Avinu Malkenu ... Unser Vater, unser König, wir haben gesündigt

Am Rockzipfel des Judentums: Besinnung und Umkehr. Teil III: Gebete am Jom Kippur

Am Versöhnungtag, dem Jom Kippur, werden Jüdinnen und Juden vor den Gerichtshof Gottes gerufen. Rabbiner Jonathan Magonet erzählt: "Wir sitzen auf der Anklagebank, wir stehen unter Eid. 'Gott spricht Recht und legt Zeugnis ab, klagt an und wird den Urteilsspruch fällen.' (...) Wir werden herausgerufen aus unserem Alltag mit seinen Kompromissen und Halbwahrheiten, seinen Ausflüchten und Heucheleien (...) wir werden herausgerufen, um einen Augenblick lang die Gelegenheit zu haben, die Wahrheit zu sprechen. Wir können anfangen, uns selbst zu sehen, ohne Angst davor, belächelt oder missverstanden zu werden und, ohne dass wir uns entschuldigen oder etwas vorgeben müssten, was wir in Wirklichkeit nicht sind."

Als besondere Gebete in der Synagoge das Kol Nidre und das Avinu Malkenu gesprochen.

Mit dem Kol Nidre beginnt das Beten am Abend des Versöhnungstages:

"Alle Gelübde, Verbote, Bannsprüche, Umschreibungen und alles was dem gleicht, Strafen und Schwüre, die wir geloben, schwören, als Bann auszusprechen, uns als Verbot auferlegen von diesem Jom Kippur an, bis zum erlösenden nächsten Jom Kippur. Alle bereue ich, alle sein ausgelöst, erlassen, aufgehoben, ungültig und vernichtet, ohne Rechtskraft und ohne Bestand. Unsere Gelübde seien keine Gelübde, unsere Schwüre keine Schwüre." (nach: Machzor. Gebetbuch für den Versöhnungsabend.Verlag Lehrberger & Co. Frankfurt am Main 1933, auf: talmud.de)

Das Alvinu Malkenu, unser Vater, unser König, beginnt mit der "offenen Schuld" und endet mit der Bitte, Gott möge um seines Namens willen Barmherzigkeit erweisen, denn die Betenden "haben keine verdienstvollen Handlungen" vorzuweisen.

"Unser Vater, unser König, wir haben gesündigt vor dir.
Unser Vater, unser König, es gibt für uns keinen König außer dir.
Unser Vater, unser König, tue mit uns um deines Namens willen.
Unser Vater, unser König, mache nichtig über uns verhängte schwere Entscheide.
(...)
Unser Vater, unser König, tue es um deines großen Namens willen!
Unser Vater, unser König, tue es um deines großen, mächtigen und furchtbaren Namens willen, der über uns genannt wird!
Unser Vater, unser König, aus Gnade erhöre uns, denn wir haben keine verdienstvollen Handlungen, erweise und Milde und Huld und hilf uns!"

Der ganze Gebetstext auf talmud.de

Barbara Streisand singt das Alvinu Malkenu: Video auf Youtube

Das Zitat von Jonathan Magonet, Rabbiner und Professor, bis 2005 Direktor am Leo Baeck College in London, ist entnommen aus: Das jüdische Gebetbuch. Bd. II: Gebete für die hohen Feiertage, hrsg. von Jonathan Magonet in Zusammenarbeit mit Walter Homolka, aus dem Hebräischen übersetzt von Annette Böckler, Gütersloh 1997, 284.

Dieser Beitrag ist Teil der Serie "Am Rockzipfel des Judentums - Freitags ein Denkanstoß aus dem Hause Israel"

in Anlehnung an Sacharja 8,23, wo der HERR der Heerscharen spricht:
"In jenen Tagen, da ergreifen, ja ergreifen zehn Menschen aus allen Sprachen der Nationen den Zipfel einer einzigen jüdischen Person und sagen: 'Wir wollen mit euch gehen; denn wir haben gehört: Mit euch ist Gott.'" (BigS)


bs, 13. September 2013