen zu haben, obwohl das eigentlich gar nicht sein kann. [...] Sie lassen ihren Willen in einer Weise geschehen, die fast schon wieder an Leichtsinn grenzt."

Die Gelassenen unter uns werden trotz der sachten Kritik ihre Tugend weiterhin üben. Gut so, wir Unruhegeister brauchen sie. Es ist so verdammt anstrengend, ständig zum Wandel zu drängen. Genug für heute, seien Sie gegrüßt mit einem: "Der Herr baut die Kirche!"

 

Quellen:
Seel, Martin, 111 Tugenden, 111 Laster. Eine philosophische Revue, Frankfurt/M. 2011; zu Gelassenheit auf S. 228f.
Werner, Stefan, Frage 54: Was glaubst du von der "heiligen allgemeinen christlichen Kirche"?, in: Kanzel in der Welt (2012), 129-133, hier: 132.
Stichwort "Gelassenheit" auf dem Kirchentag, in der Ferdinandstraße (Facebook)

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Barbara Schenck, 15. Mai 2013