Drusische Frauenpower und (nicht nur) christlicher Orgelbau

Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 58. Kapitel

von Tobias Kriener

 

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Inhalt Tagebuch

Tobias Kriener erzählt:

25.7.2017

Der gestrige Study-Trip brachte zwar nicht das, was ich erwartet hatte - aber dass er uninteressant gewesen wäre, kann man wahrlich nicht behaupten.

Der Tag begann damit, dass ich - nachdem wir letzte Woche entdeckt hatte, dass wir eine Wespenfamilie in der Mauer unseres Hausesr beherbergen - gewahr wurde, dass wir  im Rolladenkasten des Küchenfensters auch einem Hornissenschwarm Unterschlupf gewähren. Nach einer ersten Phase der Verunsicherung erbrachte die Kurzrecherche im Internet (NABU-Info unter dem Titel "Friedliche Brummer"), dass speziell Hornissen sehr interessante und liebenswerte Tiere sind, die eigentlich ganz hervorragend als (Am-)Haus-Tiere geeignet sind. Wir begrüßen also unsere neuen Nachbar_innen auf das Allerherzlichste, warten darauf, dass ihr Staat - ebenso wie der Wespenstaat - im Herbst aussterben wird, und werden dann versuchen, diese Löcher für das nächste Frühjahr zu stopfen.
Aber sie werden vermutlich wieder irgend eine andere wohnliche Stelle finden ...

Dann ging's zunächst nach I'billin, wo wir unter einem malerischen Weinrankendach ("Bei seinem Feigenbaum und Weinstock ..." Jesaja!) von den Gebrüdern Daoud kalte Getränke und arabischen Kaffee gereicht bekamen. Sie haben ihr Elternhaus zu einem Museum gemacht, in dem man sich anschauen kann, wie das Leben christlicher Palästinenser_innen im vergangenen Jahrundert ausgesehen hat - unter anderem mit vielen traditionellen Werzeugen zur Verarbeitung alle möglicher landwirtschaftlicher Produkte. Prunkstück ist eine komplette Olivenpresse inclusive Mühlsteinen und Generator. Vom Dach ihres Hauses aus hat man einen weiten Blick bis zum Carmel und nach Akko; hinter ihrem Grundstück liegt das Haus, in dem Mariam Baourdy geboren wurde - eine leibhaftige katholische Heilige - 2015 von Papst Franziscus heilig gesprochen; und daran anschließend die Dorfkirche, die inzwischen schon zum zweiten Mal erweitert werden musste, weil die christlichen Gemeinden in I'billin - wie überhaupt in Israel - wachsende Gemeinden sind, die dringend größere Kirchräume brauchen (und nicht nur das, sondern natürlich auch alles andere, was eine christliche Gemeinde braucht - Schulen, Krankenhäuser, Jugendeinrichtungen undundund). Es ist einfach so: Israel ist das einzige Land im Nahen Osten, indem die christlichen Gemeinden wachsen und gedeihen (anders auch als in Westeuropa, wo wir ja nur schrumpfen ...)

Danach machten wir auf dem Weg in die Kurdendörfer kurz Halt beim einzigen Orgelbauer Israels - Gideon Shamir -, Ende der 50er ein hoffnungsvoller junger israelischer Pianist, der in London studierte, später aber auf Orgelbauer umsattelte, zu diesem Zweck in der Nähe von Stuttgart die Lehre machte und nun die Orgeln des Heiligen Landes betreut (und einige auch gebaut hat wie die im Konservatorium von Haifa). Eines seiner vielen Projekte ist das Bemühen darum, die Orgel der zerstörten Synagoge von Konstanz nach Israel zu bringen als Ausstellungsstück im Diasporamuseum in Tel Aviv. Sie hat die Zerstörung der Synagoge überlebt, weil sie ein paar Jahre vor Hitlers Machtergreifung an eine Kirche in Donaueschingen verkauft worden war. 

