100 Jahre Diakonisches Werk der Lippischen Landeskirche

Das Alltagsgesicht der Kirche. Von Burkhard Meier, Lage-Hedderhagen

Ureigene Aufgabe der Diakonie moderner Prägung war, ist und bleibt es, sich um die Armen, die Wohnungslosen, die Straffälligen, die Fremden, die Kinder, Familien und Alten, kurz: um Schwache und Bedürftige zu kümmern. Über den Wandel der Regime hinweg hat sich dieser Zweig kirchlicher Arbeit zu einem nicht mehr wegzudenkenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Faktor entwickelt.

Vorgeschichte und Gründung – die Zeit bis 1909

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts spielt die Diakonie auch in Lippe eine Rolle. Neue Einrichtungen wurden geschaffen, ältere mit Fachkräften, in der Regel Diakonissen, besetzt. Nachdem ein erster Versuch in den 1880er Jahren ohne Folgen geblieben war, glückte am 30. November 1908 die Gründung des Landesvereins für Innere Mission. Seine Bestrebungen zielten zunächst auf die Bewahrung eines christlichen Geistes in der Bevölkerung.

Schwierige Anfänge – die Jahre bis 1914

Die Verantwortlichen des neu gegründeten Landesvereins für Innere Mission ergriffen eine ganze Reihe von Maßnahmen, um ihre Ziele zu verwirklichen. Doch von einzelnen kleineren Erfolgen abgesehen, wollten die Aktivitäten nicht recht in Gang kommen. Schon war von einer Krise des Vereins die Rede. Durchaus hätten die Bemühungen bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges ins Stocken geraten und zur Liqudierung des Vereins führen können – doch es sollte ganz anders kommen.

Neue Aufgaben und Defizite – der Erste Weltkrieg und die Folgen

Gerade die furchtbare Katastrophe des Ersten Weltkrieges bescherte dem Landesverein für Innere Mission neue Aufgabenfelder. Er entfaltete eine rege publizistische Wirksamkeit, die insbesondere den Soldaten an der Front und in den Lazaretten zugute kommen sollte, aber natürlich auch im Lande selbst wahrgenommen wurde. Allerdings gerieten nun die Finanzen des Vereins in eine Schieflage. Da kaum mehr Mitgliedsbeiträge eingingen, stellte auch die Kirchenbehörde ihre Unterstützung ein. Erneut stand die Zukunft auf des Messers Schneide.

Belastung und Bündelung – in der Weimarer Republik

Auch nach Kriegsende blieb die Lage, in der sich der Landesverein befand, kritisch. Es gelang nicht, in ausreichender Zahl Unterstützer zu finden und der Arbeit eine klare Ausrichtung zu geben. Was ebenfalls noch fehlte, war eine Bündelung und Koordinierung der vorhandenen diakonischen Einrichtungen des Landes. Diese konnte erst 1923 erreicht werden. Von nun gab es eine diakonische Spitzenorganisation in Lippe, einen Wohlfahrtsverband, dessen Mitglieder ihr Vorgehen miteinander abstimmten.

Bedrohung und Bewährung – im Dritten Reich

Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft wurde für die lippische Diakonie zu einer Zeit äußerer Bedrohung und innerer Bewährung. Zufällig fällt sie zusammen mit dem Beginn des Engagements im Herbergswesen (Gründung in Barntrup), das ergänzt wurde um den Bereich der Altenhilfe. Trotz aller Restriktionen und Rückschläge gelang es gerade im Dritten Reich, die lippische Diakonie auch öffentlich zu profilieren und durch die Erlöse landesweiter Sammlungen eine finanzielle Grundlage für die diversen Aktivitäten zu schaffen.

