Segne die, die Frieden stiften

Kurzandacht zum 26. Jahrestag des Genozids an den Tutsi in Rwanda

© Kigali Genocide Memorial Centre

Von Sylvia Bukowski

„Always in April...“, so lautet der Titel eines Films über den Völkermord an den Tutsi in Ruanda. Und immer im April, vom 6. an, beginnt das 100 tägige Gedenken an die Opfer dieses unfassbaren Verbrechens, zu denen auch widerständige Hutus zählen. Viele unserer Freunde in Ruanda haben das Grauen selbst erlebt, manche, die im Ausland waren haben zahlreiche Angehörige verloren. Und auch 26 Jahre danach sind die Wunden noch schmerzhaft, selbst wenn sie inzwischen vernarbt sind. In Träumen kehren die Schrecken wieder. Und in den 100 Tagen des Gedenkens fließen viele Tränen.

In diesem Jahr wird es keine der üblichen Gedenkfeiern geben. Auch in Ruanda herrscht striktes Versammlungsverbot wegen Corona. Es wird also keine tröstlichen Umarmungen mit Freunden geben, keine Familienzusammenkünfte, mit denen man sich gegenseitig stärken kann. Viele werden dieses Jahr besonders hart ihren Erinnerungen ausgesetzt sein. Daher ist es wichtig, dass wir vor lauter Sorge um die Auswirkungen der Corona Pandemie nicht vergessen, unseren ruandischen Freunden zu zeigen: auch in diesem Jahr sind wir im Gedenken und im Gebet mit ihnen verbunden. Und es gilt, was im 55. Psalm erhofft wird: Gott sammelt alle Tränen in seinem Krug. Bei ihm ist kein Leid vergessen, auch verborgenes Leid nicht.

Das Entsetzen über das, wozu Menschen fähig sind, vereint uns auch im Blick auf unsere eigene Vergangenheit. Am 9.4.1945 wurde Dietrich Bonhoeffer hingerichtet – einer derer, die sich trotz der Gefahr für ihr eigenes Leben der Hitler Barbarei aktiv entgegengestellt haben. Bonhoeffer hat das ganz bewusst als Christ getan. Aber nicht einmal die Bekennende Kirche hat ihn in die Fürbitte aufgenommen, geschweige seinen Einsatz für die verfolgten Juden geteilt.

Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit – gleich, wo sie verübt worden sind - dürfen nicht vergessen werden. Aber es soll auch derer gedacht werden, die sich der dazugehörigen menschenverachtenden Propaganda widersetzt haben und den Opfern der Gewalt beigestanden haben. Es gab diese tapferen Widerständler, und nicht nur die mit großen Namen, bei uns und auch in Ruanda!

Aus der schmerzhaften Erinnerung an die Vergangenheit möge mit Gottes Hilfe bei uns allen ein Denken und Handeln wachsen, das verhindert, dass Menschen zu Opfern von Hass und Gewalt werden. 

Gebet für Ruanda

Herr der Welt,
nah bei den Menschen versprichst du zu sein,
ein Beschützer der Schwachen.
Aber wo warst du,
als das große Morden begann
in Ruanda?
Hast du da nicht dein Antlitz verborgen,
deine Nähe verhüllt,
geschwiegen zu den Schreien der Opfer,
die schutzlos blieben, selbst in den Kirchen?

Nun bitten wir dich
26 Jahre danach
für die Überlebenden des Genozids:
Bis heute sind die meisten von ihnen gezeichnet
von dem Grauen,
in dem sie alles verloren haben:
geliebte Menschen,
eine sichere Heimat,
und das Vertrauen zueinander.
Verweigere ihnen nicht deine tröstende Nähe.
Steh ihnen bei,
wenn beim Erinnern die Wunden aufreißen.
Stell ihnen Menschen an die Seite,
die ihnen zuhören,
und nicht ausweichen vor ihrem Schmerz.
 

Gott, Richter der Welt,
deiner Gerechtigkeit befehlen wir
die Mörder und ihre Komplizen an,
viele von ihnen immer noch ohne Reue,
verstrickt in Lügen und feige Ausreden.
Führ sie zur Einsicht in ihre Schuld
und lass aus aufrichtigem Bekennen
neue Anfänge möglich werden.

Gott, wir bitten dich auch für uns:
Ja, wir waren erschüttert,
als wir hörten und sahen,
was damals in Ruanda geschah.
Aber wir haben es schnell vergessen,
weil täglich Neues auf uns einstürmt.
Gott, wir fühlen uns oft so hilflos
angesichts der Menge von Leiden!
Und nun hält die Angst vor Corona
unseren Blick gefangen
für das, was sich anderswo abspielt.
Führe uns aus der Enge unseres Denkens,
und bewahre uns vor Resignation.

Segne die, die Frieden stiften
und sich für Versöhnung einsetzen.
Halt deine Hand schützend über Ruanda
und heile die Wunden aller Völker.
Wende dich zu uns,
und verbinde uns über alle Grenzen hinweg
in der Hoffnung auf dein Erbarmen.

Amen


Sylvia Bukowski