Jean-Jacques Rousseau

(1712-1778)


Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), Gemälde von Maurice Quentin de La Tour (1704–1788) © Wikicommons

Jean-Jacques Rousseau zählt mit seinem "Gesellschaftsvertrag" (Contrat social von 1762) zu den Staatstheoretikern des modernen Rechts. Er beeinflusste die demokratischen Verfassungen seit der Französischen Revolution und war ein bedeutender Vertreter reformierter Traditon.

Rousseaus Verständnis der menschlichen Gesellschaft und des Staates sei "weitgehend durch die Bundestheologie und das presbyterianisch-synodale System der aus der calvinistischen Reformation hervorgegangenen Kirchen bestimmt", schreibt Schäfer in einem Beitrag zum Rousseau-Jahr . Souveränität werde nicht von oben aufoktroyiert, sondern resultiere aus dem vertraglichen Zusammenschluss freier Individuen. In diesem Verständnis von Gemeinschaftswillen orientiere der Philosoph sich am "Modell der Landsgemeinde in der Schweiz", so Schäfer.

Naturmystik und die Natur als "Theater zum Ruhme Gottes"

Seinen Seelenfrieden fand Rousseau beim Betrachten der Natur. Beim Geräusch der Wellen des Bielersees konnte er in eine "entzückende Träumerei" versinken. Den Ankrnüpfungspunkt für diese Mystik sieht Schäfer nicht nur im antiken Erbe oder Philosophie des Boetius, sondern auch in einem "Diktum von der Natur", das sich ausdrückt in Calvins Formulierung vom "Theater zum Ruhme Gottes" und den Gedanken von Calvinisten des 16. Jahrhunderts, die auch "den geringsten Grashaln als 'Abbild Gottes' (Pierre Viret)" sahen.

Zivilisationskritik, die aus reformierter Frömmigkeit schöpft

Einen "kargen", ländlichen Lebensstil bevorzugte Rousseau für sich persönlich und schöpfte in seiner philosophischen Zivilisationskritik u.a. aus dem Roman "Robinson Crusoe" von Daniel Defoe, in dem laut Schäfer ein reformiertes "Frömmigkeitsprofil" zu finden ist. Defoe stammte aus einem presbyterianischen Elternhaus und sollte nach Wunsch des Vaters eigentlich Pfarrer werden.

Rousseaus Bekenntnisse als Erbe der "Gewissensprüfung" vor dem Abendmahl nach reformierter Tradition

In seinen zwischen 1765 und 1770 verfassten Bekenntnissen gibt Rousseau intimste Einblicke in seine Person. In dieser Hinsicht sei Rousseau "ein Erbe der Gewissensprüfung, wie sie sich in der reformierten Tradition entfaltete mit der seltenen (jährlich viermaligen) Feier des Abendmahls und der damit einhergehenden Angst, es unwürdig zu empfangen". Zeugnisse von "peinlich genauer und herzzerreissender Selbstbeobachtung" sind auch aus Tagebüchern von Calvinisten bekannt, allerdings waren diese nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

Typisch reformiert: die sozial orientierte Freiheit

Auf der Suche nach einer reformierten Identität entdeckte Jan Bauke vor einigen Jahren als "typisch reformeirt" Rousseaus Freiheitsverständnis im "Gesellschaftsvertrag". Wie das Individuum in der notwendigen gemeinschaftlichen Übereinkunft innerhalb einer Gesellschaft seine Freiheit bewahren kann, bringt Rousseau auf die "Formel":

"Jeder von uns stellt gemeinsam seine Person und ganze Kraft unter die oberste Richtlinie des allgemeinen Willens; und wir nehmen in die Gemeinschaft jedes Mitglied als untrennbares Teil des Ganzen auf." (Rousseau in "Du contrat social ou principes du droit politique", zit. nach Bauke, in: Die Reformierten, s.u., 398)

Dieser "Gesellschaftsvertrag" kann höchste Autonomie des Einzelnen sichern, der "der Stimme seines Herzens folgt" und gleichzeitig zum Erhalt seines Lebens von der Gemeinschaft profitiert. Diese "sozial orientierte Freiheit" sieht Bauke im Einklang mit einem Reformiertsein, das "ein unbedingtes Plädoyer für demokratische Strukturen und Gesellschaftsformen" impliziere.

Die "reformierte Pointe" bei Rousseau schränkt Bauke jedoch ein wenig ein. Rousseaus eigentliche "Entdeckung" sei das Herz des Menschen:

"In diesem Sinne ist Rousseau der Vollender der Religion und Theologie des Menschenherzens und -verstandes diesseits traditioneller Konfessionskirchen. Reformiertsein schliesst eine Hochachtung des Menschlichen ein. - Strenggenommen allerdings scheinen Rousseaus Plädoyer für demokratische Strukturen, seine Bejahung kulturell-gesellschaftlicher Lebensformen sowie seine Hochachtung des Menschlichen keine Kennzeichen einer religiösen Konfession zu sein. Sie könnten ebenso gut auch von nicht religiösen Bewegungen ausgesagt werden. Genau diese unkonfessionelle Färbung von Rousseaus Text ist aber ihrerseits typisch reformiert. Als Konfession ist das Reformierte dadurch ausgezeichnet, dass es nicht konfessionalistisch ist."

Im 18. Jahrhundert hatte Rousseau selbst Mühe mit seiner Konfession. Er wurde 1712 als Sohn einer frommen Calvinistin im reformierten Pfarrhaus seines Großvaters geboren. Seine Mutter starb jedoch kurz nach der Geburt. Auf Wanderschaft gelangte der "Jugendliche" 1728 nach Turin, wo er sich zum Katholizismus bekehrte. 1754 kam Rousseau zurück nach Genf, nahm die Staatsbürgerschaft der Genfer Republik an und bekannte sich wieder zur Reformation und zum Reformiertsein.

1762 erschien sein Roman Èmile mit dem „Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars“. Das eigene Herz und Gewissen spielen für das Bekennen die entscheidende Rolle. Rousseaus Entwurf einer "natürlichen Religion" kritisiert dabei jegliche sich auf eine Offenbarung gründende Religion. Das Buch wurde in Genf verboten und Haftbefehl gegen Rousseau erlassen. Rousseau floh und fand Zuflucht in Neuenburg, später auf der Peterinsel im Bielersee. 1765 wies der Berner Geheime Rat ihn aus, Rousseau ging wieder nach Frankreich, wo er 1778 starb.

Literatur:

  • Bauke, Jan, Jean-Jacques Rousseau. Du contrat social (1758), in: Die Reformierten. Suchbilder einer Identität, Zürich 2002, 396-98.
  • Schäfer, Otto, Von der Lust am treffenden Wort, in: bulletin 1/2012, 24-27.

Barbara Schenck