Worauf lassen wir uns ein?

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim


Für die Schuld am Giftanschlag von Sailsbury sind bislang in der Öffentlichkeit noch keine Beweise bekannt (Symbolfoto) © Pixabay

Vor etwa 15 Jahren widersetzte sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder dem Druck des US-Präsidenten und sagte Nein zu einer deutschen Beteiligung am Krieg gegen Saddam Hussein. Die angeblich unwiderlegbaren Beweise erwiesen sich später als Lügen, und der amerikanische Außenminister Colin Powell nannte es nach einigen Jahren den 'Schandfleck seiner Karriere', dass er die UNO mit falschen Behauptungen in die Irre geführt habe. Es ist also nichts Neues, dass Staats- oder Regierungschefs die Unwahrheit behaupten und versuchen, mit falschen oder gar keinen Beweisen möglichst viele Verbündete auf ihre Seite zu ziehen.

Damals prägte der deutsche Außenminister Joschka Fischer den Satz „I am not convinced“ und Deutschland machte deutlich, dass auch im Verhältnis zwischen Staaten gilt, was innerhalb eines Staates zu gelten hat: „In dubio pro reo“ (Im Zweifel für den Angeklagten).

Nun haben die meisten westlichen Staaten und die NATO dieses Prinzip aufgegeben, als sie den Anschuldigungen der britischen Premierministerin folgend Sanktionen gegen Russland beschlossen und russische Diplomaten ausgewiesen haben. Und ausgerechnet die USA haben alle anderen dabei übertrumpft. Warum eigentlich?

Der Vorfall in der südenglischen Stadt Salisbury wirft viele Fragen auf, aber Beweise, die Strafmaßnahmen gegen Russland rechtfertigen würden, liegen nicht vor. Der Doppelagent Skripal erholt sich inzwischen vom angeblich tödlichen Angriff, seine Tochter hat das Krankenhaus bereits verlassen und vor ihr wurde auch der Polizist Nick Bailey längst als gesund entlassen. Alle drei sollen Opfer eines chemischen Kampfstoffs gewesen sein, aber über das Gift ist bis heute nichts bekannt. In den ersten Tagen nach dem Vorfall hieß es, das Gift habe sich auf einem Blumenstrauß befunden, das Vater und Tochter auf das Grab der verstorbenen Frau Skripal gelegt hätten. Später hieß es, man habe das Gift an der Haustür der Skripals nachgewiesen. Auf die Äußerungen der Betroffenen darf man gespannt sein, falls sie jemals öffentlich reden dürfen.

Worauf lassen wir uns ein, wenn wir bereit sind, eine ausländische Regierung ohne handfeste Beweise für schuldig zu halten? Worauf lassen wir uns ein, wenn wir Strafmaßnahmen gegen ein anderes Land ergreifen, ohne dass der Verdacht durch Fakten erhärtet wird?

Damit verabschieden wir uns von den Grundsätzen des Rechts und folgen einer Logik, die unweigerlich zu immer mehr Misstrauen und Feindseligkeit führt.Das ist die Logik des kalten Krieges, die immer wusste, wo der Schuldige zu suchen ist, gegen wen die Waffen zu richten sind, wer gut und wer böse ist. Es ist höchste Zeit danach zu fragen, worauf wir uns einlassen, wenn wir Schritt für Schritt zur Logik zurückkehren, die Europa und die Welt in feindliche Lager geteilt und die Menschheit an den Rand eines dritten Weltkriegs geführt hat.


Paul Oppenheim