Sein Interesse ist es, dem israelischen Publikum deutlich zu machen, dass Orgeln - entgegen der gängigen Auffassung, die sie allein in christlichen Kirchen verortet - sehr wohl ein Instrument in Synagogen und für den jüdischen Gottesdienst gewesen sind und sein können. Vor Jahren ist wohl mal im Gespräch gewesen, für unser HOPS in Nes Ammim eine kleine Orgel zu bauen - ist aber natürlich an den mangelnden Finanzen gescheitert. Ach ja, was man alles Schönes machen könnte, wenn man einen reichen Onkel in Amerika (oder in Deutschland oder in Holland) hätte - zum Beispiel auch unsere immer klappriger werdenden CLD-Autos endlich mal erneuern; in den Tourneo kommt man inzwischen zeitweise nur noch über die Rückbank rein, weil der Griff der Seitentür abgebrochen ist ... 

Danach ging's über teils spektakuläre Serpentinenstraßen nach Obergaliläa in den drusischen Ort Hurfeish, wo wir zunächst im "Sambusak HaArazim" (ich würde das mit "Zedern-Imbiß" übersetzen ...) ein "Kishk" zu uns genommen haben - eine drusische Spezialität: so etwas zwischen Pizza und Flammkuchen auf drusisch eben.

Danach waren wir wiederum bei einer christlichen Familie zu Gast (also keine  Drus_innen im Drusendorf ...), wo es zunächst Kaltgetränke und arabischen Kaffee gab - dazu allerdings auch Wassermelone und selbstgebackene Küchlein (in einer christlichen Form mit Kreuz gebacken ...). Guy - unser Guide - war mächtig stolz, unseren Gastgeber als Landwirt vorstellen zu können, der eine wichtige Rolle für die israelische Gentech-Industrie spielt, weil er nämlich genetisch manipulierte Zwiebeln zieht und die Firma mit den Samen versorgt, die diese dann für teuer Geld angeblich auch nach Holland und Frankreich verkauft (ich will ja nicht hoffen, dass das stimmt; ich hatte bisher noch das Bild von Europa als einer weitgehend gentech-freien Zone ...).
Auf jeden Fall scheint es ein Mords-Geschäft zu sein. Seine Begeisterung darüber konnte ich allerdings nicht so recht teilen ...

Die andere interessante Geschichte um diese christliche Familie ist, dass sie zu den Initiatoren eine Bewegung gehört, die im Blick darauf, dass Christen im Nahen Osten allenthalben verfolgt und an Leib und Leben gefährdet sind (Irak, Syrien, Ägypten, auch Palästina ...), während es ihnen in Israel relativ gut geht und sie sich jedenfalls einigermaßen sicher fühlen können, ihre Kinder ermutigen, zum Militär zu gehen, um ihren ganz persönlichen Beitrag zur Verteidigung dieses Landes zu leisten, das für ihre Sicherheit sorgt. In einem drusischen Umfeld ist das sicherlich eine recht naheliegende Entscheidung, denn die Drusen leisten ja seit jeher Dienst in der israelischen Armee - speziell in der Grenzschutztruppe: Die beiden Grenzschutzsoldaten, die vor gut einer Woche am Tempelberg erschossen wurden, waren Drusen - der eine aus Hurfeish.

Nach einem Blick auf die eher ökologischen Anteile seiner Landwirtschaft  - die griechischen Ziegen, deren Milch seine Frau zu ganz hervorragendem Labaneh verarbeitet; die Bienen; auch hier natürlich Feigenbaum und Weinstock auf der Terasse; dazu jede Menge Olivenbäume - fuhren wir auf den Berggipfel zu einem der wichtigsten Heiligtümer der Drus_innen: Der Höhle, in der sich Nebi Sabalan auf seiner Flucht aus Ägypten nach Syrien in der Nacht versteckte - eine Geschichte, die stark an die Flucht Jakobs erinnert. "Unsere" Frauen hatten sich im Blick auf solche Gelegenheiten von vorneherein "züchtig" gekleidet für diesen Tag - sie brauchten dann nur noch ein dekoratives weißes Kopftuch überzuwerfen. Diesmal mussten wir kurzbehosten Männer unsere unzüchtig entblößten Knie mit häßlichen und v.a. schweißtreibenden Kutten bedecken. Abgesehen von der religiösen Bedeutung des Ortes gab's jede Menge weiten Blick in die bewaldete obergaliläische Landschaft - bis hinein in den Südlibanon ...