Kriegsfolgen und Neuanfänge – nach 1945

Im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg waren dessen Folgen zu überwinden. Gerade die deutsche Teilung und ungeheure Wanderungsbewegungen von Ost nach West wurden als Herausforderung begriffen. Zunehmend übernahm der Landesverein – in Gemeinschaft mit dem neu gegründeten Evangelischen Hilfswerk der Landeskirche – auch selbst diakonische Einrichtungen. Angesichts der vielen Aufgaben blieb die Finanzierung der Aktivitäten ein Thema. Die Landeskirche und das neu gegründete Land Nordrhein-Westfalen, dem sich Lippe 1947 angeschlossen hatte, wurden zu wichtigen Unterstützern.

Neuordnungen und ein herber Verlust – die Sechziger Jahre

Zunächst war durch den frühen Tod des rührigen Geschäftsführers Dr. Erich Stuckel eine riesige Lücke zu füllen, wofür sich der betagte Pfarrer Wilhelm Jürges noch einmal in die Bresche warf. Die 1960er Jahre sind von einer zunehmenden Professionalisierung gekennzeichnet. Die Aufgaben wurden noch vielfältiger und komplizierter. Eine Antwort auf die Herausforderungen der Zeit war die definitive Zusammenlegung der beiden Verbände zum Diakonischen Werk der Lippischen Landeskirche und die Schaffung des Amtes eines Landesdiakoniepfarrers.

Aufbruch zu neuen Ufern – die Siebziger Jahre

Was die Verantwortlichen wohl kaum für möglich gehalten haben werden, trat in den ausgehenden 1960er sowie in den 1970er Jahren ein: eine noch stärke Ausweitung der Arbeit. Aus Gemeindepflegestationen wurden moderne Diakoniestationen, aus Altenheimen entwickelten sich große Altenzentren, aus wenigen Kindergärten wurden viele. Ganz neue Aufgaben kamen hinzu: die Gehörlosenhilfe, die Betreuung von ausländischen Arbeitnehmern, die Fachberatung von Kindergärten. Und auch die Arbeit als Spitzenverband nahm stetig zu.

Generationswechsel mit Langzeitwirkung – die Achtziger Jahre

Ende 1980 feierte Landespfarrer Helmut Eßer seinen 50. Geburtstag. Ein Dutzend Jahre im Amt lag nun hinter dem Leiter des Diakonischen Werkes, ein knappes weiteres Dutzend noch vor ihm. Mit Temperament, Verhandlungsgeschick und Durchsetzungsfähigkeit schuf Eßer die organisatorischen, finanziellen und personellen Grundlagen für die Existenz des Vereins. Bereits das Jahr 1979 markiert insofern einen Einschnitt in der Entwicklung des Werkes, als zu dieser Zeit mit Ruth Gantschow und Brunhilde Schmelzer zwei Nachwuchskräfte in die Dienste des Vereins traten, die in den letzten rund drei Jahrzehnten die Abteilungen Sozialarbeit bzw. Kinder- und Jugendhilfe aufgebaut haben und bis heute leiten.

Das Diakonische Werk gestern – heute – morgen

Der Landesdiakoniepfarrer bzw. die Landesdiakoniepfarrerin ist seit einigen Jahren Vorstand des Diakonischen Werkes – und dies gemeinsam mit einem kaufmännischen Vorstandsmitglied. Aus dem Landesdiakonierat ging der Verwaltungsrat hervor. Neben die Fachberatung für Kindertageseinrichtungen ist neuerdings eine Abteilung für Kindertageseinrichtungen in eigener Trägerschaft getreten. Ebenfalls neu übernommen wurden das Evangelische Beratungszentrum, die Evangelische Familienbildung und das Diakonische Jahr. Die Herausforderungen sind nicht kleiner geworden – ganz im Gegenteil! Doch das Diakonische Werk stellt sich ihnen bewusst und offensiv – und geht damit gut gerüstet in die Zukunft.

Burkhard Meier
Historiker in Lage-Hedderhagen: www.burkhard-meier.com

Eine kurze Geschichte in Bildern

Von Birgit Brokmeier erstellt

Das Weihnachten 1896 eingeweihte Evangelische Vereinshaus war Schauplatz der Gründung des Landesvereins für Innere Mission am 30. November 1908.

