Richtige Taufen

Predigt über Mt 28,16-20 zum 6. Sonntag nach Trinitatis

© Bärbel Husmann

Von Bärbel Husmann

Liebe Gemeinde,

erinnern Sie sich an Ihre Taufe? Sind Sie als Baby getauft worden oder als Erwachsene? Oder vielleicht im Konfirmandenunterricht?

Und warum wurden Sie getauft? Weil das so üblich war? Weil Ihre Eltern das so entschieden haben? Oder haben Sie das selbst entschieden?

Gibt es Fotos, die an Ihre Taufe erinnern? Oder Geschichten, die sich um Ihre Taufe ranken?

[Taufe als evangelisches Sakrament]

In der evangelischen Kirche ist die Taufe eins von zwei Sakramenten. Luther hat eine heilige Säuberungsaktion bei so vielen Traditionen durchgeführt, die bis dahin ganz selbstverständlich waren: der Gottesdienst nicht mehr auf Lateinisch, sondern auf Deutsch; die Entmachtung der Heiligen; kein Messgewand beim Predigen, sondern der Universitätstalar; die Einführung von Kirchenliedern und Gemeindegesang – und die Abschaffung von fünf der sieben Sakramente, die sich nicht auf biblische Einsetzungen Jesu zurückführen ließen. Übrig blieben Taufe und Abendmahl.

[Das Bibelwort]

Heute geht es um einen Text, der im Evangelium des Matthäus steht. Jesus ist gestorben, begraben worden und auferstanden. Maria Magdalena und die andere Maria werden Zeugen, wie ein Engel den Stein vom Grab wälzt, die Wachen erstarren und der Engel beauftragt die beiden Frauen, den Jüngern Bescheid zu sagen, dass Jesus auferstanden ist und ihnen nach Galiläa voraus gegangen ist. Dort würden sie ihn dann treffen. Ich lese die Übersetzung der Zürcher Bibel:

Die elf Jünger aber gingen nach Galiläa, auf den Berg, wohin Jesus sie gewiesen hatte. Und als sie ihn sahen, warfen sie sich nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden. Geht nun hin und macht alle Völker zu Jüngern: Tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin bei euch bis an der Welt Ende.“

[Taufe – Matthäus‘ finales Manifest]

Bei jeder Taufe wird dieser Text vorgelesen. Nicht die eigene Taufe von durch Johannes ist für die christliche Taufpraxis entscheidend geworden. Vielmehr ist es diese letzte Ansprache von Jesus an seine Jünger ganz am Ende des Matthäus-Evangeliums. Matthäus hat sie als das endgültige Manifest des auferstandenen Jesus aufgeschrieben. Er schreibt nicht mal, wie sich die Szene nach dieser Ansprache auflöst, wo die elf Jünger bleiben, was mit den Zweifelnden passiert, wo er selbst hingeht. Es ist vielmehr ein fulminanter Schluss seines Evangeliums, der einen zeitlichen Horizont bis zum Ende der Welt aufspannt: Ich bin bei euch bis an der Welt Ende. Schon daran lässt sich erkennen, dass Matthäus diesen Schluss gestaltet hat. Er hat dabei auf eine Taufformel zurückgegriffen, die zu seiner Zeit, im Jahre 80 oder 90 n. Chr., schon längst in Gebrauch war:  auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

[Taufe als Hürde]

Eine Freundin, ich nenne sie hier Susanne, beklagt sich bei mir über „die“ Kirche. Wir sprechen normalerweise nicht über Religion und Kirche, denn Susanne gehört der „Christengemeinschaft“ an. Einer Sondergemeinschaft, früher sagte man „Sekte“. Sie wurde gegründet im Umfeld von Rudolf Steiner, dem Vater der Waldorfpädagogik. Susanne ist in dieser Sondergemeinschaft schon selbst aufgewachsen, weil bereits ihre Eltern dort Mitglied waren. Susannes Kinder, ihre Nichten und Neffen, alle sind dort getauft. Und um den ältesten Neffen geht es jetzt: Der wolle heiraten, habe von der Christengemeinschaft eigentlich genug, aber keine Kirche wolle ihn trauen.

