Wohlfühlen wie in einer winterlichen Eisdiele

Was Reformierten heilig ist

©Foto: Georg Schuh

von Okko Herlyn Die Reformierten haben es ja normalerweise nicht so mit den Heiligen. Heilige Jungfrau? Heiliger Vater? Heilige St. Barbara? Da schüttelt es einen aufrechten Calvinisten doch arg durch. Indes: Dass den Reformierten gar nichts heilig ist, kann man so nun auch wieder nicht sagen. Hier ein erster Überblick.

Bilderverbot

Reformiertes Zentralheiligtum ist natürlich das geliebte Bilderverbot. Und das hängt nicht zuletzt mit der korrekten Zählung der zehn Gebote zusammen. Wie das? Nun, nach reformierter Zählweise ist das Bilderverbot bekanntlich das zweite Gebot. Logo. Vorher sollen wir keine anderen Götter haben, anschließend den Namen des Einen nicht missbrauchen. So weit, so gut.

Jetzt kam aber seinerzeit der Luther an und sagte: Ja, Augenblick mal. Das Bilderverbot sagt doch im Prinzip nichts anderes als das erste Gebot. Demnach brauchen wir das zweite, also das Bilderverbot, eigentlich gar nicht mehr. Schon war es raus aus den Katechismen Doktor Luthers. Problem war jetzt aber: Wenn von zehn eins wegfällt, bleiben nur noch neun übrig. Soweit konnte der Luther natürlich auch schon rechnen. »Kein Problem«, meinte er direkt, »teilen wir das letzte Gebot einfach durch zwei, dann kommen wir wieder auf die ursprüngliche Sollzahl zehn.« Also, man kann gegen den Mann ja sagen, was man will, aber so ganz auf den Kopf gefallen war er nicht.

Aber jetzt konntest du die Reformierten erleben. »Von wegen«, haben sie sich gleich aufgeregt, »das Bilderverbot bleibt da, wo es hingehört, nämlich auf dem zweiten Platz.« Also auf dem berühmten Treppchen, wo sie ja bekanntlich alle mal drauf wollen. Tja und das ist jetzt der theologiegeschichtliche Grund, weshalb man sich in einer reformierten Kirche immer gleich so wohl fühlt, sagen wir mal, wie in einer winterlichen italienischen Eisdiele:

Keine Bilder, kein Kreuz, keine bunten Fenster, kein Schmuck, keine Kerzen auf dem Altar (pardon: Abendmahlstisch), keine Blumen, kein Weihnachtsbaum, kein Krippenspiel, keine Fotos des neuen Konfirmandenjahrgangs mit Angabe von Hobby, Lieblingspizza und Internetadresse.

Alles möglichst sachlich, nüchtern, weiß gekälkt, ungemütlich und schlecht geheizt. Kirche des Wortes. Alles andere wäre ja Bilder- und damit Götzendienst. Also heidnisch oder – noch schlimmer – sogar katholisch.

Prädestinationslehre

Oder auch: die berühmte Prädestinationslehre. Auch so was, wo die Reformierten nun so gar nicht mit sich spaßen lassen. Tja, wie soll ich das auf die Schnelle erklären? Also sagen wir mal so: Prädestination – zu Deutsch: Vorherbestimmung – das meint, dass all das, was wir hier unten auf Erden anstellen, schon irgendwo da oben auf so einer Art Masterplan gespeichert ist. Doch jetzt kommen natürlich die Probleme. Die einen fragen sich nämlich: Ja, Moment, wenn es schon alles vorherbestimmt ist, was soll ich mich da überhaupt noch am Riemen reißen?

Meine Helma z. B. mault ständig rum: »Kannst du nicht mal dieses, kannst du nicht mal jenes. Guck mal, wie deine Schuhe schon wieder aussehen. Abfall könntest du auch mal wieder runter bringen.« Und so weiter. Man kennt es. Mit der Prädestinationslehre in der Tasche werde ich ihr demnächst einfach sagen: »Weißt du was, Helma, dass ich jetzt erst mal hier in Ruhe meine Sportschau zu Ende gucke, da kann ich gar nichts für. Das ist alles vorherbestimmt. Prädestination, wenn du vielleicht schon mal was davon gehört hast. Tut mir leid, den Mülleimer musst du heute schon mal selber runter bringen.«

Doch an dieser Stelle weisen die Reformierten gerne darauf hin, dass es so einfach, wie man sich das denke, mit der Prädestinationslehre nun auch wieder nicht sei. Im Grund gebe es nämlich gar keine einfache Prädestination, sondern immer nur eine doppelte. Vorherbestimmung zum Guten oder zum Schlechten. Himmel oder Hölle. So wie wir das damals schon auf der Straße gespielt haben. Doppelte Prädestination also. Immerhin hätte damit die – gelinde gesagt – etwas anstrengende Zweisamkeit mit meiner Helma eine einigermaßen plausible theologische Deutung für sich.