Nach öffentlich erfolgter Einladung erschienen nicht weniger als „ungefähr 125 Herren“ zur „constituierenden Versammlung“. Unter Vorsitz des Generalsuperintendenten einigten sich die Anwesenden auf Gründung eines Vereins mit einem Jahresbeitrag in Höhe von 50 Pfennigen. Zu den Teilnehmern dieser Zusammenkunft gehörten die Spitzen von Staat und Kirche des Fürstentums Lippe, darunter Staatsminister Max von Gevekot und Landtagspräsident August Bernhard Riekehof-Böhmer. In Erscheinung traten ferner Gutsbesitzer und Fabrikanten, Offiziere und Lehrer, ein Ziegelmeister, ein Staatsanwalt und ein Arzt sowie natürlich eine Vielzahl von Pfarrern.
Quelle: Sammlung Wilfried Mellies

Als (vorläufigen) Schluss- und Höhepunkt der Entwicklung der Diakonie in Nordrhein-Westfalen wird man die zum 1. Juli 2008 erfolgte Gründung des Vereins „Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe“ bewerten dürfen. Unter lippischer Beteiligung ist diese Gründung seit Jahren vorbereitet worden. Dem Verein gehören neben den drei bislang bestehenden Diakonischen Werken auch die jeweiligen Landeskirchen Rheinland, Westfalen und Lippe sowie der Fachverband Evangelischer Krankenhäuser an. Damit vertritt er „rund 4.900 Sozialeinrichtungen mit 130.000 Beschäftigten und 200.000 Ehrenamtlichen“, wie die Lippische Landes-Zeitung am Stichtag berichtete.

Ziel dieses rechtsfähigen Vereins mit Sitz in Düsseldorf ist es insbesondere, „der nordrhein-westfälischen Diakonie eine Stimme zu geben gegenüber der Gesellschaft sowie Vertretern von Politik und Verwaltung (anstelle der bisherigen drei Stimmen, die im ungünstigsten Falle nicht gerade gegensätzliche Ansichten äußerten, aber vielleicht doch solche, die den Eindruck von mangelnder Abstimmung hervorriefen)“ (Renate Niehaus/Ulrike Gliech).

Der seit 2006 amtierende Vorstand des Diakonischen Werkes Lippe hat diese von seinen Vorgängern mitinitiierte Veränderung Mitte 2007 ausdrücklich begrüßt. „Froh sind wir auch, dass uns als Vorstand die Arbeit auf NRW-Landesebene in der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege erspart bleibt, denn ‚Konzentration auf regionale Aufgaben’ hieß zu Beginn des Jahres 2007 die Übernahme der evangelischen Familienbildung und des Diakonischen Jahres nach der Auflösung des Landeskirchlichen Dienstes und die Bildung einer eigenen neuen Abteilung Kindertageseinrichtungen [...]. Durch diese Veränderung wuchs die Mitarbeiterschaft von bislang 29 auf 86 Personen und die Zahl steigt weiter“ (Renate Niehaus/Ulrike Gliech).

Jetzt, zum Zeitpunkt der 100-Jahr-Feier, sind rund 180 Frauen und Männer beim Diakonischen Werk der Lippischen Landeskirche e.V. beschäftigt (hier ein Foto vom Mitarbeitertag 2008 in Stapelage). Ob sich die Gründer des Landesvereins für Innere Mission im Fürstentum Lippe am 30. November 1908 eine solche Entwicklung wohl hätten vorstellen können?

Das Diakonische Werk Lippe verfügt über 102 Mitglieder im gesamten Kreisgebiet – auch diese Zahl wäre für die Gründer des Landesvereins wohl unfassbar gewesen. Neben den 68 Kirchengemeinden sind es 34 Träger diakonischer Einrichtungen, die ein flächendeckendes Netz von Kindertages- bzw. Altenhilfeeinrichtungen bilden.

 


Quelle: Birgit Brokmeier, Öffentlichkeitsreferentin der Lippischen Landeskirche