Er und seine Freundin seien wirklich auf die Suche gegangen. Zuerst bei den Katholiken. Da hätten sie bei Freunden eine Trauung erlebt, die ihnen gut gefallen habe, weil sie so feierlich gewesen sei. Aber dann: Dann sollten sie erst mal einen Glaubenskurs machen. Ein zweiter Versuch folgte bei den Evangelischen. Da sei der Pfarrer gleich zur Sache gekommen. Ja, wenn einer von beiden evangelisch wäre, dann wär’s kein Problem. Aber so... Das dürfe er nicht. Die Christengemeinschaftstaufe sei nicht anerkannt. Susanne empört sich: Die beiden seien bestimmt bessere Christen als viele andere. Und das, was ihnen da widerfahren sei, das sei doch wohl höchst unchristlich. Die beiden könnten doch nichts dafür, wo sie nun getauft worden seien. Und wieso „man“ (also meine Kirche) die Christengemeinschaftstaufe eigentlich nicht anerkenne?

[Was ist eine richtige Taufe?]

Was sollte ich sagen? Macht die Taufe richtige Christen? Entscheidet sich nicht woanders, wer ein rechter Christ ist und wer nicht? Ist es wirklich wichtig, dass der Matthäus-Text bei der Taufe verlesen wird, dass wir diese Tauf-Formel auch heute noch nutzen, wenn wir jemanden in die christliche Gemeinde aufnehmen? Babys wie Erwachsene? Kommt es wirklich auf die Form, auf diese Worte an? Sind wir nicht frei?

Wieso wird die Taufe der Christengemeinschaft eigentlich nicht anerkannt?

Ich las nach und machte mich schlau. Der Tauftext, der verlesen wird, stammt von Rudolf Steiner selbst und darf nicht verändert werden: Die „Weltengeister“ werden angerufen. Es geht um die Bedeutung von Wasser, Salz und Asche. Salz und Asche? Ich stutze. Dann folgt die Taufhandlung. Mit Wasser wird ein Dreieck auf die Stirn gezeichnet, mit Salz ein Viereck auf das Kinn und mit Asche ein Kreuz auf die Brust. Und dann spricht der Priester:

„Meine liebe Taufgemeinde:
Diese Seele, die herabgesandt aus der Geist- in die Erdengemeinschaft
Wir sollen sie empfangen und tragen in die Gemeinde des Christus Jesus.
Sie stammet dem Leibe nach aus göttlicher Weltenkraft
Sie stammet der Seele nach aus göttlichem Wirkensworte
Sie soll der Geistessphäre leben aus göttlichem Geistesziel.“1

Luther, Calvin, Zwingli, sie alle hätten sich nicht im Traum vorstellen können, dass ein solcher Text, eine solche Handlung zu einer christlichen Taufe gehören könnte.

Es gibt ein Etikett und es gibt einen Inhalt. Und das Etikett muss zum Inhalt passen und umgekehrt. Ich kann nicht Erdbeermarmelade einfüllen und dann Aprikose auf’s Etikett schreiben. Ich kann auch nicht einen Ritus mit Wasser, Salz und Asche erfinden, die Weltengeister anrufen und dann als Etikett „christliche Taufe“ drauf kleben. Es ist vielleicht egal, ob ein Kind oder ein Erwachsener getauft wird. Es ist egal, ob es ein Taufkleid gibt oder nur einen schönen Strampelanzug. Aber es ist nicht egal, ob der Täufling auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft wird. Mit Wasser. Sonst nichts.