Unser Vater

Überhaupt ist den Reformierten seit jeher heilige Gewissheit, dass sie theologisch grundsätzlich immer besser drauf sind als andere. »Vater unser«? Geht gar nicht. Da könnte man ja gleich den Rosenkranz runterleiern. Also bitte: »Unser Vater«. Und dann bei jeder Bitte wenigstens ordentlich nachgedacht. Wir wollen ja nicht plappern wie die Heiden.

»Gelitten – Pause! – unter Pontius Pilatus.«

Und da sind wir auch schon beim Glaubensbekenntnis. Besser gesagt: beim Aussprechen des Glaubensbekenntnisses. Etwa die berühmte Stelle mit Pontius Pilatus. Wie war das noch? Ah ja: »Gelitten unter Pontius Pilatus.« Völlig falsch, schallt es einem hier sogleich von reformierter Bessergläubigkeit entgegen. Es müsse doch ganz, ganz anders ausgesprochen werden.

Findet auch Frau Versteegen: Schweißgebadet sucht sie mich zu früher montäglicher Stunde auf. Kein Auge habe sie die ganze Nacht zugetan. Wieder einmal habe es die Gemeinde im gestrigen Gottesdienst völlig falsch gemacht: »Gelitten unter Pontius Pilatus.« Mein schüchterner Hinweis, dass das aber genau der Wortlaut des Bekenntnisses sei, wischt sie mit rüder reformierter Geste fort. Nein, nein, es müsse vielmehr heißen: »Gelitten – Pause! – Unter Pontius Pilatus gekreuzigt, gestorben und begraben.« Das habe sie doch seinerzeit schon im Katechumenenunterricht bei Pastor Möhlenkamp gelernt, dass das ganze Leben Jesu ein einziges Leiden gewesen sei. Nun, bis zur Hochzeit zu Kana scheint Pastor Möhlenkamp damals nicht mehr gekommen zu sein. Aber egal.

Reformierte Lebensart

Damit ist es jedenfalls nur noch ein Katzensprung zum Allerheiligsten des reformierten Seins und Wesens, nämlich zur reformierten Lebensart schlechthin. Also die, sagen wir mal, ein wenig reservierte Grundhaltung allem Fröhlichen und Lustvollen gegenüber. Das hängt wahrscheinlich mit den vielen übelgelaunten Calvin-Porträts zusammen, die einen in fast jedem reformierten Pfarrhaus angucken, als habe man irgendetwas ausgefressen. Oder können Sie sich den Genfer Reformator vorstellen, wie er mal so richtig voller Schmackes in eine Schweinshaxe reinhaut? Auch finden wir bei ihm solche Lebensweisheiten, wie sie uns z. B. von Martin Luther überliefert sind (»Der beste Trank, den einer kennt, der wird Einbecker Bier genennt!«), eher selten.

Kurzum: Seither haben wir es mit der heiligen reformierten Schlichtheit zu tun. Kennen Sie vielleicht: Zum Gottesdienst nicht mit einem protzigen VW Polo oder gar intellektuell aufgebrezelten Hollandrad vorgefahren, sondern mit einem schnuckeligen kleinen BMW 4,8 Liter, Kraft gepaart mit Eleganz, einfaches Interlagos Blau metallic, möglichst in der Seitenstraße abgestellt, weil man ja nicht so viel um sich her machen will. Und weil es ja schließlich nur auf die Sache ankommt. Immerhin haben es all die Reformierten, die in Amerika gelandet sind, wie man – Max Weber sei es gedankt – weiß, auf diese Weise vom Tellerwäscher zum Millionär gebracht.

Reformierte Heiligtümer? Wenn man sich mal so zwischen Klein-Midlum im Ostfriesischen, Hoerstgen am Niederrhein oder Rödgen-Wilnsdorf im südlichen Siegerland umtut, dann sehnt man sich manchmal fast schon wieder ein wenig nach einer ordentlichen Verehrung der heiligen St. Barbara zurück.

 

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