Letzte Station war dann Julis, ein drusisches Dorf nicht weit von Nes Ammim. Dort trafen wir dann endlich eine "echte" Drusin - Nahida Kabushi - (auch hier gab's natürlich zur Begrüßung arabischen Kaffee), die allerdings ein ausgesprochener Paradiesvogel ist. So hat sie etliche Jahre mit ihrer Familie in einem Kibbuz im Negev gelebt. Authentisch drusisch ist auf jeden Fall ihr Seelenwanderungsglaube, der bei ihr allerdings besagt, dass sie in ihrer vorherigen Inkarnation eine berühmte drusische Libanesin oder libanesische Drusin war, die vor etlichen Jahrzehnten zu den "'Uqqal" - d.h. den Initiierten, den in die drusischen Heiligen Schriften eingeweihten - gehörte. Daraus leitet sie ab, dass sie die Freiheit und die Befugnis hat, die traditionelle Begrenzung der Rolle der Frau in der drusischen Tradition zu überschreiten, was sie umsetzt in eine Fülle von kommunalen Aktivitäten für Frauen-Empowerment; in Workshops, die sie anbietet für Kochen und mehr; dass sie als Heilerin aktiv ist. Das alles ist in den Augen ihrer Mit-Drus_innen Revolution. Aber dazu steht sie: Sie will die drusische Lebensweise (auf jeden Fall im Blick auf die Rolle der Frauen) revolutionieren.

Ein äußerst interessanter Tag also. Guy hat uns zwischendurch immer wieder auch einige Grundinformationen zu den Drus_innen gegeben. Aber es war viel weniger Drusen drin als ich erwartet hatte. Ich hätte viele Fragen gehabt, für die aber einfach keine Zeit war. Auf jeden Fall will ich mich mit Guy noch mal privat treffen, auch um rauszufinden, was ihn eigentlich motiviert, Leute mit den "Minorities" in Israel vertraut zu machen. Das ist mir noch nicht so richtig klar geworden: Er ist ja kein Peacenik und macht kein Hehl daraus, dass er Offizier in der Armee und auch beim Geheimdienst war. Wie gesagt: Für genauere Nachfragen war keine Zeit.

Abends im Arabischkurs kam dann - in ganz anderem Zusammenhang - die Sprache auf ein anderes Dorf, in dem Drusen und Christen leben, in dem es vor ein paar Jahren ein Pogrom der Drusen an den Christen gegeben haben muss. Unser Lehrer Ahmad war sich mit den Schüler_innen einig, dass die Drusen ein brutaler Menschenschlag sind, während die Christen - gebildet, unbewaffnet, gewaltlos, ungeschützt - seine ganze Sympathie genießen.  (Wieviel an dieser überschwänglichen Sympathiebekundung wiederum meiner Anwesenheit im Raum geschuldet war, der ich ja von allen Teilnehmenden wie vom Lehrer nur "Abuna Tubias" genannt werde - also mit dem traditionellen arabischen Ehrentitel für den Dorfpopen - ist natürlich auch schwer abzuschätzen.) Auf jeden Fall sind sie immer schwer beeindruckt von meinem Hausaufgabenfleiß und davon, dass ich die Struktur der Konjugation durchschaut habe und deshalb immer die Verbformen nur so runterrattere, während die israelischen Schüler_innen - die viel mehr Vokabeln drauf haben und viel besser sprechen - sich damit immer noch schwer tun. Aber das ist nochmal eine eigene Geschichte ...

Jedenfalls ist die Rolle und Position der Drusen in Israel im Vergleich mit denen auf den Golanhöhen oder im Libanon und in Syrien äußerst schillernd und ihr Image bei Arabern wie Juden - um es vorsichtig auszudrücken - sehr zwielichtig. Gestern - das waren erste Informationssplitter; ich hoffe, ich werde da noch einiges dazu lernen können.

Jetzt freue ich mich erst mal darauf, übermorgen Nacht der brutalen Hitze hier entkommen zu können für den Urlaub im schönen mitteleuropäischen Sommer: zunächst in Hoechst im Odenwald 9 Tage zocken - and danach 2 Wochen in Berlin chillen...


Dr. Tobias Kriener, Studienleiter in Nes Ammim, Juli 2017
Leben in Israel zwischen Golan und Sinai, Mittelmeer und Jordan, unter Juden, Muslimen, Christen, Agnostikern,Touristen, Freiwilligen - Volontären, Israelis, Palästinensern, Deutschen, Niederländern, Schweden, Amerikanern undundund

Ein Fortsetzungs-Tagebuch auf reformiert-info. Von Tobias Kriener