[Dogmatik und das wirkliche Leben]

Gut. Könnte man nun sagen. Das Problem ist gelöst. Aber für Susannes Neffen ist es ja nicht gelöst. Denn er (und seine Tante) glauben ja: Das, was sie kennen, ist vielleicht ein etwas anderer Ritus. Aber sie sind doch rechte Christenmenschen und getauft! Deshalb lassen Sie uns noch einmal in den Text schauen: Geht nun hin und macht alle Völker zu Jüngern. Tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe. Jünger machen, taufen, lehren. Matthäus hat die Aufforderung zu taufen in zwei weitere Anweisungen eingebettet: den sogenannten Missionsbefehl und in einen, sagen wir mal: Unterrichtsbefehl.

Das Lehren der Gebote kommt zum Schluss, nach dem Taufen. Die Taufe ist nicht gebunden an einen vorherigen Taufunterricht, der Zuspruch kommt vor dem Anspruch. Die Getauften werden belehrt, nicht die Ungetauften. Aber die Taufe erfolgt auch nicht einfach so aus dem Nichts. Vorher ist der Missionsbefehl. Man kann ihn verschieden übersetzen, weil im Griechischen offen bleibt, wie genau das vor sich geht, dass aus Völkern Jünger werden. Jede Übersetzung hat ihre Tücken: „Jünger machen“, eine solche Übersetzung konnte sich Luther nicht vorstellen. Ihm lag so viel daran, dass die Menschen verstehen, was sie glauben. Deshalb übersetzte er:  Lehret die Völker. Er nimmt in Kauf, dass nun etwas viel gelehrt wird: vor und nach der Taufe. Die Übersetzerinnen und Übersetzer der BasisBibel haben das Wörtchen einladen gefunden: Ladet die Menschen ein, meine Jünger zu werden. Sie wollten einen Jesus haben, der einladend rüberkommt.

Auf keinen Fall wollten sie, dass Jünger gemacht werden und die heutigen Leserinnen und Leser an die Missionierungen im 18. und 19. Jahrhundert erinnert werden. Die fanden zumeist im Gefolge von Eroberungen statt. Einladungen waren das nicht.  Was bedeutet der Missionsbefehl genau? So viel lässt sich sagen: Zweimal Lehren ist zu viel. Machen weckt keine guten Erinnerungen. Und Einladen – ist das zu weichgespült?

[Ende gut, alles gut?]

Etliche Wochen nach dem Gespräch mit Susanne sehe ich Fotos. Schöne Hochzeitsfotos in einem weitläufigen Garten. Jener Neffe hat sich mit seiner Freundin zu einer „freien Trauung“ unter freiem Himmel entschlossen. Es sei ein sehr schönes Fest gewesen, sagt Susanne. Und so sehen auch die Gäste aus: die Cousins und Cousinen sind froh. Ja, das könnte auch ihre Lösung für all die anstehenden Hochzeiten sein.

Über die Asche-Salz-Geschichte sprechen wir nicht mehr. Aber ich denke bei mir: Ach! Hätten die beiden doch andere Vertreter der christlichen Kirchen getroffen. Vielleicht eine Seelsorgerin, die dem jungen Paar hätte vermitteln können, dass sie beide Gott recht sind. So wie sie sind. Und mit ihrer Christengemeinschaftstaufe, für die sie nichts können. Einen Pfarrer, der Einladungen ausgesprochen hätte, statt Vor-Bedingungen zu formulieren. Jemand, der den beiden Zeit gegeben hätte, um zwischen den Geistern zu unterscheiden: den „Weltengeistern“ und dem Heiligen Geist, zwischen der „göttlichen Weltenkraft“ und Gott, dem göttlichen „Wirkensworte“ und dem Wort Gottes.

Ja, womöglich hätte sich das Paar einladen lassen. Um sich als Eingeladene taufen zu lassen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Amen.

1

Steiner, Rudolf: Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken II. Spirituelles Erkennen. Religiöses Empfinden. Kultisches Handeln. In: Ders.: Gesamtausgabe. Bd. 343, S. 373f. Hier zitiert nach: Handbuch Weltanschauungen, Religiöse Gemeinschaften, Freikirchen. Im Auftrag der VELKD hg. von Matthias Pöhlmann und Christine Jahn. Gütersloh 2015, S. 338f.

Bärbel Husmann